Editorial: Chancenstrukturen und Selektion beim Hochschulzugang und im Studium

Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist bekannt und bildungs- und gesellschaftspolitisch umstritten, dass die Chance, ein Studium aufzunehmen, in hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängt. Die soziale Ungleichheit beim Zugang zu bzw. in der Beteiligung an Hochschulbildung ist ein in den letzten Jahrzehnten immer wieder – in gewissen Wellen, oft im Kontext eines vorhandenen oder bevorstehenden Fachkräftemangels – thematisiertes Problem. Es hat keineswegs an Aktualität verloren trotz des massiven sozialstrukturellen und bildungspolitischen Wandels, der sich seit jener Zeit vollzogen hat.

Markus Lörz, Kai Maaz: Die Illusion der Chancengleichheit auf dem Weg zur Hochschule

Markus Lörz und Kai Maaz eröffnen den ersten Schwerpunkt mit einem theoretisch und empirisch fundierten Artikel. Mit einem umfassenden Überblick über den vorhandenen Forschungsstand zeigen sie auf, dass sich in den letzten Jahrzehnten bei den zentralen Faktoren sozialer Ungleichheit in der Beteiligung an Hochschulbildung (u.a. soziale Herkunft und Migrationsstatus) „wenig getan hat“. Zwar ist in der Folge der Bildungsexpansion die Bildungsbeteiligung in allen sozialen Gruppen gestiegen, aber die sozialen Ungleichheiten sind nicht beseitigt, vielmehr stabilisiert und zum Teil von früheren auf spätere Übergangsstellen im Bildungssystem verschoben worden.

Andrä Wolter: Mehr Heterogenität oder ‚more of the same‘ – Wie verändert sich die Zusammensetzung der Studierenden in Deutschland?

Andrä Wolter greift in seinem Beitrag die vieldiskutierte (Hypo-)These der Heterogenität in der Zusammensetzung der Studierenden auf. Angesichts einer Zahl von beinahe 3 Millionen Studierenden ist dies nun eine nicht gerade unerwartete, um nicht zu sagen beinahe banale Feststellung. Interessanter ist dagegen die Frage, ob und bei welchen Merkmalen die Zusammensetzung im Zeitverlauf heterogener geworden ist. Dieses Thema steht einerseits in einem engen Zusammenhang mit dem bildungspolitischen Chancengleichheits- und Diversitätsdiskurs und wird hier konstruktiv als Herausforderung für eine „heterogenitätssensible Studienorganisation“ gesehen.

Jessica Ordemann, Frauke Peter: Vielfalt im Studium: Persönliche Wege, finanzielle Lösungen – wie Studierende ihr Studium finanzieren – Auswertungen der Daten der „Studierendenbefragung in Deutschland 2021“

Jessica Ordemann und Frauke Peter stellen auf der Basis der Studierendenbefragung/Sozialerhebung 2021 die finanzielle Situation der Studierenden dar. Sie konzentrieren sich auf die Einnahmeseite. Diese lässt sich als sehr vielfältig charakterisieren, sie bildet ganz überwiegend eine Kombination aus mehreren Quellen mit unterschiedlicher Gewichtung, die unter anderem von der sozialen Herkunft oder anderen biographischen Faktoren (z.B. Berufsausbildung und Berufstätigkeit) abhängt. Fast alle werden von ihren Eltern gefördert. Daneben ist für zwei Drittel die eigene studienbegleitende Erwerbstätigkeit in unterschiedlichem zeitlichem Umfang eine ganz wichtige Quelle.

Sören Isleib: Die Bedeutung sozialer Faktoren für den Studienabbruch

Sören Isleib diskutiert im einzelnen neben der Bedeutung ungünstiger Schul- und Studienleistungen und der Studienfachwahl vor allem die Zusammenhänge zwischen Herkunft und dem Studienverlauf. Hierzu bedient er sich des in der Studienabbruchsforschung wichtigsten theoretischen Modells, des von Vincent Tinto entwickelten Konzepts der sozialen und akademischen Integration. Aber nicht hur hochschulinterne, sondern auch externe Bedingungen spielen eine Rolle, insbesondere Schwierigkeiten bei der Studienfinanzierung oder eine zeitlich zu umfangreiche und oft studienferne Erwerbstätigkeit neben dem Studium, wovon Studierende aus den unteren Herkunftsgruppen häufiger betroffen sind.

Marvin Hopp, Ann-Kathrin Hoffmann: Bedeutung, Hintergründe und Strategien der Tarifbewegung studentischer Beschäftigter (TVStud)

Marvin Hopp und Ann-Kathrin Hoffmann greifen ein sowohl in der Hochschulforschung als auch in der Hochschulpolitik noch eher randständiges, aber gewerkschaftlich wichtiges Thema auf, nämlich die Situation studentischer Hilfskräfte (und Tutoren) und tarifpolitische Initiativen zu Gunsten dieser Beschäftigtengruppe. Der Redaktion von DENK-doch-MAL war es ein Anliegen, dieser Beschäftigtengruppe in der vorliegenden Ausgabe eine Stimme zu geben. Diese verfügt lediglich in Berlin über eine durch Tarifvertrag geregelte Absicherung.

Sonja Bolenius: Entwicklung und Reform der staatlichen Studierendenfinanzierung im BAföG und ein kleiner Blick über den Tellerrand – Starker Start für das BAföG, dann wechselvolle Geschichte

Sonja Bolenius gibt einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte des seit mehr als 50 Jahren wohl wichtigsten öffentlichen Förderinstruments, des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, sein Oszillieren zwischen Darlehens- und Vollzuschussförderung, seine immer wieder hervortretenden Strukturprobleme (z.B. bei den Bedarfs-/Fördersätzen, den Freibeträgen oder der Wohnförderung) und die bürokratischen Hindernisse in den Bewilligungsverfahren. Die Förderquote hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen, viele Reformbemühungen sind im Sande verlaufen.

Matthias Anbuhl: Soziale Infrastruktur erfolgreichen Studierens – Was leisten die Studierendenwerke?

Matthias Anbuhl stellt in seinem Beitrag die Aufgaben und Arbeit der für alle Studierenden zuständigen Einrichtung der lokalen Studierendenwerke bzw. ihres Dachverbandes, des Deutschen Studierendenwerks vor. Sie sind, wie im Titel des Beitrags formuliert, in der Tat die zentrale Institution für die soziale Infrastruktur erfolgreichen Studierens, das „soziale Rückgrat des deutschen Hochschulsystems“. Diese Einrichtungen sind international nahezu einzigartig, in fast allen anderen Hochschulsystemen gibt es keine vergleichbaren Einrichtungen mit derart breiten Aufgaben.

Martina Kübler: Gemeinsam statt allein – ArbeiterKind.de stärkt Studierende der ersten Generation

Martina Kübler stellt ein noch relativ junges soziales Netzwerk (seit 2008) vor, Arbeiterkind.de, das sich auf die immaterielle Unterstützung von Studierenden der ersten Generation konzentriert und sich hohe Anerkennung erworben hat. Als gemeinnützige GmbH basiert die Arbeit, von einem relativ kleinen Stab koordiniert, auf dem ehrenamtlichen Engagement von mehreren Tausend Unterstützern in ca. 80 lokalen Gruppen.