Editorial: Was Leserinnen und Leser von dieser Ausgabe erwarten dürfen

Dr. Bernd Kaßebaum (Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL) und Gerhard Endres (Freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, München)

Mit dem Schlagwort der „Künstlichen Intelligenz“ erhält die Diskussion über Ursachen und Folgen der Digitalisierung einen neuen Schwung. Auf Betriebe und Gesellschaft kommt eine neue Debatte zu. Dabei wurde schon vor Jahrzehnten über künstliche Intelligenz geschrieben und geforscht. Wir haben in den letzten Jahren allerdings erfahren und gelernt, dass zu unterscheiden ist zwischen dem, was versprochen und angekündigt wird, und dem was tatsächlich an realen Veränderungen zu erwarten ist bzw. sich aufgrund bestimmbarer sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen und Interessen in Betrieben und Gesellschaft durchsetzen wird.

Diese fortlaufende Diskussion, insbesondere zu dem Verhältnis von Digitalisierung, Arbeit und Bildung, hat auch DENK-doch-MAL in einer Reihe von Ausgaben zu einem Schwerpunkt gemacht.

Spätestens seit die Enquete-Kommission zur Künstlichen Intelligenz[1] im Oktober 2020 ihre Berichte vorgelegt und die Bundesregierung die von Acatech koordinierte Plattform Lernende Systeme etabliert hat[2], hat der Diskurs über die Transformation der Arbeitswelt und der Gesellschaft und damit auch der Digitalisierungsdiskurs einen zusätzlichen Schub und aktuelle Akzente bekommen. Die Ziele der Plattform-Initiative sind breit gefasst: so stehen Fragen der sozialverträglichen Entwicklung von KI und ihren Anwendungen ebenso obenan wie die Förderung des gesellschaftlichen Diskurses.

Zweifelsohne ragt jedoch ein Ziel heraus: „Deutschland als führenden Technologieanbieter für Lernende Systeme positionieren.“ (vgl. Anm. 2). Der ökonomische Zusammenhang ist also offensichtlich.

Nadine Müller vom ver.di Hauptvorstand diskutiert die gewerkschaftliche Vertretung in den Arbeitsgruppen der Plattform vor dem Hintergrund der gewerkschaftlichen Politik zu KI und stellt trotz einiger Erfolge eine Reihe von Defiziten fest. Norbert Huchler, der als Wissenschaftler an diesem Prozess beteiligt ist, stellt das gerade veröffentlichte „Whitepaper >Kompetenzen für KI<“ vor. Er kommt dabei in seinem Beitrag zu der Auffassung: „Eine sozial nachhaltige Kompetenzentwicklung“, die sich gewissermaßen als gemeinsamer Focus im Whitepaper herausarbeiten ließe, „muss daher Kompetenzentwicklung und Arbeits-/ Technikgestaltung systematisch zusammendenken bzw. auch Anforderungen an die Arbeits- und Technikgestaltung formulieren.“

Viel öffentliches Geld wird verwandt, um betriebliche Anwendungen zu realisieren. Neben vielen anderen öffentlich geförderten Projekten, z.B. zum Transfer in kleinen und mittleren Unternehmen, ist für die Gewerkschaften das im Rahmen der INQA-Initiative (INQA steht für Initiative Neue Qualität der Arbeit) gestartete Projekt humAIn work lab interessant. Dessen propagiertes „Ziel ist es, menschenzentrierte KI-Lösungen zu entwickeln und zu erproben und dabei die Beschäftigten selbst zu aktiven Gestalterinnen und Gestaltern ihrer Arbeitswelt zu machen“.[3] Das lassen wir mal so stehen. Der Beitrag von Tobias Kämpf und Barbara Langes basiert auf Erfahrungen mit dem Programm und einzelnen Projekten.

Lutz Bellmann und Werner Widuckel beschreiben mögliche Beschäftigungswirkungen und stellen arbeitsmarktpolitische Vorschläge zur beschäftigungs- und qualifikationssichernden Einflussnahme seitens der Betriebs- und Personalräte, der Gewerkschaften und der Politik vor.

Zwei konkrete Projekte, die wir gerne in dieser Ausgabe vorstellen wollten, stehen erst am Anfang ihrer Arbeit. Wir hoffen, dies bei Gelegenheit nachholen zu können.[4]

Doch was soll sinnvoll unter Künstlicher Intelligenz verstanden werden?

Die Enquete-Kommission zur Künstlichen Intelligenz ging von folgender Definition von KI aus: „KI-Systeme sind von Menschen konzipierte, aus Hardware- und/oder Softwarekomponenten bestehende intelligente Systeme, die zum Ziel haben, komplexe Probleme und Aufgaben in Interaktion mit der und für die digitale oder physische Welt zu lösen.“ (bt- drucksache S. 51).

Die sich hier scheinbar ausdrückende Eindeutigkeit wird durch eine Vielzahl von Akzentsetzungen in Politik, Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft relativiert. Dies wird auch deutlich beim Lesen der in dieser Ausgabe von DENK-doch-MAL versammelten Beiträge.

An der Schnittstelle von Informatik und Pädagogik sind die Kernbegriffe „maschinellen Lernens“, insbesondere die Begriffe der Intelligenz, des Wissens, der Erfahrung, natürlich des Lernens selbst kritisch zu hinterfragen. Dazu ist insbesondere auf die Beiträge von Sophia Roppertz und Welf Schröter zu verweisen.

Ein Spezifikum der neuerlichen Debatte um Künstliche Intelligenz sei ihre „technikzentrierte Perspektive“ (Hirsch-Kreinsen / Karacic 2019, S. 12)[5], die vielfach die ökonomischen, organisatorischen und sozialen Aspekte ausblende und sich zudem mit einer optimistischen Sicht verbinde, wie sie auch für andere technikzentrierte Diskurse typisch gewesen sei: „Auch beim Konzept der Autonomen Systeme handelt es sich um ein Technologieversprechen, das vor allem ausgeprägt technikoptimistische Züge im Hinblick auf seine sozio-ökonomischen Konsequenzen ausweist.“ (ebd.).

Andere verweisen auf die aus politischen wie ökonomischen Gründen durchaus aktiv betriebene Überhöhung der Debatte. Ein Moment, das in dieser Ausgabe auch bei Fritz Böhle eine Rolle spielt. Die in der medialen Öffentlichkeit immer wieder zitierten Anwendungsbeispiele würden aus seiner der Sicht von den zentralen Problemen und Herausforderungen in der Arbeitswelt ablenken. Die über Industrie 4.0 geführte Debatte führe zudem dazu, dass Anwendungen und ihre Probleme in den Dienstleistungen aus dem Blickpunkt gerieten.

Auch Welf Schröter „erdet“ diese Debatte, indem er von einem „Marketingzauber“ um KI spricht und sich für eine „nüchterne“ Herangehensweise an das Thema ausspricht, um auf der Basis dann tatsächlich neue Entwicklungen und Herausforderungen herauszuarbeiten. Diese spitzt er in dem Gedanken zu, dass mittels KI die „Handlungsträgerschaft Mensch“ in die „Handlungsträgerschaft Softwaresystem“ münden solle. Aus Assistenztechnik, die menschliches Handeln unterstütze, werde eine Delegationstechnik, die partielle Entscheidungsfelder automatisiere. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Gestaltungsstrategie.

Auch Tobias Kämpf und Barbara Langes heben den „schillernden“ Charakter der Debatte hervor genauso wie Thorben Albrecht und Julia Görlitz die aktuelle Debatte in den historischen Prozess einer weitzurückreichenden Debatte um Künstliche Intelligenz integrieren. In beiden Beiträgen wird auch der ökonomische Hintergrund insofern ausgeleuchtet, dass KI als „Schlüsseltechnologie der ‚Informationsökonomie‘“ begriffen wird (Kämpf / Langes), in der die Datenmengen selbst zum ökonomischen Rohstoff würden. So lassen sich die Auswirkungen KI-gestützter Softwaresysteme in einer Reihe von Branchen beobachten, insbesondere in der IKT-Branche, in Softwarebetrieben, in der Logistik oder im Bankwesen, wo eine „massive Schrumpfung der Beschäftigung bei der gleichzeitigen Aufwertung verbliebener Arbeitsplätze durch die Weiterbildung im Umgang mit neuen Technologien (zu) beobachten (ist).“ (Albrecht / Görlitz)

Wir hatten bei der Planung dieser Ausgabe gehofft, eine Brücke zu der umfassenden Debatte um das Verhältnis von Digitalisierung und Ökonomie bauen zu können, weil wir vermuten, dass in dieser Debatte rund um denDigitalen Kapitalismus nicht nur ein abstrakter Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft zu erzielen, sondern auch manche Einsicht in eine neue Qualität von Verwertungsbedingungen und der mit ihnen verknüpften sozialen Widersprüche und daraus abzuleitenden Handlungsstrategien zu finden ist. In den Beiträgen dieser Ausgabe werden zentrale Bezüge zu den veränderten Wertschöpfungs- und Verwertungsstrategien, zur Macht und zum Einfluss der großen Internetkonzerne und zu den Wirkungen der Plattformökonomien für Arbeit und Beschäftigung andiskutiert.

Die Frage bleibt, ob die Änderungen so groß sind, dass berechtigter Weise von einem „digitalen Kapitalismus“ gesprochen werden sollte (vgl. stellvertretend die Veröffentlichungen von Sabine Pfeiffer, Philipp Staab oder Tobias Kämpf), und sich daraus auch ein Thema für Arbeits- und Bildungspolitik ergibt. Viel spricht dafür. Die Diskussion müsste an anderer Stelle noch einmal aufgenommen werden.[6]

Schaut man in die Ausgaben von DENK-doch-MAL der vergangenen Jahre, so stellt man fest, dass insbesondere die Bedeutung der Digitalisierung für berufliche Aus- und Weiterbildung eine große Rolle gespielt hat. Zuletzt wurde in der Ausgabe 02-18 danach gefragt, wie „(berufliches) Lernen in digitalen Zeiten“ vonstattengehen könne und welche Herausforderungen, Probleme und Chancen zu benennen wären. Stellvertretend für andere Beiträge verweisen wir auf das Editorial von Roman Jaich. Auch in anderen Ausgaben sind Beiträge zu finden, u.a. verweisen wir auf den Beitrag von Sigrid Hartong in der Ausgabe 02-20 über die Herausforderungen durch die Algorithmisierung von Bildung.

Sophia Roppertz wirft in ihrem Beitrag in dieser Ausgabe den kritischen Blick auf aktuelle Anwendungsfelder von KI im Bildungsbereich, wobei sie sich insbesondere Anwendungen in den Bereichen Lernen und Bewerten anschaut. Anstelle des technisch Machbaren setzt sie sich für die Berücksichtigung pädagogischer und ethischer Grundsätze ein und diskutiert an einem konkreten Beispiel die Bedeutung der beruflichen Fortbildung für Lehrkräfte der berufsbildenden Schulen.

Matthias Becker, Georg Spöttl und Lars Windelband stellen in ihrem Beitrag ein Modell vor, das die Beschreibung, Entscheidung und Bewertung von KI gestützter Facharbeit ermöglichen soll. Ihre Absicht ist, mit Hilfe des Modells Hinweise zu geben, welche Inhalte für die Ausgestaltung von Facharbeitsberufen relevant sind. Damit legen sie den Blick sowohl auf die Frage, entlang welcher Kriterien eine sinnvolle Bestandsaufnahme der Arbeitsanforderungen in KI gestützten Arbeitsprozessen erfolgen könnte, die auch über den Kreis der Berufsbildungsexpertinnen und –experten hinaus von Interesse sein wird. Zugleich skizzieren sie ein Handlungsmodell für die Beschreibung von Facharbeit in KI-gestützten Prozessen und bieten damit ein Instrument zur Gestaltung von Facharbeit und Berufen an.

Lohnenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick in das schon genannte „Whitepaper >Kompetenzen für KI<“. Norbert Huchler stellt die Systematiken ausführlich vor.

In unserem Verständnis stehen (gute) Arbeit und (gute) Bildung bzw. Berufsbildung in einem engen, sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis. Beide Seiten werden etwa durch die (erweiterte) Beruflichkeit des Qualifizierungsprozesses und durch die an der Beruflichkeit ausgerichteten Arbeitsinhalte zusammengeführt. So wichtig dieser Zusammenhang im Allgemeinen ist, so schwierig ist es, diesen Zusammenhang auf das Themenfeld digitalisierter Facharbeit herunter zu brechen.

Aus gewerkschaftlicher Sicht lässt sich dabei konstatieren, dass gute, d.h. auch qualifizierte und qualifizierende, Arbeit und eine diese Arbeit ermöglichende Qualität von Berufsbildung nicht im Selbstlauf zu haben sind. Es braucht betriebliche und gesellschaftliche Anstrengungen. Unklar scheint dabei auch, ob es reicht, Berufe anzupassen oder ob nicht neue Berufe entwickelt und. das Beruflichkeitskonzept und die Berufsbildung insgesamt weiterentwickelt werden müssen.

So wie die Möglichkeiten einer an dem Schutz und der Entwicklung von Facharbeit orientierten Gestaltung dieser Arbeitsprozesse bisher erst in Anfängen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden, so wird auch die Diskussion über die Schlussfolgerungen für die berufliche Bildung, für berufliche Qualifizierung, Berufsprofile und Beruflichkeitskonzepte mit den vorliegenden Ergebnissen der Anpassung der Berufe und die Verabschiedung der Standardberufsbildpositionen mit dem wichtige Hinweis auf den Stellenwert von Persönlichkeitsbildung nicht beendet sein. So „wie bereits bei der Digitalisierung geschehen stellt sich die Frage, ob sich durch den Einfluss von KI eigenständige neue, oder eher integrative und veränderte Kompetenzanforderungen für die berufliche Facharbeit ergeben.“ (Becker u.a. 2021, S. 48).[7]

Ob es für eine Strategie der Herstellung qualifizierter Arbeit oder für eine weitreichende Reform der Berufe im Rahmen KI-gestützter Arbeitsprozesse genügend Indizien gibt, zieht sich als Frage im Prinzip durch alle Beiträge dieser Ausgabe. Einig sind sich die Autorinnen und Autoren, dass es hierfür weitreichender gesellschaftspolitischer und betriebspolitischer, arbeitsmarkt-, arbeits- und (berufs-)bildungspolitischer Initiativen bedarf.

Es besteht eine relativ große Einigkeit für die betriebliche Ebene von Arbeitspolitik, dass traditionelle Schutz- und Gestaltungsgrenzen angesichts der Herausforderungen an Grenzen stoßen. Detlev Gerst aus dem Ressort Zukunft der Arbeit beim Vorstand der IG Metall, der aus Zeitgründen keinen Beitrag für diese Ausgabe schreiben konnte, spricht deshalb von der Notwendigkeit der „Arbeitssystemgestaltung“ (vgl. Gerst 2019), „weil betriebliche Veränderungsprozesse nicht mehr nur den einzelnen Arbeitsplatz, sondern das gesamte Arbeitssystem einschließlich seiner digitalen Doppelung (…) in den Focus rückt.“ (ebd.).[8]

Welf Schröter denkt in eine ähnliche Richtung. Er stellt uns das im Forum Soziale Technikgestaltung entwickelte Konzept der „Antizipierende(n) vorausschauende(n) Arbeitsgestaltung“ vor, dessen Stoßrichtung sei, nicht erst bei der Anwendung, sondern bereits bei der Entwicklung oder Anpassung der Algorithmen einzugreifen. Arbeitspolitik wird hier um den Faktor Technikgestaltung erweitert. Und um den Gegensatz zwischen den Handlungsmöglichkeiten von Betriebs- und Personalräten einerseits und dem professionalen Handeln von IT-Expertinnen und Experten anderseits begegnen zu können, schlägt das Forum Soziale Technikgestaltung dafür spezielle Dialogformen vor.

So wie sich das von Welf Schröter vorgestellte Konzept an einem Kriterienkatalog orientiert, eine Liste von dreißig „generischen“ Kriterien zur Gestaltung und Zulassung „Algorithmischer Steuerungs- und Entscheidungssysteme“, so macht auch Roland Konopac, Betriebsrat und Sprecher des Ausschusses für Datenverarbeitung im Gesamtbetriebsrat der Siemens AG, deutlich, dass sich Interessenvertretung an Kriterien orientieren muss. Dabei stellt er das im Rahmen den von der EU-Kommission entwickelte Entwurf „vertrauenswürdiger KI“ vor, das auch die Grundlage der Gespräche mit der Geschäftsleitung geworden ist. Gerhard Endres fasst dieses Konzept in einem ergänzenden Beitrag zusammen. Sichtbar werden die Grenzen der bestehenden gesetzlichen Mitwirkungsrechte für Betriebs- und Personalräte. Die Mitwirkungsrechte in Bezug auf die von KI hervorgerufenen Fragen müssen dringend erweitert werden. Damit sind die politischen Parteien in die Pflicht zu nehmen. Dies wird auch in dem Beitrag von Thorben Albrecht und Julia Görlitz deutlich, die den aktuellen Referentenentwurf kritisch betrachten.

Die Wirkungen von KI auf Beschäftigung und Qualifizierung werden von einer Reihe von Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe entlang von Szenarien und unterschiedlichen Entwicklungspfaden diskutiert. Bezieht man sich, wie Lutz Bellmann und Werner Widuckel auf die Szenarien, die z.B. von Ittermann und Niehaus in die Diskussion gebracht wurden[9], so lassen sich unterschiedliche Optionen mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen auf Beschäftigung, Qualität der Arbeit und den Stellenwert von Facharbeit nennen, die deutlich machen, wie wichtig betriebliche Mitbestimmung und politische Maßnahmen sind, um die Einführung von KI sozial abzufedern und sozial zu gestalten. Zentrale Themen sind hierbei sowohl auf der betrieblichen wie auf der gesellschaftlichen Ebene die Sicherung der Beschäftigung, die Förderung von Weiterbildung und Qualifizierung, Rahmenbedingungen für die Flexibilität der Arbeitszeit und von Verfügbarkeitsansprüchen gegenüber Beschäftigten, die Regulierung des Arbeitnehmerdatenschutzes sowie der Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie wie weiterer Felder des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Zwei Beiträge führen uns zum Schluss in die engere Diskussion auf der Vorstandsebene von ver.di und IG Metall ein. Nadine Müller, die uns auch an ihren Erfahrungen in den Verhandlungsprozessen der Plattform Lernende Systeme teilhaben lässt, stellt die Positionen von ver.di vor. Ein besonderes Augenmerk richtet sie auf die „Ethischen Leitlinien für Künstliche Intelligenz“. Für sie als Autorin, für ver.di insgesamt gibt es einen wichtigen Grundsatz: Künstliche Intelligenz ist Werkzeug, Mittel zum Zweck. Gerade für KI sind wie bei jeder unsicheren Technik zudem rote Haltelinien einzuziehen: Es darf keine KI-Anwendungen geben, die Menschen schaden, die gegen Menschen- und Grundrechte verstoßen.

Thorben Albrecht und Julia Görlitz vom Vorstand der IG Metall diskutieren hinsichtlich der Frage, welcher Art die Regulierung von Künstlicher Intelligenz sein solle, und auf welchen Ebenen Gewerkschaften handeln müsse, auch die europäische Ebene. So werde in dem gegenwärtig verhandelten Verordnungsentwurf der Kommission der Bereich Arbeit und Beschäftigung in Bezug auf bestimmte, sich auf die Einstellung und die Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern beziehende KI-Anwendungen, als „Hoch-Risiko-Bereich“ definiert. Dies ist aus Sicht der Autoren bzw. aus Sicht der Gewerkschaften notwendig und dennoch unzureichend. Sowohl für die europäische wie für die nationale Ebene kritisieren sie das Fehlen von geeigneten betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten. Zur besseren Verankerung von Mitwirkungsrechten im Betriebsverfassungsgesetz werden konkrete in ihrem Beitrag konkrete Vorschläge formuliert.

Um die arbeits- und betriebspolitischen Forderungen der IG Metall durchzusetzen, ist die Qualifizierung der Betriebsräte und Vertrauensleute zentral. Der „Kompass Digitalisierung“ der IG Metall wird dabei als gutes Beispiel auch der Zusammenarbeit von Gewerkschaft und Wissenschaft herangeführt. Ihr Fazit: „Regulierung, Mitbestimmungsrechte, Bildungs- und Unterstützungsangebote sind notwendig, wenn der Einsatz von KI-Anwendungen am Arbeitsplatz zu „guter digitaler Arbeit“ führen soll.““

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe sind sich einig, dass es keinen Determinismus in die von KI geprägte Zukunft gibt, sondern dass KI im Rahmen der Transformation der Arbeitswelt und der Gesellschaft durch soziale Prozesse, Interessen und Bedürfnisse geformt wird. Dazu ist eine breite Bewegung vonnöten; wir zählen Produzentinnen und Konsumenten, Politik und gewerkschaftliche Interessenvertretung, Forschung und Wissenschaft dazu.

Ganz besonders möchten wir allen Autorinnen und Autoren zu dieser Ausgabe bedanken, die mit viel Engagement zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen haben.

Wir meinen, dass wir mit diesen Beiträgen einen für die Leserinnen und Leser von DENK-doch-MAL interessanten und informativen Bogen gespannt haben. Zudem hoffen wir, dass unsere Einführung neugierig auf diese pointierten Beiträge gemacht hat.

Bernd Kaßebaum/Gerhard Endres
Redaktionsgruppe

[1] Die korrekte Bezeichnung ist: Bericht der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale, bt-Drucksache 19/2370

[2] Vgl. https://www.plattform-lernende-systeme.de/selbstverstaendnis.html (letzter Abruf: 26.11.21)

[3] https://www.humain-worklab.de/projekt (letzter Abruf: 26.11.21)

[4] Vorstellen wollten wir

  1. Das Projekt „Crowdwork – Beruflichkeit und Plattformgestaltung“ an der Uni Hamburg (https://dtecbw.de/home/forschung/hsu/projekt-ckobelep-crowdwork)
  2. Das Projekt: Kompetenzzentrum HUMAINE an der Ruhr-Universität Bochum (https://humaine.info/ )

[5] Hartmut Hirsch-Kreinsen / Anemari Karacic (Hrsg.): Autonome Systeme und Arbeit. Perspektiven, Herausforderungen und Grenzen der Künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt, Bielefeld 2019

[6] Gemeint sind hier u.a.:

  • Tobias Kämpf: Die digitale Transformation aus produktivkrafttheoretischer Perspektive: Wohin entwickeln sich Kapitalismus und Arbeit?, in: Das Argument: Krise des Politischen (II), 2018, S. 516ff
  • Sabine Pfeiffer: Digitalisierung als Produktivkraft. Über das Neue am digitalen Kapitalismus, Bielefeld 2021
  • Philipp Staab: Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit, Frankfurt am Main 2019

[7] Matthias Becker / Georg Spöttl / Lars Windelband: Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der gewerblich-technischen Berufsbildung: in: Sabine Seufert u.a. (Hrsg.): Künstliche Intelligenz in der beruflichen Bildung, Stuttgart 2021

[8] Detlev Gerst: Autonome Systeme und Künstliche Intelligenz, in: Hirsch-Kreinsen / Karacic 2019, S. 101 – 138 (siehe Anm. 5)

[9] Peter Ittermann / Jonathan Niehaus (2019); Industrie 4.0 und Wandel der Industriearbeit – revisited. Forschungsstand und Trendbestimmungen, In: Hirsch-Kreinsen/ Helmut; Itterman/ Peter,Niehaus Jonathan (Hrsg.) Digitalisierung industrieller Arbeit – Die Vision Industrie 4.0 und ihre sozialen Herausforderungen; Baden-Baden 2018

Autoren

  • Dr. Bernd Kaßebaum

    Bernd Kaßebaum war bis Ende 2016 Gewerkschaftssekretär beim IG Metall Vorstand im Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik. Seine Arbeitsfelder umfassten Themenstellungen aus Schule und Arbeitswelt; Hochschulpolitik und Bildungsforschung. Veröffentlichungen u.a. zum Thema Beruflichkeit, Durchlässigkeit und Hochschulreform. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich. So engagiert er sich im Wissenschaftlichen Beraterkreis von ver.di und IG Metall zu Bildungsfragen und in der Redaktion von DENK-doch-MAL.de

  • Gerhard Endres

    Gerhard Endres ist freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, er lebt in München. Er ist erster Vorsitzender des Netzwerks für Gesellschaftsethik.