Dr. Roman Jaich (ver.di), Mario Patuzzi (DGB) und Mechthild Bayer (Beraterin für Weiterbildung und Personalentwicklung, Karlsruhe)

Weiterbildung erlebt einmal mehr einen Bedeutungszuwachs – zumindest in der Fachöffentlichkeit. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung, des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft aber auch des Fach- und Arbeitskräftemangels ist die Arbeitswelt Deutschlands durch tiefgreifende Veränderungsprozesse gekennzeichnet: Neue Prozessabläufe und Technologien verändern die Arbeitsabläufe und es bedarf geeigneter Qualifizierungsformate, um Beschäftigten die Unsicherheiten zu nehmen und sie fit für die Zukunft zu machen. Es gilt, durch gezielte Qualifizierung und Weiterbildung die Teilhabe der Beschäftigten am Erwerbsprozess auszubauen und zu erhalten. In der Regel wird dann im Rahmen solcher Diskussionen der Blick auf die Förderkulissen gelegt, Förderlücken identifiziert und transparente Förderstrukturen gefordert. Zudem wird häufiger auch auf spezifische Zielgruppen fokussiert, insbesondere Beschäftigtengruppe die bisher wenig an Weiterbildung partizipieren, um das Fachkräftepotential zu erhöhen.

Das Weiterbildungsangebot rückt damit verglichen eher selten in den Blick. Wenn das Angebot in den Fokus gerückt wird, geht es dann häufiger um den Ausbau digitaler Angebote oder den Aufbau digitaler Plattformen.

Das Angebot selber, d.h. die Formate, Umfang, Inhalte usw. bleibt aber erstaunlich häufig eine Black Box in den Diskussionen. Stichworte in diesem Zusammenhang die zumindest einen Teil des Themas abdecken sind z.B. Qualität, Sichtbarkeit oder Zugänge.

Wir möchten mit dieser Ausgabe von denk-doch-mal.de die Angebote stärker beleuchten und die Frage stellen, ob es tatsächlich immer die harten Faktoren Zeit und Geld sind, die darüber entscheiden Menschen an teilnehmen oder nicht. Schaut man sich die Gründe für Teilnahme oder eben auch Nichtteilnahme an stellt man fest, dass die Aussage „kein passendes WB-Angebot vorhanden“ bei Nichtteilnehmern deutlich mehr Zustimmung erfährt als die Kosten oder verschiedene Formen zeitlicher Restriktionen.

Diese Ausgabe leiten wir mit zwei Beiträgen ein, die einen Überblick über die Diskussion zu Weiterbildungsangeboten geben. Prof. Bernd Käpplinger von der Justus-Liebig-Universität Gießen beleuchtet in seinem Beitrag „Bildungsferne Menschen, menschenferne Bildungsanbieter oder menschenferne Weiterbildungsförderung?“ die unterschiedlichen weiterbildungshemmenden Faktoren. Zeit und Geld nehmen hier in der Regel die Spitzenplätze ein. Er verweist aber darauf, „… dass harte Weiterbildungsbarrieren wie Zeit- und Geldmangel statistisch eher überschätzt werden, während weiche Weiterbildungsbarrieren, die auf Zweifeln und Ängste basieren, eher statisch unterschätzt sind.“ In seiner Zusammenfassung plädiert er mit Nachdruck dafür, „Bildungsbenachteiligte monetär und zeitlich in die Lage zu versetzen, Weiterbildungsangebote aufzusuchen.“

Luciole Sauviat, Lea Müller-Greifenberg und Martin Roggenkamp vom Institut für Forschung, Training und Projekte (IFTP) im bfw erläutern in ihrem Beitrag „Wie kommen wir zu passenden betrieblichen Angeboten? Reflektionen zu dem Ansatz der regionalen Weiterbildungsverbünde“ die derzeit vom BMAS geförderten regionale Weiterbildungsverbünde (2020-2024). Weiter werden die Herausforderungen bei der Identifizierung und Vermittlung von Weiterbildungsbedarfen thematisiert. Zudem wird der Ansatz der aufsuchenden Weiterbildungsberatung der Weiterbildungsverbünde und die besondere Rolle von Brückenmenschen erläutert. Bei den abschließenden aufgeführten Faktoren, die das Entwickeln von passenden Weiterbildungsaktivitäten begünstigen, werden insbesondere regionaler Bezug und Vernetzung, die Rolle der betrieblichen Mitbestimmung und der Aufbau von Vertrauensstrukturen hervorgehoben.

Es folgen Beiträge aus der Perspektive einzelner Bildungsbereiche oder auch aus der Sicht von Akteuren in der Weiterbildungslandschaft.

Dr. Daniela Ahrens von der Universität Bremen fragt „Haben wir die richtigen Angebote für Geringqualifizierte? Herausforderungen bei der Planung und Weiterentwicklung neuer Weiterbildungsangebote“. In ihrem Beitrag geht sie der Frage nach, welche Erwartungen aus Beschäftigtenperspektive an Weiterbildungsformate formuliert werden und welche Effekte der durch die Corona-Pandemie initiierte Digitalisierungsschub auf die Angebotsgestaltung von Weiterbildungsanbietern hat. Sie bezieht sich dabei auf Ergebnisse des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts „Smartes Lernen in der Logistik“ und kommt zu dem Ergebnis, dass gerade mit Blick auf die heterogene Gruppe der Geringqualifizierten die institutionelle Zielgruppenansprache hinsichtlich ihrer Konstituierungskriterien ein bislang vernachlässigtes Forschungsdesiderat seien.

Günther Heil vom GGSD weist in seinem Beitrag „Generalistische Pflegeausbildung – Das Fundament ist gegossen, doch welche Folgen ergeben sich für die Weiterbildung?“ darauf, dass es nach dem Pflegeberufegesetz mit der Vereinheitlichung der Berufsbilder Kinderkrankenpflege, Altenpflege und Gesundheits-/Krankenpflege an der Zeit ist, ein konsistentes Weiterbildungssystem hinzuzufügen.

Das Gesundheitssystem und die Pflegeausbildung nimmt ebenfalls Eckhard Geitz vom Bildungsinstitut im Gesundheitswesen (BiG) in Essen in den Blick. Sein Fokus liegt auf dem Betriebliches Integrationsmanagement, das nach seiner Auffassung eine zentrale Lücke in der Personalentwicklung und Weiterbildung in Pflegeberufen darstellt und entsprechend weiterentwickelt werden muss.

In dem Beitrag „Berufliche Fortbildung in Fachschulen – Durchlässig in das Hochschulsystem“ von Clarissa Pascoe; Mattia Lisa Müller; Prof. Martin Frenz von der Technischen Hochschule Aachen wird der Frage nach der Gestaltung der Übergangsmöglichkeiten vom System beruflicher Bildung nachgegangen, speziell von der Fachschule für Technik in affine Studienprogramme des Hochschulsystems. Dafür wird zunächst die aktuelle rechtliche Situation beschrieben, bevor drei empirische Studien zur Durchlässigkeit die Perspektive der Fachschulen sowie die Sicht von Studierenden mit dem Abschluss staatlich geprüfter Techniker/staatlich geprüfte Technikerin aufgreifen.

Prof. Dr. Klaus Jenewein und Dr.-Olga Zechiel von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg knüpfen in ihrem Beitrag „Reziproke Durchlässigkeit zwischen dem Fachschul- und Hochschulsystem – Handlungskonzept“ an den vorhergehenden Beitrag von Clarissa Pascoe et al. an und nehmen das Verhältnis von akademischer und beruflicher Bildung auf dem DQR-Niveau 6 in den Blick. Neben der Verbesserung der reziproken Durchlässigkeit auf der DQR Stufe 6 werfen sie aber auch die Frage des Übergangs aus den Fachschulen für Technik in das berufliche und akademische Masterniveau (DQR 7) auf, die für die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit beruflicher Bildung hoch bedeutsam ist.

In seinem Beitrag „Die Qualifizierungsoffensive Chemie. Ein sozialpartnerschaftlicher Ansatz, aber kein Selbstläufer“ stellt Jörg Kunkel von der IGBCE dar, welche Schritte die Sozialpartner vereinbart und unternommen haben, um das lebensbegleitende Lernen in der chemisch-pharmazeutische Industrie zu befördern. Er weist in seinem Beitrag darauf hin, dass dies wichtige Schritte seien, es aber weiterhin Aufgabe der Gewerkschaften und ihrer Betriebsräte ist, das Zukunftsthema Weiterbildung im Fokus zu behalten.

Dr. Indira Dupuis von der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE knüpft mit ihrem Beitrag „Zum höherqualifizierenden beruflichen Fortbildungsangebot in der Chemiebranche“ unmittelbar an den Beitrag von Jörg Kunkel an. Sie stellt das Konzept der höherqualifizierenden beruflichen Fortbildung in der chemischen Industrie dar. Durch dieses Konzept werden individuelle Karriereoptionen im Anschluss an eine Berufsausbildung ermöglicht, die auch das Ziel haben, die Attraktivität der beruflichen Bildung zu erhalten.

Prof. Dr. Jana Trumann von der Hochschule Ludwigsburg stellt die Chancen und Herausforderungen aufsuchender Bildungsangebote im Bereich der politischen Bildung dar. Ausgehend von dem Projekt „Demokratisch ist man nicht allein – Trägernetzwerk politische Bildung in der Arbeitswelt“ gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung zeigt sie auf, dass aufsuchende politische Bildungsarbeit in der Arbeitswelt neben den herkömmlichen Formaten gesellschaftspolitischer Bildung einen wichtigen Beitrag zur Demokratiestärkung, gesellschaftlicher Teilhabe und zu gesellschaftlichem Zusammenhalt leisten.

Prof. Dr. Peter Schlögl von der Universität Klagenfurt wendet sich in seinem Beitrag „Digitale Technologien – kurzfristiger Ersatz, Rückschritt oder wegweisend für eine moderne Didaktik der Weiterbildung?“ der Frage zu, wie sich digitale Technologien auf Methodik und Didaktik der Weiterbildung auswirken. Mit Bezug zu den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie diskutiert er sowohl Chancen wie auch Risiken des Einsatzes digitaler Techniken und kommt zu dem Ergebnis, dass sie auch die Chance bieten „Neues auszuprobieren und Bewährtes zu bewahren und sich dabei auf die Stärken von Konzepten zur erwachsenengerechten Lehr-Lerngestaltung zu besinnen. Auf diese Weise könnten bisherige Defizite (wie z. B. die Ungleichheit beim Zugang) abgebaut werden.“

Roland Kohsiek, ehemals Leiter des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung im ver.di Landesbezirk Hamburg widmet sich dem Thema Verbraucherschutz und Weiterbildungsangebote. In seinem Beitrag „Das Fernunterrichtsschutzgesetz: Verbraucherschutz oder Strukturreform?“ geht er der Frage nach, ob das 1977 in Kraft getretene Fernunterrichtsschutzgesetz eine Blaupause für mehr Verbraucherschutz in der Weiterbildungsbranche darstellen kann.

Den Abschluss dieser Ausgabe bildet der Beitrag von Mario Patuzzi vom DGB der die Frage aufwirft „Ist die Qualitätssicherung von geförderter Weiterbildung durch die AZAV noch zeitgemäß?“. Nach einer Diskussion verschiedener Aspekte der AZAV, die verändert werden müssten kommt er zu dem ernüchternden Ergebnis, dass es im Grunde „ein anderes System zur Sicherung der Qualität von Maßnahmen (bedarf), das weniger formalistisch und administrativ aufwändig ist, aber eine intensivere Begleitung der Maßnahmen durch Arbeitsagenturen, Jobcenter und zkT erfordert und ermöglicht.“

Autoren

  • Dr. Roman Jaich

    Dr. Roman Jaich, Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, danach Erwerb der Hochschulreife und Studium an der Universität Kassel im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften mit volkswirtschaftlicher Ausrichtung. Im Anschluss an das Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel im Fachgebiet Wirtschaftsrecht von Prof. Bernhard Nagel. Mitarbeit an verschiedenen Forschungsprojekten, z.B. zur „Konstituierung Europäischer Betriebsräte“ und zur „Finanzierung von Bildung in Deutschland“. Arbeitsschwerpunkte: Ökonomische Analyse des Rechts, Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, Mitbestimmungsforschung und Bildungsökonomie. Promotion zum Thema „Globalisierung und Partizipation“. Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“. ver.di Bundesverwaltung und Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL.

  • Mario Patuzzi

    Mario Patuzzi studierte u.a. Politikwissenschaften, Soziologie und Neuere und Neueste Geschichte und schloss noch mit dem Abschluss „Magister Artium“ ab. Zudem ist er non-formal zertifizierter Sozialbetriebswirt. Seit 2004 arbeitet er als Gewerkschaftssekretär, zuerst als Jugendsekretär in Augsburg für Schwaben und Oberbayern, dann als Bezirksjugendsekretär der DGB-Jugend Bayern in München. Dort begegneten ihm viele spannende Aufgaben, Tätigkeiten und Erfahrungen, vor allem aber seit 2008 insbesondere die Berufliche Bildung. Seit 2013 der Gewerkschaftsjugend entwachsen, widmete er sich kurzzeitig den breiten Themenfeldern der bayerischen Bildungs-, Forschungs- und Technologiepolitik beim DGB Bayern. 2014 kam der Wechsel nach Berlin als Referatsleiter für Grundsatzfragen der Berufsbildung / Weiterbildung mit einem schwer abzugrenzenden und hin und wieder auch ausufernden Portfolio. Als Beispiele seien nur wenige Stichworte genannt: BBiG, AZAV, Cedefop, DQR, Validierung, NWS u.v.m.

  • Mechthild Bayer

    Mechthild Bayer wurde 1953 geboren. Üblicher Weg: Besuch des Gymnasium in Bad Nauheim, Abitur. Danach von 1972 bis 1977 Studium der Diplompädagogik an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main, Abschluss: Diplompädagogin, Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Beruflich tätig war sie zuerst beim Berufsfortbildungswerk des DGB in Hessen. Danach 6 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Weiterbildung am Pädagogischen Institut der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, am Institut für Polytechnik/Arbeitslehre und ihre Didaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 1986 wurde sie Fachbereichsleiterin für politische Bildung, Psychologie und Frauen an der Volkshochschule des Wetteraukreises, Friedberg. 1990 wechselte zu den Gewerkschaften und wurde Referentin für berufliche Bildung und Weiterbildung Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft – Hauptvorstand in Frankfurt/Main. Von 2002 bis 2019 war sie Bereichsleiterin für Weiterbildungspolitik bei der ver.di Bundesverwaltung in Berlin. Seit 2019 arbeitet sie als freie Beraterin für Weiterbildung und Personalentwicklung. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Grundsatzfragen der Weiterbildungspolitik(Qualität, Finanzierung, Zeitpolitik, Abschlüsse, Personal in der Weiterbildung, SGB III-geförderte Weiterbildungspolitik, Ordnungspolitik sowie Weiterbildungssysteme im europäischen Vergleich) sowie die Steuerung von Projekten und Branchendialogen zu innovativer Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung in der digitalisierten Arbeitswelt.