Lukas Schröder (wissenschaftlicher Mitarbeiter im vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)) und Natán Azabal (wissenschaftlicher Mitarbeiter im vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS))

Was passiert, wenn generative Künstliche Intelligenz in den Alltag von Berufsberater:innen einzieht? Der folgende Beitrag präsentiert ein Praxisbeispiel, das Gestaltungsprozesse generativer KI in Berufsberatungsinstitutionen veranschaulicht und aufzeigt, wie sich Integrationsmöglichkeiten in bestehenden Beratungsroutinen und neuen Anwendungsszenarien eröffnen.

Die Berufsorientierung ist ein Handlungsfeld, das von hoher Komplexität geprägt ist. Unterschiedliche Erwartungen, institutionelle Vorgaben und individuelle Lebenslagen treffen hier aufeinander und stellen zentrale Herausforderungen für die tägliche Arbeit der Beratenden dar. Zugleich ist Berufsberatung kein einheitliches Tätigkeitsfeld: Je nach institutioneller Verankerung unterscheiden sich Auftrag, Zielgruppen und Interaktionsintensität deutlich. So gibt es Einrichtungen, in denen Beratende eher unregelmäßig und punktuell mit Klient:innen in Kontakt stehen, etwa im Rahmen einzelner Orientierungsgespräche, und andere, in denen die Zusammenarbeit kontinuierlich und alltagsbegleitend erfolgt. In diesen Settings, die oft stärker pädagogisch ausgerichtet sind und auch vulnerablere oder besonders unterstützungsbedürftige Personengruppen einschließen, spielt Beziehungspflege eine zentrale Rolle. Diese Vielfalt führt dazu, dass auch die Perspektiven auf den möglichen Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sehr unterschiedlich ausfallen.

Unser Beitrag möchte den Blick auf die Praxis der Berufsberater:innen schärfen und zeigen, wie generative KI konkret zur Entlastung beitragen kann. Aus unserer Arbeit im Zukunftszentrum KI NRW wissen wir, welche Belastungen in der Praxis besonders ins Gewicht fallen. Wir gehen diese Problematik als interdisziplinäres Team aus der Sozioinformatik und Sozialwissenschaft mit einem menschenzentrierten Ansatz an. Auf dieser Grundlage entstehen neue Möglichkeiten, die Komplexität der Arbeitsprozesse zu verringern und mehr Freiräume für die eigentliche Beratungsarbeit zu schaffen.

Theoretischer Rahmen: Von der Komplexität zur soziotechnischen Gestaltung

In der Ausgabe 02/25 von DENK-doch-MAL wurde Berufsorientierung aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven beleuchtet. Daniela Ahrens beschrieb sie als „wicked problem“ – ein komplexes und widersprüchliches Handlungsfeld, das sich nicht eindeutig definieren oder abschließend lösen lässt. Sie betonte die Vielzahl an Akteuren, Interessen und institutionellen Ebenen, die Berufsorientierung prägen und zugleich erschweren. Jeanette Schnell ergänzte, dass Berufsorientierung weit über den Übergang Schule–Beruf hinausgeht: Sie ist ein fortlaufender Prozess, der im Lebenslauf immer wieder neu verhandelt werden muss. Uwe Elsholz und Helena Kaiser hoben in diesem Zusammenhang die Bedeutung der berufsbiografischen Gestaltungskompetenz hervor – also jener Fähigkeit, den eigenen Berufsweg aktiv, reflexiv und in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen zu gestalten. Schließlich zeigten Bernd Kaßebaum und Gabriele Molzberger in ihrem Beitrag, dass Beratungssysteme in der Schweiz wie in Deutschland durch institutionelle Vielfalt und regionale Differenzen geprägt sind und damit hochgradig kontextabhängig bleiben.

Aus dieser Zusammenschau ergibt sich ein Bild von Berufsorientierung als vielfach verschränktes, dynamisches System, das von sozialen, politischen und organisatorischen Kräften gleichermaßen beeinflusst wird. Genau diese Vielschichtigkeit macht Berufsorientierung zu einem Feld, das sich nicht mit linearen Konzepten oder standardisierten Verfahren erklären lässt und damit zu einem wicked problem im ursprünglichen Sinn des Begriffs.

Digitalisierung und technologische Tendenzen in der Berufsberatung

Aus technologischer Perspektive lassen sich in den letzten Jahren verschiedene Tendenzen beobachten, wie digitale Systeme in der Berufsberatungspraxis eingesetzt werden. Studien zu digitaler Beratung und KI-gestützten Informationssystemen zeigen, dass Technologien insbesondere dort wirksam sind, wo sie routinisierte Aufgaben wie Dokumentation, Informationsrecherche oder die Vorbereitung von Gesprächen unterstützen (vgl. Dolata et al., 2020). Untersuchungen zu Conversational Agents im Kontext der Berufsorientierung weisen zudem darauf hin, dass KI-Systeme verstärkt in der Vorbereitung und Begleitung von Beratungsprozessen eingesetzt werden – etwa bei der Vorstrukturierung von Profilinformationen, der Generierung von Vorschlägen oder der Formulierung von Textbausteinen (vgl. Koivunen et al., 2022; Han et al., 2025; Zylowski et al., 2025). Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass Digitalisierung die Praxis der Berufsberatung zunehmend prägt und neue Formen der Arbeitsteilung zwischen Menschen und Technologien hervorbringt. Zugleich eröffnen sie Chancen für effizientere Abläufe, stellen Institutionen aber auch vor neue organisatorische, ethische und technische Herausforderungen.

Der Begriff des wicked problem wurde ursprünglich von Horst Rittel und Melvin Webber (1973) geprägt, um gesellschaftliche Planungsprozesse zu beschreiben, die sich durch Mehrdeutigkeit, wechselnde Rahmenbedingungen und unklare Verantwortlichkeiten auszeichnen. Später wurde dieses Konzept in der Sozioinformatik und Computer-Supported Cooperative Work (CSCW)-Forschung aufgegriffen – allerdings mit einer entscheidenden Erweiterung:

Hier wird betont, dass das Einführen von Technologie selbst Komplexität erzeugt. Es verändert Routinen, Machtverhältnisse, Kommunikationsformen und Verantwortlichkeiten und werden damit Teil jener wickedness, die sie ursprünglich zu lösen versprechen Damit eröffnet sich ein produktiver Brückenschlag zwischen den bildungswissenschaftlichen Ansätzen zur Berufsorientierung und den sozialtechnischen Perspektiven der Sozioinformatik/CSCW-Forschung: In beiden Kontexten dient das Konzept des wicked problem als analytischer Rahmen, um Komplexität nicht zu vermeiden, sondern gestaltbar zu machen – durch Beteiligung, Reflexion und gemeinsame Verantwortungsübernahme.

Wie dieser Gestaltungsraum in der konkreten Zusammenarbeit mit Berufsberater:innen und Bildungsträgern Gestalt annehmen kann, zeigen die folgenden Praxisbeispiele.

Praxisfelder und Anwendung: KI als Werkzeug in der Berufsberatung

Unsere Beispiele lassen sich im Kontext der Arbeit des Zukunftszentrums KI NRW verorten. Das Zukunftszentrum wurde 2021 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) initiiert. Es ist Teil einer bundesweiten Förderlinie, die darauf abzielt, Digitalisierung in der Arbeitswelt sozialpartnerschaftlich zu gestalten. Ziel ist eine Gestaltung technologischer Innovationen, die die unterschiedlichen Perspektiven von Arbeitgeber:innen, Arbeitnehmer:innen und ihren Vertretungen einbezieht und so eine ausgewogene Basis für Beratung, Qualifizierung und Organisationsentwicklung schafft.

Im Zukunftszentrum KI NRW werden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) durch Weiterbildungen und Inhouse-Beratungen darin unterstützt, die Chancen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz für ihre eigene Organisation zu erkennen und zu nutzen. Ziel ist es, gemeinsam mit den Betrieben zu erproben und praktisch zu zeigen, dass digitale und KI-basierte Innovationen wirtschaftlich, organisatorisch und menschlich lohnend umgesetzt werden können.

Die hier geschilderten Erfahrungen entstanden nicht aus einer gezielten Schwerpunktsetzung, sondern entwickelten sich zufällig aus der Beratungsarbeit heraus. Im Zuge verschiedener Informations- und Kooperationsanfragen ergaben sich Kontakte zu Berufsberater:innen, Bildungsträgern und Akteuren der beruflichen Orientierung. Diese Schnittstellen führten dazu, dass Fragestellungen aus der Arbeitswelt und aus dem Bildungskontext zusammenfielen und damit neue Perspektiven auf den Einsatz von KI in der Berufsberatung eröffneten.

Im Rahmen dieser Arbeit trat das Zukunftszentrum KI NRW mit unterschiedlichen Akteursgruppen, die in der Berufsorientierung aktiv sind, in Kontakt – insbesondere mit Mitarbeitenden von lokalen Agenturen für Arbeit sowie mit pädagogischem Fachpersonal und Leitungen eines Bildungsträgers, der Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB) durchführt.

Bei den Arbeitsagenturen standen Informationsveranstaltungen und Workshops im Vordergrund. Ziel war es, über die Funktionsweise und Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz zu informieren und gemeinsam zu diskutieren, inwiefern KI-gestützte Anwendungen in der Arbeit von Berufsberater:innen eingesetzt werden können. Die Teilnehmenden kamen überwiegend aus der Beratungspraxis – Berufsberater:innen, Ausbilder:innen und Teamleitungen – und verfügten in der Regel nicht über einen technischen Hintergrund.

In den Workshops zeigte sich ein vielschichtiges Stimmungsbild. Neben Neugier und Interesse war auch eine deutliche Verunsicherung spürbar. Viele Beratende beschrieben das Gefühl, dass „die Entwicklung schneller ist als wir selbst“ – ein Eindruck, der vor allem dadurch entsteht, dass ihre Klient:innen, also die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, KI längst selbstverständlich nutzen, während sie selbst noch nach Wegen suchen, diese Technologien in ihre professionelle Praxis zu integrieren. KI wurde in diesem Zusammenhang teilweise als Bedrohung wahrgenommen, die bestehende Routinen infrage stellt, aber zugleich als ein Thema, das nicht mehr ignoriert werden kann.

Gerade aus diesem Spannungsfeld entstand ein produktiver Diskurs: Die Teilnehmenden erkannten, dass KI nicht zwingend ein Ersatz, sondern ein ergänzendes Werkzeug sein kann – etwa zur Informationsaufbereitung, zur Formulierung von Textbausteinen oder zur Strukturierung von Beratungsdokumentationen. Gleichzeitig wurde der Wunsch deutlich, die Technologie besser zu verstehen, um sie selbstbestimmt nutzen und in die eigene Arbeit integrieren zu können.

Parallel dazu fand eine intensivere Beratung mit einem Bildungsträger statt, der die BvB anbietet. Diese von der Agentur für Arbeit geförderten Programme richten sich an Jugendliche, die nach der Schule noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, und dienen dazu, sie gezielt auf eine berufliche Ausbildung oder Beschäftigung vorzubereiten. Während der mehrmonatigen Maßnahme stehen die Teilnehmenden in engem, meist täglichem Kontakt zu ihren Betreuer:innen, Ausbilder:innen und Sozialpädagog:innen, die sie individuell fördern und bei der Entwicklung ihrer beruflichen Perspektiven begleiten. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Bildungsträger ging es jedoch nicht allein um eine informierende Tätigkeit: Ziel war es, prototypisch zu erproben, wie KI in den bestehenden Arbeitsabläufen eingesetzt werden kann, und gemeinsam mit den Beteiligten zu entwickeln, welche konkreten Anwendungen im Beratungsalltag einen Mehrwert bieten könnten. Dazu fanden mehrere Arbeitstreffen mit der Geschäftsführung, dem pädagogischen Personal und den Berater:innen statt, in denen Prozesse analysiert, Bedarfe formuliert und erste KI-gestützte Lösungen praktisch ausprobiert wurden. Auf Basis der Gespräche mit der Institution wurden mehrere Prototypen entwickelt und den Beteiligten vorgestellt, die unterschiedliche Perspektiven und Bedarfe der Einrichtung aufgriffen.

Für die Geschäftsführung standen dabei Prototypen im Vordergrund, die das Angebot der Maßnahme erweitern oder qualitativ aufwerten könnten. Dazu gehörten beispielsweise Informationsassistenzlösungen, die geprüfte berufsbezogene Informationen strukturiert bereitstellen und so die Vorbereitung von Beratungsgesprächen erleichtern, ohne dass dafür externe Datenquellen eingebunden werden müssen. Weitere Prototypen richteten sich an die Teilnehmenden der BvB-Maßnahme selbst. Hier wurden verschiedene Konzepte für selbstständig nutzbare Lern- und Unterstützungswerkzeuge entwickelt – etwa ein KI-gestütztes Bewerbungstraining, das beim Formulieren von Anschreiben hilft, oder eine Anwendung zur Verbesserung von Lebensläufen. Solche Tools zielten darauf ab, die individuelle Selbstwirksamkeit der Jugendlichen zu stärken und sie auf reale Bewerbungsprozesse vorzubereiten. Eine besondere Rolle spielte ein weiterer, bewusst experimenteller Ansatz, ein sogenannter „Provotyp“. Provotypen sind in der Forschung gängige Instrumente, um Reaktionen auf gezielt irritierende oder herausfordernde Szenarien zu beobachten. In diesem Fall diente der Provotyp dazu, zu untersuchen, wie Beratende reagieren, wenn eine KI in einen Aufgabenbereich vordringt, der vermeintlich der Kern ihrer professionellen Tätigkeit ist – nämlich die direkte Berufsempfehlung. Dieser Prototyp wurde jedoch nicht als Bedrohung, sondern als ergänzendes Werkzeug wahrgenommen.

In den anschließenden Gesprächen wurde deutlich, dass die Berater:innen ihre zentrale Aufgabe nicht in der Auswahl oder Zuweisung eines Berufs sehen, sondern in der sozialpädagogischen Begleitung und Unterstützung der Teilnehmenden – insbesondere, weil es sich häufig um vulnerable Gruppen mit komplexen Lebenslagen handelt. Der Fokus ihrer Arbeit liegt demnach weniger auf der unmittelbaren Berufsfindung, sondern auf der Stabilisierung, Motivation und Stärkung der Jugendlichen im Prozess. Gerade deshalb wurde der „Provotyp“ nicht als Konkurrenz, sondern als unterstützendes Element für die eigene pädagogische Arbeit verstanden. Zugleich zeigte sich, dass Führungsebene und Arbeitsebene unterschiedliche Fokussierungen bei der Nutzung von KI verfolgen. Die Führungsebene denkt stärker in Richtung Geschäftsmodellentwicklung und Angebotsverbesserung, während die Arbeitsebene primär auf Arbeitserleichterung und Prozessoptimierung blickt. Beide Perspektiven erwiesen sich jedoch als komplementär – beide Gruppen erkannten den Mehrwert der verschiedenen Prototypen und sahen in ihnen Potenziale, um Qualität und Effizienz gleichermaßen zu steigern.

Neben den bereits genannten Prototypen wurden auf Wunsch der Berater:innen und pädagogischen Fachkräfte auch Anwendungen entwickelt, die unmittelbar an ihrem Arbeitsalltag mit den Klienten ansetzen. Im Zentrum stand dabei die als besonders belastend empfundene Dokumentationsarbeit. Da die BvB-Maßnahmen durch die Agentur für Arbeit finanziert werden, besteht eine umfangreiche Nachweispflicht: Alle Tätigkeiten, Fortschritte und Gespräche müssen detailliert dokumentiert werden, um gegenüber der Förderinstitution die ordnungsgemäße Durchführung nachweisen zu können. Gerade hier zeigte sich eine deutliche differenziertere Sichtweise zwischen den beiden Ebenen der Organisation. Für die Arbeitsebene ist Dokumentation zwar eine lästige, aber notwendige Aufgabe. Sie dient zugleich als Wissensspeicher über die Teilnehmenden – als Grundlage für Übergaben, Verlaufsgespräche oder Folgegespräche. Für die Geschäftsführung dagegen hat die Dokumentation vor allem eine formale und prüfungsrelevante Funktion: Sie muss sicherstellen, dass die Arbeit den Vorgaben der Arbeitsagentur entspricht und im Falle einer Überprüfung Bestand hat.

Um diese beiden Perspektiven produktiv zu verbinden, wurde ein Prototyp zur KI-gestützten Generierung und Qualitätsprüfung von Dokumenten entwickelt. Das System kann aus Notizen oder Gesprächsstichpunkten automatisiert vollständige Protokolle erstellen und diese gleichzeitig im Hinblick auf formale Vollständigkeit und Prüfbarkeit analysieren. Auf diese Weise wird eine doppelte Entlastung erreicht:

  • Die Arbeitsebene kann ihre Dokumentation schneller, effizienter und konsistenter erstellen und so mehr Zeit für die pädagogische Betreuung der Teilnehmenden gewinnen.
  • Die Leitungsebene erhält verlässlich strukturierte und prüfsichere Dokumente, die den Anforderungen der Arbeitsagentur entsprechen.

Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, wie digitale Lösungen dazu beitragen können, unterschiedliche organisatorische Logiken miteinander zu verbinden – die pädagogische Perspektive der Fachkräfte einerseits und die administrativ-ökonomische Perspektive der Träger andererseits. KI wird hier zum Vermittler zwischen zwei Systemwelten: Sie reduziert Arbeitsaufwand und schafft zugleich Qualitätssicherung und Transparenz. Bei der Entwicklung und Erprobung der Prototypen zeigte sich, dass deren technische Umsetzung keineswegs selbstverständlich ist. Die beteiligte Institution verfügte über keine eigene IT-Abteilung, zentrale IT-Aufgaben waren an externe Dienstleister ausgelagert. Entsprechend fehlten grundlegende Voraussetzungen, um KI-Systeme selbstständig zu installieren oder zu betreiben. Hinzu kam, dass im Beratungsalltag mit personenbezogenen Daten gearbeitet wird, die aus Datenschutzgründen nicht ohne Weiteres an internationale Anbieter oder cloudbasierte KI-Dienste übermittelt werden dürfen.

Diese Rahmenbedingungen machten deutlich, dass die Implementierung von KI-Lösungen in solchen Kontexten nicht als Plug-and-Play-Prozess verstanden werden kann. Sie erfordert technisches Verständnis, strukturelle Unterstützung und vor allem sichere, vertrauenswürdige Umgebungen. Aus diesem Grund entschied sich das Projektteam für den Einsatz von lokal betriebenen Sprachmodellen.

In diesem Fall wurden drei offene Sprachmodelle getestet: Llama 3, Qwen und Mistral. Dabei kamen bewusst die kleineren Varianten der jeweiligen Modelle zum Einsatz, da diese für die anfallenden Aufgaben – insbesondere die strukturierte Aufbereitung und Protokollierung von Gesprächsnotizen – vollkommen ausreichend waren. Auf dieser Basis konnten die Modelle zuverlässig strukturierte und formal konsistente Protokolle generieren, ohne externe Datenflüsse zu erzeugen. Sie wurden gezielt ausgewählt, weil zunächst eine lokal betreibbare Lösung gesucht wurde: Die Institution verfügte über keine besonderen Rechenkapazitäten, was jedoch für den Einsatzzweck unproblematisch war.

Die praktische Implementierung der Modelllösung erwies sich jedoch als deutlich komplexer. Auf der einen Seite ermöglicht eine reine Nutzung externer Plug-and-Play-Lösungen, wie ChatGPT von OpenAI oder Claude von Anthropic ohne Fachwissen kaum Anpassungen an spezifische Anforderungen noch eine eigenständige Kontrolle der Datenflüsse, was im Kontext von Beratungen besonders schutzbedürftiger Personen zentral ist. Auf der anderen Seite zeigte sich, dass selbst ressourcenarme lokale Lösungen in der bestehenden – für Bildungsträger typischen technischen – Infrastruktur nur bedingt lauffähig waren und gleichzeitig die Pflege und Einbindung eines solchen Systems ein Verständnis für ihre Funktionsweise und Anpassungsmöglichkeiten erfordert. Es wurde deutlich, dass es für Institutionen zunehmend zentral wird, sich selbst aktiv mit KI auseinanderzusetzen, um diese Technologien langfristig und verantwortungsvoll einsetzen zu können. Ohne ein tiefes technisches Verständnis in der Institution selbst über Stärken und Schwächen besteht die Gefahr, Systeme nur oberflächlich zu nutzen oder von externen Lösungen abhängig zu bleiben, die sich nicht nachhaltig betreiben lassen.

Gleichzeitig ist es entscheidend, die Ergebnisse von KI-Systemen kritisch zu hinterfragen: Gerade weil KI-Ausgaben häufig plausibel und sprachlich korrekt wirken – wie etwa bei automatisch erstellten Protokollen –, dürfen sie nicht unreflektiert übernommen werden. Dieses Prinzip wird in der KI-Forschung häufig unter dem Begriff Human in the Loop diskutiert und beschreibt die Frage nach der Einbindung des Menschen in Entscheidungs- und Bewertungsprozesse. Diese Haltung – KI ja, aber mit wachem Blick – wurde im Beratungsprozess immer wieder betont und markiert eine der wichtigsten Voraussetzungen für den sinnvollen und verantwortungsvollen Einsatz von KI im Beratungskontext.

Fazit und Ausblick

Über beide Gruppen hinweg – Arbeitsagenturen und Bildungsträger – zeigte sich, dass KI-Anwendungen vor allem dann Akzeptanz finden, wenn sie spürbar entlasten und bestehende Arbeitsroutinen nachvollziehbar verbessern. Interesse entsteht nicht durch technische Faszination, sondern durch den klaren Bezug zur eigenen Arbeitspraxis: Dort, wo KI dazu beiträgt, administrative Lasten zu reduzieren, steigt die Bereitschaft, sich auf neue digitale Werkzeuge einzulassen. Zugleich wurde deutlich, dass eine nachhaltige Nutzung von KI weit über die Einführung einzelner Systeme hinausgeht. Sie setzt voraus, dass Institutionen selbst die Kompetenz entwickeln, diese Technologien zu verstehen, kritisch zu prüfen und an ihre eigenen Rahmenbedingungen anzupassen. Akzeptanz entsteht nicht allein durch Funktionalität, sondern durch Mitgestaltung, technisches Verständnis und organisatorisches Lernen. In diesem Sinne zeigt die Praxis, dass KI in der Berufsberatung weder Selbstzweck noch Bedrohung ist, sondern ein Gestaltungsfeld – eines, das neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Menschen, Organisationen und Technologien erfordert und nur dort eine positive Wirkung entfalten kann, wo es reflektiert, kritisch und verantwortungsvoll eingesetzt wird. Wenn Beratung als Beziehungsarbeit verstanden wird und KI nicht an die Stelle der Interaktion tritt, sondern sie strukturell unterstützt, kann Technologie helfen, Zeit und Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche zu lenken: das Gespräch und die Begleitung mit den Klient:innen.

Zugleich wird deutlich, dass die sinnvolle Nutzung von KI ein grundlegendes technisches Verständnis voraussetzt – auch und gerade in Berufsgruppen ohne eigene IT-Expertise. Künftig wird es wichtiger werden, dass Fachkräfte die Funktionsweise, Möglichkeiten und Grenzen solcher Systeme zumindest in Grundzügen verstehen, um Ergebnisse bewerten, reflektieren und korrigieren zu können. Nur so lässt sich vermeiden, dass scheinbar korrekte Ausgaben unkritisch übernommen werden.

Damit schließt sich der Kreis zum im theoretischen Teil beschriebenen wicked problem: Berufsberatung und Digitalisierung sind beide von hoher Komplexität geprägt, weil sie immer in soziale und institutionelle Kontexte eingebettet sind. In diesem Sinne lässt sich auch der Umgang mit KI als Teil dieser „verwickelten“ Struktur verstehen – als Prozess, in dem technische, organisatorische und menschliche Faktoren ineinandergreifen und keine einfache, einheitliche Lösung existiert.

Ahrens, Daniela (2025): Berufsorientierung: Orientierung an den Lebenswelten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: denk-doch-mal.de 02/2025.

Dolata, Mateusz/Schenk, Birgit/Fuhrer, Jara/Marti, Alina/Schwabe, Gerhard (2020): When the System Does Not Fit: Coping Strategies of Employment Consultants. In: Computer Supported Cooperative Work (CSCW) 29(6), 657–696. https://doi.org/10.1007/s10606-020-09377-x

Elsholz, Uwe/Kaiser, Helena (2025): Berufsbiografische Gestaltungskompetenz als Future Skill. In: denk-doch-mal.de 02/2025.

Han, Hyerim/Park, Bogyeom/Seo, Kyoungwon (2025): A Self-Determination Theory-based Career Counseling Chatbot: Motivational Interactions to Address Career Decision-Making Difficulties and Enhance Engagement. In: Proceedings of the Extended Abstracts of the CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI EA ’25), Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, Article 48, 1–9. https://doi.org/10.1145/3706599.3720286

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Koivunen, Saila/Ala-Luopa, Sami/Olsson, Thomas et al. (2022): The March of Chatbots into Recruitment: Recruiters’ Experiences, Expectations, and Design Opportunities. In: Computer Supported Cooperative Work (CSCW) 31, 487–516. https://doi.org/10.1007/s10606-022-09429-4

Rittel, Horst W. J./Webber, Melvin M. (1973): Dilemmas in a General Theory of Planning. In: Policy Sciences 4(2), 155–169. https://doi.org/10.1007/BF01405730

Schnell, Jeanette (2025): Berufsorientierung – Mehr als ein Übergangsthema! In: denk-doch-mal.de 02/2025.

Zylowski, Thorsten/Sautchuk-Patricio, Nathalia/Hettmann, Wladimir/Anderer, Katharina/Fischer, Karl/Wölfel, Matthias/Henning, Peter (2025): User Study on the Trustworthiness, Usability and Explainability of Intent-based and Large Language Model-based Career Planning Conversational Agents. In: Proceedings of the 2024 16th International Conference on Education Technology and Computers (ICETC ’24), Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 46–53. https://doi.org/10.1145/3702163.3702409

Autoren

  • Lukas Schröder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Projekt Zukunftszentrum KI NRW sowie am Lehrstuhl Bildungstechnologien für die digitale Transformationder FernUniversität in Hagen. Er hat an der Universität Siegen den Masterstudiengang Human Computer Interactionabgeschlossen. In seiner der Sozioinformatik zuzuordnenden Promotion beschäftigt er sich mit der Gestaltung und Entwicklung digitaler Technologien zur Unterstützung der Berufsorientierung.

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  • Natán Azabal ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Projekt „Zukunftszentrum KI NRW“ sowie am Lehrstuhl für Lebenslanges Lernen der FernUniversität in Hagen. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozial- und Wirtschaftspolitik studiert. In seiner Tätigkeit berät er kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei der menschenzentrierten Einführung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz.

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