Künstliche Intelligenz als Handlungsfeld für Gewerkschaften

Thorben Albrecht (Bereichsleiter des FB Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand der IG Metall) und Julia Görlitz (Politische Sekretärin im Ressort Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall)

Warum ist KI ein Thema für Gewerkschaften?

Nach dem zweiten KI-Winter in den späten 1980er Jahren[1] erfährt das Thema „Künstliche Intelligenz“ durch das starke Aufleben von neuronalen Netzen, Deep-Learning- und Speicher-Technologien sowie größerer Rechenkapazität und -geschwindigkeit seit der Jahrtausendwende eine erneute Renaissance. Worum geht es dabei?

Eine Bildersuche zum Schlagwort „Künstliche Intelligenz“ ist der anschaulichste Weg, sich das Dilemma der inhaltlich-konstruktiven KI-Betrachtungen vor Augen zu führen. Eine beliebte Darstellung ist das Bild zweier ungleicher Hände, die sich einander entgegenstrecken: Mensch und Roboter. In Anlehnung an Michelangelos berühmtes Fresko „Die Erschaffung Adams“ bleibt es doch die individuelle Auslegung des Betrachtenden, wer in diesem Fall wessen Schöpfer ist. Die Schwärmereien für KI kumulierten im Oktober 2017 als der humanoide, KI-animierte Roboter Sophia von Hanson Robotics als „world’s first robot citizen“ von der stellvertretenden UN-Generalsekretärin Amina Mohammed pressewirksam interviewt worden ist.[2] Weitaus weniger mediales Echo erzeugte die Veröffentlichung des ersten maschinengenerierten Buches „Lithium-Ion Batteries – A Machine-Generated Summery of Current Research“, welches 2019 im Wissenschaftsverlag Springer Nature erschien. Das an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main entwickelte Verfahren für die automatische Analyse und Auswahl relevanter Publikationen „Beta Writer“ wird als Autor des Buches angegeben.[3]

Jenseits der verheißungsvollen Science-Fiction-Darstellungen wird Künstliche Intelligenz in Unternehmen, Bundesministerien und Digitalverbänden vor allem als Innovationstreiber und Tool für Effizienzsteigerung durch Automatisierung, Prozessoptimierung und letztendlich Rationalisierung insbesondere von Routinetätigkeiten verstanden. Die Auswirkungen von KI-gestützter Software ist bereits in der IKT- und Software-Branche sowie in der Logistik und im Bankwesen augenscheinlich geworden. In diesen Bereichen lässt sich eine massive Schrumpfung der Beschäftigung bei der gleichzeitigen Aufwertung verbliebener Arbeitsplätze durch die Weiterqualifizierung im Umgang mit neuen Technologien beobachten. KI hat aber auch noch nicht ausgeschöpftes Potential, hochqualifizierte Wissensarbeit, beispielsweise Ingenieursarbeit in der Automobilindustrie, aber auch in der digitalen Rechtsdienstleistung (legal technology) und in der Medizin zu verändern.[4] Mit der Digitalisierung und Einführung von KI gehen sowohl im indirekten Bereich wie auch in der Produktion teils massive technologische und arbeitsorganisatorische Veränderungen einher, die eine starke betriebliche Mitbestimmung erfordern.

Es existiert keine offizielle Definition von Künstlicher Intelligenz. AlgorithmWatch spricht von Systemen des automatisierten Entscheidens. Die Europäische Kommission bedient sich im Erarbeitungsprozess der sog. KI-Verordnung einer ebenso breit gefassten Definition von KI, welche sämtliche Software umfasst, die auf Grundlage maschinellen Lernens Inhalte, Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheiden hervorbringen kann, die das Umfeld beeinflusst, in dem sie interagiert.[5] Diese Definitionen adressieren zwar die Eigenschaft von (spezifischer) KI, selbstständig Muster bzw. Lösungen in einem großen Datensatz zu erkennen (Autonomie). Sie verweist aber nicht explizit auf die Fähigkeit der KI zur Selbstoptimierung (Anpassungsfähigkeit). Dieser „Lernprozess“ der Algorithmen ist hoch komplex und intransparent – und damit zusätzlich risikobehaftet und voraussetzungsvoll im Hinblick auf den Schutz von Arbeitnehmerrechten.

Auf der betrieblichen Ebene gilt es noch vor der Implementierung von KI, in einem sozialpartnerschaftlichen Dialog mehrere hochrelevante Fragestellungen zu erörtern. In erster Linie muss der Nutzen von KI-Anwendungen im Betrieb aus Perspektive der Beschäftigten erörtert werden. Das hauptsächlich in der deutschen Debatte zitierte Leitbild der humanzentrierten KI[6] unterstreicht die gewerkschaftliche Forderung, dass neue Technologien dem Wohle der Beschäftigten dienlich sein sollen. Um weitestgehend ausschließen zu können, dass den Beschäftigten durch den Einsatz von KI ein Nachteil entsteht, muss eine umfassende arbeitsfokussierte Technikfolgenabschätzung vorgenommen werden. Unmittelbar damit verbunden ist die Frage nach dem konkreten Einsatzzweck.

Noch kommen KI-Anwendungen in den deutschen Betrieben nicht flächendeckend zum Einsatz. Sowohl Großunternehmen als auch KMU sehen das fehlende Know-how und die unzureichende Datenbasis und -qualität als größte Hürden für eine flächendeckende Implementierung an. Weitere Hemmnisse stellen neben den begrenzten finanziellen Ressourcen mangelnde Standardisierung und Normung sowie eine unzureichende digitale Infrastruktur dar.[7] Ergänzen ließe sich die Liste der Hemmnisse mit einem nötigen aber schwach ausgeprägten, eher risikoaffinen „Mindset“, wenig Technikvertrauen und ausbaufähiger Resilienz vor dem Hintergrund massiver disruptiver Veränderungen.

Bei einer Befragung von pcw (PricewaterhouseCoopers) in 500 Betrieben im Jahr 2019 gaben lediglich vier Prozent der Betriebe an, dass KI bereits zur Anwendung im eigenen Betrieb kommt, weitere fünf Prozent befanden sich nach eigenen Angaben in der Test- bzw. Implementierungsphase. Einschließlich jener Betriebe, die KI als relevant einstuften, oder bereits mit der Planungsphase begonnen hatten, zeigten insgesamt 51 Prozent Interesse an KI-gestützten Anwendungen. Diese kommen insbesondere bei der Datenanalyse für Entscheidungsprozesse und People Analytics[8] zum Einsatz (70 Prozent) und bei der Prozessautomatisierung bestehender Geschäftsmodelle (63 Prozent). Dabei hat sich herausgestellt, dass mit zunehmender digitaler Reife (und in der Regel auch Größe) der Unternehmen, KI verstärkt als Enabler bei der Erschließung neuer digitaler Geschäftsmodelle in Verbindung gebracht wird (44 Prozent).

Künstliche Intelligenz kann Unternehmen bei zwei Querschnittsaufgaben unterstützen: beim abstrakten Erkennen von vergleichbaren Situationen (Mustererkennung) und beim Umgang mit extrem großen Datenmengen.[9] Diese KI-Charakteristika kommen besonders bei der Organisation, Steuerung und Kontrolle von Arbeit zum Ausdruck und können Produktions- und Arbeitsprozesse weitreichend verändern.

Durchaus positive Veränderung durch KI im Arbeitskontext sind im Bildungsbereich zu erwarten – vor allem als Unterstützung von formalen und informellen Lernprozessen hinsichtlich Informationsverarbeitung, Kombinatorik und Komplexitätsbewältigung.[10] KI-gestützte Assistenzsysteme in der Produktion sind nur ein Beispiel dafür. KI-Anwendungen haben darüber hinaus auch das Potential, digitale Lerninhalte auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten anzupassen. Die individuelle Kompetenzentwicklung durch KI erfordert jedoch komplexe digitale Systeme, die eine große Herausforderung an die Arbeitsgestaltung und betriebliche Mitbestimmung darstellen.[11]

Die vernetzten Maschinen und Anlagen der Industrie 4.0 erzeugen riesige digitale Datenmengen, die zusätzlich zu dem wachsenden Datenpool zu Kundenverhalten und Betriebsstatistiken noch ungenutzte Potentiale zur Optimierung bestehender Leistungskennzahlen, Marketing und Preisgestaltung bergen, die mittels maschinellem Lernen und KI gehoben werden können und teilweise bereits unter Einsatz von KI-Anwendungen aufbereitet werden. Digitale Technologien wie KI gelten als Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele des European Green Deals[12].

Vor allem skalierungsfähige, KI-unterstützte Systeme, die zum Zwecke der Tätigkeits-, Kompetenz- und Kostenanalyse auf Echtzeit-Datenbasis Anwendung finden, können für die Beschäftigten mit erhebliche Risiken verbunden sein. Das wäre im besonders hohen Maße auch dann der Fall, wenn mittels KI Daten ausgewertet werden, welche die Beschäftigten nicht willentlich kontrollieren können. Beispielhaft ist hier die Stimmanalyse zu nennen, um vermeintlich Aufschluss über die (psychische) Konstitution von Bewerber:innen oder Beschäftigten zu erhalten.[13]

Wie sollte KI reguliert werden?

Um die Risiken zu minimieren, ohne die Chancen verstreichen zu lassen, brauchen wir daher eine gesetzliche Regulierung von KI-Anwendungen im Allgemeinen und beim Einsatz im Arbeitskontext im Besonderen. Da digitale Technologien immer einen grenzüberschreitenden Charakter haben, ist es sinnvoll, dafür möglichst europäische Regeln zu schaffen und gleichzeitig die deutsche Gesetzgebung, z.B. bei der Mitbestimmung, anzupassen.

Mit dem auf europäischer Ebene vorgelegten Regulierungsvorschlag soll ein Rechtsrahmen für die Zulassung von KI-Anwendungen für den europäischen Markt entstehen (AI Act/KI-Verordnung), der auf den Schutz von Verbraucher:innen und Beschäftigten abhebt. Als Binnenmarktregelung soll sie auf horizontaler Ebene wirken und ist nicht auf sektorenspezifische Bedarfe ausgelegt. Dabei gilt sie als Verordnung direkt für die gesamte EU (d.h. ohne nationalstaatliche Umsetzungsgesetze).[14] Sie adressiert primär die Hersteller und Inverkehrbringer von KI-Anwendungen (Produkthaftung).

Der Regulierungsbereich Arbeit und Beschäftigung ist gemäß Art. 6 (1) des Verordnungsentwurfs in dessen Anhang III als Hoch-Risiko-Bereich kategorisiert. Nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission umfasst dies KI-Anwendungen, die für die Einstellung oder die Auswahl von Bewerber:innen hergestellt und in Verkehr gebracht werden, insbesondere für die Bekanntmachung vakanter Stellen, das Analysieren, Filtern und Bewerten von Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgesprächen und Einstellungstests. Weiterhin umfasst der Hoch-Risiko-Bereich KI-Anwendungen, die dazu bestimmt sind, Entscheidungen über Beförderungen und Kündigungen zu fällen oder für die Zuweisung von Aufgaben, die Überwachung und Bewertung von Leistung und Verhalten von Beschäftigten Verwendung finden sollen.

Diese konkreten Regelungssachverhalte bilden jedoch den gesamten Regulierungsbereich Arbeit und Beschäftigung nur unzureichend ab. Auch vor dem Hintergrund zukünftig vorstellbarer Interaktionen bzw. Kollaborationen von Mensch und Maschine bzw. Roboter ist es notwendig, sämtliche KI-Anwendungen als Hoch-Risiko-Anwendungen einzustufen, sofern sie personenbezogene Daten im Beschäftigungsverhältnis tangieren.[15] Zur Debatte steht auch, derartige KI-Anwendungen grundsätzlich als unannehmbares Risiko einzustufen und sie damit zu verbieten. Zumindest bei besonders sensiblen und weitreichenden Anwendungen, wie zum Beispiel einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sollte ein solches Verbot angestrebt, mindestens aber die finale Entscheidung durch den Menschen („Human-in-Command“-Ansatz) durch die EU vorgeschrieben werden.[16]

Kritisch zu bewerten ist zudem das Fehlen von Prozessvorgaben zu Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der betrieblichen Anwendung, wie sie noch im Weißbuch der EU-Kommission im Jahr 2020 hinterlegt worden waren. Eine rechtliche Regelung, ggf. über eine gesonderte Richtlinie, erscheint notwendig, da betriebliche Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz kollektivrechtlich ausgestaltet werden. Den rechtlichen Rahmen hierfür bildet die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Der KI-Verordnungsentwurf sieht vor, dass die Anbieter von KI-Anwendungen eine Konformitätsbewertung vornehmen müssen, bevor die Anwendung auf den Markt gebracht wird. Diese Nachweispflicht des Anbieters, dass den Anforderungen der KI-Verordnung genüge getan ist, bezieht sich dabei sowohl auf das „Ursprungsprodukt“ als auch auf das Produkt nach dem Inverkehrbringen in Form einer Beobachtungspflicht. Die praktische Umsetzung dessen ist gleichwohl fraglich. Zum einen ist es durchaus denkbar, dass die KI-Anwendung oder die durch KI gewonnenen Daten nicht die bestimmungsgemäße Verwendung finden (Widerspruch von Intention und tatsächlichem Einsatz) und vom Nutzer gewissermaßen zweckentfremdet werden. Zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass sich KI als lernendes System kontinuierlich ändert. Beide Möglichkeiten könnten die Sicherheitsanforderungen unterminieren und zu gravierenden Verletzungen der Arbeitnehmer:innenrechte führen, etwa wenn KI-Anwendungen zur Profilbildung, Verhaltensvorhersage und Manipulation missbraucht werden. Der Argumentation des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EESC) folgend, scheint es notwendig, dass in der KI-Verordnung Konformitätsbewertungen für alle (auch bereits auf dem Markt befindlichen) Hochrisiko-KI-Anwendungen durch unabhängige Dritte verpflichtend vorzuschreiben sind.[17]

Insgesamt ist beim KI-Verordnungsentwurf problematisch, dass er sich nur auf das Verhältnis zwischen Anbietern und „Kunden“ bezieht, wobei Kunden in diesem Fall Unternehmen sind, die KI-Systeme anwenden. Was das für deren Beschäftigte (und auch ihre Kunden) bedeutet, wird dabei ausgeblendet. Und gerade für das immer hierarchische Verhältnis zwischen Arbeitgebern und abhängig Beschäftigten bedarf es Regeln, die dem besonderen Schutzbedürfnis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einerseits und ihrer Möglichkeit der kollektiven Interessenvertretung andererseits gerecht werden. Insofern ist der Entwurf grundsätzlich überarbeitungsbedürftig und muss durch europäische und deutsche Regelungen zum Schutz und für die Mitbestimmung von Beschäftigten ergänzt werden.

Welche Rechte haben und brauchen Gewerkschaften und Betriebsräte beim Thema KI?

Die Digitalisierung schafft Räume, die die Mitbestimmung außenvorlassen –  beispielsweise, wenn Geschäftsführung und Personalabteilung hinter verschlossenen Türen über die Zielsetzung, Beauftragung und Beschaffung von KI-gestützten Anwendungen im Betrieb beraten. Da mit der (unkontrollierten) Datenhoheit ein Zuwachs von Macht einhergeht, können sich bestehende betriebliche Machtstrukturen zu Ungunsten der Beschäftigten zementieren.

Zweifelsohne fordern Digitalisierung und vor allem der Einsatz von KI die bestehenden Mitbestimmungsstrukturen heraus. Es ist Aufgabe der Betriebsräte und Interessenvertretungen, dem technologischen Fortschritt ein emanzipatorisches Element für die Beschäftigten abzugewinnen und Schaden von ihnen abzuwenden. Sie müssen gewährleisten können, dass die Autonomie der Beschäftigten bewahrt bleibt und sie nicht durch den Einsatz von (neuen) Technologien wie KI zu passiven „Anhängseln der Maschine“ degradiert werden.

Die im Entwurf der KI-Verordnung dargestellten Regulierungsvorgaben reichen nicht aus, um die Persönlichkeitsrechte (Datenschutz) und Arbeitnehmerrechte, wie das Recht auf Einhaltung des Arbeitsschutzes sowie Gleichberechtigung und Schutz vor Diskriminierung, zu schützen und präventiv abzusichern. Die Erfassung und Verarbeitung personenbezogener Daten wird im Entwurf der KI-Verordnung nicht gesondert behandelt, sind aber in der DSGVO auch für den Beschäftigungskontext geregelt. Art. 88 DSGVO ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten auch, durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zu erlassen.

Noch besteht Unsicherheit darüber, inwieweit die separaten Verordnungen ineinandergreifen und sich ergänzen – oder wo sie sich möglicherweise diametral gegenüberstehen. Beispielsweise ist gemäß Art. 13 DSGVO das Sammeln von Daten über das Verhalten von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz unzulässig. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass KI-Anwendungen am Arbeitsplatz durchaus unter dem Deckmantel der Terminplanung zur Verhaltensanalyse eingesetzt werden (könnten). So beobachtet beispielsweise das KI-gestützte Microsoft-Tool MyAnalytics die Arbeitsweise des Nutzers bzw. der Nutzerin im Hintergrund. Eingebunden in Microsoft Outlook soll es „Tipps für die Strukturierung des Arbeitsalltags“ liefern und dafür Sorge tragen, „dass keine schlechten Gewohnheiten einreißen, wie beispielsweise das nächtliche Abarbeiten von E-Mails.“[18]

Um eine KI-gestützte Leistungsbewertung und Verhaltenskontrolle „durch die Hintertür“ zu vermeiden, braucht es perspektivisch ergänzende Nutzerpflichten, ausgeweitete Rechte der Interessensvertretungen und verbindliche betriebliche Maßnahmen für die Überwachung der Pflichteinhaltung durch die Betriebsparteien. Eine Mindestvoraussetzung hierfür sind Informationsrechte von Betriebsräten gegenüber dem Arbeitgeber, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz vorgibt. Ergänzend zu den Mitbestimmungspflichten bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG müssten Arbeitgeber Betriebsräte rechtzeitig und umfassend etwa darüber unterrichten, mit welchen Daten das KI-System gespeist werden soll, welche Zweckbindung der Einsatz des KI-Systems verfolgt, wer die potentiell Betroffenen sind und wer über die Interpretations- bzw. Entscheidungsmacht (Deutungshoheit) verfügt. Hierfür bräuchten Betriebsräte zur Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten bereits bei der Beauftragung bzw. dem Erwerb, ggf. auch bei der Entwicklung von KI-Anwendung durch den Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte sowie einen Anspruch auf die Hinzuziehung von Sachverständigen auch ohne vorherige Einigung mit dem Arbeitgeber. Bei technischen Kontrolleinrichtungen ist zudem ein prozedurales Mitbestimmungsrecht bzw. eine entsprechende Erweiterung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erforderlich (s.u.).

Um eine adäquate Technikfolgenabschätzung und Gefährdungsbeurteilung vornehmen zu können und dadurch negative (u.a. psychische) Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten bestmöglich zu vermeiden, müssten die Betriebsräte auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz gemäß §§ 89, 90 BetrVG an den Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten (§ 22 Abs. 2 SGB VII) teilnehmen.

Damit die Autonomie der Beschäftigten und ihrer Interessensvertreter gewährleistet werden kann, müssten sie außerdem dazu befähigt werden, die Logik hinter den technischen Anwendungen zu verstehen. Auch hier steht zu bezweifeln, ob die KI-Verordnung diesem Anspruch der Beschäftigten auf Autonomie und Selbstbestimmung gerecht wird.[19]  Die Betriebsräte sollten ihre Möglichkeiten, externe Expertise zurate zu ziehen, beim Thema KI unbedingt ausschöpfen (§ 80 Abs. 2, 3 BetrVG).

Da davon ausgegangen werden kann, dass KI-Anwendungen sukzessive auch in KMU Einzug halten werden, sollten Beratungseinrichtungen des Bundes oder der Länder und, wo möglich, innerbetrieblich KI-Arbeitsgruppen installiert werden, um den Bedarf an neuem Wissen zu bedienen. In diesem Bereich kommt auch den Gewerkschaften eine bedeutende Rolle zu.

Was macht die IG Metall und was ist noch zu tun?

Die IG Metall bringt sich kritisch-konstruktiv und lösungsorientiert in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs um Künstliche Intelligenz sowohl auf Bundes- als auch auf europäischer Ebene u.a. durch Stellungnahmen und die Teilnahme an Konsultationen und Stakeholdergesprächen der Europäischen Kommission ein. Dabei geht es nicht darum, technische Innovationen zu blockieren, sondern diese zum Wohle der Menschen nutzbar zu machen. Dabei hat das für die Menschen und Beschäftigten technisch Sinnvolle immer Vorrang vor dem technisch Machbaren.

Aktuell bringt sich die IG Metall vor allem über ihr Verbindungsbüro in Brüssel, aber auch durch die Zusammenarbeit mit dem DGB und IndustriALL, in die laufende Erarbeitung des KI-Verordnungsentwurfs ein. Sobald die Verordnung ins deutsche Recht übertragen werden muss, wird sich die IG Metall auch in diesen Prozess mit deutlichen Forderungen intensiv einbringen. Diese Forderungen entstehen durch einen internen Positionierungsprozess und den engen und vertrauensvollen Austausch mit den betrieblichen Akteuren u.a. in den installierten BR-Netzwerken.

Auf Bundesebene halten wir die Installation von unabhängigen Prüf-, Beratungs- und Beschwerdeeinrichtungen für notwendig. Diese und weitere Forderungen bringen wir auf Bundesebene auch über eine entsprechende Fokusgruppe des KI-Observatoriums des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ein.

Auf betrieblicher Ebene zielen die Aktivitäten der IG Metall darauf ab, ihre Funktionäre und Aktiven dazu zu befähigen, die Einführung von KI selbstständig und kompetent zu begleiten und zu gestalten. Um sie bestmöglich für die anstehenden (und laufenden) Auseinandersetzungen und Aushandlungen in den Betrieben zu unterstützen, bietet die IG Metall in ihrem bundesweiten Bildungsprogramm und auf bezirklicher Ebene bereits seit Längerem spezielle KI-Seminare an, deren Inhalte jährlich dem Stand der Technik, Regulierung und (gesellschaftlichen) Diskussion angepasst werden.

In den Seminaren konnten sich Betriebsräte, Schwerbehindertenvertretungen, Jugend- und Auszubildendenvertretungen, Vertrauensleute und weitere betriebliche Aktive in unseren Bildungszentren bereits 2021 informieren, welche gängigen KI-Systeme Anwendung finden, worauf diese Systeme technisch beruhen und wie die aktuelle Rechtsprechung und offizielle Stellungnahmen von Aufsichtsbehörden ausfallen. Ein weiterer Schwerpunkt der Bildungsarbeit nach § 37.7 BetrVG bzw. § 179.4 SGB IX in diesem Kontext ist die betriebliche Mitbestimmung hinsichtlich KI-Einführungen im Betrieb, wobei 2021 sowohl Einstiegs- als auch Vertiefungsseminare angeboten worden sind. Das Bildungsprogramm 2022 befasst sich fallbezogen neben den technischen Fortschritten der künstlichen Intelligenz, neuronaler Netze, Robotic Process Automation, Machine Vision und Natural Language Processing auch vermehrt mit ethischen und gesamtgesellschaftlichen Fragen. Wer macht eigentlich KI? Wer haftet für KI? Wer trifft letztendlich die Entscheidungen? Und über welche Kontrollmechanismen und Eingriffsmöglichkeiten können Betriebsräte Qualität und Fairness im Betrieb sicherstellen, um sozialen Ungleichheiten und „einer weiteren Polarisierung von Arbeit, Beschäftigung, Einkommen und Status“[20] entgegenzuwirken? Ein wesentlicher Bestandteil der Seminare ist auch, Gestaltungsmöglichkeiten guter Arbeit nach BetrVG und Tarifvertrag aufzuzeigen und Elemente von Betriebsvereinbarungen zu KI zu erörtern.[21] Beispielhafte Formulierungen für Betriebsvereinbarungen zur Einführung und Planung von Informationstechnologien sowie Informations- und Kommunikationstechnologien hat A. Thieltges im Rahmen des HBS-geförderten Projektes „Algorithmische Gegenmacht“ auf Grundlage von 29 bestehenden Vereinbarungen zusammengetragen.[22]

Für eine umfassende arbeitsfokussierte Technikfolgenabschätzung brauchen die Betriebsräte Leitlinien und Tools, die sich primär an dem Einsatzzweck der KI-Anwendungen orientieren. Ein Vorbild dafür könnte der von IG Metall und Wissenschaft entwickelte „Kompass Digitalisierung“ sein, der Betriebsräten ein praktisches Instrument an die Hand gibt, Digitalisierungsprozesse in ihren Unternehmen im Sinne von „guter digitaler Arbeit“ (mit-) zu gestalten.[23]

Nach den unterschiedlichen „Rollen“ von KI lassen sich die Anwendungen anhand der Kategorien Regulierung/Transparenz und Beteiligung/Befähigung kategorisieren.[24] Durch den Gebrauch einer Matrix lassen sich KI-Anwendungen mit Betrieb anschaulich darstellen. In der horizontalen Achse wird dabei abgetragen, ob die Anwendung der Unterstützung oder der Substitution von Arbeit dient. Entlang der Hochachse wird abgetragen, ob KI-Anwendungen im Bereich „normaler“ Arbeit oder in der Personalsteuerung eingesetzt werden.

Nach der Zuordnung der KI-Anwendungen zu einer definierten Kategorie können entsprechende Regelungsbedarfe abgeleitet werden. Dabei steigern sich die regulatorischen Anforderungen vom Koordinatenursprung zur rechtsoberen Ecke. Das Nutzen dieser Matrix oder ggf. anderen geeigneten Kategorisierungswerkzeugen sollte in den Betrieben fest etabliert werden und zur Grundlage jedes Aushandlungsprozesses werden.

Diese Evaluationsprozesse benötigen neben methodischem und fachlichem Know-how vor allem Zeit. Das nötige Zeitvolumen ist nicht zu unterschätzen – zumal angesichts der rasanten technischen Entwicklungen eine Evaluation der KI-Anwendungen auch Jahre nach ihrer Einführung regelmäßig vorgenommen werden muss. Das trifft insbesondere dann zu, wenn es sich tatsächlich um selbstlernende Systeme handelt, die sich selbst und intransparent verändern („black box“-Phänomen). Vereinbarungen zwischen den Sozial- und Betriebspartnern zu KI-Systemen werden daher einen neuen Charakter bekommen müssen: Anstelle konstanter Regeln werden sie regelmäßige Konsultationen zwischen den Betriebsparteien und neue zentrale und dezentrale, ggf. agile Konfliktlösungsmechanismen vorsehen müssen. Es ist ratsam, hierfür einen dauerhaften Mitbestimmungsprozess zu initiieren. [25]

Fazit

Das Thema „künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz“ erfordert aktive Gewerkschaften von der betrieblichen bis zur europäischen Ebene. Regulierung, Mitbestimmungsrechte, Bildungs- und Unterstützungsangebote sind notwendig, wenn der Einsatz von KI-Anwendungen am Arbeitsplatz zu „guter digitaler Arbeit“ führen soll.

[1] Der Begriff „KI-Winter“ wird gerne genommen, um die Zeiten scheinbarer Ruhe in der Entwicklung von KI-Technologien zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere auch die die achtziger Jahre. Siehe dazu den Beitrag in der ZEIT: https://www.zeit.de/digital/internet/2016-08/kuenstliche-intelligenz-geschichte-neuronale-netze-deep-learning/komplettansicht

[2] UN Deputy Chief Interviews Social Robot Sophia unter https://www.youtube.com/watch?v=qNoTjrgMUcs

[3] Writer, B. (2019): Lithium-Ion Batteries. A Machine-Generated Summary of Current Research. Springer. E-Book unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-030-16800-1.pdf

[4] HBS-Projekt „Die digitale Transformation im Büro – KI und der Wandel der Angestelltenarbeit“ unter https://www.boeckler.de/de/suchergebnis-forschungsfoerderungsprojekte-detailseite-2732.htm?projekt=2020-648-2

[5] Verordnungsvorschlag COM(2021) 206 final unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52021PC0206&from=EN, Erwägungsgrund Nr. 6

[6] eco e. V. / Arthur D. Little (2019): Künstliche Intelligenz. Potential und nachhaltige Veränderung der Wirtschaft in Deutschland, 1. Auflage, Köln/Frankfurt a.M. unter https://www.eco.de/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/11/studie-kuenstliche-intelligenz-leseprobe-1.pdf

[7] Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0 / acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.) (2021): Expertise des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0. Künstliche Intelligenz zur Umsetzung von Industrie 4.0 im Mittelstand, München. unter https://www.plattform-i40.de/IP/Redaktion/DE/Downloads/Publikation/Expertise-Forschungsbeirat_KI-fuer-Industrie40.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[8] Als People Analytics bezeichnet man eine Methode des Personalwesens und der Personalentwicklung, die darauf beruht, personenbezogene Daten z.B. im Rahmen von Personalauswahl und Personaleinsatz KI-gestützt auszuwerten.

[9] Albrecht, T. / Kellermann, C. (2020): Künstliche Intelligenz und die Zukunft der digitalen Arbeitsgesellschaft. HBS Working Paper Nr. 200

[10] Rump, J. / Eilers, S. (2021): Die Zukunft des betrieblichen Lernens, 1. Auflage, Stuttgart, S. 116

[11] Ebd., S. 117

[12] Der europäische Grüne Deal, COM(2019) 640 final unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/european-green-deal-communication_de.pdf

[13] Simbeck, K. (2019): Ergebnisse aus dem HBS-Projekt „Diskriminierung durch künstliche Intelligenz“ im Interview mit personalmagazin plus: HR software unter https://zeitschriften.haufe.de/ePaper/personalmagazin/2019/A07BEFD/10/index.html#zoom=z

[14] Parallel zum Entwurf der KI-Verordnung wird an einem Entwurf zur Änderung der EG-Maschinenrichtlinie gearbeitet, in welcher für Maschinenprodukte sektorenspezifische Konkretisierungen vorgenommen werden.

[15] DGB (Hrsg.) (2021): Erste gewerkschaftliche Einschätzung der arbeitspolitisch relevanten Aspekte zum Entwurf der EU-Kommission (EU KOM) für eine europäische KI-Verordnung (ARTIFICIAL INTELLIGENCE ACT) vom 21. April 2021 unter https://www.dgb.de/downloadcenter/++co++babd1e88-df0f-11eb-ba7f-001a4a160123

[16] EESC (2021): Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur KI-Verordnung, Berichterstatterin: Catelijne MULLER

[17] Ebd.

[18] Moutafis, J. (2019): Microsoft bringt Künstliche Intelligenz in Office 365 unter https://business-user.de/workplace/microsoft-bringt-kuenstliche-intelligenz-in-office-365/

[19] Dieser Frage geht AlgorithmWatch in einem von der Hans-Böckler-Stiftung und dem European AI Fund gefördertes Forschungsprojekt nach.

[20] Albrecht, T. / Kellermann, C. (2020): Künstliche Intelligenz und die Zukunft der digitalen Arbeitsgesellschaft. HBS Working Paper Nr. 200

[21] IG Metall (Hrsg.) (2021): Bildung – jetzt erst recht. Bildungsprogramm 2022 für Betriebsräte, Schwerbehinderten-vertretungen und JAVen unter https://www.igmetall.de/download/20210921_BiPro_2022_Heft2_BR_SBV_JAV_web_1e0c8b3bf66e200feab3052dfeac499884b16d34.pdf

[22] Thieltges, A. (2020): Machine Learning Anwendungen in der betrieblichen PraxisMitbestimmungspraxis Nr. 33, I.M.U. Düsseldorf

[23] IG Metall (Hrsg.) (2019): Kompass Digitalisierung. Eine Gestaltungshilfe für gute digitale Arbeit. unter http://www.steps-projekt.de/kompass-digitalisierung/

[24] Albrecht, T. / Kellermann, C. (2020): Künstliche Intelligenz und die Zukunft der digitalen Arbeitsgesellschaft. HBS Working Paper Nr. 200

[25] Thieltges, A. (2020): Machine Learning Anwendungen in der betrieblichen Praxis
Mitbestimmungspraxis Nr. 33, I.M.U. Düsseldorf, S. 21

Autoren

  • Thorben Albrecht ist Bereichsleiter des FB Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand der IG Metall. Zuvor war er beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dort zuständig für die Abteilungen für Grundsatzfragen, Arbeitsmarktpolitik sowie für die europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik.

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  • Julia Görlitz ist politische Sekretärin im Ressort Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall und leitet seit Oktober 2020 die Arbeitsgruppe „Arbeit, Aus- und Weiterbildung“ der Plattform Industrie 4.0. Vorher war sie neun Jahre lang bei unterschiedlichen Arbeitgebern im Bereich Drittmittelförderung tätig.

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