Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen – Gesamtkonzept noch offen

Melanie Wehrheim (Bereichsleiterin ver.di-Berufspolitik) und Hanna Stellwag (ver.di-Gewerkschaftssekretärin)

1. Einleitung

Die gesundheitliche Versorgung hat sich in den letzten Jahren stark verändert und damit auch das Aufgabenspektrum der Gesundheitsfachberufe (Heilberufe). Die Berufszulassungsgesetze und die darauf basierenden Verordnungen haben mit dieser Entwicklung (lange) nicht Schritt gehalten. Daneben werden neue Berufe entwickelt und Zusatzqualifikationen geschaffen. Die Notwendigkeit, die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen zeitgemäß und zukunftsgerecht zu gestalten, ist seit Langem offensichtlich (Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen 2007; Dielmann et al. 2020). Einige Reformen sind inzwischen erfolgt. Für eine gute Versorgung braucht es qualitativ hochwertige Ausbildungen, die den Auszubildenden attraktive Bedingungen und eine gute Perspektive bieten.

Die zu Beginn dieser Legislaturperiode angekündigte Neuordnung der Gesundheitsfachberufe bietet die Chance, die Heilberufe nachhaltig zu stärken und dem hohen Fachkräftebedarf im Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Dabei müssen die Auszubildenden als Lernende betrachtet und die Ausbildungsbedingungen attraktiver ausgestaltet werden. Doch inwieweit setzen die bereits erfolgten Ausbildungsreformen diese Ziele um? Welche Anforderungen sind bei den noch ausstehenden Reformen zu beachten? Ausgehend von den zentralen Reformbedarfen legt der Artikel die Anforderungen an eine Neuordnung der Gesundheitsfachberufe aus gewerkschaftlicher Perspektive dar und zieht Schlussfolgerungen zu den bisher erfolgten Reformen.

2. Reformbedarfe der Gesundheitsfachberufe

Die Notwendigkeit, die Gesundheitsfachberufe weiterzuentwickeln, ergibt sich einerseits aus strukturellen Gründen, andererseits infolge veränderter Anforderungen der gesundheitlichen Versorgung.

Die Gesundheitsfachberufe sind nicht im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt, sondern in den Berufszulassungsgesetzen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 des Grundgesetzes. Neben der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung und z. T. der Berufszulassung wird auch die Ausbildung, allerdings nur in allgemeiner Form, geregelt. Aufgrund konkurrierender Kompetenzen zwischen Bund und Ländern unterliegen die Ausbildungsmodalitäten in diesem Bereich der Regelungshoheit der Bundesländer, was bisher zu einer sehr unterschiedlichen Ausgestaltung der Ausbildungen in den einzelnen Ländern führt (vgl. Dielmann et al. 2020).

Die Ausrichtung der Ausbildungen unterscheidet sich stark voneinander. Die Bandbreite reicht von eher schulisch orientierten Ausbildungen bis hin zu dual orientierten Ausbildungsgängen. Die arbeitsrechtliche Absicherung der Auszubildenden besteht bisher nur in einigen Berufszulassungsgesetzen (u. a. für die Pflegeberufe und Notfallsanitäter*innen). Arbeitsrechtliche Standards analog des BBiG werden damit nicht durchgängig auf die Ausbildungen der Gesundheitsfachberufe angewandt. Der rechtliche Status der Auszubildenden als Schüler*in ist in vielen Fällen noch vorhanden. Dies wirkt sich negativ auf die Möglichkeiten der Mitbestimmung der Auszubildenden aus. Hinzu kommen die Sonderrolle der Schulen und fehlende einheitliche Qualifikationsanforderungen für Lehrkräfte an Schulen des Gesundheitswesens (ebd.).

Darüber hinaus sind zum Teil auch hochschulische Ausbildungen regelhaft möglich (ergänzend zur beruflichen Pflegeausbildung als primärqualifizierendes Studium im Pflegeberufegesetz, als duales Studium im neuen Hebammengesetz), zum Teil werden diese im Rahmen von Modellklauseln ermöglicht (Notfallsanitäter*innen, Ergo- und Physiotherapeut*innen, Logopäd*innen). Die zusätzlichen Ausbildungsziele für die hochschulische Ausbildung nach Pflegeberufegesetz ermöglichen bislang keine klare Abgrenzung der Berufsprofile von hochschulisch und dual ausgebildeten Pflegefachkräften (vgl. Dielmann 2020). Diese fehlende Abgrenzung zeigt sich in der Umsetzung des Pflegeberufegesetzes als große Herausforderung. Hinzu kommen die fehlenden Schutzrechte der Studierenden in der Praxis. Obwohl der Praxisanteil in der hochschulischen Ausbildung nahezu vergleichbar zu dem in der beruflichen Ausbildung ist, besteht für die Studierenden kein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

Fortschritte in der Medizin und neue Erkenntnisse in der Gesundheitsversorgung erfordern, dass bestehende Berufsbilder weiterentwickelt werden müssen. Der ökonomische Druck und die Reorganisation der Arbeitsteilung gehen mit einem „Berufe basteln“ einher, das zu neuen Qualifikationsbezeichnungen führt (Dielmann 2005; Bräutigam et al. 2013; Dielmann et al. 2020). Die daraus entstehenden Berufe werden oftmals ohne Regelungsgrundlage ausgebildet, klare Berufsbilder lassen sich oft nicht erkennen. Eine Situation, die im Hinblick auf die Versorgungsqualität, die Patientensicherheit und den Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten nicht zufriedenstellend sein kann.

Sinkende bzw. stagnierende Auszubildendenzahlen (vgl. Abb. 1) in den Gesundheitsfachberufen zeugen zusätzlich von einer geringen Attraktivität der Ausbildungen und verschärfen den bestehenden hohen Fachkräftebedarf zusätzlich. Ausgenommen von dieser Entwicklung sind die Hebammen und die Pflegeberufe, die steigende Ausbildungszahlen verzeichnen können. Allerdings zeigt sich bei den Pflegeberufen, dass viele Auszubildende – in der Krankenpflege und Altenpflege jeweils fast ein Drittel – ihre Ausbildung aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig abbrechen. Neben der Gewinnung von Auszubildenden sollte daher stärker auch der Fokus darauf gelegt werden, was Auszubildende benötigen, um ihre Ausbildung erfolgreich zu Ende führen zu können.[1] In den nachfolgend dargestellten Zahlen nicht berücksichtigt sind die Zahlen der Auszubildenden, die 2020 eine Ausbildung nach dem neuen Pflegeberufegesetz begonnen haben, da diese zum Redaktionsschluss noch nicht vorlagen.

Abbildung 1: Entwicklung Auszubildendenzahlen in ausgewählten Gesundheitsfachberufen in den Schuljahren 2013/2014 bis 2019/2020

3. Anforderungen an die Neuordnung der Gesundheitsfachberufe aus gewerkschaftlicher Sicht

Um einen Beitrag zur Aufwertung der Berufe der personenbezogenen Dienstleistungen zu leisten, empfahl bereits der Erste Gleichstellungsbericht (2011), das in einen dualen und einen schulischen Zweig geteilte Berufsbildungssystem mit dem Ziel zusammenzuführen, bundeseinheitliche Standards in der Berufsausbildung zu schaffen (BT-Drs. 17/6240: S. 101). Auch die Sachverständigenkommission des Zweiten Gleichstellungsberichts (2017) hielt dieses Ziel grundsätzlich für richtig, sprach sich jedoch insbesondere dafür aus, einige Merkmale der Ausbildungen anzugleichen bzw. zu harmonisieren. Um die Berufsausbildungen attraktiver zu gestalten, werden die Kostenfreiheit der Ausbildung und Vergütung während der Ausbildung als wesentlich angesehen (BT-Drs. 18/12840: S.144 ff.).

Die Empfehlungen sind nach wie vor von hoher Aktualität: Um junge Menschen für eine Ausbildung in einem Gesundheitsberuf zu gewinnen, ist der Zugang zur Ausbildung ohne finanzielle Hürden von großer Bedeutung. Die Kostenfreiheit der Ausbildung insgesamt, die über eine reine flächendeckende Schulgeldfreiheit hinausgeht und auch das zur Verfügung stellen von Ausbildungsmitteln für die theoretische und praktische Ausbildung einschließt, ist ein grundlegender Pfeiler, junge Menschen für eine Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen zu gewinnen. In Anbetracht des hohen Fachkräftebedarfs erscheint dies längst überfällig.

Ebenso verhält es sich mit der Verankerung des gesetzlichen Anspruchs auf eine angemessene Ausbildungsvergütung für die gesamte Dauer der Ausbildung. In den Pflegeberufen und anderen Ausbildungsberufen ist dies längst selbstverständlich. Damit kann nicht nur ein wesentlicher Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet werden, sondern die Auszubildenden auch bei der Lebenshaltung finanziell unterstützt werden. Das große Engagement der Auszubildenden, die eine Tarifbewegung angestoßen haben, an deren Ende 2019 eine Vergütung für betrieblich-schulische Auszubildende in öffentlichen Häusern stand, zeigt, wie wichtig dieser Aspekt für die Attraktivität der Berufe ist.

In den Gesundheitsfachberufen ist der Erwerb berufsfachlicher Kompetenzen im Rahmen der Gesundheitsversorgung unerlässlich. Daher bietet sich eine dual organisierte Ausbildung mit betrieblichen und berufsschulischen Anteilen an, wobei Theorie und Praxis gut miteinander verzahnt werden müssen. Eine ausbildungs- und arbeitsrechtliche Regelung der Ausbildung durch schriftliche Ausbildungsverträge zwischen den Betrieben und den Auszubildenden stellt die Grundlage dar. Der Betrieb als Träger der Ausbildung hat sicherzustellen, dass die praktische Ausbildung quantitativ und qualitativ in dem erforderlichen Maße durchgeführt wird und der Lernprozess tatsächlich im Vordergrund steht. Diese Ausgestaltung sichert zugleich die betriebliche Mitbestimmung und ermöglicht den betrieblichen Interessenvertretungen, zur Sicherung und Gestaltung der Ausbildungsqualität beizutragen. Für alle Ausbildungsberufe sollten bundeseinheitliche Rahmenpläne vorgegeben werden, die durch Gremien auf Bundesebene unter paritätischer Beteiligung von Sachverständigen der Sozialpartner entwickelt und regelmäßig evaluiert werden.

Um die Ausbildungsqualität zu stärken, sind einheitliche Vorgaben zum Mindestumfang der Praxisanleitung, der erforderlichen berufspädagogischen Zusatzqualifikation der Praxisanleiter*innen, zur Ausgestaltung der Praxisbegleitung sowie zur Qualifikation der Lehrkräfte wesentlich. Es ist wichtig, dass die Lehrkräfte nah an der Realität der Auszubildenden und der Berufspraxis orientiert unterrichten. Der Transfer neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Berufspraxis kann so sichergestellt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Qualifikation der Lehrkräfte eine dreijährige Ausbildung im zu unterrichtenden Beruf sowie ein pädagogisches Hochschulstudium mit einem wissenschaftlichen Hochschulabschluss umfasst. Um das bisherige Ausbildungspersonal auch weiterhin halten zu können, muss ein Bestandsschutz verankert werden.

Dringender Reformbedarf lässt sich aus den langen Zeiträumen seit den letzten Überarbeitungen der Berufszulassungsgesetze ableiten. So stammt z. B. das Ergotherapeutengesetz aus dem Jahr 1976. Grundsätzlich gilt deshalb: Die Ausbildungsinhalte müssen an die heutigen und künftigen Anforderungen der Berufe angepasst werden. Ausbildungsziele müssen entsprechend dem allgemeinen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse auf fachliche, soziale und methodische Kompetenzen abzielen. Ausbildungsberufsbilder, die sich aus der Summe der Ausbildungsziele ergeben, dienen sowohl einer Profilschärfung der jeweiligen berufsspezifischen Kompetenzen als auch der Förderung interprofessioneller Zusammenarbeit von verschiedenen Berufsgruppen. Für alle Gesundheitsfachberufe müssen gemeinsame und berufsspezifische Kompetenzen festgelegt werden. Eine Formulierung der Kompetenzen muss strukturell und inhaltlich gemäß gängiger Kriterien erfolgen, so dass eine sachgerechte Zuordnung zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) vorgenommen werden kann. Die Expertengruppe der AG Gesundheit, die im Zuge der DQR-Entwicklung gegründet wurde, empfahl die Zuordnung der dreijährig ausgebildeten Gesundheitsfachberufe (Pflegeberufe, Physio- und Ergotherapeut*innen usw.) zum Niveau 5 des insgesamt acht Kompetenzniveaus umfassenden DQR, in einzelnen Bereichen auch zu Niveau 6 (Bals 2011).

Die Diskussion um die Erweiterung der Kompetenzen der Gesundheitsfachberufe und damit verbunden eine neue Aufgabenverteilung wird seit Langem geführt. Um eine qualitativ hochwertige Behandlung der Patient*innen und die Berufe selbst zu stärken, ist dies sinnvoll. Dazu gehört auch die fachspezifische Ausübung der Heilkunde im Rahmen der in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen. Maßstab für diese Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe müssen die Anforderungen, die sich aus der gesundheitlichen Versorgung ergeben, sein.

Die Stärkung der Durchlässigkeit – sowohl horizontal als auch vertikal – ist Voraussetzung einer attraktiven Ausbildung. Sie ermöglicht den Auszubildenden eine individuelle und fachliche Weiterentwicklung. Die Anrechnung von erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungen und Ausbildungsteilen im Umfang ihrer Gleichwertigkeit aus Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen ist im Sinne der horizontalen Durchlässigkeit in künftigen Reformen zu berücksichtigen. Auch non-formal oder informell durch Berufserfahrung oder Ausübung anrechenbarer Tätigkeiten erlangte Kompetenzen sind zu berücksichtigen. Die vertikale Durchlässigkeit kann durch den Hochschulzugang beruflich qualifizierter Bewerber*innen, die nicht über eine formale Hochschulzugangsberechtigung verfügen, gestärkt werden. Zudem ist zu diskutieren, ob allgemeinbildende Inhalte in die Ausbildungen integriert werden können, so dass mit dem Berufsabschluss die allgemeine oder zumindest die fachgebundene Hochschulreife erworben werden kann. Auszubildenden mit mittlerem Schulabschluss kann so der unmittelbare Übergang in die Hochschule, ggf. unter Anrechnung der im Rahmen der Ausbildung erworbenen beruflichen Kompetenzen zur Verkürzung der Hochschulausbildung, ermöglicht werden (Dielmann et al. 2020).

Die Harmonisierung der Strukturen und Qualitätsstandards der Ausbildungen in den Heilberufen führt zu einer nachhaltigen Stärkung der Heilberufe (BT-Drs. 18/12840: S. 144 ff.). Am besten ließen sich die Schutzrechte für die Auszubildenden durch eine Regelung nach BBiG gewährleisten. Eine solche Neuordnung bietet die Möglichkeit, den theoretischen und praktischen Unterricht auf die zu erwerbenden Kompetenzen abzustimmen und auch Rechtsansprüche der Auszubildenden (z. B. Ausbildungsvertrag, praktische Anleitung durch dafür qualifizierte Praxisanleiter*innen, usw.) zu formulieren. Mindestens sollte ein gemeinsames Heilberufegesetz als gemeinsames Dach aller Gesundheitsfachberufe in Betracht gezogen werden. In diesem könnten die Strukturen und Rahmenbedingungen in den Ausbildungen der Heilberufe einheitlich gestaltet werden (u. a. Vorgaben zur Formulierung der Ausbildungsziele, zur Qualität der theoretischen und praktischen Ausbildung, zu Planung, Struktur und Umfang der Praxisanleitung sowie zur Qualifikation der Lehrenden und zur Finanzierung der Ausbildung). Berufsspezifischen Besonderheiten kann durch eine entsprechende Ausgestaltung der Ausbildungsordnungen Rechnung getragen werden.

Die sich verändernde Versorgungslandschaft, die Anforderungen an die Patientensicherheit und die Prozesse der Digitalisierung im Gesundheitswesen erfordern, dass die Entwicklungstendenzen und Anpassungsbedarfe der Berufsbildung in den Gesundheitsberufen systematisch beobachtet werden. Es braucht eine Berufsbildungsforschung, die die notwendigen Erkenntnisse generiert, um die Weiterentwicklungen der Berufsausbildungen zu unterstützen. Eine Einbeziehung der Heilberufe in die Regelförderung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) unter Beteiligung der Sozialpartner ist daher dringend notwendig.

4. Neuordnung der Gesundheitsfachberufe: aktueller Stand

In den letzten Jahren sind bereits einige Ausbildungsreformen erfolgt. Nach dem Notfallsanitätergesetz 2013 folgte nach einem intensiven Diskussionsprozess das Pflegeberufegesetz 2017. Für die 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages kündigten CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag 2018 an, die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen in einem Gesamtkonzept neu zu ordnen und zu stärken. Attraktive Ausbildungsbedingungen werden als zentrale Voraussetzung dafür gesehen, auch in Zukunft hoch motivierten Nachwuchs für die Gesundheitsfachberufe gewinnen zu können. Eine grundlegende Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe steht seitdem auf der Agenda.

Zu Beginn der Wahlperiode erfolgt zunächst die notwendige, weitere Ausgestaltung der neuen Pflegeausbildungen, hieran anschließend die Reform der Hebammenausbildung und die überfällige Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung der Ausbildung zur/zum Anästhesietechnische*n Assistent*in (ATA) bzw. zur/zum operationstechnische*r Assistent*in (OTA). Während das neue Pflegeberufegesetz und Hebammengesetz seit 2020 gelten, tritt das ATA-OTA-Gesetz zum 1.1.2022 in Kraft. Auch die Ausbildung zur/zum Pharmazeutisch-technische*n Assistent*in (PTA-Reformgesetz) und die Ausbildung der Berufe in der medizinischen Technologie (MTA-Reformgesetz) wurden reformiert. Die neuen Grundlagen greifen jeweils ab 2023.

Grundlage der Reform der Ausbildung zur/zum Medizinische*n Technolog*in bilden die Eckpunkte zum „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“, auf das sich Bund und Länder im März 2020 verständigt hatten. Folgende Ausbildungen sollen ebenfalls auf Grundlage der Eckpunkte reformiert werden: Diätassistent*in, Ergotherapeut*in, Logopäd*in, Masseur*in und medizinische*r Bademeister*in, Orthoptist*in, Physiotherapeut*in, Podolog*in.

Die Eckpunkte umfassen Reformbestrebungen wie die Abschaffung des Schulgeldes, die Einführung einer angemessenen Ausbildungsvergütung, Anforderungen an Standards zur Sicherung der Ausbildungsqualität (Praxisanleitung, Qualifikationsanforderungen an Lehrende etc.), eine Stärkung der Durchlässigkeit und einige Prüfaufträge. Darunter der Auftrag zur Prüfung, ob und wenn ja in welcher Form eine Akademisierung der Ausbildungen in der Ergo-, Logo- und Physiotherapie vollzogen werden soll. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses zeichnet sich ab, dass in dieser Legislaturperiode keine Entscheidung darüber getroffen wird. Damit die bestehenden Modellstudiengänge fortgeführt werden können, sollen die Modellklauseln zur Erprobung von akademischen Ausbildungsangeboten in der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie bis Ende 2026 erneut verlängert werden.

In der Gesamtschau der bisher erfolgten Ausbildungsreformen ist positiv zu verzeichnen, dass – soweit noch nicht gegeben – die Schulgeldfreiheit, bestenfalls die Kostenfreiheit der Ausbildung, und der Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung verankert wurden. Während dies bei den Ausbildungen der Pflegeberufe oder der Hebammen bereits gegeben war, gilt dieser Anspruch ab 2023 erstmalig bei den Ausbildungen der Berufe in der medizinischen Technologie. Wichtig ist, dass Theorie und Praxis verzahnt stattfinden und die Ausbildungsvergütung für die gesamte Dauer der Ausbildung gegeben ist.

Grundsätzlicher Reformbedarf besteht weiterhin bei der Ausbildung zur/zum PTA: Die Schulgeldfreiheit wurde mit Verweis auf das „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ ebenso wenig verankert wie ein Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung ab dem ersten Tag der Ausbildung. Hinzu kommt, dass trotz erweiterter Ausbildungsinhalte die Ausbildungsdauer nicht auf drei Jahre verlängert wurde.

Vorgaben unter anderem zur Praxisanleitung und Praxisbegleitung sowie zur Qualifikation der Lehrkräfte sind zur Stärkung der Ausbildungsqualität unerlässlich. Es ist gut, dass im Rahmen der Reformen entsprechende Qualitätsanforderungen verankert bzw. gestärkt wurden. Für eine nachhaltige Stärkung der Ausbildungsqualität sollten diese weiterentwickelt werden. Die Regelungen an sich bewegen sich hier in einer gewissen Bandbreite, sind aber für die jeweiligen Gesundheitsfachberufe unterschiedlich ausgestaltet. Dies gilt auch für die Ausbildungsstrukturen und die damit verbundene Rolle der Schulen und der Betriebe. Wenngleich eine Annäherung der Regelungen zu beobachten ist, wird mit den Reformen bisher die Chance verpasst, für die Gesundheitsfachberufe einen einheitlichen Rahmen im Sinne eines „gemeinsamen Daches“ zu schaffen.

Im Rahmen der Neuordnung bleibt abzuwarten, wie die Diskussion um die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe weitergeführt wird. Eine endgültige Entscheidung steht bislang noch aus und wird im Falle einer erneuten Verlängerung der Modellklauseln weiter verzögert. Der Bericht über die Ergebnisse der Modellvorhaben zur Einführung dieser Klausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäd*innen, Physiotherapeut*innen und Ergotherapeut*innen (BT-Drs. 18/9400: S. 29) diskutierte die Vor- und Nachteile hochschulischer Ausbildung aus unterschiedlichen Perspektiven, legte aber zugleich dar, dass „über den Mehrwert akademischer Ausbildung in der Qualität der Versorgung […] zurzeit noch keine objektiven Aussagen getroffen werden [können]. Langfristige und valide Forschungsergebnisse dazu stehen noch aus.“

Während der Wissenschaftsrat (2012) den Ausbau primärqualifizierender Studiengänge empfiehlt, betrachten Lehmann et al. (2014) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Akademisierung aufgrund ihrer Ergebnisse in der „Bestandsaufnahme der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen im europäischen Vergleich“ kritischer. Als Stärke der betrieblich-schulischen Ausbildung im Vergleich zur hochschulischen Ausbildung wird der stetige direkte Kontakt mit Patient*innen genannt (ebd. S. 143).

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Auswirkungen auf das jeweilige Berufsfeld der betroffenen Berufe. Da insbesondere für die Physiotherapie- und Ergotherapie-Ausbildungen eine „Teilakademisierung“ im Raum steht (Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2020 S. 7), ergeben sich Probleme sowohl für die Zusammenarbeit wie auch die Arbeitsteilung der Berufsangehörigen, die auf verschiedenen Niveaus ausgebildet wurden. Überzeugende Antworten, wie sich die Tätigkeitsfelder der beruflich und hochschulisch qualifizierten Berufsangehörigen voneinander unterscheiden sollen, fehlen jedoch ebenso wie eine unabhängige wissenschaftliche Begründung der Notwendigkeit. Damit einher geht die Gefahr einer Spaltung der Berufsgruppe und Abwertung der beruflichen Ausbildung.

Sollte sich der Gesetzgeber für eine hochschulische Erstausbildung entscheiden, ist aufgrund des hohen Praxisanteils einem dualen Studium der Vorzug zu geben. Dieser Weg wurde bei dem neuen Hebammengesetz eingeschlagen. Die zentralen Vorteile des dualen Studiums liegen hier im Vergleich zu den Regelungen nach Pflegeberufegesetz darin, dass der Anspruch auf eine angemessene Vergütung während des gesamten Studiums verankert ist. Die Praxiseinrichtungen sind verpflichtet, mit den Studierenden einen Vertrag für den berufspraktischen Teil des Studiums zu schließen und einen Praxisplan zu erstellen. Auch die Vorgaben zur Praxisbegleitung und Praxisanleitung und zur Verzahnung von Theorie und Praxis sind eine wichtige Voraussetzung, die Ausbildungsqualität sicherzustellen.

5. Fazit und Ausblick

Die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Deshalb ist es wichtig, dass die lang geforderte Neuordnung der Gesundheitsfachberufe auf der Agenda steht und einige Ausbildungsreformen inzwischen erfolgt sind. Die Neuordnung der Heilberufe bietet die Chance, die Berufe nachhaltig zu stärken und aufzuwerten. Die Bewertung der bisher erfolgten Ausbildungsreformen fällt, wie dargelegt, differenziert aus.

Verpasst wurde bisher die Chance, einheitliche Standards in den Ausbildungen der Gesundheitsfachberufe zu verankern. Größtenteils steht die Umsetzung des „Gesamtkonzepts Gesundheitsfachberufe“ jedoch noch aus. Dies betrifft insbesondere die therapeutischen Berufe, für die sich ein einheitlicher rechtlicher Rahmen und damit zumindest der Einstieg in ein „gemeinsames Dach“ aller Heilberufe anbietet. Die großen Schnittstellen in den Aufgabenbereichen der Therapeut*innen und die stark ausgeprägte interdisziplinäre Arbeit zwischen den Berufsgruppen lässt eine gemeinsame gesetzliche Grundlage geboten erscheinen. Gleichzeitig ist den Spezifika der einzelnen Ausbildungen in den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen Rechnung zu tragen. Die einzelnen Berufsprofile der therapeutischen Berufe können so bestmöglich herausgearbeitet und die Ausbildungen nachhaltig gestärkt werden.

Die Corona-Pandemie hat die gesellschaftliche Relevanz sowie die schwierigen Ausbildungsbedingungen der Heilberufe noch einmal deutlich vor Augen geführt. Um die Bedingungen zu verbessern und dem hohen Fachkräftebedarf zu begegnen, ist es unerlässlich, die Gesundheitsfachberufe auch langfristig attraktiv und zukunftsfähig auszugestalten. Dazu müssen die Ausbildungsqualität gestärkt werden und Schutzparagraphen für die Auszubildenden, die im dualen System und bereits in einigen Heilberufen Standard sind, für alle gelten. Die bisherige Sonderstellung der Heilberufe im Berufsbildungssystem und das sogenannte „Berufe basteln“ muss einer „strategischen Berufsbildungspolitik“ im Gesundheitswesen weichen (Bräutigam et al. 2013; Dielmann et al. 2020). Die sozialpartnerschaftlich gestaltete Berufsbildungsforschung nimmt hier einen besonderen Stellenwert ein, da durch sie systematisch Weiterentwicklungs- und Neuordnungsbedarfe erhoben werden können.

Neben der Weiterentwicklung der Ausbildungen bedarf es auch eines geregelten Fort- und Weiterbildungskonzeptes in den Heilberufen, das Entwicklungs- und Karrierewege für die Beschäftigten öffnet. Bisher führen viele Fort- und Weiterbildungen, vor allem in den therapeutischen Berufen, nicht zu einer realen Kompetenzerweiterung.

Die Gesundheitsberufe aufzuwerten und die Beschäftigten zu stärken, erfordert vielfältige Maßnahmen. Diese müssen von der Berufsausbildung über gute Arbeitsbedingungen bis zu Karrierewegen das gesamte Erwerbsleben umfassen. Moderne, zeitgemäße Ausbildungen sind ein wesentlicher Bestandteil. Dafür müssen die Weichen jetzt richtig gestellt werden.

[1] vgl. hierzu folgenden Beitrag: https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/ausbildung/++co++7b3fa3a6-2d86-11eb-87a9-001a4a160129.

Bals, T. (2011): Stand der Entwicklung des DQR – Fokus Gesundheitssektor. Online abrufbar unter:   https://www.fh-bielefeld.de/Hochschule/Fachbereiche/Fachbereich+Wirtschaft+und+Gesundheit/Presse/Pressearchiv/Aktuelles+Gesundheit/Archiv/Archiv+2011+Gesundheit/Gastvortrag+%E2%80%9EDer+Deutsche+Qualifikationsrahmen+%28DQR%29+unter+dem+Fokus+des+Gesundheitssektors%E2%80%9C+von+Prof_+Dr_+Thomas+Bals-p-38682.html. Zugriff am 11.3.2021.

Bräutigam, C., Evans, M., Hilbert, J. (2013): Berufsbilder im Gesundheitssektor. Vom „Berufebasteln“ zur strategischen Berufsbildungspolitik. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschaft- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.

Bund-Länder-Arbeitsgruppe (2020): Eckpunkte der Bund-Länder Arbeitsgruppe „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“. Online abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/G/Gesundheitsberufe/Eckpunkte_Gesamtkonzept_Gesundheitsfachberufe.pdf. Zugriff am 9.3.2021.

Deutscher Bundestag Drucksache 17/6240 (2011): Erster Gleichstellungsbericht. Neue Wege – gleiche Chancen. Gleichstellung für Frauen und Männer im Lebensverlauf. Online abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706240.pdf. Zugriff am 23.3.2021.

Deutscher Bundestag Drucksache 18/9400 (2016): Bericht über die Ergebnisse der Modellvorhaben zur Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten. Online abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/094/1809400.pdf. Zugriff am 11.3.2021.

Deutscher Bundestag Drucksache 18/12840 (2017): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Online abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/119794/b69d114cfbe2b6c1d4e510da2d74fd8d/zweiter-gleichstellungsbericht-der-bundesregierung-bt-drucksache-data.pdf. Zugriff am 23.3.2021.

Dielmann, G.: (2005): Delegation ärztlicher Tätigkeiten und Berufebasteln bei Helios. In: Info-dienst Krankenhäuser Heft Nr. 28, März 2005. Hannover.

Dielmann, G. (2020): Unausgegoren … Zur Reform der Ausbildung in den Pflegeberufen. In: Gesundheit braucht Politik. Ausbildung in Gesundheitsfachberufen – noch zeitgemäß? 2/2020, S. 23-26.

Dielmann, G.; Rehwinkel, I.; Weisbrod-Frey, H. (2020): Berufliche Bildung im Gesundheitswesen. Reformbedarfe und Handlungsvorschläge. In: Friedrich-Ebert-Stiftung Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik (Hrsg.): WISO Diskurs 06/2020.

Lehmann, Y., Beutner, K., Karge, K., Ayerle, G., Heinrich, S., Behrens, J., Landenberger, M. (2014): Bestandsaufnahme der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen im europäischen Vergleich. In: Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.). Band 15 der Reihe Berufsbildungsforschung. Online abrufbar unter: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/berufsbildungsforschung_band_15.pdf. Zugriff am 11.3.2021.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2007): Kooperation und Verantwortung: Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Online abrufbar unter: https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2007/Kurzfassung_2007.pdf. Zugriff am 9.3.2021.

Statistisches Bundesamt (2014-2021): Bildung und Kultur. Berufliche Schulen. Schuljahr 2014/2015 – 2019/2020. Fachserie 11 Serie 2. Online abrufbar unter: https://www.statistischebibliothek.de/mir/receive/DESerie_mods_00000111. Zugriff am 24.3.2021.

Wissenschaftsrat (2012): Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen. Online abrufbar unter: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2411-12.pdf;jsessionid=DCC1E244A4F51BE79AEDD9276A9C2092.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3. Zugriff am 11.3.2021.

Autoren

  • Melanie Wehrheim

    Melanie Wehrheim ist in der ver.di-Bundesverwaltung verantwortlich für den Bereich Berufspolitik/Jugend im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

  • Hanna Stellwag

    Hanna Stellwag arbeitet in der ver.di-Bundesverwaltung als Gewerkschaftssekretärin im Bereich Berufspolitik/Jugend im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.