Dr. Bernd Kaßebaum (Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL) und Prof. Dr. em. Andrä Wolter (Professor für Hochschulforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin)

Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist bekannt und bildungs- und gesellschaftspolitisch umstritten, dass die Chance, ein Studium aufzunehmen, in hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängt. Die soziale Ungleichheit beim Zugang zu bzw. in der Beteiligung an Hochschulbildung ist ein in den letzten Jahrzehnten immer wieder – in gewissen Wellen, oft im Kontext eines vorhandenen oder bevorstehenden Fachkräftemangels – thematisiertes Problem. Es hat keineswegs an Aktualität verloren trotz des massiven sozialstrukturellen und bildungspolitischen Wandels, der sich seit jener Zeit vollzogen hat.

Die sozialen Klassen- und Gruppenstrukturen haben sich mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft fundamental verändert. Viele institutionelle Barrieren im Schulsystem sind beseitigt worden. Heute existiert eine gemeinsame Grundschule, es muss kein Schulgeld für höhere Bildung mehr gezahlt werden, Aufnahmeprüfungen zum Gymnasium finden in den meisten Bundesländern nicht mehr statt. Ein Wechsel in die gymnasiale Oberstufe ist inzwischen auch von der Realschule möglich. Die Wege zur Studienberechtigung sind vielfältig geworden (z. B. über berufsbildende Schulen oder eine berufliche Aus- bzw. Fortbildung). Eine öffentliche Studienförderung zugunsten von Studierenden aus wirtschaftlich schwächeren Familien soll finanzielle Hürden bei der Studienaufnahme beseitigen.

Und in der Tat hat die Beteiligung an Hochschulbildung seit 1900 etwa um den Faktor 40 zugenommen. Betrug die Studienanfängerquote um 1900 herum etwa 1 %, so liegt sie heute, je nach Berechnung (z.B. mit oder ohne internationale Studierende), bei weit über 40 %. Der Bildungsstand der Bevölkerung hat sich also historisch deutlich erhöht, nicht nur im Blick auf Hochschulbildung, sondern auch auf die Berufsaus- und Weiterbildung. Aber trotz der enormen Expansion der Bildungsbeteiligung in den letzten fünf Jahrzehnten sind die sozialen Disparitäten keineswegs verschwunden. Im langfristigen Zeitvergleich haben sie bestenfalls abgenommen.

Kein Zweifel besteht daran, dass die soziale Struktur des Hochschulzugangs immer noch durch erhebliche soziale Schieflagen gekennzeichnet ist, ein Muster, das heute aufgrund des methodologischen Fortschritts in der empirischen Bildungsforschung sehr viel präziser und differenzierter aufgezeigt werden kann als noch vor Jahrzehnten. Als übergreifendes Gesamtbild bleibt, dass soziale Disparitäten

  • alle Bildungsphasen im Lebensverlauf und alle institutionellen Sektoren im Bildungssystem, von der Grundschule bis zur Weiterbildung, deutlich, wenn auch in unterschiedlichen Mustern prägen;
  • im Bildungssystem offensichtlich nur sehr langsam abgebaut werden, eher eine erklärungsbedürftige erstaunliche Kontinuität über alle gesellschaftlichen und politischen Veränderungen hinweg aufweisen;
  • sich in unterschiedlichen Dimensionen darstellen – Bildungsherkunft, Migration, Geschlechtszugehörigkeit, regionale Herkunft – und sich diese Faktoren oft wechselseitig verstärken;
  • dass sich frühere Ungleichheiten im Lebensverlauf, insbesondere an Übergangsstellen, z.B. von der Grundschule in die weiterführende Schule oder aus dem Schul- ins Hochschulsystem, in späteren Phasen fortpflanzen; soziale Selektivität wird dadurch biographisch kumulativ im Bildungssystem aufgebaut;
  • dass die Population derjenigen, die ihre Schulzeit mit dem Erwerb einer Studienberechtigung abschließen und aus denen sich dann die Studienanfänger/-innen rekrutieren, eine bereits hochgradig nach sozialen Merkmalen vorgefilterte Gruppe bilden;
  • dass die Schwelle des Hochschulzugangs und der Hochschulzulassung zwar auch einen sozial wirksamen Filter darstellt, der eigentliche Filterungsprozess aber nicht an dieser Stelle stattfindet, sondern sich über den ganzen vorangegangenen vorschulischen und schulischen Bildungsverlauf erstreckt und auch nicht bei der Studienaufnahme endet.

In den letzten Jahren hat die Frage, wer nimmt ein Studium auf und inwieweit ist der Hochschulzugang durch soziale Disparitäten gekennzeichnet, eine neue Bedeutung gewonnen. In Deutschland ist zur Zeit, vor allem auf Seiten der Hochschulen, die Sorge weit verbreitet, die Studienanfängerzahlen gingen so stark zurück, dass die Hochschulen gemäß der sog. leistungsbasierten Mittelverteilung, die auch die Auslastung einbezieht, in noch größere finanzielle Engpässe geraten. Eine gründliche statistische Überprüfung kann diese Befürchtung zwar nicht uneingeschränkt bestätigen[1], aber diese hat Diskurse über mögliche institutionelle Gegenstrategien und -maßnahmen hervorgerufen. Neben anderen ist dabei auch die soziale Struktur des Hochschulzugangs ins Blickfeld gekommen. Und eine stärkere soziale Öffnung durch Förderung derjenigen, die bislang aus Herkunftsgründen nur unterdurchschnittlich an Hochschulbildung teilnehmen, gilt als eine mögliche kompensatorische Entwicklungsstrategie der Hochschulen. Nicht nur, aber auch in diesem Kontext steht die vorliegende Ausgabe von DENK-doch-MAL.de.

Diese Ausgabe untergliedert sich in zwei Schwerpunkte. Der erste enthält vier empirisch-analytisch orientierte Artikel zur Bedeutung der sozialen Herkunft für den Hochschulzugang und den Studienerfolg bzw. Studienabbruch, zur veränderten Zusammensetzung der Studierenden und zur Studienfinanzierung. Der zweite Teil umfasst vier mehr konzeptionell und bildungspolitisch fokussierte Beiträge zur Studienförderung, insbesondere zur Entwicklung des BAFöG, zum Selbstverständnis und zur Arbeit des Deutschen Studierendenwerkes, zur immateriellen Studienunterstützung durch das Netzwerk Arbeiterkind.de sowie zur Situation studentischer Hilfskräfte und den tarifpolitischen Initiativen zu deren Verbesserung.

Markus Lörz und Kai Maaz eröffnen den ersten Schwerpunkt mit einem theoretisch und empirisch fundierten Artikel unter dem an Pierre Bourdieu angelehnten Titel „Die Illusion der Chancengleichheit auf dem Weg zur Hochschule“. Mit einem umfassenden Überblick über den vorhandenen Forschungsstand zeigen sie auf, dass sich in den letzten Jahrzehnten bei den zentralen Faktoren sozialer Ungleichheit in der Beteiligung an Hochschulbildung (u.a. soziale Herkunft und Migrationsstatus) „wenig getan hat“. Zwar ist in der Folge der Bildungsexpansion die Bildungsbeteiligung in allen sozialen Gruppen gestiegen, aber die sozialen Ungleichheiten sind nicht beseitigt, vielmehr stabilisiert und zum Teil von früheren auf spätere Übergangsstellen im Bildungssystem verschoben worden. Die „Hauptweichenstellung“ erfolgt immer noch mit der Entscheidung für den Weg zum Abitur, speziell beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I. Zunehmend spielen sog. horizontale Unterschiede (private Bildungseinrichtungen, Auslandserfahrungen, familiäre Unterstützung, Kompetenzdifferenzen, Masterstudium) eine Rolle. Die Autoren erläutern insbesondere das Phänomen der wechselseitigen Verstärkung von Ungleichheitsfaktoren, die sog. Intersektionalität.

In einer Lebensverlaufsperspektive wird die Ungleichheit in der Beteiligung an Hochschulbildung keineswegs erst an der Schwelle zur Hochschule erzeugt, sondern sukzessive über familiäre und vorschulische Sozialisation sowie die verschiedenen Stationen schulischer Bildungsverläufe erzeugt. Als ausschlaggebende Faktoren stellen die beiden Autoren u.a. die sog. primären und sekundären Herkunftseffekte heraus. Primäre Effekte bestehen in familiär, schulisch oder anderen Institutionen generierten Leistungs- und Kompetenzunterschieden. Sekundäre Effekte beziehen sich auf unterschiedliche Bildungsentscheidungen, die u.a. durch sozial differenzierte Bewertung von Schulabschlüssen und Kosten, Erträgen und Risikofaktoren von Bildungswegen hervorgerufen werden. Diese Effekte schließen alle Akteure vorschulischer und schulischer Lernprozesse, Eltern, Lehrkräfte und die Kinder bzw. Schüler/-innen selbst mit ein. Auch wenn es den Schulen nicht gelingt, soziale Unterschiede in den Eingangs- und Lernvoraussetzungen auszugleichen, handelt es sich in der Regel nicht um „bewusst diskriminierendes Verhalten“, sondern eher um ein latentes Zusammenwirken und wechselseitige Verstärkung sozialer Einflussfaktoren.

Andrä Wolter greift in seinem Beitrag die vieldiskutierte (Hypo-)These der Heterogenität in der Zusammensetzung der Studierenden auf. Angesichts einer Zahl von beinahe 3 Millionen Studierenden ist dies nun eine nicht gerade unerwartete, um nicht zu sagen beinahe banale Feststellung. Interessanter ist dagegen die Frage, ob und bei welchen Merkmalen die Zusammensetzung im Zeitverlauf heterogener geworden ist. Dieses Thema steht einerseits in einem engen Zusammenhang mit dem bildungspolitischen Chancengleichheits- und Diversitätsdiskurs und wird hier konstruktiv als Herausforderung für eine „heterogenitätssensible Studienorganisation“ gesehen. Andererseits wird die wachsende Heterogenität immer wieder als zentrales Problem identifiziert, weil sie der normativen Vorstellung einer weitgehenden kulturellen Homogenität von Studierenden und einheitlicher Studienvoraussetzungen widerspricht. Diese sei mit dem Wachstum der Studierendenzahlen nicht mehr gegeben und für viele Probleme des Studienalltags verantwortlich. Die Frage einer veränderten Zusammensetzung lässt sich jedoch – erstens – nicht pauschal beantworten, sondern nur differenziert für unterschiedliche Indikatoren bzw. Merkmale. Und sie erfordert – zweitens – zu ihrer Beantwortung Zeitreihendaten, welche die Entwicklung der Zusammensetzung der studentischen Population über einen längeren Zeitraum widerspiegeln. Dies ist jedoch nur in wenigen Studien der Fall.

Der Autor betrachtet in seiner Analyse vorrangig soziodemographische Merkmale und solche, die mit den Bildungs- und Zugangswegen zur Hochschule und den institutionellen Studienformen zusammenhängen. Anders als Querschnittsuntersuchungen, die Heterogenität zu einem bestimmten Zeitpunkt für praktisch jedes betrachtete Merkmal zeigen, belegen Zeitreihendaten eher eine Entwicklung, die sich nach den jeweils betrachteten Indikatoren erheblich unterscheidet. Die Muster bzw. Strukturen der Zusammensetzung haben sich im Zeitverlauf nur bei wenigen Merkmalen verändert. Insbesondere in zwei bildungspolitisch bedeutsamen Feldern zeichnet sich eher eine größere Homogenität ab: bei der Bildungsherkunft – hier ist die Quote der Studierenden aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil bereits über Hochschulbildung verfügt, deutlich gestiegen und beträgt an den Universitäten etwa das Dreifache des Bevölkerungsanteils, erklärt sich also nicht, wie so oft behauptet, aus dem wachsenden Akademikeranteil in der Bevölkerung. Und beim Anteil der beruflich qualifizierten Studierenden – hier ist entgegen allen Bestrebungen zur Öffnung der Hochschulen für diese Zielgruppe die Quote stark rückläufig, nur bei den Studierenden ohne schulische Hochschulreife ist sie leicht gestiegen. Eine größere Diversität lässt sich in jedem Fall bei den internationalen Studierenden und Studierenden mit Migrationshintergrund und deutscher Staatsbürgerschaft, nicht aber bei den sog. Bildungsinländern beobachten. Bei anderen Indikatoren hat sich kaum etwas geändert, so beim Alter, beim Familienstatus und beim Anteil der Studierenden mit Behinderung (im Sinne der UN-Konvention).

Jessica Ordemann und Frauke Peter stellen auf der Basis der Studierendenbefragung/Sozialerhebung 2021 die finanzielle Situation der Studierenden dar. Sie konzentrieren sich auf die Einnahmeseite. Diese lässt sich als sehr vielfältig charakterisieren, sie bildet ganz überwiegend eine Kombination aus mehreren Quellen mit unterschiedlicher Gewichtung, die unter anderem von der sozialen Herkunft oder anderen biographischen Faktoren (z.B. Berufsausbildung und Berufstätigkeit) abhängt. Fast alle werden von ihren Eltern gefördert. Daneben ist für zwei Drittel die eigene studienbegleitende Erwerbstätigkeit in unterschiedlichem zeitlichem Umfang eine ganz wichtige Quelle. Die Bedeutung der staatlichen Studienförderung über das Bundesausbildungsförderungsgesetz hat im Zeitverlauf immer weiter abgenommen, inzwischen (2021) beziehen nur noch 13 % eine BAföG-Förderung. Sie erreicht aber durchaus ihre Zielgruppe, auch wenn viele grundsätzlich Anspruchsberechtigte gar keinen Antrag stellen, größtenteils aus Unkenntnis. Die Höhe der Einnahmen variiert primär nach Ressource und Lebensumständen. Im Durchschnitt liegt das verfügbare Einkommen um ca. 200 € unterhalb der Armutsgrenze für alleinlebende Personen. Alles in allem manifestiert sich die Vielfalt der Studierenden und ihrer Lebensbedingungen auch in der Mannigfaltigkeit  der Einnahmen, der Quellen und der Ausgaben, wobei insgesamt die Mehrzahl mit ihrer finanziellen Situation im Studium zufrieden ist. Die Autorinnen betonen aber, wie wichtig es ist, dass ein Studium für alle ohne finanzielle Sorgen möglich sein muss und nicht „durch die familiäre Herkunft oder unzureichende staatliche Unterstützung erschwert werden“ darf und deshalb „Vielfältigkeit“ erforderlich ist: „in der flexiblen Ausgestaltung von Studienfinanzierung, in Unterstützungsangeboten, in der Anerkennung unterschiedlicher Lebensrealitäten“.

Das Problem der sozialen Selektion stellt sich aber nicht nur auf dem Weg zur Hochschule hin, sondern auch im Studienverlauf. Sören Isleib analysiert in seinem Beitrag die Bedeutung sozialer Faktoren für den Studienabbruch. Zwar ist Studienabbruch – das Verlassen des Hochschulsystems ohne Abschluss – ein Vorgang, der durch ganz unterschiedliche Gründe und Ursachen hervorgerufen wird und auch alle sozialen Gruppen betreffen kann. Hauptgründe sind neben einer Vielzahl anderer Ursachen Leistungsprobleme im Studium, mangelnde Studienmotivation und die Suche nach einer stärker praktisch ausgerichteten Tätigkeit. Auch finanzielle Gründe spielen eine wichtige Rolle. Nicht nur diese, sondern auch andere Auslöser hängen oft mit der sozialen Herkunft zusammen. Sind bestimmte Herkunftsgruppen bereits auf dem Wege zur Hochschule benachteiligt, wie der genannte Beitrag von Kai Maaz und Markus Lörz aufgezeigt hat, so setzen sich solche Differenzen auch während des Studiums fort.

Sören Isleib diskutiert im einzelnen neben der Bedeutung ungünstiger Schul- und Studienleistungen und der Studienfachwahl vor allem die Zusammenhänge zwischen Herkunft und dem Studienverlauf. Hierzu bedient er sich des in der Studienabbruchsforschung wichtigsten theoretischen Modells, des von Vincent Tinto entwickelten Konzepts der sozialen und akademischen Integration. Aber nicht hur hochschulinterne, sondern auch externe Bedingungen spielen eine Rolle, insbesondere Schwierigkeiten bei der Studienfinanzierung oder eine zeitlich zu umfangreiche und oft studienferne Erwerbstätigkeit neben dem Studium, wovon Studierende aus den unteren Herkunftsgruppen häufiger betroffen sind. Insgesamt gesehen ist damit der Studienabbruch ein Thema, das zeigt, dass Bildungserfolg keineswegs nur von individuellen fachlichen oder kognitiven Leistungen, sondern leider auch von den sozialen Lebensumständen abhängt. Der Autor warnt aber davor, Studienabbrüche ausschließlich negativ als Misserfolg zu verstehen; sie sind vielmehr auch Teil einer „individuellen Ausbildungsoptimierung“.

Marvin Hopp und Ann-Kathrin Hoffmann greifen ein sowohl in der Hochschulforschung als auch in der Hochschulpolitik noch eher randständiges, aber gewerkschaftlich wichtiges Thema auf, nämlich die Situation studentischer Hilfskräfte (und Tutoren) und tarifpolitische Initiativen zu Gunsten dieser Beschäftigtengruppe. Der Redaktion von DENK-doch-MAL war es ein Anliegen, dieser Beschäftigtengruppe in der vorliegenden Ausgabe eine Stimme zu geben. Diese verfügt lediglich in Berlin über eine durch Tarifvertrag geregelte Absicherung. In allen anderen Ländern sind bislang entsprechende Maßnahmen mit Ausnahme einer nicht immer eingehaltenen „schuldrechtlichen“ Mindestvereinbarung zu Entgelten und Vertragslaufzeiten auf Länderebene und einer landesspezifischen Regelung in Hessen zumeist am Widerstand von Hochschulen, ihren Vertretungen und der Länder gescheitert. Aber es gibt zumindest entsprechende studentische und gewerkschaftliche Initiativen. Die beiden Autoren geben in ihrem Beitrag einen Überblick zur sozialen Situation und arbeitsrechtlichen Stellung studentischer Hilfskräfte. Letztere unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst – mit zum Teil gravierenden Folgen hinsichtlich Vertretungsrechten, Befristungs-, Urlaubs- und Krankheitsregelungen. Weiterhin stellen sie die Entwicklung der TV-Stud-Bewegung, deren zentralen Ziele und Aktivitätsstrukturen sowie die vorhandenen Perspektiven in den Tarifrunden der Länder dar.

Die abschließenden drei Beiträge bilden den zweiten Schwerpunkt dieser Ausgabe. Sie beschäftigen sich mit Maßnahmen und Institutionen zur Unterstützung von Studierenden, sei sie finanzieller oder immaterieller Art. Ein ursprünglich geplanter vierter Artikel zur gewerkschaftlichen Studienförderung durch die Hans-Böckler-Stiftung, der diesen zweiten Schwerpunkt abgerundet hätte, musste leider abgesagt werden. Gleichwohl darf die Bedeutung der Studien- und Promotionsförderung sowohl in Bezug auf ihre materielle wie in Bezug auf ihre ideelle Unterstützung nicht unterschätzt werden. Neu ist zusätzlich die Förderung für Auszubildende. (Siehe: https://www.boeckler.de/de/stipendien-2650.htm).

Sonja Bolenius gibt einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte des seit mehr als 50 Jahren wohl wichtigsten öffentlichen Förderinstruments, des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, sein Oszillieren zwischen Darlehens- und Vollzuschussförderung, seine immer wieder hervortretenden Strukturprobleme (z.B. bei den Bedarfs-/Fördersätzen, den Freibeträgen oder der Wohnförderung) und die bürokratischen Hindernisse in den Bewilligungsverfahren. Die Förderquote hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen, viele Reformbemühungen sind im Sande verlaufen. Die Autorin referiert die Vorhaben der jetzigen Bundesregierung, etwa zur Anhebung des Grundbedarfssatzes oder zur Wohnkostenunterstützung. Eine grundsätzliche Reform in Richtung einer elternunabhängigen Basisförderung, wie sie z.B. in den Niederlanden praktiziert wird, ist jedoch auch von dieser Regierung nicht geplant. Ein geradezu schon historisches Hauptproblem besteht darin, dass das BAföG immer wieder in den Sog staatlicher Sparpolitik gerät und das Studium für einen großen Teil der Studierenden oder der grundsätzlich Studieninteressierten zu einem finanziellen Risiko wird. Die von einigen politischen Organisationen gelegentlich geforderte Umstellung der staatlichen Studienförderung auf ein ausschließlich kreditbasiertes Förderinstrument wäre aber ein Schritt, sich endgültig von dem bildungspolitischen Ziel der Chancengleichheit beim Hochschulzugang und im Hochschulstudium zu verabschieden.

Matthias Anbuhl stellt in seinem Beitrag die Aufgaben und Arbeit der für alle Studierenden zuständigen Einrichtung der lokalen Studierendenwerke bzw. ihres Dachverbandes, des Deutschen Studierendenwerks vor. Sie sind, wie im Titel des Beitrags formuliert, in der Tat die zentrale Institution für die soziale Infrastruktur erfolgreichen Studierens, das „soziale Rückgrat des deutschen Hochschulsystems“. Diese Einrichtungen sind international nahezu einzigartig, in fast allen anderen Hochschulsystemen gibt es keine vergleichbaren Einrichtungen mit derart breiten Aufgaben. In Deutschland sind sie zuständig für alle sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des Studiums, vom BAföG, der Förderung internationaler Studierender über Wohnen, Versorgung/Gastronomie (Mensen), psychologische Beratung, Kinderbetreuung bis hin zu kulturellen Angeboten. Der Autor stellt diese Aufgaben- und Tätigkeitsfelder im Detail vor und gibt einen Einblick in die oft prekäre Finanzierung.

Nicht zuletzt, vom Autor nicht erwähnt, ist das DSW Auftraggeber bzw. Initiator einer der seit Jahrzehnten wichtigsten Untersuchung zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden in Deutschland, der sog. Sozialerhebung, die für die empirische Studierendenforschung eine unerlässliche Datenbasis bereitstellt. In bestimmten Krisensituationen – wie z.B. die Corona-pandemie, die fast eine halbe Million Studierende in finanzielle Engpässe brachte, oder die aktuellen Versorgungsprobleme auf dem studentischen Wohnungsmarkt – kann den Studierendenwerken eine geradezu existentielle Bedeutung zuwachsen. Trotz ihrer praktisch Allzuständigkeit für studentische Sozialpolitik „als integraler Bestandteil der Bildungsinfrastruktur“ gerät auch die öffentliche Finanzierung der Studierendenwerke durch die Länder, die ohnehin nur einen Teil, wenn auch absolut wichtigen in der Gesamtfinanzierung bildet, immer wieder in den Sog staatlicher Sparmaßnahmen, wie Sonja Bolenius schon für das BAföG dargestellt hatte.

Martina Kübler stellt ein noch relativ junges soziales Netzwerk (seit 2008) vor, Arbeiterkind.de, das sich auf die immaterielle Unterstützung von Studierenden der ersten Generation konzentriert und sich hohe Anerkennung erworben hat. Als gemeinnützige GmbH basiert die Arbeit, von einem relativ kleinen Stab koordiniert, auf dem ehrenamtlichen Engagement von mehreren Tausend Unterstützern in ca. 80 lokalen Gruppen. Diese setzen sich aus Personen zusammen, die in der Regel ebenfalls zu dieser Zielgruppe gehör(t)en und aufgrund ihrer eigenen Schul- und Studienerfahrungen in besonderer Weise geeignet sind, Schüler/-innen und Studierende aus Familien, die (noch) nicht über akademische Bildung verfügen, beratend zu unterstützen. Finanziert wird Arbeiterkind.de primär durch öffentliche Zuschüsse von Bund und (einigen) Ländern, von unabhängigen Fördereinrichtungen (z.B. Stiftungen) und privaten Spendern. Das vielfältige Tätigkeitsfeld in Form von Veranstaltungen, Vorträgen, Trainings und individueller Beratung erstreckt sich über praktisch alle Fragen, die mit Studienvorbereitung, Studienentscheidung und -finanzierung, Studienverlauf/-abschluss, Berufswahl und Übergang in den Beruf verbunden sind.

Als Fazit der vorliegenden Ausgabe von DENK-doch-MAL bleibt, dass offenkundig nach wie vor das familiäre Bildungskapital die wichtigste „Ressource“ für den Bildungsweg ist, nicht zuletzt für die Aufnahme eines Studiums. Die gesellschaftspolitische Hoffnung, mit der Bildungsexpansion ginge nicht nur eine Ausweitung der Bildungschancen, sondern auch ein Abbau sozialer Ungleichheit im Bildungserfolg einher, hat sich bis jetzt noch nicht erfüllt. Die empirischen Zusammenhänge zwischen Herkunft und Bildungschancen haben eine historisch weit zurückreichende Debatte über Chancengleichheit bzw. Chancengerechtigkeit in der Bildungsteilhabe hervorgerufen. Chancengleichheit zielt eher auf die Repräsentation von sozialen Gruppen; Chancengleichheit im Gymnasium oder in der Hochschule wäre dann gegeben, wenn der Anteil einzelner Gruppen in etwa ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Der Begriff der Chancengerechtigkeit führt zusätzlich noch eine individuelle Dimension ein. Chancengerechtigkeit besteht dann, wenn Schüler/-innen mit in etwa vergleichbaren Leistungen oder Fähigkeiten dieselben Chancen im Bildungssystem haben, unabhängig von ihrer Herkunft.

In Deutschland ist gegenwärtig weder Chancengleichheit noch Chancengerechtigkeit gegeben, ein Ergebnis, das seit Jahrzehnten bekannt ist und durch neue Daten immer wieder bestätigt wird. An den grundlegenden sozialen Disparitäten hat sich eben kaum etwas geändert. Und diese werden durch populäre soziale Deutungsmuster immer wieder legitimiert – so etwa durch die oft zu hörende Behauptung, im Gymnasium fänden sich zu viele Schüler/-innen, die dort eigentlich nicht hingehören. Das betrifft selbstverständlich vorrangig die „Bildungsaufsteiger“, die den härteren Wettbewerb um an Abschlüsse, Titel und Berechtigungen geknüpfte Arbeitsmarkt- und Berufschancen stören. Auch die häufig geäußerte Behauptung, in Deutschland gäbe es zu viele Studierende, erweist sich angesichts des alle Sektoren des Arbeitsmarktes, auch den akademischen Arbeitsmarkt umfassenden Fachkräftemangels und der Verteilung der primär von der erworbenen Qualifikation abhängigen monetären und nicht-monetären Bildungserträge eher als ideologisch. Das arbeitsmarktpolitische Hauptproblem in Deutschland besteht weniger in der Zahl der Studienanfänger/-innen als in der demographischen Diskrepanz zwischen den Generationen, die jetzt und in nächster Zukunft den Arbeitsmarkt verlassen, und den deutlich schmaleren nachkommenden Altersjahrgängen sowie in dem viel zu hohen Anteil der Jugendlichen, die dauerhaft ohne Berufsabschluss bleiben.

Deutschland zählt zu den Staaten, die sich im internationalen Vergleich durch eine besonders enge Kopplung von Bildungsabschlüssen, Zertifikaten und Berechtigungen auf der einen Seite, beruflichen Zugängen, Beschäftigungs- und Lebenschancen auf der anderen Seite auszeichnen. Von daher wird die soziale Schieflage beim Hochschulzugang von vielen unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit kritisiert – nicht zuletzt, weil von einer begabungsgerechten Zuweisung im Schulsystem nicht die Rede sein kann. Ein beträchtlicher Anteil der Schüler/-innen verfügt durchaus über kognitive Kompetenzen, die ihnen einen anderen Bildungsweg bis hin zum Hochschulabschluss ermöglichen würden. Das deutsche Bildungssystem verschenkt Talente, ökonomisch gesprochen: Ressourcen, auf die unsere Gesellschaft dringend angewiesen ist. Dies gilt im übrigen nicht nur für Hochschulbildung, sondern ebenso für viele Sektoren der betrieblichen und (vollzeit-)schulischen Berufsausbildung. Deshalb müssen gerade diejenigen Potenziale aktiviert werden, die bislang nur in bescheidenem Umfang an weiterführender Bildung bin hin zur Hochschulbildung partizipieren können. Diese Potenziale lassen sich eingrenzen: Jugendliche aus „bildungsfernen“ Gruppen, insbesondere Familien ohne gymnasiale oder akademische Tradition, und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Aber auch eine noch stärkere Mobilisierung der jungen Frauen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und eine stärkere Öffnung der Hochschulen für berufliche Qualifizierte sind hier zu nennen.

Wie kann soziale Selektion im Bildungssystem abgebaut und eine größere soziale Durchlässigkeit erreicht werden? Der strategische Ansatzpunkt für eine Reduktion der sozialen Disparitäten auch beim Hochschulbesuch liegt an den zentralen Übergangsstellen und den Verläufen im Schulsystem. So wäre ein höheres Maß an Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang primär über ein höheres Maß an Chancengerechtigkeit im Schulsystem zu realisieren. Markus Lörz und Kai Maaz haben in ihrem Beitrag dazu einige Handlungsmöglichkeiten und praktische Beispiele aufgezeigt. Nach wie vor ist die Schule der zentrale Ort, an dem die Weichenstellungen für den weiteren Lebensverlauf erfolgen. Aber inzwischen sind in unserem Bildungssystem zahlreiche Institutionen etabliert worden, die noch eine spätere Neu- und Umorientierung und Weiter- und Nachqualifizierung ermöglichen, etwa im Zweiten/Dritten Bildungsweg, im beruflichen Ausbildungswesen oder in der Weiterbildung. Neben der pädagogischen Förderung geht es aber auch darum, gerade beim Studium die finanzielle Unterstützung im Auge zu behalten. Insgesamt gilt es die individuelle Förderungsfunktion des Bildungssystems gegenüber dessen Verteilungsfunktion zu stärken. Institutionelle Durchlässigkeit in soziale Durchlässigkeit zu überführen, bleibt eine zentrale bildungspolitische Aufgabe.

Abschließend gilt unser herzlicher Dank allen Autorinnen und Autoren, die für diese Ausgabe einen Beitrag verfasst haben – zeitaufwendig neben ihren hauptberuflichen Aufgaben. Wir hoffen, die Leserinnen und Leser dieser Ausgabe finden in diesen Beiträgen viele Anregungen, Informationen und Diskussionsanreize.

Wir hoffen, mit den hier vorgestellten Beiträgen das Interesse der Leserinnen und Leser zu wecken und auch den einen oder anderen bildungspolitischen Impuls gegeben zu haben. DENK-doch-MAL wird weitgehend ehrenamtlich durchgeführt. Daher haben wir unseren  Autorinnen und Autoren ganz herzlich zu danken, dass sie in ihrer vermutlich knappen Zeit ihre fundierten und interessanten Beiträge beigesteuert haben.

Wir möchten zum Schluss auf unseren Newsletter aufmerksam machen, über den wir neben anderen Aktivitäten die neuen Ausgaben vorstellen. Auf der Homepage sind die nächsten Themen von DENK-doch-MAL zu finden (https://denk-doch-mal.de/newsletter/ ). Hinweisen möchten wir auch auf die aus unserer Sicht wichtige Zusammenarbeit mit dem Repository des Bundesinstitutes für Berufsbildungsforschung, das dankenswerterweise alle Beiträge von DENK-doch-MAL übernimmt.

[1] Christian Kerst/Andrä Wolter (2025): Das Ende der Hochschulexpansion? Die gegenwärtige Entwicklung der Studiennachfrage und ihrer Einflussfaktoren. In: Das Hochschulwesen, Heft 3/4, S. 62-77.

Autoren

  • Bernd Kaßebaum war bis Ende 2016 Gewerkschaftssekretär beim IG Metall Vorstand im Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik. Seine Arbeitsfelder umfassten Themenstellungen aus Schule und Arbeitswelt; Hochschulpolitik und Bildungsforschung. Veröffentlichungen u.a. zum Thema Beruflichkeit, Durchlässigkeit und Hochschulreform. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich. So engagiert er sich im Wissenschaftlichen Beratungskreis von ver.di und IG Metall zu Bildungsfragen und in der Redaktion von DENK-doch-MAL.de

    Alle Beiträge ansehen
  • Andrä Wolter, Dr., Prof. (i.R.) für Hochschulforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Studium der Fächer Geschichte, Erziehungswissenschaft und Soziologie an der Pädagogischen Hochschule und Universität Oldenburg; dort auch Promotion und Habilitation. 1993-2010 Professor für Organisation und Verwaltung im Bildungswesen an der TU Dresden. 2004-2006 Abteilungsleiter Hochschulforschung bei der HIS GmbH, Hannover. Seit 2010 an der HU Berlin. 2004-2018 Mitglied der Autorengruppe des Nationalen Bildungsberichts. Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung. Mitglied des Beratungskreises IG Metall und ver.di.

    Alle Beiträge ansehen