DQR – Hoffnung und Wirklichkeit

Mario Patuzzi (Leiter des Referats für Grundsatzfragen der beruflichen Aus- und Weiterbildung beim DGB Bundesvorstand)

Waren zu Beginn des nun über 10 jährigen DQR-Prozesses die Bedenken gegen einen Qualifikationsrahmen als ein trojanisches Pferd in der Berufsbildung vorhanden, so ist es aus heutiger Sicht die richtige Schlussfolgerung gewesen, dass sich der DGB und die Gewerkschaften in die Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) eingeschaltet und eingebracht hat, um die Ziele des DQR aus der Perspektive von abhängig Beschäftigten und Auszubildenden zu gestalten. Hermann Nehls hat in seinem Artikel deutlich gemacht, dass aufgrund der herausragenden Bedeutung der beruflichen Qualifikation auf dem deutschen Arbeitsmarkt es wichtig war und ist, den Wert und die Bedeutung von Berufsbildungsqualifikationen im Kontext von DQR und Europäischem Qualifikationsrahmen (EQF) im Interesse der Beschäftigten zu erhalten und auszubauen (Nehls 2020). Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Ziele des DQR erreicht und ob die damit verbundenen geweckten Hoffnungen erfüllt wurden. Für den EQF kann dies durchaus bezweifelt werden (Bohlinger 2019).

Die Ergebnisse des DQR sind in der Tat gemischt. Die Hoffnungen, die der DQR geweckt hat, haben sich am Instrument DQR selbst nicht erfüllt. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass der DQR vor allem für die doch sehr überschaubare Community derer, die mit Schulabschlüssen und formalen Qualifikationen der Berufs- und Hochschulbildung in Deutschland zu tun haben, eine Relevanz hat. Der DQR hat sich damit insgesamt als ein akzeptiertes Transparenzinstrument zur Abbildung aller formalen Bildungsabschlüsse des deutschen Bildungssystems etabliert. Er schafft eine bis dato nicht erreichte Übersichtlichkeit und gibt Orientierung für Lernende, Beschäftigte, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und bildungspolitische Akteure.

Und trotzdem bleibt bei vielen der Eindruck, dass der über 10jährige DQR-Prozess viel Papier und Zeit gekostet, aber wenig spürbare Auswirkungen hatte. Diese latente Unzufriedenheit nötigt auch DGB und Gewerkschaften dazu, dem Konstrukt DQR nochmals genauer auf den Zahn zu fühlen.

Outcome des DQR

Der stärkste Treiber für die Entstehung und Entwicklung des DQR war das Versprechen der Gleichwertigkeit von allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung. Gewerkschaften und andere Akteure der Berufsbildung in Deutschland können sich nach über 10 Jahren zwei große Erfolge im Rahmen von DQR-Zuordnungen an die Fahnen heften, die vor dem DQR undenkbar gewesen wären:

  • Nach einer fünfjährige Debatte zwischen den Kultusministerien der Länder und den Akteuren der Berufsbildung sind 2017 Hochschulzugangsberechtigungen (Abitur, Fachabitur) ebenso auf dem DQR-Niveau 4 zugeordnet worden wie die duale Berufsausbildung (3- sowie 3 1/2jährige duale Ausbildungsberufe). Zugegeben war am Ende entscheidend, dass alle europäischen Länder ihre Hochschulzugangsberechtigungen auf Stufe 4 vergeben haben.
  • Der ebenfalls lang andauernde Konflikt zwischen Berufsbildungsakteuren und Hochschulrektorenkonferenz bezüglich des Anspruchs auf Gleichwertigkeit von beruflichen und akademischen Qualifikationen wurde bereits 2016 durch eine gemeinsame Erklärung gelöst (BDA, DIHK, ZDH, DGB, HRK 2016). Alle relevanten beruflichen Fortbildungen nach Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung sind nun auf den DQR-Niveaus 6 und 7 zugeordnet.

Die Zuordnungen waren und sind ein wichtiges Signal über den Stellenwert formaler Berufsbildungsabschlüsse, das auch in der Politik angekommen ist. Ohne den DQR-Prozess wäre der Ausbau der Aufstiegsfortbildungsförderung („Aufstiegs-BAföG“) durch die Novellen 2016 und 2020 nicht so massiv ausgefallen. Auch die Einführung der drei Fortbildungsstufen in der nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) geregelten beruflichen Fortbildung ist ohne den DQR schlichtweg nicht denkbar. Das sind durchaus ganz schön handfeste Ergebnisse.

Nicht zuletzt ist der DQR auch Auslöser für die Weiterentwicklung und Modernisierung der dualen Berufsbildung in Deutschland. Nennenswert sind der Einstieg in die Kompetenzorientierung von Ausbildungsberufen (Hauptausschuss BiBB 2014a) sowie die Systematisierung und Weiterentwicklung der Strukturen der beruflichen Fortbildung (Hauptausschuss BiBB  2014b), die die Grundlage für die Ordnungsarbeit der beruflichen Fortbildung ist und ein entscheidender Katalysator für die Zuordnung der beruflichen Fortbildung zum DQR wie auch zur Einführung der drei Fortbildungsstufen im BBiG und in der HwO war.

Herausforderungen des DQR

Bislang konnten fast alle formalen Qualifikationen dem DQR zugeordnet werden. Eine Herausforderung ist und bliebt die Frage, wie non-formale Qualifikationen in  den DQR integriert werden können. Die Gewerkschaften befürworten die Möglichkeit, Ergebnisse nicht-formaler Lernprozesse als Qualifikationen dem DQR zuzuordnen und damit auch non-formale Wege des Kompetenzerwerbs angemessen zu berücksichtigen und abzubilden. Im Hinblick auf den allseits konstatierten Weiterbildungsbedarf sehen wir in der Zuordnung non-formaler Qualifikationen eine Chance, die Qualität von Bildungsangebote der Erwachsenen- und Weiterbildung zu sichern. Anbieter und Angebote im non-formalen Bildungsbereich unterscheiden sich von den formalen Bildungsbereichen dabei nicht in der Vielfalt von Anbietern und Angeboten, sondern im Fehlen von umfassend geregelten Standards der Qualitätssicherung und Vorschriften für die Kompetenzfeststellung. Die daraus resultierende fehlende Vergleichbarkeit erschwert mögliche Zuordnungen und führt zu Unsicherheiten über die Wertigkeit dieser Bildungsangebote bei den Arbeitsmarktakteuren. Bei den bisherigen Zuordnungen von formalen Bildungsabschlüssen zum DQR waren nicht ausschließlich Ergebnis und Wirkung von Lernprozessen entscheidend für die Plausibilität der Zuordnung. Ebenso wurden die Verfahren und Instrumente der Qualitätssicherung (Input- und Prozessqualität) sowie der Kompetenzfeststellung (Outputqualität) in den Blick genommen und eine Abwägung getroffen, ob der Outcome der Lernprozesse belastbar und aussagekräftig ist. Damit stellt der DQR ein Ausweis von Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in den unterschiedlichen Bildungsbereichen dar und stärkt das Vertrauen der Arbeitsmarktakteure in diese Bildungsabschlüsse.

Im Hinblick auf eine mögliche Zuordnung non-formaler Qualifikationen ist die Wirksamkeit des DQR als Instrument zur Abbildung von Bildungsabschlüssen der verschiedenen Bildungsbereiche jedoch nur aufrecht zu erhalten, wenn das Vertrauen in die Qualität und das Niveau von Zuordnungsentscheidungen nachhaltig gefestigt wird. Dazu gehören u. a. eine transparente Ausgestaltung von Zuordnungsprozessen, belastbare Verbindlichkeiten von vorgenommenen Zuordnungen oder auch Regelungen im Umgang mit möglichem Missbrauch. Dazu fehlen nationale rechtliche Regelungen, um das bisher erreichte Einvernehmen langfristig in der Praxis zu verankern. Dieser fehlende Rechtsrahmen für den DQR hat – Ironie der Geschichte – im Übrigen dazu geführt, dass der DQR selbst mit keinem Wort im novellierten Gesetzestext zum BBiG auftaucht, da auf ihn wegen seiner fehlenden rechtlichen Gültigkeit nicht verwiesen werden darf.

Grenzen des DQR

Die erfolgten Zuordnungen wirken sich in der Lebensrealität der Menschen zugegebenermaßen nicht direkt aus. Sie lösen weder Probleme der Durchlässigkeit noch erhöhen sie die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Auch ist der DQR kein Instrument der Anerkennung. Weder ermöglicht er die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen noch ist er ein Validierungsinstrument. Für alle diese Herausforderungen benötigen wir weitere Instrumente. Was der DQR wirklich leisten kann, ist eine plausible Strukturierung und Einsortierung von Bildungsabschlüssen und damit das Herstellen einer Übersichtlichkeit, die den deutschen Bildungssystemen ansonsten abgeht (DQR 2019). Nicht umsonst wird der DQR bei (fast) jeder bildungspolitischen Reformbemühung als Begründungsreferenz herangezogen.

BDA, DIHK, ZDH, DGB, HRK (2016): DQR muss Transparenzinstrument bleiben. Gemeinsame Erklärung der Spitzendverbände der Deutschen Wirtschaft, des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie der Hochschulrektorenkonferenz für die berufliche und die hochschulische Bildung. Link: https://www.dqr.de/media/content/DQR_Positionspapier_BDA_DIHK_ZDH_DGB_HRK_3_2016.pdf (abgerufen am 14.2.2020).

Sandra Bohlinger (2019) Ten years after: the ‘success story’ of the European qualifications framework, Journal of Education and Work, 32:4, 393-406, DOI: 10.1080/13639080.2019.1646413

Bund-Länder-Koordinierungsstelle (2019): Liste der zugeordneten Qualifikationen. Aktualisierter Stand: 1. August 2019. Link: https://www.dqr.de/media/content/2019_DQR_Liste_der_zugeordneten_Qualifikationen_01082019.pdf (abgerufen am 14.2.2020).

Hauptausschuss BiBB (2014a): Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 26.Juni 2014 – geändert am 21. Juni 2016 – zur Struktur und Gestaltung von Ausbildungsordnungen – Ausbildungsberufsbild, Ausbildungsrahmenplan. Link: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA160.pdf (abgerufen am 14.2.2020).

Hauptausschuss BiBB (2014b): Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 12. März 2014 für Eckpunkte zur Struktur und Qualitätssicherung der beruflichen Fortbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO). Link: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA159.pdf (abgerufen am 14.2.2020).

Hermann Nehls (2020): Deutscher Qualifikationsrahmen – Warum war und ist er so wichtig für Gewerkschaften?, denk-doch-mal.de

Autor

  • Mario Patuzzi studierte u.a. Politikwissenschaften, Soziologie und Neuere und Neueste Geschichte und schloss noch mit dem Abschluss „Magister Artium“ ab. Zudem ist er non-formal zertifizierter Sozialbetriebswirt. Seit 2004 arbeitet er als Gewerkschaftssekretär, zuerst als Jugendsekretär in Augsburg für Schwaben und Oberbayern, dann als Bezirksjugendsekretär der DGB-Jugend Bayern in München. Dort begegneten ihm viele spannende Aufgaben, Tätigkeiten und Erfahrungen, vor allem aber seit 2008 insbesondere die Berufliche Bildung. Seit 2013 der Gewerkschaftsjugend entwachsen, widmete er sich kurzzeitig den breiten Themenfeldern der bayerischen Bildungs-, Forschungs- und Technologiepolitik beim DGB Bayern. 2014 kam der Wechsel nach Berlin als Referatsleiter für Grundsatzfragen der Berufsbildung / Weiterbildung mit einem schwer abzugrenzenden und hin und wieder auch ausufernden Portfolio. Als Beispiele seien nur wenige Stichworte genannt: BBiG, AZAV, Cedefop, DQR, Validierung, NWS u.v.m.

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