Dr. Daniela Ahrens (Senior Researcher, Universität Bremen, Institut Technik und Bildung)

1. Einleitung

Im Zuge des dynamischen Wandels der Arbeitswelt ist es mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden, in (programmatischen) Erklärungen die zentrale Bedeutung von Weiterbildung für Beschäftigte ebenso wie für Arbeitssuchende, die Notwendigkeit ihres Ausbaus sowie die Stärkung ihres Stellenwerts gegenüber der beruflichen Erstausbildung zu betonen. Aus wirtschaftlicher Sicht gilt Weiterbildung als eine unabdingbare Voraussetzung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und des Fachkräftebedarfs, gerade mit Blick auf die (digitalen) Transfomationsprozessen in der Arbeitswelt. Für Beschäftigte avanciert Weiterbildung angesichts sich wandelnder Kompetenzanforderungen und dem Postulat des lebenslangen Lernens zu einem neuen Verhaltensimperativ. Arbeitsmarktpolitischen Rückenwind erfährt die Weiterbildung derzeit durch die neuen Gesetze, die auf den Strukturwandel reagieren. 2019 wurde das Qualifizierungschancengesetz (QCG) eingeführt, zum 1.10.2020 trat das Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung („Arbeit-von-morgen-Gesetz“, AvmG) in Kraft. Mit dieser Weiterbildungsförderung werden Beschäftigte adressiert, deren Tätigkeitsfelder ein Substituierungsrisiko aufweisen oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind. Darüber hinaus können auch Personen gefördert werden, die eine Weiterbildung in einem Engpassberuf anstreben (Klaus et al. 2020). Diese Gesetze lösen das vorherige Sonderprogramm „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ (WeGebAU) ab, das auf Beschäftigte ohne Berufsabschluss, von Arbeitslosigkeit bedrohte Beschäftigte und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) beschränkt war. Die neuen Fördermöglichkeiten haben allerdings bislang nicht zu einer deutlichen Änderung bei der Zahl und der strukturellen Zusammensetzung der Teilnehmenden geführt (Klaus et al. 2020). Vor Beginn der Corona-Pandemie ließ sich ein positiver Trend bei den Eintritten in geförderte Weiterbildungen für Beschäftigte verzeichnen: Zwischen 2016 und 2019 stiegen die Zugangszahlen von gut 15.000 auf über 30.000 pro Jahr. Allerdings zeigt sich in den Zahlen kein stärkerer Zuwachs mit dem Inkrafttreten des QCG im Jahr 2019. (Kruppe/Lang 2023). Setzt man die Zugangszahlen ins Verhältnis zur Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, ergibt sich eine ernüchternde Förderquote von circa 0,1 %. Kruppe und Lang (2023, 3) resümieren: „Das heißt, auch nach der Erweiterung der Fördermöglichkeiten nach dem QCG und dem AvmG nimmt nur rund eine von 1.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen innerhalb eines Jahres eine durch die BA geförderte Weiterbildung auf.“ Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh ist, fundierte Aussagen zur Wirksamkeit der neuen Fördermöglichkeiten zu machen, geben Untersuchungen des IAB erste Hinweise zum zögerlichen Start (Lang et al. 2022): Zum einen beklagen Betriebe gerade in ländlichen Regionen, dass es keine passenden Weiterbildungsangebote gäbe, zum anderen scheuen viele Betriebe den administrativen Aufwand.

Ein wesentlicher Anspruch der neuen Fördergesetze ist es, bislang unterrepräsentierte Gruppen für eine Weiterbildungsteilnahme zu motivieren. Der in den 1970er Jahren formulierte emanzipatorische Anspruch an die Weiterbildung, Bildungsungleichheiten aus vorgelagerten schulischen und beruflichen Bildungsbereichen zu kompensieren, hat sich bis heute kaum erfüllt. Im Gegenteil, die Berichterstattung zur Weiterbildung zeigt, dass Bildungsungleichheiten durch Weiterbildung eher verschärft als kompensiert werden (Tippelt 2020). Auch in der betrieblichen Weiterbildung ist eine soziale Selektivität zu verzeichnen: Betriebe investieren vornehmlich in ihre Stammbelegschaft und nicht in befristet Beschäftigte. Nach wie vor sind Geringqualifizierte in der Weiterbildung unterrepräsentiert. Die Nicht-Teilnahme an Weiterbildung hat vielfach erst mittel- und langfristig negative Auswirkungen, erhöht aber gerade für Geringqualifizierte angesichts der Transformationsprozesse in der Arbeitswelt und damit einhergehen Substituierungsrisiken das Arbeitslosigkeitsrisiko.

Im Vergleich zur beruflichen Ausbildung ist die berufliche Weiterbildung nur wenig reglementiert mit der Folge einer inhaltlichen und institutionellen Vielfalt, die dann in Begriffen wie „intransparente Weiterbildungslandschaft“ und „Weiterbildungsdschungel“ zum Ausdruck kommt. Damit einher geht der Wunsch nach mehr Information und Beratung bei der Suche nach einem passenden Weiterbildungsangebot. In ihrer Analyse der AES-Daten stellen Bilger und Käpplinger ernüchternd fest, dass 18,3 Millionen Menschen ihren manifesten Beratungsbedarf nicht befriedigen konnten (Bilger/Käpplinger 2022, 30). Dabei entscheiden nicht nur die Weiterbildungsinhalte über die Passgenauigkeit, sondern auch das jeweilige Lernformat. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung lässt sich hinsichtlich möglicher Lernformate eine Ausdifferenzierung beobachten. Der durch die Corona-Pandemie initiierte Digitalisierungsschub hat neue Lernformate jenseits des klassischen Präsenz-Lernens etabliert (Meier/Seufert 2022). Blended-Learning Konzepte verknüpfen Präsenz- und Onlinephasen, hybride Lernformate ermöglichen Teilnehmenden, sich online zuzuschalten und reine Online-Lernformate beispielsweise in Form von Webinaren und Videotutorials ermöglichen eine raumzeitliche Flexibilität, die es eher ermöglichen sollen, die Weiterbildungsteilnahme beispielsweise mit häuslichen Betreuungs- und Sorgearbeiten zu verknüpfen.

Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag die Frage, welche Erwartungen aus Beschäftigtenperspektive an Weiterbildungsformate formuliert werden und welche Effekte der durch die Corona-Pandemie initiierte Digitalisierungsschub auf die Angebotsgestaltung von Weiterbildungsanbietern hat. Der Fokus wird dabei auf Geringqualifizierte gelegt. Gerade die Beschäftigtengruppe der Geringqualifizierten ist aufgrund der (digitalen) Transformationsprozesse sowohl mit hohen Substituierungsrisiken als auch mit neuen betrieblichen Kompetenzanforderungen konfrontiert. Ein Review zu Kontextfaktoren der Weiterbildungsbeteiligung Geringqualifizierter kommt zu dem Ergebnis, dass die Publikationen im Zeitraum von 2016 bis 2021 die Weiterbildungsbeteiligung vorrangig auf der deskriptiven Ebene diskutieren und „wenig Erklärungs- und Verbesserungswissen“ (Mohajerzad et al. 2022, 580) bieten. Ziel des Beitrages ist es daher, Informationen über Kontextfaktoren der Weiterbildungs(nicht-)beteiligung Geringqualifizierter zu gewinnen.

2. Helfertätigkeiten in der Logistik und Risiken eines neuen digital divide

Die Weiterbildungsquote liegt in Deutschland seit 2011 bei etwa einem Drittel der Beschäftigten (Dettmann et al. 2021, 103). Allerdings lassen sich deutliche branchenspezifische Unterschiede ausmachen. Während etwa ein Viertel der Beschäftigten im Bereich Erziehung und Unterricht sowie in Betrieben der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen hat, beträgt die Weiterbildungsquote in Verkehr und Lagerei lediglich rund 10 % (Dettmann et al. 2021, 103). Die heterogene Struktur der Logistik (Post-, Transport- und Logistiksektor) und deren Teilsegmente erschwert eine einheitliche Beschreibung, und Darstellung der Struktur des Sektors. Als gemeinsames Merkmal der zur Logistikbranche gehörenden Unternehmen lässt sich das Transportieren, Lagern und Umschlagen von Waren und Gütern sowie die dazugehörenden Aufgaben zur Optimierung von Material- und Informationsflüssen entlang von Wertschöpfungsketten begreifen (Zanker 2018, 15). Mit einem Anteil an Helfertätigkeiten von 22 % sind in der Logistik sogenannte einfache Tätigkeiten fast doppelt so häufig vertreten wie in der Gesamtwirtschaft (Zanker 2018, 116). Unter den Beschäftigten auf Einfacharbeitsplätzen lag 2021 die Weiterbildungsquote bei lediglich 6 % (Seibert et al. 2023, 20).

Im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts „Smartes Lernen in der Logistik“ (SmaLo)[1] wurden 71 Beschäftigte aus dem operativen Bereich nach ihren Erwartungen an Weiterbildungsangebote befragt. Operative Tätigkeiten umfassen im Untersuchungskontext mehrheitlich Tätigkeitsprofile, deren Arbeitsschwerpunkte auf ausführenden Arbeiten liegen, die insbesondere bei der Be- und Entladung von Gütern und der Kommissionierung anfallen. In diesem Segment handelt es sich um Tätigkeitsprofile, die i. d. R. von Personen mit niedrigem und mittleren Qualifikationsniveau wahrgenommen werden. Zugrunde gelegt wurde in der Studie ein nicht formales Begriffsverständnis von so genannten Geringqualifizierten. Im deutschen Weiterbildungsatlas werden „Geringqualifizierte“ entsprechend des formalen Bildungsabschlusses definiert. Als niedrig oder nicht-formal qualifizierte Beschäftigte gelten Personen ohne beruflichen Abschluss sowie Personen mit einem Abschluss unter Sekundar II-Niveau. Wer keinen berufsqualifizierenden Abschluss hat, gilt als geringqualifiziert (Berteslmann Stiftung 2018, 10). Kritiker dieser formalen Begriffsdefinition plädieren dafür, Geringqualifizierte stärker in Relation zu dem jeweiligen nationalen Bildungssystem, den Kompetenzen und die zeitliche und inhaltliche Passung zu arbeitsmarktrelevanten Anforderungen zu begreifen. „Geringqualifizierte sind erwachsene Menschen, welche in Bezug auf konkrete berufliche Tätigkeitsbereiche zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht oder nicht mehr über die als notwendig erachteten Kompetenzen verfügen“ (Mohajerzad et al. 2022, 569).

Ergänzend zu der Befragung der Beschäftigten wurden 60 – 90-minütige leitfadengestützte Expert:inneninterview (N= 14) mit Weiterbildungsverantwortlichen, Bildungsmanager:innen (3), Vertreter:innen der Geschäftsleitung (5),der Personalentwicklung (4) sowie Dozent:innen/Fachreferent:innen (2) geführt, um auch die institutionelle Perspektive zu berücksichtigen.

Die Untersuchung hatte ihren Schwerpunkt im Land Bremen. Dort sind 12,5 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Logistiksektor tätig. Hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur dominieren die Lagertätigkeiten: Fast jede zweite im Logistikbereich beschäftigte Person ist in der Lagerwirtschaft tätig. Drei Viertel von ihnen gehen einer Helfertätigkeit nach (Eschkötter 2021). In der Lagerwirtschaft kristallisieren sich besonders deutlich die Ambivalenzen der Digitalisierung: Auf der einen Seite wird den Tätigkeiten im Lager aufgrund fortschreitender Automatisierung ein hohes Substituierungsrisko zugeschrieben, auf der anderen Seite führt die Digitalisierung von Geschäftsprozessen zu neuen Kompetenzanforderungen. Zudem nennen die Unternehmen den Bedarf an flexibleren, breiteren Einsatzmöglichkeiten von Geringqualifizierten.

Im folgenden Abschnitt werden erste Zwischenergebnisse vorgestellt, um abschließend die Herausforderungen für die Angebotsplanung in der Weiterbildung für Geringqualifizierte zu skizzieren,

3. Wunsch nach Weiterbildung in Präsenz und das Problem der Untervernetzung

Obgleich Studien immer wieder auf die geringe Teilnahmequote von Geringqualifizierten an Weiterbildung verweisen, formulierte in unserer Befragung eine deutliche Mehrheit ein hohes Weiterbildungsinteresse. Als Gründe für eine (Nicht-)Teilnahme an Weiterbildung nannten die Befragten folgende Aspekte:

Tabelle 1: Gründe für und gegen eine Weiterbildungsteilnahme

Gründe für eine Weiterbildungsteilnahme Gründe, die eine Weiterbildung erschweren
technologischer Fortschritt Suche nach einem passenden Angebot
persönliche Weiterentwicklung finanzielle Möglichkeiten
berufliche Weiterentwicklung fehlende freie Zeiten aufgrund von Kinderbetreuung

Auf die Frage „Wie sieht das optimale Weiterbildungsformat für Sie aus?“ sprachen sich knapp zwei Drittel (56 %) der Befragten für einen Präsenzunterricht zu festen Zeiten aus. Als Gründe für die Bevorzugung von Präsenzunterricht werden neben Sprachbarrieren zum einen der Wunsch nach einem festen Ansprechpartner während des Lernens genannt, zum anderen die Angst, im digitalen Raum „zu verschwinden“ und nicht gesehen zu werden sowie die fehlende Unterstützung und fehlender Austausch mit den anderen Teilnehmenden, wie folgende Zitate stellvertretend unterstreichen:

„die Leute [Weiterbildungsteilnehmende] schätzen auch den persönlichen Austausch sehr und es gibt einfach, wenn man sich in Präsenz trifft, ist einfach die Möglichkeit gewisse Dinge auch leichter zu diskutieren, leichter auszutauschen, als das Online der Fall ist. Also Online ist auch einfach die Erfahrung, dass auch bei den synchronen Lernformen, dass die Leute oft dann eher sich zurückhalten, die Kamera ausmachen, ruhiger sind, da kann man sich eher verstecken“ (I9,3)

„Also das [Probleme beim Online-Lernen] geht schon quer durch alle Altersstufen, das muss man schon sagen, aber ab 40 aufwärts ist es noch etwas schwieriger. Die tun sich deutlich schwieriger mit dem Lernen und wenn der Dozent nicht vor Ort ist, mit der Konzentration“ (I5,2)

Zudem setzt die Teilnahme an Online-Lernformaten ein Mindestmaß an digitalen Kompetenzen voraus, um die jeweiligen Tools nutzen zu können. In unseren Experteninterviews zeigte sich deutlich, dass im Zuge der Umstellung auf Online-Veranstaltungen der Vorab-Support beim Online-Lernen unterschätzt wurde. Dies betrifft bereits das Einloggen in eine Online-Veranstaltung, die richtige Handhabung von Kamera und Mikrofon ebenso wie die Klärung, ob es aufgrund firmeninterner Firewalls überhaupt technisch möglich ist, sich in eine externe Lernplattform einzuloggen. Letzteres betrifft vornehmlich Personen, die von ihrem Arbeitsplatz an Online-Kursen teilnehmen wollen. Stellvertretend für die Wichtigkeit eines technischen Supports für die Teilnehmenden ist die Aussage eines Programmverantwortlichen:

„Aber, das Problem ist, die Teilnehmer überhaupt erstmal an den Start zu bekommen. Weil, das Scheitern eines online oder hybriden Kurses ist vielfältig möglich, es gilt fast Murphys Gesetz, das heißt, wir haben eine so dreistufige Support-Kaskade entwickelt, wo wir wirklich sicherstellen, dass drei Telefonnummern erreichbar sind, wenn Leute irgendwo verloren gegangen sind. Ich habe gestaunt, warum Leute nicht dann um 9:00 Uhr in diesem Kurs erschienen sind“ (I1, 7).

Aus der Perspektive der Weiterbildungsanbieter wird eine tutorielle Unterstützung der Teilnehmenden hinsichtlich der Handhabung der technischen Tools als notwendig angesehen, allerdings aus Kapazitätsgründen als kaum zu realisieren eingeschätzt: „Eigentlich bräuchten wir, aber das erhöht dann ja auch wieder Aufwand wie soll ich sagen wie so ne Art Tutor danke ich mal. Den Sie auch ansprechen können oder wo es so Art Sprechstunden gibt, wo Sie dann Ihre Themen oder Fragen, wenn Sie sowas bearbeiten, die ja dann vielleicht entstehen irgendwie loswerden können oder auch professionell geklärt kriegen“ (I 8, 10).

Die Teilnahme an Online-Kursen setzt das Vorhandensein von mobilen Endgeräten oder stationären Computern voraus, die jedoch berufs- und branchenspezifisch ungleich verteilt sind. Gerade in operativen Arbeitskontexten sind Beschäftigte vielfach untervernetzt und das Versprechen einer verbesserten Teilhabe an digital gestützten Lernprozessen läuft hier nicht aufgrund fehlender Lernbereitschaft, sondern aus strukturellen Gründen ins Leere. Stellvertretend hier eine Aussage eines Personalverantwortlichen im Zusammenhang mit der Einführung eines unternehmensinternen Lernmanagementsystems: „Aber grundsätzlich ist es auch so, dass unsere gewerblich-operativen Mitarbeitenden, wenn sie keine Führungsverantwortung haben, keine eigene E-Mail-Adresse haben und dann ist es mit den Zugangsdaten auch schwierig. Das heißt unser Lernmanagementsystem (LMS) ist im Moment so ein bisschen exklusiv“ (I 6, 321). Beschäftigte im operativen Bereich laufen demzufolge vielfach unter dem Radar betrieblicher Personalentwicklung. Damit werden mögliche Teilhabechancen Geringqualifizierter verspielt.

Unternehmen – und hier auch nur die größeren Unternehmen ‑ beginnen erst langsam damit, eigene Schulungsräume digital auszustatten. Neben der Verfügbarkeit digitaler Endgeräte spielt auch der Arbeitsort eine Rolle hinsichtlich potenzieller Weiterbildungsteilnahme. Beschäftigte, die in Lager -und Umschlagsprozessen tätig sind, verrichten ihre Arbeit in der Regel außerhalb der Bürogebäude auf Terminals oder in Lagerhallen. Ein Personalverantwortlicher aus einem Unternehmen mit rund 1000 Beschäftigten erklärte: „Gerade im gewerblichen Bereich, wo man doch immer noch ein Stück weiter weg ist als an den Angestellten fehlt es an Plänen. Bei den Angestellten ist so, da gibt es für verschiedene Positionen tatsächlich richtige Weiterbildungspläne“ (I14,1).

Hier zeichnen sich neue Formen digitaler Ungleichheit ab. Neben der Verfügbarkeit und dem Zugang zu digitalen Medien – first level divide – sowie Kompetenzen im Bereich digital literacy – second level divide – gewinnen Fragen nach Online- bzw. Offline- Teilhabemöglichkeiten – third level divide    an Bedeutung (van Dijk 2020; Bonfadelli/Meyer 2021). Dies unterstreicht auch die Zusatzstudie „Digitalisierung in der Weiterbildung“ (AES-Digi) (BMBF 2020). Ein Ergebnis des AES-Digi (BMBF 2020, 37) ist, dass die Teilnahme an Bildung mit digitalen Medien vom Qualifikationsniveau und beruflicher Stellung abhängig ist, das heißt, mit steigendem erreichten schulischen bzw. beruflichen Abschluss steigt die Quote der Teilnahme an Bildung mit digitalen Medien.

Bildung mit digitalen Medien führt demnach nicht zu einem Mehr an Chancengleichheit. Die AES-Digi- Studie zeigt vielmehr, dass „einige Gruppen hinsichtlich der Chance einer Bildungsbeteiligung im doppelten Sinne benachteiligt sind“ (BMBF 2020, 37). In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse der Sonderstudie zum D21-Digital-Index 2020/2021 (Initiative D21 2021, 75), der Bertelsmann Stiftung (2021, 6) und eine Evaluationsstudie zur Programmplanung in der Weiterbildung unter dem Einfluss der Corona-Pandemie (Haberzeth/Dernbach-Stolz 2022). Die Corona-Pandemie gilt zwar gemeinhin als ein „Beschleuniger“ für die Nutzung digitaler Dienste, allerdings zeigen die Befunde, dass die soziale Weiterbildungsschere, die schon bei nicht digitalen Weiterbildungsangeboten immer wieder festgestellt wird, sich im digitalen Bereich fortsetzt. Überspitzt formuliert, droht die Gefahr hochqualifizierter Lernender, die die Vielfalt der Lernorte und Lernformate – online, hybrid, Präsenz – zu nutzen vermag, gegenüber Weiterbildungsinteressierten, die beispielsweise Schwierigkeiten haben bei der Recherche und Auswahl von Angeboten, beim Anmeldevorgang zur Teilnahme an einem Bildungsangebot, bei der Bedienung von tools, vor allem auch von Lernmanagementsystemen oder bei der Teilnahme am digitalen Teilnehmenden-Feedback. Der Bildungsbericht 2022 stellt ernüchternd fest, dass Personen mit hohem Bildungsniveau doppelt so häufig an Onlinekursen teilnehmen wie Personen mit mittlerem Bildungsgrad (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, 237)

Im Zuge der Ausdifferenzierung der verschiedenen Lernformate (Präsenz, Online-Kurse, hybride Lernformate und Blended-Learning) lässt sich eine Neubewertung von Präsenzangeboten feststellen. Während fachliche Themen und Auffrischungsschulungen als eher geeignet für Online-Kurse betrachtet werden, wird Präsenzlernen auf inhaltlicher Ebene, insbesondere bei fachübergreifenden sozialen Themen wie etwa Weiterbildungskurse zu den Themen Führungsverantwortung (z.B. Stress am Arbeitsplatz), befürwortet. In Bezug auf die Zielgruppe wird Präsenzlernen insbesondere für Beschäftigte im operativen Bereich als besser geeignetes Format betrachtet. Dies liegt zum einen an Sprachbarrieren, zum anderen wird die Teilnahme an Weiterbildung mit einer Zeit außerhalb des Betriebs verbunden. Dies gilt gerade für jene Beschäftigten, für die Verknüpfung von Arbeit und Lernen nicht selbstverständlich ist.

4. Nach „digital first“ im Zuge der Corona-Pandemie gewinnen didaktische Fragestellungen bei der Angebotsplanung an Bedeutung.

Durch den Digitalisierungsschub im Zuge der Corona-Pandemie haben viele Weiterbildungsanbieter auf digitale Formate umgestellt. Dieser Wechsel in Online-Angebote wurde von den Weiterbildungsanbietern als „Sprung ins kalte Wasser“ erlebt, verbunden mit dem Herumprobieren digitaler Tools. Zu Beginn der im Zuge der Corona-Pandemie notwendigen Umstellung auf Online-Kursangebote erfolgte in der Regel eine 1:1 Übertragung von Kursen in ein digitales Format, was u.a. dazu führte, dass beispielsweise Lernmanagementsysteme als reine „Ablagesysteme“ und „Ergänzungen“ eingesetzt wurden. Die didaktischen Potenziale der digitalen Medien für Lehr-Lernprozesse wurden weitestgehend nicht ausgeschöpft. Ein Bildungsmanager bezeichnet diese Zeit als „Wildwuchs“: Dozent:innen nutzten unterschiedliche Tools (Zoom, Big Blue Button, Facebook), abhängig von ihren bisherigen privaten Nutzungspraktiken und der technischen Verfügbarkeit. Die größten Herausforderungen für Weiterbildungseinrichtungen betrafen die Anpassung und Neugestaltung der Lernmaterialien für Online-Kurse und die Weiterbildung der Dozierenden. Nach Aussage eines Weiterbildungsverantwortlichen gibt es auch zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch Dozierende, die sich weigern, Online-Unterricht durchzuführen.

Auf Organisationsebene hat der Digitalisierungsschub auf drei Ebenen zu Veränderungen geführt:

Auf der strukturellen Ebene professionalisieren die Weiterbildungseinrichtungen ihre IT-Abteilungen bzw. richten diese ein. Allerdings beklagen vorrangig private Bildungseinrichtungen die enormen finanziellen und personellen Investitionen in Hard- und Software und in die Installation digitaler Online-Angebote sowie die technische Betreuung der Kunden. Private Weiterbildungsanbieter fühlen sich gegenüber öffentlichen Einrichtungen benachteiligt hinsichtlich der finanziellen Förderung bei der Umgestaltung der Online-Bildungsangebote. Auf der Angebots- und Programmebene beginnen die Weiterbildungseinrichtungen, ihre Angebote zu diversifizieren und neben den klassischen Präsenzangeboten, Online- und Blended-Learning-Formate anzubieten. Zum einen erhofft man sich dadurch, neue Zielgruppen zu erreichen, zum anderen sind damit auch wirtschaftliche Kriterien verbunden. Wurde beispielsweise bislang ein Kurs an zwei Standorten angeboten, mit zum Teil nur wenigen Teilnehmenden, ist es jetzt möglich, diesen Kurs nur an einem Standort als hybrides Lernformat anzubieten, so dass sich Teilnehmende dazu schalten können. Gleichwohl sind sich einige der Weiterbildungsanbieter ihrer kommunalen Verantwortung bewusst und betonen „Präsenz ist unser Zugpferd“. Auf der personellen Ebene wird angesichts der Notwendigkeit der Didaktisierung mediengestützter Weiterbildung ein hoher Weiterbildungsbedarf auch beim Lehrpersonal betont, und zwar gleichermaßen hinsichtlich der digitalen Kompetenzen als auch in Bezug auf didaktische Methoden bei mediengestützten Lehr-Lernprozessen

5. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unsere Untersuchung zeigt, dass Geringqualifizierte zwar ein hohes Interesse an Weiterbildung haben, allerdings die Kosten der Weiterbildung, zeitliche Restriktionen wie etwa Kinderbetreuung, sprachliche Barrieren sowie geringe Medienkompetenzen und geringe bis gar keine digitale Vernetzung am Arbeitsplatz zentrale Weiterbildungshürden darstellen. Hier droht die Gefahr neuer Ungleichheiten in der Weiterbildungsteilnahme – auch mit Blick auf die wachsende Einführung von Lernplattformen in Unternehmen.

Für eine Weiterbildungsteilnahme müssen mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es müssen erstens passende Angebote vorliegen, zweitens müssen Betriebe ihren Beschäftigten beispielsweise durch Freistellung ermöglichen, an der Weiterbildung teilnehmen zu können und drittens müssen die Beschäftigten interessiert und bereit sein, an der Weiterbildung teilzunehmen (Osiander/Stephan 2020). All diesen Voraussetzungen gehen je spezifische Selektionsprozesse voraus, sei es bei der Angebots- und Programmplanung der Weiterbildungsanbieter, in der betrieblichen Personalentwicklung sowie im Zuge der individuellen Entscheidungsprozesse, ob eine Weiterbildung als passend wahrgenommen wird. Weiterbildungsteilnahme ist weder zufällig noch liegt sie allein im individuellen Entscheidungsbereich. Eine besondere Rolle kommt dabei den Weiterbildungsanbietern zu hinsichtlich ihrer Adressierung der Zielgruppe. Im aktuellen Datenreport zum Berufsbildungsbericht (BIBB 2023, 331) berichten rund 40 % der Weiterbildungsanbieter, Probleme dabei zu haben, ihre potenziellen Zielgruppen zu erreichen. Weiterbildungsanbietern gelingt es bislang nicht hinreichend, die Bedarfe und Interessenlagen der Geringqualifizierten so zu antizipieren, dass passgenaue Angebote mit zielgruppenspezifischen Unterstützungsformen beim Lernen umgesetzt werden. Es drängt sich die Frage auf, wie Zielgruppen aus Anbieterperspektive konstruiert werden, denn Zielgruppen sind keineswegs eine objektive Tatsache, sondern soziale Konstrukte. Gerade mit Blick auf die heterogene Gruppe der Geringqualifizierten ist die institutionelle Zielgruppenansprache hinsichtlich ihrer Konstituierungskriterien ein bislang vernachlässigtes Forschungsdesiderat. Um die richtigen bzw. passenden Angebote für Geringqualifizierte zu entwickeln, ist zudem eine stärkere Arbeits- und Lebensweltorientierung ebenso notwendig wie eine niedrigschwellige Beratungsinfrastruktur. Ein nationales Monitoring zur Entwicklung der Beratung im Erwachsenenalter existiert bislang nicht, obgleich Konsens über die steigende Bedeutung von Bildungsberatung herrscht. Neben bildungspolitischen Förderinstrumenten gilt es daher, passende Weiterbildungsberatungen mit gleicher Priorität zu etablieren.

[1] Das Forschungsprojekt SmaLo (FKZ: 21INVI3406) wird im Programm INVITE (Digitale Plattform berufliche Weiterbildung) gefördert und hat eine Laufzeit vom 1.09.2021 – 31.08.2024. (https://www.invite-toolcheck.de/html/de/SMALO.php)

Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung (2022): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal. Bielefeld

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Bilger, F./Käpplinger, B. (2022): Veränderte Strukturen der Weiterbildungsberatung in der Corona-Krise. In: dvb-forum (1), 25-30

Bonfadelli, H./Meyer, W. A. (2021): Dominante Strukturen und Akteure der Digitalisierung: von „Digital Divide“ auf Mikro-Ebene zu „Digital Inequality“ auf Makro-Ebene. In: Eisenegger, M. et al. (Hrsg.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit, Mediensymposium, Wiesbaden, 421-444.

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Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn

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