Prof. Dr. Werner Sauter (Gesellschafter und Wissenschaftlicher Leiter der Swiss Connect Academy Deutschland, Autor einer Reihe von Fachbüchern im Springer Verlag, im Haufe Verlag und im Schäffer Poeschel Verlag)

Es besteht große Einigkeit darüber, dass die Arbeitswelt zukünftig noch unberechenbarer sein wird und die Unsicherheit sowie die Komplexität weiter zunehmen werden. Die digitale Transformation wird sich beschleunigen, Homeoffice oder kollaboratives Arbeiten und Lernen im Netz werden sich immer mehr durchsetzen.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind weitreichend. In Zukunft werden von den Mitarbeitenden immer mehr Fähigkeiten benötigt, sich in vernetzten Lebens- und Arbeitswelten zu bewegen, in denen man die konkreten Formen und die damit verbundenen Herausforderungen heute noch gar nicht kennt. Es gilt, mit den neuen Risiken der digitalen Welt umzugehen.

Die Anforderungen an die Persönlichkeit der Menschen verändern sich deshalb mit zunehmender Dynamik.

Was prägt die Persönlichkeit?

Das Verhalten der Menschen ist durch ein Muster, ihre Persönlichkeit, geprägt, das zeitlich überdauert.

Persönlichkeit ist eine Kombination von Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts und der Art zu handeln, zu kommunizieren und sich zu bewegen. (Roth 2019)

Die Persönlichkeit umfasst damit das Wesentliche im Innersten jeden Menschen. Dazu gehören die Grundmotive, aber auch die Gewohnheiten, d. h. die Art und Weise, wie sich eine Person normalerweise verhält (vgl. Faix et al. 2021).

Pragmatisch kann der Begriff Persönlichkeit auf zwei Weisen verwendet werden:

  • Persönlichkeit haben: Ein zutiefst zu einem Menschen gehörender Begriff, den er im Laufe seines Lebens entwickeln kann. Die zentralen Elemente dieser Ausprägung sind:

Abb. Elemente des Persönlichkeit-Haben (nach Faix et al. 2021).

Persönlichkeit haben umfasst damit:

  • Handlungsfähigkeit: Wissen, Qualifikation und Kompetenzen
  • Handlungsbereitschaft: Zielorientierte Bewältigung von Herausforderungen
  • Handlungsweise, -intention und -reflexion: Identität, d. h. auf Basis eines klaren Selbstbildes handeln, und Werte, die als Ordner des selbstorganisierten Handelns Motivation und Antrieb geben.
  • Persönlichkeit sein: Das Ergebnis eines komplexen sozialen Prozesses, das die Gesellschaft in Hinblick auf Bedeutung und Einfluss des Menschen bewertet. Damit ein Mensch zur Persönlichkeit wird, muss er die in folgender Abbildung dargestellten Eigenschaften aufbauen.

Abb. Elemente des Persönlichkeit-Sein (nach Faix et al. 2021).

Diese Elemente weisen in Hinblick auf Persönlichkeit-Sein folgende Aspekte auf:

  • Ansehen: Die Wertschätzung und der Respekt, die Menschen von anderen empfangen. Ansehen wird durch die Meinungen und Bewertungen anderer bestimmt und beruht insbesondere auf ihrer Leistung, ihrem Handeln und ihrem Verhalten, ihrer Fähigkeit, Probleme zu lösen, ihrer Integrität und ihren Führungskompetenzen. Sie werden als vertrauenswürdige, respektvolle und kompetente Menschen angesehen, die mit ethischen und moralischen Standards handeln und Empathie sowie Mitgefühl zeigen. Auf beruflicher Ebene wird das Ansehen durch ihre Leistungen, ihr Fachwissen und ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, beeinflusst. Auf sozialer Ebene wird das Ansehen durch ihre soziale Position, ihr Wissen und ihre Fähigkeit, in einer Gemeinschaft zu interagieren, beeinflusst.

Das Ansehen einer Person wird in hohem Maße durch subjektive Meinungen und Bewertungen anderer bestimmt. Es ist daher schwierig, das Ansehen einer Person zu bewerten.

  • Charisma: Die besondere Ausstrahlung und Faszination, die eine Person auf andere ausübt. Diese Eigenschaft ermöglicht es, andere zu inspirieren, zu motivieren und durch ihre Ausstrahlung, ihren Enthusiasmus und ihre eloquente Sprache zu begeistern. Charismatische Menschen sind oft selbstbewusst und haben eine starke Präsenz.
  • Autorität: Fähigkeit einer Person, Einfluss auf andere auszuüben und Entscheidungen zu treffen, die von anderen akzeptiert werden.

Eine autoritäre Person ist in der Regel selbstbewusst, hat ein hohes Maß an Selbstvertrauen und kann klare Entscheidungen treffen und durchsetzen. Autoritäre Personen haben oft ein hohes Maß an Kontrolle und können durch Zusammenarbeit und Konsensfindung effektiv führen.

Nicht verwechselt werden darf Autorität mit autoritärem Handeln. Dies ist ein Verhalten, bei der eine Person versucht, durch Einschüchterung, Machtmissbrauch oder Dominanz andere in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dies ist oft mit Unterdrückung, Kontrolle und Zwang verbunden und kann das Vertrauen und die Zusammenarbeit massiv beeinträchtigen.

Die Frage, wie man die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen kann, ist ein Kernthema der Psychologie. Noch immer werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen objektive, belastbare und valide Persönlichkeitstests eingesetzt und zu einem Maßstab von Personalauswahl und Personalentwicklung gemacht. Dagegen gibt es ernsthafte Einwände. Der ursprüngliche Glaube, durch Persönlichkeitstests vernünftige Vorhersagen über das Potenzial an Handlungs- und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden zu treffen, wurde bereits frühzeitig widerlegt.

Die sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften sind für Unternehmen bei der Einschätzung von Mitarbeitenden oder Bewerbenden viel weniger interessant als die vergleichsweise schnell zu entwickelnden Handlungsfähigkeiten in Form von Kompetenzen oder die Haltung, die auf Werten basiert.

Werte und Kompetenzen sind über die Haltung und die Handlungsfähigkeit von Menschen weitgehend sichtbar und zeitnah entwicklungsfähig. Persönlichkeitseigenschaften sind dagegen tief in uns verankert und nur in sehr langen Zeiträumen mit intensiver, individueller Begleitung veränderbar.

Abb. „Eisberg-Modell“ – Vergleich von Persönlichkeitseigenschaften mit Werten und Kompetenzen (am Beispiel „Big Five“)

Zudem ist der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Handlungsfähigkeiten fragwürdig. Selbst wenn beispielsweise die Persönlichkeitseigenschaft Extraversion zu 90 % mit einer hohen Akquisitionsstärke gekoppelt wäre, kann sich ein Unternehmen gehörig und kostenaufwendig irren, wenn es zufällig an einen der Bewerbenden gerät, die zwar vollkommen extrovertiert, aber bei Akquisitionsaufgaben gänzliche Versager sind.

Gezielte Entwicklung von Mitarbeitenden

Persönlichkeitsentwicklung ist nach dem humanistischen Verständnis eine Bildung, die auf die gesamte Persönlichkeit abzielt. Das eigene Bildungsideal ist dabei jeweils davon abhängig, wie nach den eigenen Vorstellungen das menschliche Leben gestaltet werden sollte, was einen guten Menschen und gute Praxis im Team ausmacht.

Durch die großen Erfolge von Neurobiologie und Neuropsychologie haben sich ziemlich unumstößliche Einsichten für das Arbeiten und Lernen herausgebildet, die frontal mit traditionellen Vorstellungen kollidieren. Der Hirnforscher Gerhard Roth hat durch sein gemeinsam mit Kollegen erarbeitetes Schichtenmodell des Gehirns eine Sicht erarbeitet, die vielleicht in Details noch korrigiert werden mag, die aber kaum mehr ausgehebelt werden kann und die, wohlverstanden, den Spielraum von Führungskräften und Personalentwickelnden sogar beträchtlich erweitert (vgl. im Folgenden Roth 2019).

Die gezielte Entwicklung von Menschen kann nach den Erkenntnissen der Hirnforschung fast nur auf der kognitiv-sprachlichen Ebene in Verbindung mit der oberen limbischen Ebene, die das bewusste, emotional soziale Lernen umfasst, ansetzen. Diese Ebene kann über Prozesse im Rahmen des sozialen Lernens gezielt entwickelt werden. Insbesondere die gezielte Entwicklung der Werte- und Kompetenzen ermöglichen es der Personalentwicklung damit, zeitnah Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit zu nehmen. Dagegen ist es nur sehr langfristig und durch eine individuelle Begleitung möglich, die Persönlichkeitsmerkmale auf der mittleren limbischen Ebene, wie Furcht oder Freude, oder gar auf der unteren limbischen Ebene, wie z. B. Schlaf oder Aggression, zu verändern.

Die Unternehmen benötigen deshalb eine neue Lernwelt, die durch einen Paradigmenwechsel, weg von vorgegebenen Wissens- und Qualifikationszielen in Curricula hin zu individuellen Werte- und Kompetenzzielen, geprägt ist.

Werte und Kompetenzen können nicht in tradierten LEHRsystemen, z.B. in Seminaren oder Workshops „vermittelt“ werden, auch wenn dies immer wieder behauptet wird. Die Werte- und Kompetenzforschung zeigt uns klar auf, dass diese Ziele nur bei der Bewältigung von realen Herausforderungen im Arbeitsprozess und in Praxisprojekten selbstorganisiert aufgebaut werden können.

Das Lernen wird deshalb immer mehr personalisiert, also auf die spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten der einzelnen Lernenden ausgerichtet. Dies bedeutet für das zukünftige betriebliche Lernen (Future Learning):

  • Individuelle, selbst formulierte Werte- und Kompetenzziele auf Basis der Erfassung der Werte und Kompetenzen (Future Skills) anstatt vorgegebener formeller Lernziele und -inhalte,
  • Lernarrangements, die es den Lernenden ermöglichen, in Praxisaufgaben und -projekten zu lernen,
  • Lernen von und mit Lernpartner*innen (Co-Coaching), Lerngruppen (Communities of Practice) und professionellen Lernbegleitenden,
  • Bewertung des Lernerfolgs anhand der Performanz, d. h. der Ergebnisse im Arbeitsprozess.

Dafür ist eine agile Lernkultur erforderlich, die durch folgende Werte geprägt wird:

  • Mut: Bereitschaft, Entscheidungen für den eigenen Lernprozess zu treffen und neue Lernwege selbstverantwortlich zu gestalten.
  • Fokus: Konzentration auf die vereinbarten Praxisaufgaben und -projekte, um zielorientiert und kreativ zu arbeiten und zu lernen.
  • Commitment: Im Rahmen verbindlicher Vereinbarungen Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen und die Lernpartner*innen aktiv zu unterstützen.
  • Respekt: Die Lernenden achten ihre Lernpartner*innen und betrachten sie als gleichwertig; sie gehen auf Augenhöhe miteinander um.
  • Offenheit: Bereitschaft, auf Veränderungen zu reagieren, sich mit Lernpartner*innen offen auszutauschen und sein eigenes Wissen zu teilen (Working Out Loud).
  • Wertschätzung: Die Lernenden geben ihr Bestes im Sinne des Teams und der Organisation und vermitteln wertschätzendes Feedback.
  • Vertrauen: Die Lernenden bringen grundsätzlich jedem/jeder Kolleg*in Vertrauen entgegen.

Zukünftiges Lernen – Future Learning – wird deshalb durch folgende Merkmale geprägt:

  • Workplace Learning: Wichtigster Lernort für den Werte- und Kompetenzaufbau ist der Arbeitsplatz. Dort findet das Lernen individuell und selbstverantwortlich statt. Das notwendige Wissen und die erforderlichen Qualifikationslösungen sowie die Lernbegleitung werden bei Bedarf innerhalb des Ermöglichungsrahmens, also einer Lernplattform oder einer Learning Experience Platform, gezielt aufgebaut. Wissen wird also nicht mehr auf Vorrat, sondern „on-demand“ entwickelt, wenn Probleme im Arbeitsprozess zu bewältigen sind.
  • Werte- und kompetenzorientiertes Lernen: Die individuellen Lernprozesse werden nicht mehr durch Curricula, die für alle gleich sind, bestimmt. Vielmehr definieren die Lernenden ihre individuellen Werte- und Kompetenzziele auf Basis einer professionellen Erfassung in Verbindung mit einem Beratungsgespräch mit der oder dem Lernbegleitenden. Auf dieser Grundlage werden die Lernprozesse in einem dynamischen Prozess durch die Lernenden in Abstimmung mit ihren Lernpartner*innen und der Führungskraft laufend an den Bedarf angepasst.
  • Entwicklung der Haltung und Handlungsfähigkeit in der Praxis: In einem Entwicklungsgespräch mit einer Führungskraft werden geeignete Praxisaufgaben oder -projekte zum gezielten Aufbau der Werte und Kompetenzen verbindlich vereinbart. Diese werden regelmäßig anhand von weiteren Werte- und Kompetenzerfassungen mit den Lernpartner*innen und der Führungskraft, evtl. auch mit professionellen Lernbegleitenden aus der Personalentwicklung, analysiert und bewertet.
  • Social Learning: Die Werte- und Kompetenzentwicklung findet vor allem in kollaborativen Arbeits- und Lernprozessen sowie im Netzwerk mit Lernpartner*innen sowie in Communities of Practice statt. Dabei können u.a. folgende Möglichkeiten genutzt werden:
  • Best Practices….
  • gemeinsame Bearbeitung von Erfahrungsberichten, z.B. aus Projekten,
  • gemeinsamer Aufbau und Weiterentwicklung eines Wissenspools mit Erfahrungswissen, Dokumenten, Links….
  • Erarbeitung von Arbeitshilfen, z.B. Checklisten.
  • Wissensaufbau und Qualifizierung „on-demand“: Das erforderliche Wissen und die notwendigen Qualifikationen werden bei Bedarf aufgebaut. Voraussetzung dafür ist, dass ein fundierter Sockel an Basiswissen aufgebaut worden ist, z.B. im Rahmen der Ausbildung oder im Studium, an den neues Wissen „angedockt“ werden kann. Durch den Verzicht auf das ineffektive „Vorratslernen“ verliert die Vergessenskurve, die für das formelle Lernen mit wissensorientierten Abschlussprüfungen so wichtig ist, weitgehend an Bedeutung.

Im Rahmen der Werte- und Kompetenzentwicklung in der Praxis wird das notwendige Wissen in Häppchen (Micro-Learning) bei Bedarf aufgenommen und sofort problemlösend in den Praxisaufgaben angewandt. Durch diese intensive Beschäftigung mit dem neuen Wissen bleibt es nachhaltig im Langzeitgedächtnis verankert, weil nun auch emotional beladene Erfahrungen mit ins Spiel kommen. Das Lernen erfolgt damit zunehmend exemplarisch unter Zugriff auf das meist digital zur Verfügung stehende Wissen im Prozess der Arbeit.

Eine erfolgreiche Werte- und Kompetenzentwicklung wird im Laufe der Zeit nicht nur die Performanz steigern, sondern dazu beitragen, die Persönlichkeit der Mitarbeitenden zu beeinflussen.

Edelkraut, F., Sauter, W. (2023): Future Skills Training, Schäffer Poeschel Verlag Stuttgart

Erpenbeck, J., Sauter, W. (2021): Future Learning und New Work. Das Praxisbuch für gezieltes Werte- und Kompetenzmanagement, Haufe Freiburg

Mergenthaler, J.; Faix, W.G. (2022): Führung und Performanz. Meine Welt neu gestalten, Springer Gabler Berlin,

Roth, G. (2019): Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Klett-Cotta Stuttgart

Sauter, R., Sauter, W., Wolfig, R. (2018): Agile Werte- und Kompetenzentwicklung. Wege in eine neue Arbeitswelt, Springer Gabler Berlin

Faix, W.G., Kisgen, S., Schwinn, A., Windisch, L. (2021): Führung, Persönlichkeit und Bildung. Mit Führungskraft die Zukunft erfolgreich und nachhaltig gestalten. Springer Gabler Berlin

Autor

  • Werner Sauter hat eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann absolviert. Dann studierte er Verwaltungswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz. Später wurde er an der Pädagogischen Hochschule Weingarten in Pädagogischer Psychologie promoviert. Nach dem Referendariat für das Lehramt an Beruflichen Schulen war er Berufsschullehrer im Bereich der Bankausbildung und Personalentwicklungsleiter der heutigen LBBW Stuttgart, bevor er als Professor Fachleiter der Fachrichtung Bank an der heutigen Dualen Hochschule Baden Württemberg wurde. Ab dem Jahr 2.000 war er Vorstand eines E-Learning-Unternehmens im Verbund des Klett Verlages. Seit zwanzig Jahren berät er Unternehmen und Bildungsanbieter bei der Konzipierung, Umsetzung und Implemetierung von innovativen Lernkonzeptionen. Aktuell ist er Gesellschafter und Wissenschaftlicher Leiter der Swiss Connect Academy Deutschland, die zielgerichtete Werte- und Kompetenzentwicklung in der Praxis und in Projekten gestaltet. Weiterhin ist er Autor einer Reihe von Fachbüchern im Springer Verlag, im Haufe Verlag und im Schäffer Poeschel Verlag zu Fragen des Future Learning.und Blogger.

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