Editorial: Für eine neue Kooperationspraxis

Der Rat wissenschaftlicher Expertinnen und Experten war selten so gefragt wie in dieser von Corona-Epidemie, Klimakatastrophe, digitaler Transformation und von zugespitzten sozialen Krisen geprägten Zeit. Selten war die Bedeutung von Wissenschaft so stark, nimmt sie aufgrund ihrer Expertise Einfluss auf die öffentliche Debatte und auf politische Entscheidungen. Selten wurde aber – und dies ist die Kehrseite – wissenschaftliche Forschung in Öffentlichkeit und Politik so kontrovers diskutiert, in Frage gestellt oder durch Wellen von Fake-News relativiert. Politische und wissenschaftliche Öffentlichkeit sind durch die sozialen Medien einem weitreichenden Wandel unterworfen.

In dieser Ausgabe soll es um einen Aspekt der aktuellen Debatte um die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft gehen, nämlich um das Verhältnis von Wissenschaft und sozialer Praxis, speziell um das Verhältnis von Wissenschaft und Gewerkschaften.

Hans-Jürgen Urban: Ökologie der Arbeit als Kooperationsfeld von Wissenschaft und Gewerkschaften

Hans Jürgen Urban, der als geschäftsführendes Vorstandsmitglied und zugleich als Privatdozent auf beide Seiten der gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Praxis schaut, verbindet in seinem Beitrag zwei zentrale Themen. Erstens nimmt er aufbauend auf der Analyse der krisenhaften Entwicklungen des Gegenwartskapitalismus den Diskurs über die „Ökologie der Arbeit“ auf, aus seiner Sicht eine, vielleicht die zentrale gewerkschaftliche Strategie im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation.

Manuela Maschke, Manfred Wannöffel: Transferforschung – ein methodisches Konzept für den transdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaft und Gewerkschaften

Manuela Maschke, Referatsleiterin in der Hans-Böckler-Stiftung und Manfred Wannöffel, langjähriger Geschäftsführer der Gemeinsamen Arbeitsstelle von Ruhr-Universität und IG Metall und Hochschullehrer an den Fakultäten für Sozialwissenschaft und Maschinenbau der RUB, stellen die Konzeption der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis in den Vordergrund.

Martin Kuhlmann: Praxisbezug und Kooperationsmöglichkeiten der Arbeitssoziologie am Beispiel der Forschungslinie Innovative Arbeitspolitik

Martin Kuhlmann, Arbeitssoziologe und Direktor am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) e.V. an der Universität Göttingen, blickt zunächst kurz zurück auf die lange Geschichte der Kooperation von Wissenschaft und Gewerkschaften. Am Beispiel einer „Forschungslinie Innovative Arbeitspolitik“, die Arbeitswirkungen neuer Organisationskonzepte unter dem Gesichtspunkt untersucht, inwieweit sie mit Arbeitsverbesserungen einhergehen, benennt er anschließend Formen der Kooperation von Forschung und Praxis, die den Praxisbezug der Wissenschaft stärken und eine direkte Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Praktikerinnen und Praktikern ermöglichen.

Thomas Haipeter: Kooperationsmodelle zwischen Arbeitsforschung und Gewerkschaften – Erfahrungen aus der Begleitforschung des IAQ zum gewerkschaftlichen Projekt Arbeit 2020

Thomas Haipeter, Leiter der Forschungsabteilung Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ), stellt am Beispiel des öffentlich geförderten und mit dem DGB (NRW), der IG BCE, der IG Metall und der NGG gemeinsam durchgeführten Projekts „Arbeit 2020“ ein für ihn wichtiges Beispiel einer sinnvollen Kooperation zwischen Wissenschaft und Gewerkschaft vor.

Frank Mußmann: Die institutionalisierte Form der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Arbeitswelt am Beispiel der Kooperationsstelle der Universität Göttingen

Frank Mußmann, Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften an der Georg-August-Universität Göttingen, zeichnet in seinem Beitrag zunächst den Debattenprozess in und zwischen den Kooperationsstellen bzw. zwischen ihnen und den Gewerkschaften nach.

Roman Jaich: Der Wissenschaftliche Beraterkreis von ver.di und IG Metall – Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gewerkschaften

Roman Jaich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter von ver.di und Mitarbeiter in der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL, stellt Historie und Selbstverständnis des Wissenschaftlichen Beraterkreises von ver.di und IG Metall zu Fragen der gewerkschaftlichen Bildungspolitik vor. Der Beraterkreis steht dabei für eine Reihe ähnlich strukturierter Formen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler/innen und Gewerkschaften.

Martin Allespach: Die University of Labour – Lehre und Forschung im Interesse der Beschäftigten

Martin Allespach, Präsident der University of Labour, Leiter und Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt sowie einer von zwei Geschäftsführern der Academy of Labour, stellt die Konzeption der University of Labour in Frankfurt am Main vor. Diese Hochschule ist nicht nur besonders, weil sie von den Gewerkschaften und hier vor allem von der IG Metall getragen wird. Sie zeichnet sich auch durch ihr Curriculum, ihre Forschungskonzeption und ihre studentische Zielgruppe aus.

Uta Kupfer, Sabine Pfeiffer, Thomas Ressel: Interview – Plädoyer für ein gemeinsames Lernen zwischen praxisorientierter Soziologie und beratungsoffener Gewerkschaftspolitik

In dem abschließenden Interview mit Uta Kupfer(ver.di), Sabine Pfeiffer (Universität Erlangen-Nürnberg), Thomas Ressel(IG Metall) werden Aspekte einer gegenwärtigen und durchaus verbesserungswürdigen Kooperation von Wissenschaft und Gewerkschaften beleuchtet.

Bernd Kaßebaum: Ausgewählte Literatur zur Kooperation von Wissenschaft und Gewerkschaften

Wir wollen den Leserinnen und Lesern von DENK-doch-MAL einige Literaturhinweise geben. Dabei haben wir drei Aspekte herausgegriffen: die Diskussion über den Wissenschaftsbegriff, Aufsätze zum Anwendungsbezug von Wissenschaft und zur Kooperation von Wissenschaft und Gewerkschaften.