Dr. Daniela Ahrens (Senior Researcher, Universität Bremen, Institut Technik und Bildung), Gerhard Endres (Freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, München), Prof. Dr. Franz Kaiser (Mitglied im Wissenschaftlichen Beraterkreis von IG Metall und ver.di), Dr. Bernd Kaßebaum (Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL) und Gerhard Labusch-Schönwandt (Ausbilder im technischen, kaufmännischen und Dienstleistungsbereich)

Diese Ausgabe ist die erste, in der DENK-doch-MAL die Relevanz der Klimakrise für die Berufsbildung systematischer thematisiert. Wir berücksichtigen daher bei der Einführung in die Thematik auch den Verlauf des bisherigen Diskurses. In verschiedenen Veröffentlichungen und als Ergebnis einer Reihe von Projekten und Initiativen gibt es mittlerweile eine umfangreiche Literatur, eine Reihe von Praxisergebnissen und wichtige praktische Erfahrungen zu dem Verhältnis von Klimakrise und Berufsbildung.

Wir verfolgen mit dieser Veröffentlichung verschiedene Ziele.

So wollen wir die vielschichtige Rolle der beruflichen Bildung und der Gewerkschaften in der Debatte um die Klimakrise aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Wie häufig ist dies auch eine Debatte um die Begriffe. Bewusst nehmen wir den Begriff der „Klimakrise“ auf, weil alle Daten darauf hinweisen, dass wichtige Naturbereiche bereits unwiederbringlich zerstört werden, was durch den doch recht sanften Begriff des Klimawandels eher ver- als aufgedeckt wird. Uns ist bewusst, und dieses Argument taucht in den meisten Beiträgen in diesem Zusammenhang auch auf, dass sich die Klimakrise nur als ein Teil eines Nachhaltigkeitsverständnisses und eines Transformationskonzepts thematisieren lässt. So wie Nachhaltigkeit auf eine Integration von ökologischen, sozialen und ökonomischen Sachverhalten zielt, erfasst der Begriff der sozio-ökologischen Transformation die Frage, welche Art von Veränderung notwendig ist, welchen Stellenwert soziale Gerechtigkeit hat, welche Art von Wirtschaften notwendig wäre, um zu substanziellen Ergebnissen zu kommen. Transformationen sind aber ein alltägliches Geschehen und die dramatischen Auswirkungen der menschengemachten Veränderungen an der ökologischen Balance, die bereits jetzt spürbar sind, bringt der Begriff der Klimakrise deutlicher zum Ausdruck.

Bildung, auch Berufsbildung ist an diese Zusammenhänge zu binden. In einem sehr lesenswerten Interview nimmt Michael Müller, der Vorsitzende der NaturFreunde, dazu Stellung. Es geht ihm u.a. darum, die Grundsätzlichkeit der Veränderung zu betonen und den notwendigen Zusammenhang von sozialer und ökologischer Transformation herauszustellen. Dazu gehört auch die Frage, welche Veränderungen auf die Wirtschaft zu kommen.

Eine zweite Dimension notwendiger Verknüpfung stellt der Sozialethiker Markus Vogt heraus. Er sieht einen wechselseitigen Bezug von Demokratie und Ökologie. Zum einen benötigt Ökologie ein demokratisches Umfeld, zum anderen befördert eine Politik für mehr Ökologie auch die Demokratie; Markus Vogt setzt sich für eine „nachhaltige Demokratisierung der Demokratie“ ein.

Zu den grundsätzlichen Fragen gehört auch die Frage, welchen Part Gewerkschaften hierbei annehmen. Wir betrachten zu diesem Verhältnis mehrere Aspekte. Hans Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall und Lehrbeauftragter an der Uni Jena, geht es darum, einen „Kompass“ für gewerkschaftliches Handeln zu entwickeln, der ausgehend von dem Verständnis einer „Poly-Krise“ ökonomischer, ökologischer und sozialer Krisen diskutiert, was aus einem Verständnis einer „Ökologie der Arbeit“ an Schlussfolgerungen für Arbeitsgestaltungs- und Berufsbildungspolitik zu folgern ist.

Steffen Lehndorff setzt sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive und aus kritischer Position mit gewerkschaftlichem Handeln in der sozioökologischen Transformation auseinander. Sie gelingt nach seiner Überzeugung nicht gegen, sondern nur mit den Gewerkschaften. Dafür muss sie betriebspolitisches Handeln und politisches Mandat auf der gesellschaftlichen Ebene zusammenführen. In seinem Beitrag findet man für beide Ebenen eine Menge konkreter Vorschläge.

Die Sozialwissenschaftlerin Nora Räthzel sieht grundsätzliche Probleme der Verkürzung von Klimapolitik. Diese spiegeln sich auch in der globalen Gewerkschaftspolitik wider. Die daraus resultierende Art der Bekämpfung der Krise führt – so ihre Zuspitzung – zu ihrer eigentlichen Vertiefung. Die Gewerkschaften haben es in ihrem Handeln noch nicht erreicht, Arbeitende und Umwelt gleichberechtigt zu vertreten. Die Gewerkschaften sehen zudem auch in der Klimapolitik die Arbeitenden eher in der Opferrollen als in der Rolle der gestaltend Handelnden.

Berufsbildung ist an Erwerbsarbeit gebunden und hat in unserem gewerkschaftlich geprägten Verständnis nicht nur eine fachliche, sondern auch eine soziale und bildungspolitische Dimension. Gute Berufsbildung und gute Arbeit bedingen sich, z.B. durch die lernförderliche Gestaltung der Arbeit wie durch eine Gestaltungsdimension von Berufsbildung, sei es in Bezug auf die berufliche Biografie wie auf die Arbeit selbst. Die Herausforderungen durch die Klimakrise sind durch verschiedene, den Pariser Beschlüssen folgenden Bildungsprogramme relativ umfassend auch in der Berufsbildungspolitik verankert worden (vgl. Berufsbildung für die nachhaltige Entwicklung, BBNE).

Wir wollen die Verbindung von Berufsbildung und Klimakrise sowohl als theoretisches bzw. konzeptionelles Thema wie aus der beruflichen und betrieblichen Praxis heraus begreifen und darstellen. Der Beitrag des Berufspädagogen Franz Kaiser betrachtet die Ziele der traditionellen Berufsausbildung in Deutschland und auf Peter Euler beziehend die aktuellen Herausforderungen einer nicht-nachhaltigen Gegenwart. Daran anknüpfend diskutiert er eine nachhaltige Berufsbildung und schlägt ein neues Orientierungsmodell vor, das die individuelle Entwicklung der Auszubildenden mit deren berufsfachlichen Qualifizierung, sozialen Kompetenzentwicklung in Verbindung mit den Anforderungen des Welterhalts neu ausrichtet.

In der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele spielt das Bundesinstitut für Berufsbildung seit vielen Jahren eine Schlüsselrolle. Schon in der Vergangenheit hat das BIBB durch die Modellprojekte zur nachhaltigen Entwicklung umfassende Pionierarbeit geleistet. Im Hauptausschuss des BIBB wurden im April 2020 die sog. Standardberufsbildpositionen neu formuliert. Namentlich der Punkt 3: Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ ist in unserem Zusammenhang zu nennen. Gegenwärtig liegt ein Großteil der Koordinierungsarbeit der Plattform der „Nationalen Plattform für nachhaltige Entwicklung“ beim BIBB. Sebastian Ciolek, im Bundesinstitut für Berufsbildung für die Umsetzungsprojekte „Nachhaltigkeit im Beruf“ verantwortlich, informiert über den Diskurs im BIBB, blickt zurück auf die nachhaltigkeitsbezogenen Modellprojekte und Förderprogramme, ihre Zielsetzungen und Erkenntnisse und stellt uns die aktuellen Förderprogramme vor. Allen vorangestellt die Förderung der Ausbilderinnen und Ausbilder.

Zwei Projekte aus diesem Bereich haben wir in dieses Heft aufgenommen und weitere Berichte aus Betrieben und einer Berufsschule ausgewählt.

  • Daniela Ahrens, Wissenschaftlerin im ITB an der Uni Bremen, stellt ein Verbundprojekt im neuen BMBF-Förderprogramm „Nachhaltig im Beruf – zukunftsorientiert ausbilden“ vor.
  • Stella Heitzhausen und Florian Dück, Wissenschaftler von der Leuphana-Universität bzw. von der Uni Bielefeld, stellen Konzept und erste Erfahrungen eines vergleichbaren Projektes zur Ausbilderqualifizierung aus der Metall- und Elektroindustrie vor.
  • Uta Kupfer, Hauptamtliche aus dem Bildungsbereich der Ver.di Hauptverwaltung, führt in ein Ausbildungsprojekt aus den BGV-Versicherungen, einem Unternehmen aus der Versicherungswirtschaft ein, das von Lydia Krieg, einer Ausbildungsleiterin des Unternehmens, in einem Interview vorgestellt wird.
  • Aus der Industrie stammen zwei Ausbildungsprojekte:
  • Gerhard Labusch-Schönwald, Andreas Kahl-Andresen und Maximilian Hoppe berichten über ein Ausbildungsprojekt der Aurubis AG aus Hamburg.
  • Alisa Engelhardt, zurzeit Praktikantin im Bereich Betriebsratskommunikation beim Betriebsrat der Audi AG in Ingolstadt, informiert über ein Ausbildungsprojekt der Fa. Audi.
  • Aus einer Berufsschule in Niebüll haben wir ein weiteres Projekt aufgenommen. Es wird von Eckhard Marten, vorgestellt.

Ein wichtiges Anliegen ist uns, die Jugend zu Wort kommen zu lassen. Julian Uehlecke, hauptamtlich tätig in der DGB – Gewerkschaftsjugend, stellt unter der Überschrift: „Ausbildung nachhaltig ermöglichen – Azubi-Wohnheime als eine Gelingensbedingung der sozial-ökologischen Transformation“ eine konkrete Aktivität der Gewerkschaftsjugend vor.

Stephan Köster hat uns in einem längeren Interview über die Aktivitäten und den Entstehungszusammenhang von „Azubis for Future“ informiert.

Unser letzter Beitrag von Gerhard Endres, Mitarbeiter in unserer Redaktionsgruppe, wird von einem historischen Blick auf die gewerkschaftliche Umweltpolitik geprägt. Es werden Schlaglichter auf die Entwicklung der Forderungen zur Umweltpolitik des DGB geworfen. Einen ausführlichen Platz nimmt ein Statement von Erhard Eppler ein, der einen beeindruckenden Vortrag auf der Oberhausener Tagung der IG Metall von 1972 zur „Qualität des Lebens“ gehalten hat.

Hinweisen möchten wir abschließend auf weiterführende Literatur und Handlungsempfehlungen.

Zu guter Letzt möchten wir auf einen thematisch passenden Beitrag von Gerhard Bosch aus einer früheren Ausgabe verweisen: https://denk-doch-mal.de/gerhard-bosch-die-duale-berufsausbildung-eine-gute-basis-fuer-die-transformation/

Wir hoffen, dass auch diese Ausgabe von DENK-doch-MAL auf Interesse stößt, viel Spaß beim Lesen bereitet, dem Thema mehr Aufmerksamkeit gibt und zum Handeln anregt. Über Anfragen an die Autorinnen und Autoren würden sie und wir uns sehr freuen.

Zuvorderst bei diesen, aber auch bei all den Kolleginnen und Kollegen, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen, möchten wir uns ganz herzlich für die Beiträge und die Unterstützung bedanken. DENK-doch-MAL ist ein ehrenamtliches Projekt. Diese Ausgabe wurde gemeinsam von einer Arbeitsgruppe erstellt.

Daniela Ahrens, Gerhard Endres, Franz Kaiser, Bernd Kaßebaum, Gerhard Labusch

Autoren

  • Senior Researcher, Universität Bremen, Institut Technik und Bildung

    Alle Beiträge ansehen
  • Gerhard Endres ist freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, er lebt in München. Er ist erster Vorsitzender des Netzwerks für Gesellschaftsethik.

    Alle Beiträge ansehen
  • Prof. Dr. Franz Kaiser, Direktor des Instituts für Berufspädagogik an der Universität Rostock, Schreinerausbildung, Studium für das Lehramt an beruflichen Schulen, Master Pädagogik, Promotion zu Zeit und Beruf, Ordnungsarbeit am BIBB, Benachteiligtenprojekte und Forschung zu kaufmännischen Berufen, internationalen Vergleichen, Geschichte, kritischer Berufsbildung und Lernen in Gruppen. Mitglied im Wiss. Beraterkreis von IGM und ver.di.

    Alle Beiträge ansehen
  • Bernd Kaßebaum war bis Ende 2016 Gewerkschaftssekretär beim IG Metall Vorstand im Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik. Seine Arbeitsfelder umfassten Themenstellungen aus Schule und Arbeitswelt; Hochschulpolitik und Bildungsforschung. Veröffentlichungen u.a. zum Thema Beruflichkeit, Durchlässigkeit und Hochschulreform. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich. So engagiert er sich im Wissenschaftlichen Beraterkreis von ver.di und IG Metall zu Bildungsfragen und in der Redaktion von DENK-doch-MAL.de

    Alle Beiträge ansehen
  • Ausbilder im technischen, kaufmännischen und Dienstleistungsbereich. Aktuell Qualifizierung von Ausbildungspersonal bei der Aurubis AG Hamburg. Sachverständiger in Neuordnungsverfahren verschiedener Berufe für ver.di und IG Metall. Prüfer und im Berufsbildungsausschuss der Handelskammer Hamburg.

    Alle Beiträge ansehen