Bernd Käpplinger (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Im Vorfeld dieses Artikels wurde mir die folgende Frage gestellt: Haben wir die richtigen Weiterbildungsangebote generell und vor allem für die Bildungsbenachteiligten? Eine erste, schnelle Antwort ist, dass aus subjektiver Sicht das Fehlen geeigneter Weiterbildungsangebote keine zentrale, dominante Barriere darstellen dürfte. Schaut man auf die repräsentativen Zahlen des Adult Education Surveys (AES) dann sind andere Barrieren deutlich bedeutsamer. Gemäß AES 2016[1] waren die TOP3-Barrieren aus Sicht der gesamten erwachsenen Bevölkerung:

  1. „Meine beruflichen Termine haben mir für Weiterbildung keine Zeit gelassen.“ (39%)
  2. „Meine familiären Verpflichtungen haben mir für Weiterbildung keine Zeit gelassen.“ (34%)
  3. „Ich hätte gerne etwas gemacht, aber es war mir zu teuer.“ (32%)

Fehlende Zeit vor zu hohen Kosten sind demnach die Hauptbarrieren, währen das Item „Es gab keine geeigneten Bildungs- oder Weiterbildungsangebote“ lediglich eine Nennung von 19% erfährt und nur auf Platz 7 von 15 Barrieren liegt. Vor dem fehlenden Weiterbildungsangebot liegen die fehlende staatliche Unterstützung (24%), fehlende Weiterbildungsberatung zur Kurswahl (24%) und fehlende Arbeitgeberunterstützung (22%). Demnach hat auf Basis der quantitativen Weiterbildungsforschung insgesamt das genuine Weiterbildungsangebot lediglich eine mittlere Bedeutung als Barriere. Dass jeder fünfte Mensch in Deutschland keine geeigneten Weiterbildungsangebote findet, ist nicht zu vernachlässigen, aber kein Hauptproblem. Es gibt da eher an anderen Stellen größeren Handlungsbedarf.

Die subjektive Beurteilung und Bewertung des Weiterbildungsangebots ist gleichzeitig zwischen verschiedenen Qualifikationsgruppen erstaunlich ähnlich. Zwar schätzen Menschen ohne Berufsabschluss etwas vermehrt das Angebot als nicht geeignet ein, aber der Prozentsatz steigt in dieser Gruppe nur auf 22% etwas überdurchschnittlich an, während Menschen mit (Fach-)Hochschulabschluss dies mit 17% so bewerten. Fünf Prozentpunkte sind hier kein großer Unterschied. Es scheint also nicht so zu sein, dass Weiterbildungseinrichtungen Geringqualifizierte deutlich überdurchschnittlich „abschrecken“.

Barrieren je nach Qualifikationsgruppe unterschiedlich

Daneben gibt es aber sehr wohl deutlich unterschiedlich bewertete Barrieren je nach Qualifikationsgruppe. Es ist wirklich interessant wie unterschiedlich die Weiterbildungsbarrieren zum Beispiel im Vergleich bei den Hoch- und Un-/Niedrigqualifizierten ausfallen. Während bei den Hochqualifizierten familiäre Verpflichtungen (42%), zu teure Weiterbildungsangebote (30%) und fehlende Arbeitgeberunterstützung (21%) die TOP3-Barrieren sind, waren es bei den Un-/Niedrigqualifizierten zu teure Weiterbildungsangebote (39%), fehlende Weiterbildungsberatung (39%) und keine staatliche Unterstützung (30%). Der genaue Blick hinter nationale Mittelwerte der ganzen Bevölkerung lohnt sich immer wieder, um verschiedene Lebenslagen zu verstehen. Diese Ergebnisse können einerseits dafür sensibilisieren, wie wichtig günstige Weiterbildungsangebote sind, was angesichts der aktuellen Inflation besonders bedenklich stimmen kann. Andererseits könnte es so sein, dass die beliebte, qualitative Milieuforschung mit ihrer eigenen Forschungsperspektive vielleicht manchmal kulturelle Barrieren überschätzt und das banal Monetäre unterschätzt.[2]

Zeit- und Geldmangel als Hauptbarrieren der Bildungsbenachteiligten

Zusammenfassend bleiben Zeit- und Geldmangel die Hauptbarrieren, wo die allgemeine Lohnpolitik und Zeitregelungen wichtige Verbesserungsmöglichkeiten bieten könnten, die zum Teil gar nicht direkt die Weiterbildungspolitik betreffen. In besser ausgebauten Wohlfahrtsstaaten wie in Skandinavien ist so die Weiterbildungsbeteiligung traditional höher als in Deutschland, wobei mit der Krise skandinavischer Wohlfahrtsstaaten auch Stagnation bis Rückgang der Weiterbildungsbeteiligung zu beobachten sind. An der Interviewaussage von Faulstich ist weiterhin viel dran: „Die Lernchancen in einer Gesellschaft sind so gerecht wie deren Lebenskonstellationen generell.“[3] Eine der besten Weiterbildungsförderungen ist die allgemeine Arbeit an einer generell gerechten, demokratischen Gesellschaft und Politik in einem Land.

Allerdings sind solche subjektiven Bevölkerungsbefragungen wie der AES auch aus einer Reihe an Gründen mit Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel spielt soziale Erwünschtheit eine wichtige Rolle bei der Interpretation von Ergebnissen. So kann die oft genannte Barriere keine Zeit für Weiterbildung wegen Beruf und/oder Familie erstaunen. So ist über Dekaden hinweg das Freizeitvolumen deutlich angestiegen, was dann aber nicht für Weiterbildung, sondern eher für Unterhaltung aufgewendet wird. Angesichts der hohen Werbebudgets der Freizeitwirtschaft auch nicht wirklich erstaunlich, da Weiterbildungseinrichtungen von vergleichbaren Werbebudgets nur träumen können. Eine witzige, fetzige Werbung für Weiterbildung kann zudem mit dem Image-Problem in der Rezeption zu kämpfen haben, dass das unseriös oder keine Bildung, sondern „nur“ Unterhaltung sei.

In älteren AES-Befragungen wurde der damals abgefragten Kategorie „Kein Weiterbildungsbedarf“ die größte Zustimmung von allen Kategorien zugesprochen. Weiterbildung ist im Zug des Slogans des Lebenslangen Lernens zu einem Mantra geworden, dem sich kaum jemand offen zu widersprechen traut. Befragt nach den Weiterbildungsbarrieren werden so wohl nicht wenige Befragte auf „Alibikategorien“ ausweichen. Und was bietet sich da u.a. besser an als über Zeitmangel zu klagen, was heute nahezu alle Menschen tun? Interessant ist auch, dass sogenannten dispositionale Items wie „Meine Gesundheit erlaubt mir das nicht“ (7%), „nicht wieder wie in der Schule zu lernen“ (7%), „Anforderungen in der Weiterbildung würde ich nicht erfüllen“ (5%) oder „Meine Deutschkenntnisse reichen nicht aus“ (4%) rein statistisch eine sehr marginale Bedeutung als Barrieren haben. Vielleicht liegen hier aber auch Erhebungsartefakte vor, weil sich Menschen vor einem Interviewer mit ihren Mängeln nicht entblößen wollen?

Insgesamt erscheint wahrscheinlich, dass harte Weiterbildungsbarrieren wie Zeit- und Geldmangel statistisch eher überschätzt werden, während weiche Weiterbildungsbarrieren, die auf Zweifeln und Ängste basieren, eher statisch unterschätzt sind. Gerade mit Blick auf Zeit- und Geldmangel für Weiterbildung ist zudem zu bedenken, dass diese Barrieren relativ sind, d.h. die Frage zu stellen ist, wo Menschen ihre Ressourcen lieber für andere Dinge als für Weiterbildung aufwenden.

Kulturpessimistisch und zivilisationskritisch könnte man hier zum Beispiel darauf verweisen, dass mittlerweile die Teilnahmequote von Streamingdiensten mit 86%[4] deutlich über der nationalen Weiterbildungsquote von 60% von 2020 liegt und der Streamingmarkt neben dem Smartphonemarkt ein Milliardenmarkt geworden ist. Hier kann man schnelle Ablenkung und „Ab-Chillen“ bekommen, während keine Weiterbildung trotz Ansätze von Gamification und Muße beim Lernen einfach auch anstrengend ist. Weiterbildung braucht Lernende als Prosumenten, die das Produkt Bildung gemeinsam mit den Lehrenden erstellen, während vieles in der heutigen Unterhaltungsindustrie auf Konsum setzt, wo man sich in Binge-Watching fallen lassen kann und fallen lassen soll als passiver Konsumentin und Konsument. Insgesamt ist es einfach, der Parole des Lebenslangen Lernens auf der Oberflächenebene zuzustimmen, aber bei realen Entscheidungen die Präferenz Weiterbildung relativ weit hinten anzusiedeln neben anderen Optionen in Beruf und Freizeit. Platt gesagt, würde ich behaupten, dass viele Menschen eine Weiterbildung zu besuchen deutlich hinter anderen Optionen ansiedeln, wenn es hart auf hart geht, wofür man Geld und Zeit bereit ist auszugeben. Aber dies ist nicht allein den individuellen Präferenzen geschuldet, sondern sehr maßgeblich den kapitalistischen Strukturen einer unregulierten Unterhaltungsindustrie und -konzernen mit kaum vorhandenem Bildungsanspruch bis auf ein paar Alibi-Dokumentationen. Ansätze wie Bildungsfernsehen und Funk-Kollegs wie in den 1960er und 1970er Jahren findet man kaum systematisch bei Streamingdiensten, auch wenn es durchaus tolle, private Lehrvideos auf Youtube gibt.

Allerdings ist diese kulturpessimistische und zivilisationskritische Einschätzung deutlich zu relativieren. Schließlich wurde in den letzten Jahren einiges an Weiterbildungsförderungen gerade auf Bundesebene zurückgebaut (Bildungsprämie, Info-Telefon Weiterbildung, etc.) und auch die Länder haben das eine oder andere Förderprogramm für Weiterbildung eingestellt oder reduziert. Finanzanalysen wie von Dobischat et al.[5] zeigen deutlich wie die öffentliche Ausgaben für Weiterbildung relativ immer mehr zurückgefallen sind seit den 1990er Jahren. Würde man die Zahlen inflationsbereinigt darstellen, käme es auch in absoluten Zahlen zu einem Rückgang. Die teilweise erfreuliche und überfällige Entwicklung von ansteigenden Honoraren von Lehrkräften (in Berlin beispielsweise von 24,45 € pro Unterrichtseinheit in 2013 auf 35,00 in 2019[6] wird teilweise mit steigenden Kursgebühren und einem Sinken von Ermäßigungen gegenfinanziert. Das Absinken der Teilnehmenden mit Ermäßigungen dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass man natürlich Weiterbildungsangebote unterschiedlich planen kann. Angebote können milieubezogen so geplant werden, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, sozial Schwache in den Kursen zu haben oder eher eben nicht. Angesichts der Herausforderungen vieler öffentlicher Weiterbildungseinrichtungen möglichst kostendeckend zu arbeiten, ist der Steuerungsanreiz jenseits von Sonderprojekten nicht allzu groß, viele nicht-zahlungskräftige Kundinnen und Kunden im „normalen“ Programm anzuziehen. Bei privaten, kommerziellen Weiterbildungseinrichtungen dürfte dies umso mehr der Fall sein.

Unterfinanzierung des Weiterbildungsbereichs

Der Weiterbildungsbereich ist nicht nur der perspektivisch am schlechtesten finanzierte Bildungsbereich (was im Übrigen in Zeiten des Fachkräftemangels die Weiterbildung immer wenig zu einem attraktiven Arbeitssegment im Bildungsbereich macht und sich aktuell vor allem bei der Suche nach kompetenten Kursleitenden schon negativ auswirkt), sondern auch der Bildungsbereich, der am meisten davon abhängt, private Finanzierungen von Arbeitgebern und Individuen anzuziehen. Für die Weiterbildung wird der private Finanzierungsanteil hier auf über 76% geschätzt, während die Berufsausbildung mit 43% folgt und die Schulbildung bei nur 4% liegt.[7] Es ist durchaus plausibel, dass in der Weiterbildung die Eigenanteile hoch liegen, aber so hoch verdeutlich, dass die Rede vom (unregulierte) „Weiterbildungsmarkt“ einen wahren Kern hat und wo Märkte sind, gibt es Gewinner und Verlierer und können sich die Stärkeren leichter durchsetzen als die Schwächeren.

Hier liegt nahe, dass man sich mit den Programmen und Angeboten vor allem an denen ausrichtet, die zahlungskräftig sind. Der langsam wachsende Ausbau hochschulischer und wissenschaftlicher Weiterbildung, zum Teil gestützt von öffentlichen Förderprogrammen, ist zwar durchaus generell zu begrüßen, aber Un- und Geringqualifizierte gehören sicherlich nicht zu der Zielgruppe dieser Förderprogramme und zur Vollkostendeckung genötigten Hochschulen und Universitäten im Weiterbildungsbereich.

Angesichts der aktuellen Inflation und steigenden Ausgaben vor allem für Energie und Nahrungsmittel, welche arme Haushalte noch einmal überdurchschnittlich härter betreffen, ist zu erwarten, dass eine Weiterbildungsteilnahme sich weiter nach hinten in der Hierarchie von Bedürfnissen und Präferenzen verschiebt. Vor allem bei denjenigen, die immer mehr an den Rand von relativer Armut geraten. Oder man besucht nur kurze, kleine Weiterbildungen, um dem Slogan des Lebenslangen Lernens mit wenig Aufwand, aber eben auch mit wahrscheinlich wenig Nutzen zu folgen. Schließlich wäre es recht naiv anzunehmen, dass gemäß AES durchschnittlich 2,7 Weiterbildungen im Jahr 2020 von 60% der erwachsenen Bevölkerung mit einer durchschnittlichen Dauer von nur 34 Stunden, d.h. in der Summe weniger als 100 Stunden pro Jahr von den sich weiterbildenden Menschen in Deutschland, viel an Kompetenz- oder Einkommenszuwachs bewirken würde. Dass leicht positive Effekte von Weiterbildungen überhaupt vorliegen, grenzt angesichts dieses marginalen Zeitumfangs an ein kleines Wunder und deutet an, was hier vielleicht noch an einem viel größeren Potential schlummert, wenn man erwachsenen Menschen mehr die Chance und das Privileg gibt, dazu zu lernen, umzulernen oder Falsches zu verlernen!

Allerdings habe ich große Zweifel, dass dieses Potential ernsthaft durch eine so massive Umsteuerung in der Weiterbildungsförderung gehoben werden soll, wie sie eigentlich notwendig sein sollte. Stattdessen wird über die leicht aufgeblasene, Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) oft viel heiße Luft im Sinne von Public Relations[8] verbreitet, Besser zwar als nichts, aber viel zu kurz gesprungen. Das krachende Scheitern bzw. Vertagen der Bildungszeit im Frühjahr 2023 ist nahezu archetypisch dafür, wie wirklich Substantielles in der Weiterbildungsförderung sowohl medial als auch politisch keine Mehrheiten findet. So werden aber Weiterbildungsangebote jedoch immer teurer werden bzw. so konzipiert sein, um kaufkräftige Milieus zu erreichen und Benachteiligte sollen periodisch über Sonderprogramme „aktiviert“ und „motiviert“ werden. Es hat etwas Zynisches, wenn man Menschen strukturell und systematisch im normalen Alltag die Chancen zu Weiterbildungsbeteiligung verwehrt und ihnen dann von Zeit zu Zeit ein paar Almosen zuwirft, damit sie sich dann dort doch bitte als „Benachteiligte“ weiterbilden sollen im Interesse des nationalen Grobziels die Weiterbildungsbeteiligung zu steigern. Und wenn diese Förderprogramme dann nicht ausreichend genutzt werden und abgerufen werden, hat man auch vermeintliche Pseudo-Belege dafür, dass Weiterbildung nicht gefragt sei bzw. die „Bildungsfernen“ einfach nicht verstehen würden, wie wichtig Bildung und Weiterbildung sei, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Die bisherige, hohe Weiterbildungsbeteiligungen vieler skandinavischer Länder lassen sich nicht mit guten Sonderprogrammen maßgenau zugeschnittenen Zielgruppenmaßnahmen, sondern mit guter Zugänglichkeit aufgrund von allgemeinen Bürgerrechten erklären.[9] In der deutschen Weiterbildungsförderung dominiert dagegen stigmatisierende Bedarfsprüfungen, Partikularismus und Diskontinuität. In Bezug auf Diskontinuität zeigt das FDP-geführte Bundesbildungsministerium in den letzten Monaten ein erstaunliches Engagement und Kompetenz Förderprogramme wie die Bildungsprämie oder das Info-Telefon Weiterbildung nicht fortzusetzen bzw. abzuschaffen nach mehr als zehn Jahren Laufzeit. Dass ein Erwachsenenbafög dies kompensieren würde, glaubt anscheinend nicht einmal mehr die FDP-Bildungsministerin und der FDP-Finanzminister ernsthaft, wenn man sich den geplanten Bundeshaushalt für 2024 anschaut mit seinen erwarteten generell rückläufigen Bafög-Ausgaben.[10] Zur Erinnerung: „Die Lernchancen in einer Gesellschaft sind so gerecht wie deren Lebenskonstellationen generell.“[11]Optimistinnen und Optimisten können hoffen, dass sich dies trotz der wachsenden Militärausgaben und dem einseitig dominierenden Vorrang der Frühförderung trotz einer demographisch deutlich alternden Gesellschaft im Haushalt 2025 ändert und die FDP dann vor den nächsten Bundestagswahlen alte Förderideen wie Bildungsgutscheine oder Bildungskonten abstaubt und mit neuem Namen (bitte etwas digital Klingendes im Titel) auf den Markt der Aufmerksamkeiten wirft… bis das nächste Ministerium dann förderpolitisch die nächste „Sau durch das Dorf treiben wird“. „Bildungsferne“ lässt sich vielleicht nicht nur in den unteren Milieus, sondern auch in Ministerien und Administrationen antreffen… Aber schließlich kann man nach nahezu jeglicher Wahl beobachten wie die Besetzung der Bildungs- und Kultusministerium nicht ganz weit oben auf der Agenda steht, sondern erst nach der Besetzung der „wichtigen“ Ministerien medial und politisch diskutiert wird. Politische Schwergewichte findet man leider nur sehr selten in Bildungs- und Kultusministerien.

Förderung von Geld und Zeit für Bildungsbenachteiligte statt „Entwicklungshilfeprojekte“

Fokussiert auf die Weiterbildungspolitik sind Förderungen durch Geld und Zeit sehr wichtig. Das vorläufige Scheitern der gesetzlichen, bundesweiten Verankerungen einer Bildungszeit in Deutschland im Frühjahr 2023 ist aber nahezu ein Paradebeispiel, wo selbst in der taz ein solches Förderinstrument als „Utopie“ schnell kaputtgeredet wurde durch irrrationale Ängste und eine deutsche Weiterbildungsfeindlichkeit, während solche Bildungszeiten in Ländern wie Österreich gelebte und erfolgreiche Praxen seit mehr als einer Dekade sind.[12]

Ich plädiere mit Nachdruck dafür, Bildungsbenachteiligte monetär und zeitlich in die Lage zu versetzen, Weiterbildungsangebote aufzusuchen. Natürlich sind auch sogenannte aufsuchende Weiterbildungs- und Beratungsangebote wichtig, aber es besteht auch die Gefahr, dass man so Lebenswelten kolonialisiert und so manchen Fehler aus der durchaus gut gemeinten, sogenannten Entwicklungshilfe wiederholt: Menschen werden teilweise primär als hilfsbedürftig konstruiert (u.a. durch den Bedarf an mehr einfacher Sprachen in Kursankündigungen) und nicht wenige (bezahlte) Helferinnen und Helfer sind vielleicht die größten Profiteure dieser Entwicklungshilfeprojekte. Auch kann es Menschen durchaus abhängig machen, wenn man sie als nicht-selbstständig und nicht-selbstverantwortlich begreift. Alles in allem kann es ggf. eine gute, indirekte Weiterbildungsförderung sein, wenn man die Kaufkraft und zeitliche Ressourcen von Bildungsbenachteiligten stärkt.

[1] Der AES erfasst nur im Rahmen der europaweiten Befragung circa aller fünf Jahre die Weiterbildungsbarrieren. Bei den nationalen Trendberichten wird dies nicht alle zwei Jahre erfasst. Die Veröffentlichung der neuesten AES-Daten zu Weiterbildungsbarrieren werden für Anfang 2024 erwartet.

[2] https://www.beltz.de/fileadmin/beltz/newsletter/pdf/zse19_3_kaepplinger.pdf

[3] https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/65706

[4] https://www.teltarif.de/bitkom-streaming-video-audio-ausgaben-statistik/news/92462.html

[5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/LL_Hintergrundstudie_Weiterbildungsfinanzierung1995-2015.pdf

[6] https://digital.zlb.de/viewer/fulltext/15592067/1/

[7] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/LL_Hintergrundstudie_Weiterbildungsfinanzierung1995-2015.pdf S. 20

[8] Es sei hier nur an die fortlaufende Behauptung gedacht, dass sie die erste Nationale Weiterbildungsstrategie sei, während man selbst im Netz Hinweise auf eine Konzertierte Aktion Weiterbildung bereits in den 1980er Jahren von dem schillernden, damaligen Bildungsminister Möllemann finden kann: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/konzertierte-aktion-weiterbildung-ansprache-von-bundesminister-moellemann-808810

[9] https://www.researchgate.net/publication/264320023

[10] https://www.jmwiarda.de/https-www.jmwiarda.de-2023-07-03-prioritaet-groesstenteils-verteidigt/

[11] https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/65706

[12] https://taz.de/Heils-bezahlte-Bildungszeit/!5907388/ und https://taz.de/Bildungszeit-fuer-Weiterbildung/!5909205/

Autor

  • Prof. Dr. Bernd Käpplinger hat die Professur für Weiterbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen seit 2015 inne. Zuvor war er seit 2010 Juniorprofessor für Lernen im Lebenslauf/Betriebliche Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach dem Studium der Erwachsenen-/Weiterbildung, Soziologie und Politologie arbeitete er zwischen 2001 und 2010 am Deutschen Institut für Erwachsenbildung sowie am Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn. Seit 2018 ist er 1. Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.

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