Michael Swoboda (Projektberater für das iftp im bfw)

Dass Weiterbildung wichtig für eine gesunde Unternehmenskultur ist, haben zahlreiche Studien belegt. Die Vorteile reichen von einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, über eine höhere Mitarbeiterbindung (vgl. Shiri et al. 2023) bis hin zur gelungenen Einführung neuer Technologien (vgl. Goetz, 2024). Dementsprechend ist Weiterbildung auch ein Teil der Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS), unter ESRS S1-13 werden die Aktivitäten und spezifische Kennzahlen der Unternehmen zu Weiterbildung und Kompetenzentwicklung angefordert. All das zeigt, eine gelebte Weiterbildungskultur ist zentral für eine nachhaltige Unternehmenskultur. Aufgrund der großen Bedeutung von betrieblicher Weiterbildung dürfte der Weiterbildungslandschaft eine rosige Zukunft bevorstehen.

Doch zwei Zahlen machen stutzig:

  1. Die Weiterbildungsquote lag 2022 bei 58 % und hat sich damit gegenüber 2020 (60 %) nicht verbessert, obschon sich Deutschland das nationale Ziel gesetzt hat, bis 2030 eine Weiterbildungsquote von 65 Prozent zu erreichen (vgl. BMBF, 2024).
  2. 77 % der Personen mit Hochschulabschluss nahmen 2020 Weiterbildungsangebote wahr, während es nur 47 % bei der Gruppe ohne Berufsabschluss waren. Dieser große Abstand ist auch im Vergleich zu 2012 relativ konstant. (vgl. Ehlert, 2024, S. 122).

Möglichkeiten der Weiterbildungsberatung

Die Zahlen zeigen, dass gehandelt werden muss, um das nationale Ziel zu erreichen. Unter anderem muss die Zielgruppenansprache verbessert werden, damit möglichst alle Beschäftigtengruppen von Weiterbildung gleichmäßig profitieren.  Weiterbildungsberatung kann dabei ein wichtiges Instrument sein, um das Weiterbildungsangebot in Unternehmen zu verbessern und den Einzelnen zu befähigen, für sich die passende Weiterbildung zu finden.

Das erscheint umso dringender mit dem Wissen, dass sich 2022 41 % der 18 bis 70-Jährigen mehr Informationen und Beratungen zu Weiterbildungsangeboten gewünscht haben. 2016 lag der Anteil noch bei 20 % (vgl. BMBF, 2024, S. 244). Gleichzeitig deuten Untersuchungen des IAB darauf hin, dass die Möglichkeiten der geförderten beruflichen Weiterbildung vielen Betrieben unbekannt sind (vgl. Schludi et al., 2023).

Die Nationale Weiterbildungsstrategie verbindet mit Weiterbildungsberatung das Ziel „mögliche Qualifizierungsbedarfe und -möglichkeiten für Unternehmen und für den Einzelnen auf(zu)zeigen und dazu bei(zu)tragen, dass Ratsuchende auf einer gut vorbereiteten und informierten Basis Weiterbildungsentscheidungen […] eigenständig treffen können.“ (Nationale Weiterbildungsstrategie, 2019, S. 10). Die Nationale Weiterbildungsstrategie unterscheidet damit auch zwischen der personenbezogenen und organisationsbezogenen Weiterbildung.

Bei der personenbezogenen Weiterbildungsberatung sollen dem Individuum Entscheidungs- und Orientierungshilfen gegeben werden. Dies kann z.B. durch eine Kompetenzentwicklungsberatung oder einer Laufbahnberatung erfolgen. (vgl. Schiersmann, 2006 S. 144ff.) In Anbetracht der komplexer werdenden Bildungs- und Berufsbiografien, ergeben sich für den Einzelnen die Anforderungen, „eine möglichst flexible Bildungs- und Berufsbiografie zu entwerfen und umzusetzen.“ (Schiersmann, 2022, S. 45). Der Einzelne trägt dabei die Verantwortung für seinen beruflichen Aufstieg, aber auch für seinen Abstieg. Professionelle Beratung soll dabei durch Reflexion, Entscheidungs- und Orientierungshilfen unterstützen (vgl. Schiersmann, 2022, S. 44ff.).

Bei der Organisationsbezogenen Beratung liegt der Schwerpunkt auf der Qualifizierungsberatung von Betrieben, aber auch auf der Organisationsberatung für Weiterbildungseinrichtungen (vgl. Schiersmann, 2006, S. 143). Letztere nimmt bei der Nationalen Weiterbildungsstrategie eine eher untergeordnete Rolle ein., Eher wird der Fokus auf die Beratung von Unternehmen gelegt, z. B. durch Weiterbildungsagenturen (vgl. Nationale Weiterbildungsstrategie, 2025, S. 21,). Die beiden Beratungsschwerpunkte sind dabei allerdings nicht getrennt voneinander zu sehen, sondern sie bedingen einander (vgl. Schiersmann, 2006, S. 143).

In Deutschland besteht eine breite Beratungsstruktur in der Weiterbildungslandschaft, bestehend aus diversen Institutionen und Organisationen. Die Arbeitsagenturen bieten dabei Beratungsangebote unter der Überschrift „Lebensbegleitende Berufsberatung“ für den Einzelnen an und durch den Arbeitgeberservice auch für Unternehmen. Kammern und Wirtschaftsverbände unterstützen ihre Mitgliederbetriebe. Gewerkschaften sind eine wichtige Anlaufstelle für ihre Mitglieder und die gesetzlichen Interessenvertretungen. Ergänzt wird die Beratungsstruktur durch privatwirtschaftliche Beratungsfirmen, die ihren Schwerpunkt auf die Unternehmensberatung oder die individuelle Karriereberatung setzen (vgl. BiBB, 2019, S.4f). Die Nationale Weiterbildungsstrategie hat das Ziel, die Zugänge zu Weiterbildungsberatung zu vereinfachen und Transparenz zwischen den zahlreichen Angeboten zu schaffen. Ein Ergebnis dessen ist die Online-Plattform „mein NOW“, die Weiterbildungsmöglichkeiten und Beratungsstellen schnell und einfach auffindbar machen soll. (vgl. Nationale Weiterbildungsstrategie, Bericht zur Fortführung, 2022, S. 15).  Zwar mag damit das Auffinden von Weiterbildungsangeboten und -beratungen einfacher sein, doch löst es nicht das Problem des mangelnden Impulses. Am Anfang einer Suche steht das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Weiterbildung – sowohl auf Seiten des Einzelnen als auch der Unternehmen. Oder kurz gesagt: sind die Möglichkeiten und die Notwendigkeit von Weiterbildung unbekannt, werden auch keine Beratungsangebote oder Plattformen aufgesucht. Es bedarf daher eine vermittelnde Funktion zwischen Weiterbildungsangebot, Beratung und potenziellen Weiterbildungsprofiteuren.

Weiterbildungsmentor*in als Bindeglied

An diesem Punkt könnten die Weiterbildungsmentor*innen ansetzen. Sie wurden zwischen 2021 und 2024 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. In vier Projekten wurden Mitarbeitende qualifiziert, die innerhalb ihrer Betriebe Kolleg*innen für Weiterbildung motivieren sollen oder Weiterbildungshürden ggf. zusammen mit der Arbeitgebendenseite abschaffen sollen (vgl. Jaich, 2022). Im Anbetracht der zahlreichen Möglichkeiten der Weiterbildungsberatungen scheint es kontraintuitiv zu sein, noch ein weiteres Angebot einzuführen. Doch könnten die Weiterbildungsmentor*innen, die Lücke zwischen Weiterbildungsberatung und Weiterbildungsprofiteur*innen auf der individuellen Ebene schließen und auf der organisatorischen Ebene genau die Schlüsselstellen zu erreichen, die essenziell für eine gelebte Weiterbildungskultur sind. Sie wären somit ein wichtiges Bindeglied zwischen dem bereits bestehenden Angebot und den Kolleg*innen.

Auf der individuellen Ebenen bedeutet dies, Mitarbeitende an die Bedeutung der Weiterbildung zu erinnern, sie zu motivieren, an Weiterbildungsberatung teilzunehmen. Mit den Weiterbildungsmentor*innen ist insbesondere die Hoffnung verbunden, die bildungsbenachteiligten Beschäftigtengruppen zu erreichen. Gerade, wenn die Weiterbildungsmentor*innen selbst Hürden bei der Weiterbildung erfahren haben, besteht eine hohe Chance, dass sie gezielt Kolleg*innen motivieren (vgl. Thomas et.al, 2024, S. 200). Zumal bei dieser Personengruppe die Vermutung naheliegend ist, dass sie von sich aus keine Beratungen bzw. Plattformen aufsuchen würden. Häufig bestehen durch negative Lernerfahrungen Ängste vor einer Teilnahme an Lernveranstaltungen oder der Glaube fehlt, dass eine Teilnahme erfolgreich sein. Eine aktive Ansprache und Zuspruch kann daher sehr effektiv sein (vgl. Lachmayer, 2016, S.34ff.). Die Erfahrungen aus dem Projekt mendi.net deuten darauf hin, dass sie auch auf der organisatorischen Ebene einen entscheidenden Beitrag für eine gelebte Weiterbildungskultur leisten. Indem sie für Weiterbildungshürden im Betrieb sensibilisieren und auf die Möglichkeit von Förderprogrammen und Beratungsstellen für Unternehmen verweisen. Sie können dies, weil sie durch die vielen Gespräche mit Kolleg*innen um die Hürden wissen und die Bedarfe durch ihre tägliche Arbeit kennen. Sie wären somit betriebsinterne Expert*innen, die sich nicht wie externe Expert*innen einarbeiten müssen und langfristig im Unternehmen wirken. Bei all ihren Tätigkeiten ist es entscheidend zu erkennen, dass Weiterbildungsmentor*innen in erster Linie Impulse geben und Prozesse initiieren sollen, ohne bestehende Strukturen zu ersetzen (vgl. Gute Praxis, 2024)

Das Beispiel der Weiterbildungsmentor*innen zeigt, dass eine gelebte Weiterbildungskultur im Betrieb ein Gemeinschaftsprojekt aller Akteur*innen ist. Es braucht einen ständigen Austausch und die organisatorische Ebene darf dabei nicht ohne die individuelle Ebene gedacht werden. Eine ganzheitliche Weiterbildungsberatung muss daher an beiden Ebenen ansetzen und zugleich sollte aktiv auf Personen und Schlüsselstellen zugegangen werden. Denn die besten Weiterbildungsberatungsstellen und die durchdachtesten Angebote haben keinen Nutzen, wenn sie nicht wahrgenommen werden.  Die Weiterbildungsmentor*innen ersetzen dabei keine bestehenden Angebote der Weiterbildungsberatung. Sie können jedoch Verbündete für Weiterbildungsberatung sein und als entscheidendes Bindeglied wirken, das Orientierung bietet, den Zugang erleichtert und Bewusstsein für die Bedeutung von Weiterbildung schafft.

Hinweis: DENK-doch-MAL hat sich mit einer eigenen Ausgabe den Weiterbildungsmentoren gewidmet. Siehe Ausgabe 01/2022: Förderung der betrieblichen Weiterbildung durch Weiterbildungsmentoren

BMBF. (2022). Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2022: Ergebnisse des Adult Education Survey — AES-Trendbericht. https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/1/26667_AES-Trendbericht_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Bundesinstitut für Berufsbildung. (2019). Weiterbildungsberatung in Deutschland – Angebote, Strukturen und Entwicklungsfelder. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/Weiterbildungsberatung_in_Deutschland.pdf

Ehlert, M. (2024). Teilnahme an Weiterbildung. bpb.de. https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/sozialbericht-2024/553126/teilnahme-an-weiterbildung/

FORTFÜHRUNG UND WEITERENTWICKLUNG Gemeinsam für ein Jahrzehnt der Weiterbildung – Aufbruch in die Weiterbildungsrepublik Nationale Weiterbildungsstrategie. (2019). [Report]. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/220901_NWS_Fortfuehrung.pdf

Jaich, R. (2022). Weiterbildungsmentoren. Denk-doch-mal.de. https://denk-doch-mal.de/roman-jaich-weiterbildungsmentoren-eine-neue-schillernde-figur-mit-vielfaeltigen-aufgaben-in-der-betrieblichen-arena/

Lachmayr, N., & Gugenberger, I. (2016). Weiterbildungsferne Personen besser erreichen. Erkenntnisse aus einer aktuellen Studie in Niederösterreich. Berufsbildung in Wissenschaft Und Praxis5/2016, 34–37.

Nationale Weiterbildungsstrategie. (o. D.). NATIONALE WEITERBILDUNGSSTRATEGIE. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/a42_190611_BMAS_Strategiepapier.pdf

Schiersmann, C. (2006). Beratung von Individuen und Organisationen im Kontext des lebenslangen Lernens. In Zukunftsfeld Weiterbildung (S. 141–159). Deutsches Instituts für Erwachsenenbildung. https://doi.org/10.3278/81/0098w

Schiersmann, C. (2022). Weiterbildungsberatung im Kontext der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Hessische Blätter für Volksbildung, 72, 43–53. https://doi.org/10.3278/hbv2201w005

Schludi, M. (2025, 28. Januar). Warum Betriebe die Weiterbildungsförderung für Beschäftigte bislang eher wenig nutzen – IAB-Forum. IAB-Forum. https://www.iab-forum.de/warum-betriebe-die-weiterbildungsfoerderung-fuer-beschaeftigte-bislang-eher-wenig-nutzen/

Shiri, R., El-Metwally, A., Sallinen, M., Pöyry, M., Härmä, M. & Toppinen-Tanner, S. (2023). The Role of Continuing Professional Training or Development in Maintaining Current Employment: A Systematic Review. Healthcare, 11(21), 2900. https://doi.org/10.3390/healthcare11212900

Thomas, M., Elsholz, U. & Huynh, H. N. (2024). Weiterbildungsmentor:Innen: Qualifizierungskonzepte für eine neue Rolle in der betrieblichen Bildung. In Betriebliches Aus- und Weiterbildungspersonal im Fokus der Berufsbildungsforschung.

Zemke, R./Zemke, S. (2003): Thirty Things We Know for Sure about Adult Learning. URL: www.pcma.org/ publications/adultslearn/thirtythings1.htm

Autor

  • Michael Swoboda absolvierte sein Masterstudium der Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit vier Jahren ist er als Projektberater für das iftp im bfw tätig. In diesem Rahmen arbeitete er unter anderem für das ver.di-Weiterbildungsmentoringprojekt mendi.net  (gefördert vom BMBF), welches Weiterbildungsmentor*innen in öffentlichen Verwaltungen und Dienstleistungsbetrieben beriet und qualifizierte.

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