Vera Egenberger (politische Referentin beim DGB zu den Themen Migration, Asyl, Integration und Antirassismus)

1. Einleitung

Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, braucht hier nicht wiederholt zu werden; Politiker aller Couleur (außer der AfD) haben dies in den letzten Jahren bei vielen Gelegenheiten unterstrichen. Die Zahlen bestätigen genau dies: Ein Anteil der Gesamtbevölkerung von circa 25 %, der eine eigene oder eine familiäre Einwanderungsgeschichte hat, ist durch die Bevölkerungsstatistik dokumentiert. Allerdings gestaltet sich die Situation in westlichen Bundesländern anders als in östlichen, in ländlichen Regionen anders als in Städten.

Menschen, die nach Deutschland einreisen, kommen aufgrund unterschiedlicher Interessen und haben sehr unterschiedliche Aufenthaltstitel mit sehr spezifischen Rahmenbedingungen bezüglich des Potentials eine Fach- bzw. eine Arbeitskraft zu werden.

Verschiedene frühere Bundesregierungen haben das Aufenthaltsgesetz, in dem alle Bedingungen für die Einreise nach Deutschland und den rechtmäßigen Aufenthalt kleinteilig definiert sind, als Einwanderungsverhinderungsgesetz verstanden. In § 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurde bis 2024 der Zweck des Gesetzes als „Steuerung und Begrenzung des Zugangs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland“ definiert. Dieser spezifische Passus wurde zwischenzeitlich gestrichen. Das Aufenthaltsgesetz stellt nun im besten Sinne des Wortes ein Gesetz zur Gestaltung von Einwanderung dar.

Seit 2020 wurden in mehreren Wellen Änderungen im Aufenthaltsrecht vorgenommen. Gesetzesvorschläge wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder das Chancenaufenthaltsrecht mündeten alle in Änderungen des Aufenthaltsgesetzes und verändern bzw. ergänzen es. Dies stellt einen komplexen und nur noch von wenigen Menschen gänzlich zu durchdringenden Rechtskörper dar. Circa 60 verschiedene Aufenthaltstitel zur Einreise, mit jeweils ganz unterschiedlichen Anforderungen an Sprachkompetenz, Qualifizierung oder vorliegendem Arbeitsvertrag, stellen Migrant*innen, Arbeitgebende und die Behörden vor große Herausforderungen. Einreisemöglichkeiten setzten bislang zumeist eine dokumentierte berufliche Qualifikation voraus. Daneben werden die Rahmenbedingungen für einen humanitären Aufenthalt im Aufenthaltsgesetz definiert, der längerfristig auch dazu führen kann, eine Arbeitskraft bzw. Fachkraft zu werden.

Ein Fachkräftemangel bzw. ein Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Branchen ist nicht mehr nur ein Nischenproblem. Ein Mangel an medizinisch ausgebildetem Personal bringt Krankenhäuser an den Rand der Arbeitsfähigkeit, Pflegeeinrichtungen können mitunter ihre Angebote nicht aufrechterhalten, weil ihnen das Personal fehlt. Dass dies zum Teil hausgemachte Problemlagen sind, die auch mit den Arbeitsbedingungen, dem bezahlten Gehalt, dem Mangel an Ausbildungsbereitschaft der Arbeitgebenden und der Attraktivität von bestimmten Tätigkeiten zu tun hat, soll hier deutlich unterstrichen werden. Neben Einwanderung nach Deutschland gibt es weitere Stellschrauben, die Gewerkschaften als zentrale Faktoren ansehen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Werden Rahmenbedingungen für derzeit in Teilzeit Beschäftigte verbessert bezüglich der von ihnen geleisteten familiären Sorgearbeit (die berühmten fehlenden Kitaplätze), stünde ein höheres inländisches Arbeitskräftepotential zur Verfügung. Einwanderung stellt nur EINE Komponente der Fach- und Arbeitskräftesicherung dar.

Die Bundesagentur für Arbeit hat den Bedarf nach Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften auf netto 400.000 einsatzfähige Personen pro Jahr berechnet. Derzeit gibt es in Deutschland zwar viel Einwanderung, aber gleichermaßen auch viel Auswanderung. Circa 600.000 Personen bildeten 2023 den sogenannten Wanderungssaldo, also Personen die weniger ausgewandert als eingewandert sind. Dieser Wanderungssaldo umfasst die Gesamtzahl aller: Kinder, Ältere, Qualifizierte und Nicht-Qualifizierte, also auch Person, die wegen ihres Aufenthaltstitels und den damit einhergehenden Bedingungen zumindest für einen bestimmten Zeitraum nicht für den Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. In Bezug auf benötigte Arbeitskräfte ist Deutschland daher noch weit entfernt davon, diese Zahl von 400.000 Fach- und Arbeitskräften abzudecken.

Von Fachkräften sprechen wir, wenn Personen über eine berufliche Qualifikation verfügen, die nicht notwendigerweise eine akademische Qualifikation sein muss. Arbeitskräfte wiederum sind Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind, unabhängig davon, ob sie über eine Ausbildung oder Qualifizierung verfügen. In beiden Bereichen bestehen in Deutschland Bedarfe. Um auf diese Situation zu reagieren hat die Bundesregierung kürzlich vielfältige und umfassende gesetzliche Änderungen im Migrationsrecht vorgenommen.

In zwei Etappen wurde eine verstärkte Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten ermöglicht. Voraussetzungen für ein Visum wurden neu justiert. Da dies zunächst kaum sichtbare Einreisezahlen generierte, wurden 2023 weitere gesetzliche Regelungen beschlossen. Einwanderer sollen nun auch einreisen können, um eine Ausbildung zu beginnen, eine Beschäftigung zu suchen oder ihre Qualifikation in Deutschland vor Ort anerkennen zu lassen. Über die sogenannte Chancenkarte besteht außerdem die Möglichkeit, über die Erfüllung einiger Kriterien, wie beispielsweise Sprachkenntnisse und Bindungen an Deutschland, ein Einreisevisum zu erhalten und sich dann auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren und eine Beschäftigung zu suchen. Dies sind Neuerungen, die zuvor nicht möglich waren.

Außerdem können nun – zumindest bis zu einer im Gesetz verankerten Frist – Personen, die lange Zeit einen Duldungsstatus innehatten und in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und Deutsch-Sprachkenntnissen nachweisen können, einen Übergangsstatus (das sogenannte Chancenaufenthaltsrecht) beantragen, das ihnen dann einen langfristigen Aufenthalt ermöglicht.

Was bedeutet dies nun genau im Lichte der Qualifizierung von Eingewanderten und was deutet dies aus der gewerkschaftlichen Perspektive?

2. Fachkräfteeinwanderung

Will man ausloten, welche Zugangsmöglichkeiten nach Deutschland aus Drittstaaten bestehen, führt kein Weg am Aufenthaltsgesetz vorbei. Dort wird geregelt, dass Fachkräfte mit einer Berufsausbildung einen Aufenthaltstitel bekommen können. Wie sich dies für Einwanderer gestaltet, die in Deutschland eine Qualifikation erlangen oder anerkennen lassen wollen, soll hier dargestellt werden.

a) Aufnahme einer Ausbildung

Es ist seit kurzem möglich, einen Aufenthaltstitel zu erhalten (§ 16a AufenthG), wenn Menschen aus Drittstaaten beabsichtigen eine duale Ausbildung in Deutschland zu durchlaufen. Soll dieser Ausbildung ein Sprachkurs vorausgehen, ist bereits ein vorheriger Aufenthalt möglich. Sollte die Ausbildung später abgebrochen werden, ermöglicht die gesetzliche Regelung dann innerhalb von sechs Monaten einen neuen Ausbildungsplatz zu identifizieren. Kombinierte Ausbildungsgänge, die im Herkunftsland einen Spracherwerb und Teile der Ausbildung ermöglichen, um dann die betriebliche Ausbildung in Deutschland weiterzuführen, werden derzeit in Modellprojekten erprobt.

Da es sich bei diesen Personen regelmäßig um junge Menschen handelt, ist hier aus gewerkschaftlicher Sicht besonders darauf zu achten, dass angemessene Rahmenbedingungen wie z.B. betriebsnahe Unterkunft sichergestellt, ein betriebsinternes Mentoring angeboten und wo nötig, ein ausbildungsspezifischer Spracherwerb oder ausbildungsbegleitender Sprachkurs gewährleistet wird. Auch für aus Drittstaaten eingereiste Jugendliche muss die Berufsschule eine erkenntnisreiche Ergänzung zum innerbetrieblichen Lernen darstellen. Dies ist nur dann gewährleistet, wenn die nötigen Deutsch-Sprachkompetenzen vorhanden sind.

Charme hat diese Option auch deswegen, weil einreisende Jugendliche aus Drittstaaten den Anforderungen an Qualifikationsstandards durch ihre Ausbildung in Deutschland direkt genügen und sich eine solide berufliche Grundlage schaffen. Sollten sie dann feststellen, dass Deutschland nicht der Ort ihrer Wahl ist und sie sich in ihrem Herkunftsland oder in einem anderen Land niederlassen wollen, ermöglicht ihnen diese Ausbildung eine qualifizierte Tätigkeit. Auch wenn in Deutschland ausgebildete Fachkräfte langfristig wieder ausreisen, trägt ihre Ausbildung zu einer persönlichen Entwicklung, aber auch zu einer wirtschaftlichen Entwicklung der späteren Aufenthaltsländer bei. Auch aus entwicklungspolitischer Perspektive ist dies ein durchaus positiver Faktor.

b) Aufnahme eines Studiums

Auf der Grundlage des § 16b AufenthG haben Menschen, egal aus welchen Regionen der Welt, die Möglichkeit, ein Studium in Deutschland aufzunehmen, sofern sie die Voraussetzungen wie ein anerkanntes Abitur, die notwendigen finanziellen Mittel und Deutsch-Sprachkenntnisse nachweisen können. Dies waren 2023 rund 15% der Studierenden. Auch wenn die finanziellen Voraussetzungen, in Deutschland zu studieren, hoch sind, ist dies bei jungen Menschen beliebt. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland keine Studiengebühren oder sind im internationalen Vergleich sehr niedrig. Ein Studium in Deutschland zielt auf hoch qualifizierte Tätigkeiten ab und ermöglicht es ausländischen Studierenden, nach dem Abschluss des Studiums bevorzugte Regelugen in Anspruch zu nehmen, um ihren Aufenthalt zu verstetigen und nach fünf Jahren Anwartszeit auch die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Rahmenbedingungen für eine studienbegleitende Beschäftigung wurden im Zuge der Änderungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes verbessert.

Diese Option der Einreise besteht seit langem und stellt einen sichtbaren Pool von zukünftigen Fachkräften in Deutschland dar. Gewerkschaften begrüßen diese Form der Einwanderung, verweisen jedoch darauf, dass die finanziellen Rücklagen, die nachgewiesen werden müssen, um das Visum zur Aufnahme eines Studiums zu erhalten, eine hohe Hürde darstellt.

c) Einreise zur Anerkennung der Qualifikation

Bis 2024 mussten Einreisewillige mit einer vorliegenden Qualifikation die Anerkennung vom Ausland aus betreiben. Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) ermöglicht allen Personen, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, diese in Deutschland prüfen zu lassen. Ergebnis dieser Prüfung kann einerseits sein, dass die Qualifikation voll umfänglich den in Deutschland gesteckten Standards entspricht und die Qualifikation anerkannt wird. Ist dem nicht der Fall – und dies ist eher die Regel als die Ausnahme – müssen die Personen eine Nachqualifizierung durchlaufen. Einflussfaktoren hierfür sind auch, ob es sich um eine reglementierte oder nicht-reglementierte Berufsqualifikation handelt. Eine Teilanerkennung mit dem Bedarf der Nachqualifizierung dauert zumeist einige Monate oder gar Jahre und bedeutet, dass die betroffene Person nicht voll berufstätig sein kann, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus entstehen mitunter hohe Kosten für Lehrbücher oder ähnliches, um die Nachqualifizierung zu ermöglichen. Diese Hürden sind aus gewerkschaftlicher Sicht zu hoch. Eine Qualifikationsanerkennung nicht zu durchlaufen, stellt aus Sicht der Gewerkschaften gleichermaßen ein Problem dar. Sind Personen qualifiziert und können diese Qualifikation jedoch bei einem Arbeitgebenden nicht nachweisen, werden sie für niedriger qualifizierte Tätigkeiten eingestellt und entsprechend niedriger bezahlt. Fälle von Ärzten aus Drittstaaten mit Berufserfahrung, die als Krankenpflegekräfte angestellt sind und entsprechend entlohnt werden, sind keine Seltenheit.

Durch den öffentlichen Druck, qualifizierte Fachkräfte – ganz besonders im Bereich der Gesundheitsversorgung – in vakante Stellen vermitteln zu können, wurde nun in § 16d des Aufenthaltsgesetzes die Möglichkeit eröffnet, nach Deutschland einzureisen, um dort vor Ort die Anerkennung der Qualifikation voranzutreiben. Anerkennungsverfahren bleiben vor allem deshalb kompliziert, weil viele nachgefragte Qualifikationen länderrechtlich geregelt sind und folglich unterschiedlichen Anforderungen und verschiedensten zuständigen Stellen unterliegen. Hier zeichnen sich nun Schritte ab, wie Anerkennungsverfahren der Länder reibungsloser und schneller umgesetzt werden sollen. Für die Gewerkschaften müssen die administrativen Hürden und Anforderungen reduziert und die Anerkennungsverfahren weiter standardisiert und vereinfacht werden.

3. Humanitär Aufhältige und Qualifizierung

Neben gezielt nach Deutschland einreisenden Personen zur Ausbildung und Qualifizierung liegt ein weiteres Potential von zukünftigen Fachkräften vor, die über humanitäre Aufenthaltstitel nach Deutschland eingereist sind und nur auf den zweiten Blick als zukünftige Fachkräfte wahrgenommen werden. Die Rede ist von Asylsuchenden, denen kein Asyl zuerkannt wurde. Sie haben häufig den Ausreisestatus der Duldung inne. Sie sind ausreisepflichtig, können dies aber nicht, weil ihre persönliche Situation oder die Gegebenheiten in ihrem Herkunftsland dies nicht ermöglichen. Ein Teil der mit einer Duldung in Deutschland lebenden Personen werden auch langfristig nicht aus Deutschland ausreisen können. Sie sind in vielen Fällen schon seit Jahren hier, ihre Kinder sind hier geboren und gehen hier zur Schule. Die Personen sind berufstätig und zahlen wie alle Berufstätigen Steuern. Ihre Lebensperspektive dauert von einer Verlängerung der Duldung bis zur nächsten, häufig in Abständen von drei Monaten. Gewerkschaften haben in der letzten Dekade gefordert, auch Menschen mit einer Duldung eine qualifizierte berufliche Lebensperspektive zu geben. Unter dem Stichwort „Spurwechsel“ wurden in den letzten Jahren Möglichkeiten des Wechsels aus einem humanitären Status in einen Status eröffnet, der an die Beschäftigung gekoppelt ist.

a) Spurwechsel nach § 10 Aufenhaltsgesetz

Das Aufenthaltsrecht ermöglicht in § 10 Absatz 3 einen Wechsel aus einem durch Asylantrag begonnen humanitären Aufenthalt in einen Titel, der an die Beschäftigung gebunden ist, wenn die betreffende Person ihren Asylantrag zurückzieht und die Voraussetzungen erfüllt, um einen Aufenthaltstitel nach den §§ 18a (Fachkräfte mit Berufsausbildung), nach 18b (Fachkräfte mit akademischer Ausbildung) oder 19c (ausgeprägte berufspraktische Kenntnisse) zu erhalten. Dies stellt eine theoretische Option dar, die jedoch voraussichtlich nur wenige Menschen in Anspruch nehmen werden können.

b) Die Ausbildungsduldung nach § 60c des Aufenthaltsgesetzes

Personen können den Status einer Ausbildungsduldung bekommen, wenn sie eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf oder eine  Assistenz- oder Helferausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufnehmen wollen. Allerdings ist dies mit der Bedingung verknüpft, dass daran eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf, für den die Bundesagentur für Arbeit einen Engpass festgestellt hat, anschlussfähig ist und eine Ausbildungsplatzzusage vorliegt. Weitere Voraussetzung zum Erhalt dieses Titels ist, dass die betreffende Person seit mindestens drei Monaten über eine Duldung nach § 60a AufenthG verfügt und die Identität geklärt ist. Außerdem muss eine Arbeitserlaubnis vorliegen, die Abschiebung noch nicht eingeleitet worden sein und keine Straftat vorliegen. Auf dieser Grundlage kann dann ein Ausbildungsvertrag unterzeichnet und der Status der Ausbildungsduldung bis zum Ende der Ausbildung zuerkannt werden. Sollte es notwendig sein die Ausbildungsstelle zu wechseln, ist dies nun gesetzlich möglich. Seit diese Option besteht gab es kaum mehr als 2.000 Personen, die diesen Status innehatten. Durch die Einführung des Chancenaufenthaltsrechts (siehe e)) gingen die Zahlen stark zurück, da das Chancenaufenthaltsrecht deutlich attraktivere und langfristige Bleibeperspektiven eröffnet. Nach Abschluss der Ausbildung bietet ihnen dann § 19 d weitere langfristige Aufenthaltsmöglichkeiten (siehe c) unten).

Gewerkschaften haben die Einführung dieser Form des Spurwechsels außerordentlich begrüßt, denn Personen, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, aber auch nicht ausreisen können, stellen ein Arbeitskräftepotential dar, das genutzt werden sollte. Es bietet den Betroffenen eine langfristige Lebensperspektive und ermöglicht zudem, sich als in Deutschland dringend benötigte Fachkraft in einem Engpassberuf zu qualifizieren.

c) Die Beschäftigungsduldung nach § 60d des Aufenthaltsgesetzes

Eine weitere Option des Spurwechsels wurde mit den Änderungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2020 eingeführt. Personen, die mindestens seit 12 Monaten den Status einer Duldung innehatten und mindestens 12 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, mit einer Arbeitszeit von wöchentlich mindestens 20 Stunden und damit ihren Lebensunterhalt sichern, können eine Beschäftigungsduldung erhalten. Hierfür sind die Voraussetzungen jedoch sehr hochgesteckt. Mündliche Kenntnisse der deutschen Sprache müssen vorhanden sein, es dürfen keine Straftaten vorliegen, die Person darf keinen Bezug zu einer extremistischen oder terroristischen Organisation haben, eine Abschiebung darf noch nicht eingeleitet sein, schulpflichtige Kinder müssen die Schule besucht haben und die Teilnahme an einem Integrationskurs muss nachgewiesen werden.

Seit 2020 gab es zu keinem Zeitpunkt mehr als 1.000 Personen, die diesen Status innehatten. Diese Personengruppe wurde nichtdestotrotz ein Weg eröffnet, langfristig in Deutschland zu arbeiten und so Arbeitserfahrung zu sammeln. Über die Brücke des § 19 d des Aufenthaltsgesetzes wird dann ein dauerhafter Status, der an die Beschäftigung gebunden ist und in einen Daueraufenthalt münden kann, ermöglicht.

d) Spurwechsel nach Ausbildung, Studium oder Beschäftigung nach § 19d des Aufenthaltsgesetzes

Über die Optionen der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung haben betroffene Personen über § 19d unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland zu erlangen. Für sie ist der Weg weitestgehend bedingungslos eröffnet sich dann weiter zu qualifizieren. Sie können dann außerdem frei und nach ihren Interessen berufstätig werden.

e) Das Chancenaufenthaltsrecht nach § 104c des Aufenthaltsgesetzes

Eine grundlegende Neuerung des Spurwechsels wurde 2023 mit der Einführung des Chancenaufenthaltsrechts eröffnet. Dieser sieht vor, dass Personen in einer Duldung, die vor dem 31. Oktober 2022 nach Deutschland eingereist sind und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, für 18 Monate einen Aufenthaltstitel erhalten, um die notwenigen Sprachkenntnisse zu erlangen bzw. nachzuweisen und eine Beschäftigung zu finden bzw. nachzuweisen, die ihnen eine Lebensunterhaltssicherung ermöglicht. Gelingt dies, können sie in den Status der §§ 25a oder 25b des Aufenthaltsgesetzes wechseln, die insbesondere für gut integrierte Jugendliche oder Erwachsene mit einer Duldung bzw. dem Chancenaufenthaltsrecht zur Verfügung stehen. Diese sind Voraussetzung, um in der Folge eine Aufenthaltsgenehmigung mit langfristiger Bleibeperspektive zu bekommen. Eine Gruppe von circa 136.000 Personen hatte zum Tag des Inkrafttretens der neuen Regelung die theoretische Voraussetzung, diesen Titel zu beantragen.

Bereits Ende 2023 hatten knapp 60.000 Personen diesen Status beantragt und erhalten.[1] Das große Problem aus gewerkschaftlicher Perspektive ist, dass das Chancenaufenthaltsrecht Ende 2025 wieder ausläuft. Der Übergangsstatus steht dann nicht mehr zur Verfügung, obwohl weiterhin Menschen mit gleichen Aufenthaltsbedingungen in Deutschland aufhältig sind. Hier wird – aus der Sicht der Gewerkschaften – eine Erfolgsgeschichte vorzeitig und unnötig beendet.

4. Der Weg nach vorn: Anforderungen an die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen

Die Einführung in die rechtlichen Rahmenbedingungen verdeutlichen, dass im Besonderen Menschen, die nicht als fertige und anerkannte Fachkräfte nach Deutschland eingereist sind, vielfältige Hürden nehmen müssen, um sowohl ihren Aufenthaltsstatus als auch ihre berufliche Anerkennung zu erlangen. Dies zieht sich mitunter über mehrere Jahre hin. Ansprechpartner sind nicht immer einfach auszumachen, Beratungsstellen müssen erst gefunden werden, (unter)gesetzliche Regelungen sind nicht immer leicht nachzuvollziehen. Auch in dieser Zeit müssen Eingewanderte ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien sichern. Sie lassen sich auf Beschäftigungen ein, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen, erhalten ein geringeres Gehalt als sie erhalten würden, wäre ihre Qualifikation festgestellt und bestätigt. Ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse finden für diese Personengruppe häufiger statt als für Personen in gesicherten beruflichen und aufenthaltsrechtlichen Bedingungen. Daher ist neben den aufenthaltsrechtlichen neuen Regelungen auch das Verfahren für die Anerkennung der Qualifikation für Eingewanderte zentral wichtig. Auf nicht absehbare Zeit wird die deutsche Wirtschaft Arbeitnehmende ohne, mit mittleren und hohen Qualifikationen benötigen. Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel ist nichts, was sich von allein auflöst. Ganz im Gegenteil: Mit den geburtenstarken Jahrgängen, die in absehbarer Zeit in Rente gehen, wird sich diese Situation weiter zuspitzen. Um damit umgehen zu können, sind Eingewanderte – wie eingangs schon dargestellt – EIN Teil der Lösung. Ihnen klar, überschaubar und pragmatisch Wege zu eröffnen, eine Qualifikation zu erlangen oder die mitgebrachte Qualifikation anzuerkennen und, wo nötig, Nachqualifizierung anzubieten, ist Gebot der Stunde. Dies nicht nur in Städten, sondern gleichermaßen in ländlichen Regionen. Die Bundesregierung hat dies erkannt und eruiert neue Wege der Anerkennungsverfahren. Derzeit wird zum Beispiel diskutiert, ob die Bundesagentur für Arbeit die Anerkennungsberatung, die bislang vom IQ-Netzwerk angeboten wurde und in wenigen Jahren fördertechnisch ausläuft, an die BA übersiedelt. Die Beratung ist zentral wichtig, um Eingewanderten einen Weg aufzuzeigen, wie sie ihre Qualifizierung und Anerkennung erlangen können.

Darüber hinaus ist eine zeitliche und administrative Straffung der Anerkennungsverfahren und eine verbesserte Möglichkeit für eine Nachqualifizierung, im Besonderen bei reglementierten Berufen, notwendig. Die (teilweise) Übernahme von Anerkennungskosten sollte aus Sicht der Gewerkschaften zu einem Regelförderinstrument weiterentwickelt werden, denn die hohen Kosten –von Anerkennungsverfahren und Nachqualifizierungen können betroffene Personen an den Rand des Machbaren bringen.

Gewerkschaften geht es dabei darum, einen transparenten und offenen Prozess gemeinsam mit Arbeitgebenden, Kammern, der BA, Anerkennungsstellen, zivilgesellschaftlichen Akteuren zu gestalten, um aufbauend auf den bestehenden Strukturen und Gegebenheiten schneller Anerkennung von im Ausland erlangten Qualifikationen zu ermöglichen. Gleichermaßen sollen Eingewanderte ohne berufliche Qualifikation eingeladen werden, eine solche Qualifikation nach ihren Fähigkeiten und Wünschen zu erlangen.

[1] Sachverständigenrat für Integration und Migration, Fakten zu Flucht und Asyl, 30. Juli 2024, aktualisierte Fassung, S. 8.

Autor

  • Vera Egenberger ist seit über 30 Jahren in der Migration- und Antidiskriminierungsarbeit tätig. Neben ihrer Referentinnen- und Geschäftsführungstätigkeit beim Informationszentrum in der Antirassismusarbeit (IDA) wechselte sie in die Geschäftsführung des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus (ENAR) in Brüssel. Mit einem Schwerpunkt auf Menschenrechtsverletzungen an Sinti und Roma in Osteuropa war sie beim Europäischen Romarechtszentrum (ERRC)in Bu-dapest tätig. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland gründete sie einen Verein, der eine rechtli-che Unterstützung in Fällen von Diskriminierung anbietet. Diese ehrenamtliche Tätigkeit ergänzt sie seit 2015 mit einer Teilzeitbeschäftigung beim DGB-Bundesvorstand als politische Referentin zu den Themen Migration, Asyl, Integration und Antirassismus.

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