Dr. Ute Leber (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit)

Einführung

Die duale Ausbildung ermöglicht Jugendlichen einen vergleichsweise reibungslosen Übergang von der Schule in Beschäftigung; für Betriebe ist sie ein wichtiges Instrument, um ihren Fachkräftebedarf zu sichern. Während das deutsche Berufsbildungssystem international als Erfolgsmodell betrachtet wird, steht es im eigenen Land vor großen Herausforderungen. So nimmt nicht nur die Nachfrage junger Erwachsener nach einer betrieblichen Ausbildung ab, es wird auch immer schwieriger, Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage zusammenzuführen. Dieses sogenannte Passungsproblem äußert sich in einem steigenden Anteil an unbesetzten Ausbildungsplätzen auf der einen und einem wachsenden Anteil an erfolglosen Ausbildungsplatzsuchenden auf der anderen Seite. Besonders problematisch ist es zudem, dass immer mehr junge Menschen auch längerfristig ohne Berufsabschluss verbleiben.

Wie hat sich das Verhältnis von Ausbildungsangebot und -nachfrage aber in den letzten Jahren entwickelt? In welchen Bereichen bleiben besonders viele Ausbildungsplätze unbesetzt und wie viele Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst? Auf der Basis verschiedener Datenquellen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sowie der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt der vorliegende Beitrag Antworten auf diese und weitere Fragen.

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge steigt wieder an

Nachdem die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge vor der Corona-Krise ein neues Hoch erreicht hatte, ist sie im Jahr 2020 massiv eingebrochen. Zu Beginn der Pandemie haben nicht nur manche Betriebe ihr Ausbildungsplatzangebot angesichts der Unsicherheit über den weiteren Fortgang der Geschäftstätigkeit zurückgefahren, sondern es war auch ein deutlicher Rückgang der Zahl der Bewerbungen zu beobachten. Dieser kann unter anderem mit den reduzierten Möglichkeiten der Berufsberatung und -orientierung während der Pandemie erklärt werden, aber auch damit, dass sich viele Jugendliche während der Krise für einen längeren Verbleib im Schulsystem oder für alternative Bildungswege entschieden haben (Fitzenberger et al. 2022).

Abbildung 1: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum Stichtag 30. September, 2013 – 2023

Quelle: BIBB (2023) und Oeynhausen et al. (2023)

Nach Angaben des BIBB (2023) steigt die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zwar seit dem Jahr 2021 wieder an, doch hat sie das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Insgesamt wurden im Jahr 2023 gut 489.000 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, was einem Plus von 3 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt damit aber weiterhin merklich unter dem Niveau von 2019 (Abbildung 1).

Die Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt nehmen zu

Der deutsche Ausbildungsmarkt hat sich in der jüngeren Vergangenheit von einem Arbeitgeber*innen- hin zu einem Bewerber*innenmarkt entwickelt. So ist die Nachfrage nach einer dualen Ausbildung nicht erst seit der Pandemie, sondern bereits zuvor gesunken – zum einen aufgrund der sinkenden Zahl an Schulabgänger*innen, zum anderen aufgrund der zunehmenden Neigung vieler Jugendlicher, anstelle einer betrieblichen Ausbildung ein Studium oder eine schulische Ausbildung aufzunehmen. Wenngleich dieser Rückgang zuletzt wieder zum Halten gekommen ist, übersteigt die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen nach wie vor die der Bewerber*innen (Abbildung 2).

Abbildung 2: Gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen und Bewerber*innen, jeweils Oktober bis September, 2013 – 2023

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023)

Auffällig ist, dass sich die Situation deutlich zwischen einzelnen Regionen und Berufen unterscheidet. Zwar gibt es in den meisten Regionen einen Überschuss an Ausbildungsplätzen, doch sind auch Regionen zu finden, in denen Ausbildungsstellen fehlen. Ebenso lassen sich auch manche Berufe – beispielsweise in der Softwareentwicklung – beobachten, in denen es mehr Interessent*innen als Lehrstellen gibt. Dagegen übersteigt in anderen Berufen wie der Lebensmittelherstellung die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze die der Bewerber*innen (Statistik der BA 2023). Insgesamt deuten diese Befunde auf erhebliche Diskrepanzen am Ausbildungsmarkt hin, die eine Passung zwischen Angebot und Nachfrage auf regionaler sowie berufs- beziehungsweise branchenspezifischer Ebene verhindern.

Immer mehr Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt

Vor dem Hintergrund der geschilderten Entwicklungen haben viele Betriebe zunehmend Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen (Abbildung 3). Nach den Daten des IAB-Betriebspanels, einer jährlichen Befragung von gut 15.000 Betrieben aller Branchen und Größenklassen, konnten zuletzt mehr als drei von zehn Ausbildungsstellen nicht besetzt werden – und damit ein deutlich größerer Anteil als noch einige Jahre zuvor.

Besonders große Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, haben dabei kleinere Betriebe. Zudem stellt sich die Rekrutierung von Auszubildenden in Sektoren wie dem Baugewerbe, der Gastronomie oder den personenbezogenen Dienstleistungen als überdurchschnittlich schwierig dar. Ausbildungen in diesen Branchen gelten teils als wenig attraktiv, zum Beispiel aufgrund der Arbeitszeiten, der Entlohnung oder der geringen Entwicklungsmöglichkeiten. Bekannt ist zudem, dass sich Betriebe in ländlichen Gebieten bei der Besetzung ihrer Ausbildungsplätze vergleichsweise schwer tun – teils aus dem Grund, dass die Betriebsstätte beziehungsweise die Berufsschule für Auszubildende schlecht zu erreichen sind.

Abbildung 3: Anteil der unbesetzten an allen angebotenen Ausbildungsplätzen in Prozent, 2013 – 2023

Quelle: IAB-Betriebspanel; eigene Berechnungen

Die Zahl der unversorgten Ausbildungsplatzbewerber*innen steigt wieder an, ebenso wie die Zahl der jungen Menschen ohne Berufsabschluss

Lenkt man den Blick von den Betrieben auf die Seite der Bewerber*innen, so fällt auf, dass es trotz des hohen Anteils an unbesetzten Ausbildungsplätzen nach wie vor viele Jugendliche gibt, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos bleiben. Mit 29.300 einen Höchstwert erreichte diese Zahl im Jahr 2020. Nachdem sie in den beiden folgenden Jahren gesunken war, ist sie zuletzt wieder auf 26.400 angestiegen. Damit blieben im Jahr 2023 6 Prozent aller bei den Arbeitsagenturen gemeldeten Bewerber*innen unversorgt. Nach Angaben der Statistik der BA (2023) trifft dies besonders häufig auf Bewerber*innen mit einem (schlechten) Haupt- beziehungsweise Mittelschulabschluss, auf Bewerber*innen mit Migrationshintergrund sowie auf sogenannte „Altbewerber*innen“, die bereits in früheren Jahren bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos geblieben sind, zu.

Abbildung 4: Anzahl der unversorgten Bewerber*innen und Anteil an allen gemeldeten Bewerber*innen, jeweils zum 30. September, 2013 – 2023

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023)

Diese jungen Menschen stellen ein wichtiges Potenzial dar, das es stärker als bislang auszuschöpfen gilt. Dies gilt um so mehr, als dass viele von ihnen auch in späteren Phasen keinen Berufsabschluss mehr erwerben. Nach Angaben des BIBB (2023) ist die Anzahl junger Erwachsener ohne Berufsausbildung zwischen 20 und 34 Jahren von 1,88 Millionen im Jahr 2014 auf 2,64 Millionen im Jahr 2021 angestiegen. Somit waren zuletzt fast 18 Prozent aller Personen dieser Altersgruppe beruflich nicht formal qualifiziert. Dieser Anstieg ist vor allem auf den wachsenden Anteil nicht formal Qualifizierter unter den Migrant*innen mit eigener Migrationserfahrung zurückzuführen; verstärkt wurde die Entwicklung zudem durch die Fluchtmigration in den Jahren 2015 und 2016.

Zuletzt wurden wieder mehr Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst

Den vorangegangenen Ausführungen zufolge wird es immer schwieriger, das Ausbildungsplatzangebot der Betriebe mit der Ausbildungsplatznachfrage der Jugendlichen zusammenzuführen. Aber auch wenn ein Ausbildungsverhältnis zustande kommt, muss dieses nicht zwangsläufig zu einem Abschluss führen. Nach Angaben des BIBB (2023) wurden im Jahr 2022 insgesamt 155.000 duale Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Dies entspricht einem Anteil an allen begonnenen Ausbildungsverträgen von 29,5 % und stellt einen neuen Höchststand dar.

Dabei ist anzumerken, dass eine vorzeitige Vertragslösung nicht per se als schlecht einzustufen ist: Ist die Passung zwischen Auszubildenden und Betrieb nicht gegeben, kann es für beide Seiten sinnvoll sein, den Vertrag zu lösen und nach geeigneteren Alternativen zu suchen. Für Betriebe kann die Situation jedoch dann problematisch werden, wenn hohe Vertragslösungsquoten mit Stellenbesetzungsproblemen einhergehen und somit die Möglichkeiten der Fachkräftesicherung zusätzlich erschweren. Für Jugendliche dagegen ist vor allem der weitere Ausbildungsverlauf entscheidend: Vorzeitige Vertragslösungen können dann negative Konsequenzen für Einkommen und Beschäftigung haben, wenn sie tatsächlich zu einem Ausbildungsabbruch führen (Patzina/Wydra-Somaggio 2021). Wie vorliegende Ergebnisse zeigen, mündet etwa die Hälfte aller Personen mit einer vorzeitigen Vertragslösung relativ zeitnah in ein neues Ausbildungsverhältnis ein, bricht die Ausbildung also nicht ab (BIBB 2023).

Die Übernahmequote bleibt auf einem hohen Niveau

Den Daten des IAB-Betriebspanels zufolge ist der Anteil der von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommenen Ausbildungsabsolvent*innen – abgesehen von einem Einbruch im ersten Jahr der Corona-Krise – in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Zuletzt wurden fast acht von zehn Ausbildungsabsolvent*innen von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen; im Jahr 2010 traf dies dagegen nur auf rund sechs von zehn zu (Leber et al. 2023). Die hohe Übernahme von Ausbildungsabsolventen ist dabei sowohl für die Ausbildungsabsolvent*innen als auch die Betriebe positiv zu bewerten: So bedeutet sie für die jungen Erwachsenen einen sicheren Übergang von der Ausbildung in Beschäftigung; die Betriebe dagegen können mittel- bis langfristig von den Qualifikationen der durch sie ausgebildeten Fachkräfte profitieren.

Fazit

Zwar hat sich die Situation am Ausbildungsmarkt nach den Turbulenzen während der Corona-Krise zumindest teilweise wieder erholt, doch ist die duale Ausbildung weiterhin mit Herausforderungen konfrontiert. So steht der nach dem pandemiebedingten Einbruch wieder steigenden Zahl an Ausbildungsplätzen eine sinkende Zahl an Bewerber*innen gegenüber; hinzu kommen erhebliche regionale und berufsspezifische Diskrepanzen, die einen Ausgleich zwischen Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage verhindern. In der Folge bleiben viele Ausbildungsplätze unbesetzt, zugleich gibt es viele Jugendliche, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos bleiben. Einem Teil davon gelingt es auch in späteren Phasen des Lebens nicht, einen Berufsabschluss zu erwerben – mit negativen Konsequenzen für ihre Position am Arbeitsmarkt.

Um den geschilderten Herausforderungen zu begegnen, müssen einerseits wieder mehr Jugendliche für die berufliche Ausbildung gewonnen werden. Hierzu gilt es insbesondere, an der Attraktivität der dualen Ausbildung anzusetzen. Andererseits müssen aber auch die bestehenden Potenziale am Ausbildungsmarkt stärker als bislang genutzt, das heißt, benachteiligte Jugendliche besser integriert werden. Dabei bietet unter anderem das neue Berufsorientierungspraktikum Ansatzpunkte, um junge Menschen und Betriebe zusammenzubringen und ein Kennenlernen zu ermöglichen.

Bundesinstitut für Berufsbildung (2023): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2023. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, Bonn.

Fitzenberger, Bernd, Patrick Gleiser, Sophie Hensgen, Christian Kagerl, Ute Leber, Duncan Roth, Jens Stegmaier & Matthias Umkehrer (2022): Der Rückgang an Bewerbungen und Probleme bei der Kontaktaufnahme erschweren weiterhin die Besetzung von Ausbildungsplätzen. In: IAB-Forum, 13.04.2022, Nürnberg.

Leber, Ute, Duncan Roth & Barbara Schwengler (2023): Die betriebliche Ausbildung vor und während der Corona-Krise: Besetzungsprobleme nehmen zu, Anteil der Betriebe mit Ausbildungsberechtigung sinkt. IAB-Kurzbericht 3/2023, Nürnberg.

Oeynhausen, Stephanie; Christ, Alexander; Schuß, Eric; Milde, Bettina; Grantah, Ralf-Olaf (2023): Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2023. Analysen auf Basis der BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge und der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit zum Stichtag 30. September. Fassung vom 13.12.2023, Bonn.

Patzina, Alexander & Gabriele Wydra-Somaggio (2021): Ausbildungsabbrüche und -unterbrechungen im Vergleich: Ohne Abschluss ist der Verdienst geringer und die Dauer der Beschäftigung kürzer. IAB-Kurzbericht 18/2021, Nürnberg.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023): Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Situation am Ausbildungsmarkt, Nürnberg, Oktober 2023.

Autor

  • Dr. Ute Leber

    Dr. Ute Leber studierte Volkswirtschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 1999 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie die Beschäftigung Älterer.

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