Univ.-Prof. Dr. Peter Schlögl (Universität Klagenfurt, Institut für Erziehungswissenschaften und Bildungsforschung, Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung)

Seit den 1960er Jahren, als die Professionalisierung des Handelns im Zusammenhang mit dem organisierten Lernen Erwachsener begann und auch dessen wissenschaftliche Reflexion einsetzte, gilt der Dialog als die bestimmende didaktische Grundorientierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Zumindest in dieser Hinsicht stehen Praxis und Forschung im Einklang. Das systematische Nachdenken über eine erwachsenengerechte Lernkultur, entsprechend konzipierte Lehr-Lernarrangements und eine damit kohärente Praxis folgen aber auch bestimmten (modischen) Entwicklungen oder werden durch gesamtgesellschaftliche oder technologische Dynamiken mitgeprägt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Weiterbildung nicht grundsätzlich von anderen Teilen des Bildungssystems wie Schule oder Hochschule. Schlagworte wie Kompetenzorientierung, Standardisierung, Qualitätsentwicklung, Modularisierung, Distance Learning, E-Learning, Microlearning/-credentials, um nur einige ‚Buzzwords‘ der letzten Jahre zu nennen, stellen die bestehende Praxis immer wieder in Frage und fordern Planung, Steuerung und Kontrolle von Bildungseinrichtungen und -angeboten heraus.

Auch wenn hinter diesen Entwicklungen – leider allzu oft – primär ökonomische, meist auf Effizienzsteigerung oder neue Marktmodelle ausgerichtete Ziele, und selten soziale oder pädagogische Motive stehen, können und sollten sich so zentrale gesellschaftliche Prozesse wie der der Bildung nicht entziehen. Denn natürlich bieten diese Impulse auch Chancen im Sinne von Innovation, Qualitätshebung und Beseitigung bisheriger Schwächen der etablierten Bildungspraxis. Unbestritten ist beispielsweise das Potenzial, dass digitale Formate die inklusive Gestaltung von Bildungs- und Lernprozessen, die Zugänglichkeit von Bildungsangeboten oder die Individualisierung von Lernwegen verbessern oder erleichtern können.

Auf der anderen Seite entstehen auch neue Ausgrenzungsphänomene (digital divide). Der Zugang zu erforderlichen Geräten, zum Internet oder zu relevanten Datenvolumina, z.B. für die Nutzung von Lernvideos o.ä., sind neue limitierende Faktoren für die Teilhabe (und das bei weitem nicht nur für Senioren). Darüber hinaus sind Einstellungen und Werte der Lernenden (mentaler Zugang) sowie Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien und entsprechende Kompetenzen (Dijk 2002; Gerick 2021) von entscheidender Bedeutung und können Schranken oder Hemmnisse für den Zugang zum Lernen darstellen oder auch Lernwiderstände hervorrufen (Faulstich&Grell 2005). Bis auf spezielle Anwendungsgebiete (z.B. Führungskräftetraining, Simulationstraining, wissenschaftliche Weiterbildung, Arbeitssicherheitstrainings o.ä.) waren die so genannten neuen Medien, die schon lange nicht mehr neu sind, in weiten Teilen der Erwachsenen- und Weiterbildung zwar thematisch, aber nicht praktisch präsent. Dies hat sich mit den gesundheitspolitischen Maßnahmen rund um die Covid 19-Pandemie nach einer kurzen Phase von Absagen oder Verschiebungen von Angeboten, schlagartig geändert. Betrachtet man die digitalen Bildungsangebote, die meist in größter Eile erstellt oder in Programme integriert wurden (“Emergency Remote Teaching”, wie dies auch genannt wurde, siehe Hodges et al. 2020), so zeigt sich, dass schnell gehandelt wurde, um die Bildungsarbeit aufrecht zu erhalten.

Es wurde aber auch schnell erkannt, dass dieser externe Schock für die Weiterbildung als Beschleuniger (der Digitalisierung) und als Brennglas (für strukturelle Probleme bei Infrastruktur, Finanzierungsverantwortung, soziale Absicherung) gesehen werden kann (Käpplinger, 2020; Käpplinger & Lichte, 2020). Diese Funktion des Brennglases kann auch genutzt werden, um zu reflektieren, welche didaktischen Praktiken sich in dieser Situation etabliert haben und welche Lehren daraus gezogen werden können.

Zeitnahe Befunde zu den in der ersten Zeit eingesetzten digitalen Instrumenten (für Österreich siehe etwa Gugitscher at al. 2020) zeigen, dass die Mehrzahl der Organisationsverantwortlichen und PraktikerInnen zunächst verstärkt Videokonferenztechnologien eingesetzt haben oder dies gar erstmals taten. Auch Webinare und interaktive Lehr-Lernplattformen wurden vermehrt genutzt. Dies zeigt an, dass vielfach die bewährte Praxis von Präsenzveranstaltungen in den virtuellen Raum verlagert wurde. Auch der verstärkte Einsatz von Telefon und Email für den Kontakt mit Lernenden in dieser Zeit ist ein klarer Hinweis dafür. Erklärvideos, Videos von Vorträgen jeweils mit und ohne Prüfung oder adaptiver Nutzerführung waren zunächst seltener parat. Tatsächlich interaktive Formate wie Coaching-tools, Barcamps und interaktive Massive Open Online Courses (MOOCs), die geeignet sind, auch aktive Beiträge der Lernenden zu integrieren, waren in der Kürze der Zeit und aufgrund fehlender Erfahrungen kaum im Einsatz.

Diese reflexartigen Umstellungen sind aufgrund der Kürze der Zeit sicherlich verständlich. Es dürften aber auch andere Aspekte eine Rolle spielen. Urheberrechts- und Nutzungsaspekte, Lizenzgebühren und viele pragmatische (Fähigkeiten der Lehrenden) und finanzielle Aspekte spielen eine große Rolle. Aber nicht nur diese, denn wirft man einen didaktisch informierten Blick auf das eine oder andere traditionelle oder neue Online-Angebot, so stellt man leider nicht nur gelegentlich fest, dass sie an längst überwunden geglaubte Phasen des programmierten Unterrichts erinnern, die einem funktionalen Verständnis von Lernen folgen. Hier wird ein scheinbar gut begrenzter Katalog von Verhaltens- oder Wissenselementen durch eine stark gelenkte Verhaltensformung qualifiziert. Oder aber es zeigen sich Selbstlernarchitekturen entlang einer fachlichen oder fachsystematischen Inhaltsverwaltung, die einem kognitivistischen Verständnis von Wissen folgen und der Komplexität tatsächlicher Anwendungen im (beruflichen) Alltag nur bedingt gerecht werden.

Gemeinsam ist diesen Ansätzen oft, dass sie ohne das jeweilige Lernsubjekt auszukommen scheinen (Tramm 1992). Das bedeutet, dass biografische oder situierte Komponenten des Lernens Erwachsener oder gar die Herstellung von Lernbereitschaft insgesamt weitgehend ausgeblendet werden. Genau das ist aber der Anspruch, den die moderne Erwachsenenbildung ursprünglich hatte, und die verschiedenen lerntheoretischen Ansätze (situierte, transformative, kritisch-emanzipatorische Perspektiven, Erfahrungslernen und Kompetenzentwicklung, um nur einige zu nennen) haben diese schablonenhaften Verständnisse längst hinter sich gelassen.

So ist es zunächst nicht verwunderlich, dass professionelle Weiterbildungseinrichtungen zunächst auf Konferenzinstrumente (wir erinnern uns an den Dialog als didaktische Prämisse der Erwachsenenbildung) zurückgriffen, um ihren Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Sicherlich sind noch nicht alle Potenziale der digitalen Medien erkannt oder gar ausgeschöpft worden. Adaptive Programme, die auf Vorwissen und Erfahrungen reagieren, sowie Learning Analytics, die individuelle Lernstile erkennen und lernfördernd nutzen, stehen erst am Anfang. Erfahrene Lehrende in der Weiterbildung haben all dies, soweit es die Rahmenbedingungen der jeweiligen Bildungsangebote zuließen, schon immer getan und das Kursgeschehen individualisiert. Die Modularisierung und die zunehmende Orientierung der Bildungsangebote an Lernergebnissen versuchen dies auch bei der Programmplanung zu unterstützen.

Neben spezifischen Herausforderungen für bestimmte Personengruppen, wie z.B. in der Grundbildung oder in der Bildungsarbeit mit Migrantinnen und Migranten, wo die digitalen, oft stark schriftsprachlich geprägten Werkzeuge zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen, ruft die medienvermittelte Bildungsarbeit ein Grundproblem der Bildungsarbeit auf den Plan, das in sich selbst immer in besonderer Weise besteht: den Transfer des Gelernten. Mit Ausnahme der Ausbildung für Softwareanwendungen oder anderer ausschließlich digitaler Anwendungen (z.B. Programmieren) müssen die Lernenden das Gelernte in die reale Welt, in den (Berufs-)Alltag übertragen und auch die bisherige Praxis transformieren: Sie müssen das Neue einführen und anwenden. Methoden zur Förderung bzw. Sicherstellung des Praxistransfers in der Weiterbildung (vgl. Hense & Mandl 2011) gibt es schon länger: z.B. Wissens-Checks, Lerntagebücher, Briefe an sich selbst, Lernpartnerschaften. Zeitlich und räumlich begrenzte Weiterbildungsveranstaltungen haben hier deutliche Grenzen, sowohl im Vorfeld als auch in der Nachbereitung.

Didaktische Gestaltungen der Lernumgebung und des Transferumfelds versuchen genau hier anzusetzen (Solga 2011; Bergmann & Sonntag 2006) und aktiv zu werden. Und gerade die Erweiterung des Handlungsrepertoires von Weiterbildungseinrichtungen durch digitale Medien eröffnet neue Potenziale hinsichtlich der aktiven Adressierung des Lerntransfers. Insofern können Vernetzungen im Sinne einer didaktisch geplanten und technologiegestützten Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung von Weiterbildung realisiert werden. Weiterbildung, die informations- und wissensbasierte Komponenten weitgehend aus den Sozialphasen auslagert (Inverted oder Flipped Classroom), virtuelle Gruppen zum Erfahrungsaustausch zwischen Kurs- oder Seminarblöcken, Webinare als Nachbereitung von Präsenzveranstaltungen, das Versenden von Follow-up-To-do-Tipps oder kleinen alltagstauglichen Transferaufgaben an ehemalige Teilnehmende u.v.a.m. können den Transfer anregen und didaktisch unterstützen, ohne dass der zeitliche und finanzielle Aufwand zu hoch ist. Der Praxistransfer, der manchmal nur am Rande in der Weiterbildungsplanung berücksichtigt wird, könnte so zu einem festen Bestandteil werden.

Eine nostalgische Rückkehr zum Zustand vor der Pandemie kann kein ernsthaftes Ziel einer zeitgemäßen Weiterbildung sein. Vielmehr scheint es an der Zeit zu sein, Neues auszuprobieren und Bewährtes zu bewahren und sich dabei auf die Stärken von Konzepten zur erwachsenengerechten Lehr-Lerngestaltung zu besinnen. Auf diese Weise könnten bisherige Defizite (wie z. B. die Ungleichheit beim Zugang) abgebaut werden. Doch wie immer im Leben stehen neue Möglichkeiten auch vor zusätzlichen Herausforderungen. Wenn Weiterbildung zunehmend orts- und zeitunabhängig organisiert werden kann, stellen sich Fragen der Weiterbildung in der (bezahlten) Arbeitszeit in neuer und wahrscheinlich noch komplexerer Weise als bisher. Und auch die Frage, wer darüber entscheidet, wann Weiterbildungsinitiativen ergriffen werden sollen, stellt sich im Kontext vermeintlich überall und jederzeit verfügbarer Inhalte neu und bedarf fairer Aushandlungen.

Bergmann, B. & Sonntag, K. (2006): Transfer. Die Umsetzung und Generalisierung erworbener Kompetenzen in den Arbeitsalltag. In: Sonntag (2006): 355–388

Dijk, J. van. (2002). A Framework for Digital Divide Research. The Electronic Journal of Communication, 12(1 & 2), 1–7.

Faulstich, P., & Grell, P. (2005). Widerständig ist nicht unbegründet–Lernwiderstände in der Forschenden Lernwerkstatt. 2005): Lernwiderstand–Lernumgebung–Lernberatung: empirische Fundierungen zum selbstgesteuerten Lernen. Bielefeld: Bertelsmann (Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung), 18-93.

Gerick, J. (2021). Bildungsgerechtigkeit in einer digitalisierten Welt—Herkunftsbedingte Unterschiede und Perspektiven für Schule und Unterricht. Abgerufen von Heinrich-Böll-Stiftung Website: https://www.boell.de/de/2021/04/15/bildungsgerechtigkeit-in-einer-digitalisierten-welt

Gugitscher, K., Schlögl, P., Kandutsch, F., & Schäfer, S. (2020). Existenzsicherung, Professionalisierung, Innovation und Digitalisierung in der Österreichischen Erwachsenenbildung im Kontext der Covid-19-Pandemie. Bericht zu einer explorativen Umfrage im Herbst 2020. Projektbericht Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) und der Universität Klagenfurt. Wien: öibf.

Hense, J., & Mandl, H. (2011). Transfer in der beruflichen Weiterbildung. In: Zlatkin-Troitschanskaia, O. (eds) Stationen Empirischer Bildungsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94025-0_18

Hodges, C. B., Moore, S., Lockee, B. B., Trust, T., & Bond, M. A. (March, 27). The Difference Between Emergency Remote Teaching and Online Learning. Educause Review. Abgerufen von https://er.educause.edu/articles/2020/3/thedifference-between-emergency-remote-teaching-and-online-learning

Käpplinger, B. (2020). Auswirkungen der Corona-Krise auf die Weiterbildung [Pressemitteilungen]. Abgerufen 18. September 2021, von Justus-Liebig-Universität Gießen Website: https://www.uni-giessen.de/ueberuns/pressestelle/pm/pm144-20auswirkungencoronakriseaufweiterbildung

Käpplinger, B., & Lichte, N. (2020). “The lockdown of physical co-operation touches the heart of adult education”: A Delphi study on immediate and expected effects of COVID-19. International Review of Education, 66(5–6), 777–795. https://doi.org/10.1007/s11159-020-09871-w

Schmidt-Hertha, B. (2021). Die Pandemie als Digitalisierungsschub? Hessische Blätter für Volksbildung, 71(2), 20–29. https://doi.org/10.3278/HBV2102W003

Solga, M. (2011). Förderung von Lerntransfer. In: Ryschka (2011): 339–368

Tramm, T. (1992). Konzeption und theoretische Grundlagen einer evaluativ-konstruktiven Curriculumstrategie — Entwurf eines Forschungsprogramms unter der Perspektive des Lernhandelns. Band 17 der Berichte des Seminars für Wirtschaftspädagogik der Georg-August-Universität Göttingen.

Autor

  • Dr. Peter Schlögl

    Prof. Dr. Peter Schlögl hat neben Tätigkeiten in der allgemeinen und beruflichen Erwachsenenbildung sowie museumspädagogischer Arbeit ein Studium der Philosophie an der Universität Wien abgeschlossen. Er war Referent für Weiterbildungspolitik in der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. Seit 1998 ist er am Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung in Wien tätig, zunächst als geschäftsführender Institutsleiter und seit seinem Ruf an die Universität Klagenfurt im Jahr 2017 als dessen wissenschaftlicher Leiter. Die Professur für Erwachsenen- und Weiterbildung am Arbeitsbereich Erwachsenenbildung und berufliche Bildung des Instituts für Erziehungswissenschaften und Bildungsforschung deckt allgemeine, berufliche, kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung ab. Seine Forschungsschwerpunkte sind nationale und Europäische (Berufs)Bildungspolitiken, Kompetenz- und Lernergebnisorientierung, Bildungsphilosophie und -theorie sowie professionelle Beratungsdienste im Bildungswesen. Zudem ist er in vielfältigen hoheitlichen und wissenschaftlichen Gremien und Beiräten tätig.