Warum die Einbeziehung gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen in die Kooperationsachse Betrieb – Arbeitsagentur neue Chancen bietet

Dr. Stefanie Janczyk (Leiterin des Ressorts Allgemeine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik/AGA beim IG Metall Vorstand)

Seit geraumer Zeit wird allseits betont, dass der Weiterbildung eine zentrale Bedeutung zukommt, wenn es gelingen soll, die Beschäftigten in der Transformation der Arbeitswelt mitzunehmen und Brücken zu bauen, um aus ihnen die Fachkräfte von morgen zu machen, mit guten und sicheren Perspektiven. Das Bild von Weiterbildung als Schlüssel zur Bewältigung der Transformation ist ähnlich strapaziert, wie das des Corona-Brennglases. Allein es klafft weiterhin eine erhebliche Lücke zwischen der artikulierten hohen Bedeutung und der tatsächlichen Weiterbildungspraxis. Dies gilt nicht nur, aber insbesondere mit Blick auf geringerqualifizierte oder auch ältere Beschäftigte sowie kleine und mittlere Unternehmen. Hierfür gibt es vielerlei Ursachen: Baustellen bei der Personal- und Qualifizierungsplanung, Zeit- und Geldfragen auf Seiten der Arbeitgeber wie der Beschäftigten oder auch diverse Hürden beim Finden des „richtigen“ Bildungsangebots sind einige davon.

In der jüngeren Vergangenheit sind verschiedene Schritte unternommen worden, diese Ursachen zu bearbeiten. Insbesondere wurde seitens der Politik die Weiterbildungsberatung und -förderung erheblich ausgebaut und die Bundesagentur für Arbeit mit der Umsetzung betraut. Zweifellos braucht die Etablierung neuer Angebote Zeit und ebenso unzweifelhaft bot die Corona-Pandemie nicht die besten Rahmenbedingungen für Weiterbildung. Hier liegen sicher Erklärungen dafür, dass die Inanspruchnahme bisher hinter den Erwartungen und Bedarfen zurückbleibt. Gleichwohl lässt sich schon jetzt sagen: Derlei Angebote und Anreize allein reichen nicht – insbesondere nicht mit Blick auf diejenigen, die Weiterbildung besonders dringend benötigen. Vielmehr bestätigt sich erneut, dass erhebliche gemeinsame Anstrengungen aller relevanten Akteure von Nöten sind, um bestehende Knoten zu lösen. Der Netzwerk-Arbeit vor Ort kommt hier eine zentrale Bedeutung zu. Solche regionalen Netzwerke zeichnen sich in der Regel durch unterschiedliche Austauschformate und Kooperationsachsen aus. Eine dieser Kooperationsachsen ist diejenige zwischen Arbeitsagenturen und Betrieben. Die Einbeziehung gewerkschaftlichen Weiterbildungsmentor*innen in eben diese Kooperationsachse bietet neue Chancen Beschäftigte für Weiterbildung zu gewinnen.

Gewerkschaftliche Weiterbildungsmentor*innen besetzen Rolle des Türöffners

Kernanliegen des Konzepts gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen ist es, Hürden und Vorbehalte auf Seiten der Beschäftigten beim Thema Weiterbildung abzubauen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass der Verweis auf die Bedeutung von Weiterbildung im Zuge der Transformation Beschäftigten nicht als Chance, sondern als Druck oder gar Bedrohung wahrgenommen wird. Zum Beispiel, weil familiäre Verpflichtungen und wenig finanzielle Spielräume bestehen und sie nicht wissen, wie sie unter diesen Bedingungen eine Weiterbildung schultern sollen, weil sie Zweifel haben, ob und wie sich Weiterbildung für sie am Ende auszahlt, weil sie das Lernen nicht mehr gewohnt sind oder es schwerfällt den Weiterbildungs-dschungel zu durchblicken. Gewerkschaftliche Weiterbildungsmentor*innen helfen dabei, derartige Hürden zu überwinden. Ihr, im Vergleich zu anderen Akteuren, wesentliches Pfund dabei: Sie begegnen den Beschäftigten auf Augenhöhe und genießen Vertrauen. Beides ist entscheidend, damit sich Beschäftigte öffnen, schwierige Themen besprochen und Lösungsszenarien gefunden werden können. Auch die Bedeutung von Mentor*innen mit Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit ist in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen.

Anders gesagt: Das wesentlich Neue gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen ist damit nicht die Beratung, sondern dass sie mit den Beschäftigten eine Vertrauensebene haben, die eine angstfreie Selbstreflexion in Verbindung mit stärkenorientierter Beratung ermöglicht und es erleichtert, sich für Weiterbildung zu öffnen. Die Weiterbildungsmentor*innen besetzen damit eine bedeutende Rolle im Konzert der Weiterbildung: die des Türöffners.

Um ihre Rolle gut ausfüllen zu können, werden gewerkschaftliche Weiterbildungsmentor*innen zudem entsprechend geschult. Und sie befassen sich damit, wohin die betriebliche Entwicklung geht, welche Bereiche sich verändern, wo Bedarfe wegfallen oder neue entstehen und sie kennen Weiterbildungswege. Damit wird die abstrakte Rede von Transformation und Veränderungsbedarfen für die Beschäftigten konkret.

Chancen einer Kooperation nutzen

Gewerkschaftliche Weiterbildungsmentor*innen wollen und können also nicht bestehende Beratungsangebote ersetzen. Ihr Wesensmerkmal liegt vielmehr davor. Sie bereiten quasi den Boden, auf dem vertiefende Beratung und die Entwicklung konkreter Weiterbildungspläne – durch etablierte Unterstützungsstrukturen – aufbauen können. Genau deshalb kann eine Vernetzung gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen gerade auch mit Akteuren der Weiterbildungsberatung und -förderung der Arbeitsagentur gewinnbringend sein:

Mittels geeigneter Austauschformate können Weiterbildungsmentor*innen grundlegende Kenntnisse über Unterstützungsmöglichkeiten der Arbeitsagentur gewinnen und Beschäftigten in Gesprächen diesbezüglich erste Informationen geben. Weiterbildungsmentor*innen können so vor allem auch dazu beitragen, dass Beschäftigte überhaupt den Schritt zur Arbeitsagentur machen. Denn es gehört zur Wahrheit, dass viele Beschäftigte eine Zurückhaltung gegenüber der Arbeitsagentur hegen. Die dieser Zurückhaltung zugrundeliegenden Motive mögen mehr oder weniger begründet oder unbegründet sein, aber sie sind vorhanden und halten manch einen davon ab, die Beratungs- und Fördermöglichkeiten der Agentur in Anspruch zu nehmen. Eine Ermutigung durch gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen kann hilfreich sein, diese Zurückhaltung zu überwinden. Umgekehrt entsteht durch eine solche Vernetzung für Weiterbildungsmentor*innen eine Weiterempfehlungsmöglichkeit, wenn sie selbst an ihre Grenzen stoßen – etwa wenn es nach erfolgreicher Sensibilisierung für das Weiterbildungsthema, um vertiefte Beratung, grundlegende berufliche Neuorientierungen oder um (betriebs-)externe Weiterbildungswege und -finanzierungen geht.

Überdies verfügen Weiterbildungsmentor*innen über relevante Kenntnisse, wenn es um die Frage geht, wohin ein Betrieb sich entwickelt und wo Weiterbildungsbedarfe bestehen und was die Beschäftigten mitbringen. Arbeitsagenturen wiederum kennen durch ihre Kontakte den regionalen Arbeitsmarkt. Ein Austausch untereinander erweitert einerseits das Sichtfeld der Mentor*innen und liefert andererseits den Akteuren in den Agenturen vertiefte betriebliche Einsichten. Auch dies würde für beide Seiten die Grundlage ihrer Arbeit erweitern und verbessern.

Eine Einbeziehung gewerkschaftlicher Weiterbildungsmentor*innen in die Kooperation mit Akteuren der Weiterbildungsberatung und -förderung der Arbeitsagentur birgt also in mehrfacher Hinsicht das Potential, das Thema Weiterbildung in der Praxis erfolgreicher zu bewegen, im Sinne der Betroffenen. Diese Chance sollte genutzt werden.

Autor

  • Leiterin des Ressorts Allgemeine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik/AGA beim Vorstand der IG Metall und Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit.

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