Editorial: Förderung der betrieblichen Weiterbildung durch Weiterbildungsmentoren

Roman Jaich (ver.di Bundesverwaltung und Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL) und Jörg Ferrando (Politischer Sekretär der IG Metall in Frankfurt/M.)

Vor dem Hintergrund der Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für die berufliche Entwicklung der Beschäftigten, der wachsenden Anforderungen an die Fachkräftesicherung und den Erhalt der beruflichen Handlungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer/innen sowie dem ungleichen Zugang zu Weiterbildungsangeboten in Abhängigkeit vom (Berufs-) Bildungsniveau zielt die Nationale Weiterbildungsstrategie auf eine stärkere und nachhaltigere Verankerung der beruflichen Weiterbildung in Erwerbsbiografien, Unternehmen und Gesellschaft.

Die betriebliche Weiterbildung wird im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie als wichtiges Handlungsfeld hervorgehoben. Die Verantwortung für die betriebliche Weiterbildung liege vorrangig bei den Unternehmen, allerdings seien an einer ganzheitlichen Verbesserung der betrieblichen Weiterbildung alle relevanten Akteure zu beteiligen. Insbesondere die Sozialpartner sollten ihre Expertise einbringen, Qualifizierungsbedarfe frühzeitig und praxisnah zu identifizieren. Als wichtiges Instrument zur Förderung der betrieblichen Weiterbildung werden Weiterbildungsmentor/innen genannt, die durch persönliche Ansprache und Begleitung den Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsangeboten insbesondere für Geringqualifizierte befördern können. Die Nationale Weiterbildungsstrategie bezieht sich dabei auf die Ergebnisse des Projekts „Assistierte Weiterbildung“, über das denk-doch-mal.de in seiner Ausgabe 3/2019 (https://denk-doch-mal.de/wp-content/uploads/2022/03/3_19.pdf) berichtet hat. Hier wird auch der Ansatz der IG Metall beschrieben, wie er auch im aktuellen Nachfolge-Projekt „WBM“ verfolgt wird. Als Besonderheit könnte hier genannt werden, dass zunächst sehr stark auf die Gruppe der gewerkschaftlichen Vertrauensleute gesetzt wird.

Im Rahmen der nationalen Weiterbildungsstrategie sind vier Projekte zur Förderung von Weiterbildungsmentoren Anfang 2021 auf Weg gebracht, die vom BMBF gefördert werden. Projekte bei der IG Metall, ver.di, NGG und IG BCE. Diese Ausgabe von denk-doch-mal.de beleuchtet die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Ansätze. Zu Tage treten dabei vor allem Gemeinsamkeiten. Unterschiede ergeben sich eher nach Branchen, nach Rahmenbedingungen – auch innerhalb der vier verschiedenen Projektansätze, die ihrerseits ja die unterschiedlichen Voraussetzungen reflektieren. Es ist gerade die Offenheit in der Gestaltung der Arbeit der Weiterbildungsmentoren, die eine Gelingensbedingung darstellt. Die Autoren haben schon viele gute Ansätze scheitern sehen, weil diese mit einem immer schon fertigen Konzept auf die betrieblichen Wirklichkeiten gestoßen sind. Die Weiterbildungsmentorinnen und –mentoren entwickeln die Ausgestaltung ihrer Tätigkeit in jedem Betrieb selbst, setzen Schwerpunkte, organisieren Erfolge.

Was ist das Gemeinsame? Es ist erstens die Überzeugung, dass sensible und oft auch mit Ängsten besetzte Themen nicht mit unbekannten oder schwer einzuschätzenden Menschen besprochen werden. Sie werden auch selten in der eigenen Familie oder im Freundeskreis besprochen. Man hätte „einen Ruf zu verlieren“. Die Fragen der eigenen Fähigkeiten oder Kompetenzen, oder wie man es auch immer nennen möchte, kommen mit etwas Glück in einer Atmosphäre des Vertrauens außerhalb des engeren Beziehungsgeflechts „auf den Tisch“. Und exakt diese Rolle sollen die Mentorinnen und Mentoren finden. Es ist dabei oft auch schon ein riesiger Schritt für die Kolleginnen und Kollegen, den Gedanken an zusätzliche Qualifizierung oder gar Bildung überhaupt zuzulassen. Gelingt den Mentoren*innen ein Gesprächsbeginn über Weiterbildungsfragen, dann ist dieser erste und oft auch schwerste Schritt gegangen worden – ohne, dass bis zu diesem Punkt eine Beratung stattgefunden hätte.

Zweitens arbeiten die Mentoren „stärkenorientiert“. Wir sind es gewohnt, über Bildungsbedarfe als auszugleichende Defizite nachzudenken. Mentoren schauen auf die individuellen Stärken und suchen gemeinsam nach der passenden Perspektive. Hier gibt nicht die Technik oder der neuste Management-Hype den Ton an. Es liegt auf der Hand, dass die Perspektive der Beratung eigentlich nur eine sein kann, die der gewerkschaftlichen Rolle nahekommt bzw. ihr entspricht.

Sabrina Klaus-Schelletter, DGB Berlin Brandenburg, geht ein auf die Wurzeln von zumindest drei gewerkschaftlichen Mentorenprojekten ein, der nationalen Weiterbildungsstrategie als Ausgangspunkt und Verhandlungsraum. Sie beginnt ihren Beitrag entsprechend mit der Darstellung der Impulse auf der Bundesebene und beschreibt anschließend die arbeitsmarktpolitische Situation in Berlin/Brandenburg. Vor diesem Hintergrund stellt sie die regionalen Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsinstrumente dar. Weiterbildungsmentor*innen kommt nach ihrer Einschätzung in diesem Setting eine zentrale Bedeutung zu. Sie können bezogen auf berufliche Qualifizierung in den Betrieben als Transformationsmanager*innen fungieren – sowohl auf die betrieblichen als auch auf persönliche Aspekte des Wandels bezogen. In jedem Fall sind sie zentrale Akteur*innen zur Förderung der betrieblichen Weiterbildungskultur mit strategischer Scharnierfunktion.

Roman Jaich, Gewerkschaftssekretär bei ver.di, beschreibt in seinem Text die Umsetzung der Mentorenidee in der Dienstleistungsgewerkschaft. Er argumentiert zunächst bildungspolitisch aus der Perspektive des Akteurs, der seit vielen Jahren für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Weiterbildung in Deutschland eintritt. Jaich beschreibt das Profil der Mentorinnen und Mentoren ausführlich und spricht sich für eine phantasievolle Umsetzung aus, die die Bedingungen berücksichtigt. Er unterscheidet deutlich zwischen der unterstützenden und begleitenden Funktion für die Kolleginnen und Kollegen und der strategisch-innovativen Funktion für die Gestaltung der Bildungsplanung im Betrieb bzw. der Verwaltung.

Uwe Elsholz, Professor an der Fernuni Hagen und Martina Thomas wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fernuni Hagen, betrachten die drei öffentlich geförderten Mentorenprojekte der Gewerkschaften aus systematischer Perspektive, indem sie ausgehend von der Implementierung der Union Learning Representatives den Weg dieser originär britischen Idee in die Rezeption in Deutschland darlegen. Sie gehen auf die Ausgangslage detailliert ein, beschreiben die Disparität in der Weiterbildungsbeteiligung, schauen auf zu überwindende Bildungshemmnisse und den möglichen Lösungsansatz durch Weiterbildungsmentoren*innen. Elsholz/Thomas geben einen Gesamtüberblick über die verschiedenen Ansätze der Gewerkschaften und gehen auf die Herausforderungen ein, die sich im der Umsetzung stellen werden.

Stefanie Janczyk, IG Metall Vorstandsverwaltung und Verwaltungsratsmitglied bei der Bundesanstalt für Arbeit, schaut aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive auf die Mentoren. Sie arbeitet in Ihrem Beitrag heraus, wie sehr die Förderprogramme der BA von deren Türöffnerfunktion profitieren können. Sie sieht in ihnen einen bedeutsamen Beitrag, um schwierig zu erreichende Beschäftigtengruppen mit den Fördermöglichkeiten in Kontakt zu bringen.

Tim Vollmer absolvierte sein Masterstudium der Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main. Sein Artikel basiert auf Auszügen seiner Abschlussarbeit zum Thema Berufliche Weiterbildung und subjektorientierter Weiterbildungsberatung aus dem Jahr 2022. Die Idee zu dieser Themensetzung ergab sich aus praktischen Erfahrungen beim Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik beim IG Metall Vorstand und dem Projekt “Weiterbildungsmentor:innen”.

Jörg Kunkel und Michael Porschen von der IG BCE beschreiben in einer komprimierten Zusammenfassung das Mentorenprojekt der IG BCE, speziell die Besonderheit, dass hier die Zusammenarbeit der dem Sozialpartner stärker als in den anderen Projekten zum Ausgangspunkt geworden ist. Auch die Nutzung von Ergebnissen aus branchenbezogenen Vorgängerprojekten ist eine Besonderheit.

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Autoren

  • Dr. Roman Jaich

    Dr. Roman Jaich, Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, danach Erwerb der Hochschulreife und Studium an der Universität Kassel im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften mit volkswirtschaftlicher Ausrichtung. Im Anschluss an das Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel im Fachgebiet Wirtschaftsrecht von Prof. Bernhard Nagel. Mitarbeit an verschiedenen Forschungsprojekten, z.B. zur „Konstituierung Europäischer Betriebsräte“ und zur „Finanzierung von Bildung in Deutschland“. Arbeitsschwerpunkte: Ökonomische Analyse des Rechts, Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, Mitbestimmungsforschung und Bildungsökonomie. Promotion zum Thema „Globalisierung und Partizipation“. Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“. ver.di Bundesverwaltung und Mitglied der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL.

  • Jörg Ferrando

    Jörg Ferrando ist Diplom-Politologe und arbeitet seit 2002 als Gewerkschaftssekretär im Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik beim Vorstand der IG Metall. Aktuelle Schwerpunkte sind die IT-Berufe und das IT-Weiterbildungssystem, Standardberufsbildpositionen, europäische Bildungspolitik, arbeitsprozessorientierte Weiterbildung und das Konzept der Bildungsberatung und –begleitung durch gewerkschaftliche Weiterbildungsmentoren.