Dr. Roman Jaich (ver.di Bundesverwaltung und Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL), Mario Patuzzi (Leiter des Referats für Grundsatzfragen der beruflichen Aus- und Weiterbildung beim DGB Bundesvorstand) und Tina Hofmann (Gewerkschaftssekretärin im Bereich Bildungspolitik in der ver.di Bundesverwaltung)
In den letzten Jahren wurde die Förderung zur Weiterbildung von Beschäftigten durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) erheblich ausgeweitet. Der Gesetzgeber hat die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen und dabei gewerkschaftliche Anliegen aufgegriffen. Von einigen Vorläufern abgesehen ist der Startpunkt dieser Entwicklung das Qualifizierungschancengesetz, das im Januar 2019 in Kraft trat. Es folgten das Arbeit-von-morgen Gesetz im Mai 2020 und schließlich das Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung im Juni 2023. Diese dicht aufeinanderfolgenden Gesetzesnovellen haben positive Entwicklungen in der Weiterbildungsförderung angestoßen und zielen darauf ab, Beschäftigte in der Transformation am Arbeitsmarkt zu qualifizieren und Weiterbildung für die Dämpfung von Fachkräfteengpässen einzusetzen. Die jüngsten Weiterbildungsreformen werfen aber auch Fragen auf, die natürlich etwas differenzierter zu beantworten sind als mit einem „entweder oder“, wie wir es im Titel etwas provokant in den Raum gestellt haben. So stellt sich die Frage, welche Reichweite die öffentlich geförderte Weiterbildung zur Bewältigung der Transformation am Arbeitsmarkt entfalten kann und wo Grenzen deutlich werden. Ist die Förderung schon ausreichend treffgenau, um die Bedarfe aus der betrieblichen Praxis zu treffen, gleichermaßen Beschäftigte wie auch Arbeitgeber zu adressieren? Antworten hierzu gibt es in dieser Ausgabe der „denk-doch-mal“ aus der Perspektive der Sozialpartner, Wissenschaft und Weiterbildungsexpert*innen.
Wir geben dabei grundsätzlich zu bedenken, dass wir zwar einen Fortschritt bei der Entwicklung der arbeitsmarktbezogenen Weiterbildungsförderung verzeichnen, aber gleichzeitig alle Vorschläge zur Weiterentwicklung der individuellen beruflichen Weiterbildung in dieser – wenn auch verkürzten Legislatur – auf der Strecke geblieben sind: Beispielhaft sei auf die Diskussion zur Bildungs(teil)zeit verwiesen, die noch im ersten Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung aufgenommen war, aber dann im weiteren Gesetzesprozess nicht mehr weiterverfolgt wurde. Und auch das im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition angekündigte Lebenschancen-BAföG und die strukturelle Weiterentwicklung des Aufstiegs-BAföG sind ausgeblieben. So stellt sich die Frage, wie wir mit der individuellen Weiterbildungsförderung weiter vorankommen können.
Den Blick zu öffnen auf Weiterbildungssysteme unserer europäischen Nachbarn hat sich nicht nur bei der (österreichischen) Idee der Bildungs(teil)zeit als hilfreich erwiesen, um hierzulande neue Reformimpulse zu bekommen. Dr. Günter Hefler beschreibt in seinem Beitrag Ergebnisse aus europäischen und internationalen Studien, wo öffentliche Förderinstrumente ansetzen können, um Weiterbildung in kleinen und mittleren Betrieben zu fördern. Er verweist dabei auf Ansätze, die deutlich über die klassische Arbeitsmarktförderung hinausgehen und betont die hohe Relevanz von arbeitsplatzbezogenem Lernen und der Gestaltung von (lernförderlicher) Arbeit. Für die Planung und Umsetzung von Förderungsaktivitäten zur betrieblichen Förderung ist eine systematische, politikfeldübergreifende Perspektive genauso unverzichtbar wie ein Zusammenspiel mit anderen Instrumenten und der gegebenen Institutionenlandschaft.
Prof. Dr. habil. Matthias Knuth beleuchtet die historische Entwicklung der Gesetzgebung in der Arbeitsförderung und greift bis auf das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) im Jahr 1969 zurück, um die jüngere Gesetzgebung zur Weiterbildungsförderung einzuordnen. Entgegen der vielfach geäußerten positiven Resonanz in der Fachöffentlichkeit gerade zur jüngeren Gesetzgebung fällt die Analyse des Autors und seine Perspektive darauf, die Transformation der Arbeitswelt mit geförderter Weiterbildung sozial gestalten und steuern zu können, kritisch aus.
Stefanie Janczyk und Katharina Grabietz begrüßen die Neuerungen für die Weiterbildungsförderung von Beschäftigten, die mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung auf den Weg gebracht worden sind. In ihrem Beitrag nehmen sie das neu eingefügte Qualifizierungsgeld unter die Lupe. Erste Praxiserfahrungen mit diesem Förderinstrument lassen erkennen, dass es noch einiger Feinjustierung bedarf, um es zur vollen Wirkung zu bringen.
Der Beitrag von Dr. Ute Leber behandelt die Nutzung der Weiterbildungsförderung der Bundesagentur für Arbeit durch Betriebe. Die Autorin zeigt den Befund, dass nur ca. ein Drittel aller Betriebe die Fördermöglichkeiten überhaupt bekannt sind. Es ist nicht nur der Bekanntheitsgrad der Förderinstrumente, vielmehr ist es ein breites Spektrum an Gründen, so z.B. der Mangel an passenden Weiterbildungsangeboten, der Aufwand für die Beantragung der Fördermittel oder ein fehlendes Interesse der Beschäftigten an einer Weiterbildung, die eine Inanspruchnahme der Förderinstrumente behindern. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung sollten einige dieser Hemmnisse beseitigt werden. Eine zentrale Rolle nimmt aber die Weiterbildungsberatung für Betriebe und Beschäftigte ein, wenn es darum geht, die Inanspruchnahme der Weiterbildungsförderung zu erhöhen.
Aus Sicht von Peter Schäfer ist die betriebliche Weiterbildung unerlässlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Betriebliche Weiterbildung wandelt sich gerade rasant durch die Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Im Gegensatz dazu bleibt die öffentlich geförderte Weiterbildung mit ihren arbeitsmarktbezogenen Zielen und langjährigen Qualitätsstandards hinter dieser Entwicklung zurück. Der Autor schlussfolgert, dass sich die Arbeitsmarktpolitik auf ihre Kernkompetenz der Arbeitsvermittlung konzentrieren und die Weiterbildungsförderung schlanker und effizienter gestalten sollte.
Dr. Alexandra Krause und Dagmar Ertl beleuchten Arbeitsplatzwechsel in der Transformation. Der drohende Abbau von gut bezahlten Arbeitsplätzen in der Industrie fordert die Arbeitsmarktpolitik dazu heraus, Beschäftigungsübergange in gute Arbeit und mit Weiterbildung zu flankieren. Sog. „Arbeitsmarkt-Drehscheiben“, wie sie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit den Sozialpartnern und der Bundesagentur für Arbeit diskutiert und entwickelt werden, müssen stärker auf die Interessen das Beschäftigen orientiert und um weitere Ansätze ergänzt werden, so die beiden Autorinnen. Sie weisen auf neue Modellansätze und gute Praxis in den beiden Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland hin.
Seinen Beitrag „Teilnehmenden- statt Institutionenorientierung: Für eine emanzipatorische Weiterbildungsstrategie“ beginnt Prof. Dr. Bernd Käpplinger mit einem überraschend anmutenden Befund zur Bedeutung der Weiterbildung. Angesichts großer Transformationsprozesse wäre in letzter Zeit ein deutliches Wachstum der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung zu erwarten gewesen, doch sie verliert relativ an Bedeutung. Mindestens mitverantwortlich für den Bedeutungsverlust sind aus seiner Sicht Informationsdefizite. Entsprechend führt er in seinen Schlussfolgerungen aus, dass es wichtig wäre „… Weiterbildung wirklich ernsthaft attraktiv zu kommunizieren, aber auch realiter besser auszugestalten und leichter selbstbestimmt zugänglich zu machen.“