Kristof Becker (Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend) und Julian Uehlecke (Politischer Referent bei der DGB-Jugend im DGB-Bundesvorstand)

Am 20.07.2023 wurde mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik auch die Einführung einer sogenannten Ausbildungsgarantie offiziell verkündet. Mit Beginn des Ausbildungsjahres 2024/25 treten damit neue Möglichkeiten der Ausbildungsförderung durch die Agenturen für Arbeit in Kraft, deren übergeordnete Ziele sind einerseits mehr junge Menschen in Ausbildung zu bringen und andererseits die Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze zu reduzieren. Für die Gewerkschaftsjugend bedeutet dieser Einstieg in die Ausbildungsgarantie, dass der jahrzehntelange Kampf für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie unter der Parole „Ausbildung für Alle“ in eine neue Stufe eintritt. Höchste Zeit Anspruch und Wirklichkeit der eingeführten Ausbildungsgarantie kritisch gegenüberzustellen und zu bewerten.

1.1 Ausbildungsgarantie: Vorgesehene Maßnahmen und Bewertung

Die gesetzliche Ausbildungsgarantie ist ein Bestandteil des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und besteht aus vier verschiedenen Maßnahmen, die zusammen eine Ausbildungsgarantie für junge Menschen ergeben sollen: Berufsorientierungspraktikum, Mobilitätszuschüsse, Flexibilisierungen bei der Einstiegsqualifizierung (EQ) sowie außerbetriebliche Ausbildungsplätze als Auffangnetz. Die verschiedenen Maßnahmen setzen an unterschiedlichen Phasen im Übergang von der Schule in den Beruf an und sollen den Zugang junger Menschen zu einer Berufsausbildung verbessern. Die einzelnen Maßnahmen sollen im Folgenden dargestellt und aus Perspektive der Gewerkschaftsjugend bewertet werden.

1.1.1 Stärkung der beruflichen Orientierung: Das Berufsorientierungspraktikum

Mit dem neu geschaffenen § 48a SGB III wurde ein neues Förderinstrument geschaffen, um junge Menschen zu unterstützen, die noch nicht wissen, welchen Ausbildungsberuf sie erlernen wollen. Sie sollen beim Übergang in eine Berufsausbildung unterstützt werden. Hierfür sieht das Gesetz ein Berufsorientierungspraktikum bei einem oder mehreren Arbeitgebern vor, dass mindestens eine Woche und höchstens sechs Wochen andauern soll. Zentraler Bestandteil dieses Instrumentes sind finanzielle Förderungen, die durch die lokalen Agenturen für Arbeit gewährt werden können. Möglich ist hierbei vor allem die Übernahme von Fahrtkosten zum Praktikumsbetrieb, aber auch die Übernahme von Unterkunftskosten und Kosten für Berufsbekleidung, die durch das Praktikum entstehen. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensleistung, die jungen Menschen nach Prüfung ihres Anliegens gewährt werden kann, aber nicht gewährt werden muss. Fördervoraussetzungen sind außerdem, dass die jeweilige Vollzeitschulpflicht der Länder bereits erfüllt ist; aktuell kein Schulbesuch erfolgt und die zu fördernde Person als ausbildungssuchend bei der Agentur für Arbeit gemeldet ist.

Grundsätzlich begrüßen wir als Gewerkschaftsjugend, wenn junge Menschen ihre Berufswahlentscheidung auf Basis praktischer und betriebsnaher Erfahrungen treffen, die sie zum Beispiel im Rahmen eines Praktikums erworben haben. Der Schwerpunkt unseres Ausbildungsreports 2022 hat gezeigt, welch hohen Stellenwert gute Erfahrungen aus Praktika für Auszubildende bei ihrer Berufswahl haben.[1] Vor diesem Hintergrund erscheinen uns Maßnahmen, die den Zugang zu Praktika durch finanzielle Förderungen erleichtern, durchaus sinnvoll.

Dennoch ist es noch zu früh, um den Anspruch dieser Maßnahme an ihrer Wirklichkeit zu messen: Einerseits läuft dieses Förderinstrument zum Zeitpunkt, an dem dieser Text verfasst wurde, erst an und es liegen noch keine Zahlen über den Zugang zur Förderung sowie zum Ausmaß des Fördervolumens vor. Andererseits lässt das Gesetz zentrale Fragen offen, wie das Förderinstrument ausgestaltet wird. Es fehlen Regelungen zu Qualitätsstandards, damit die Praktika tatsächlich auch ihre Funktion als betriebsnahe Erfahrung des möglichen Alltags im Ausbildungsberuf erfüllen. Es fehlt außerdem eine pädagogische Begleitung der künftigen Nutzer*innen dieses Instruments, die jedoch notwendig wäre, um den größtmöglichen Nutzen im Prozess der Berufsorientierung zu erreichen. Zu guter Letzt fehlen Regelungen zur Vergütung der Berufsorientierungspraktikas. Denn über Fahrt- und Unterkunftskosten hinaus muss der Lebensunterhalt der jungen Menschen abgesichert werden – gerade vor dem Hintergrund anderer Möglichkeiten der beruflichen Orientierung, wie z.B. Ferienjobs. Nur so kann mehr Chancengerechtigkeit im Zugang zum Instrument Berufsorientierungspraktikum gewährleistet werden.

1.1.2 Steigerung der Ausbildungsmobilität: Der Mobilitätszuschuss

Die regionalen Disparitäten auf dem Ausbildungsmarkt führen dazu, dass Ausbildungsplätze in einigen Regionen unbesetzt bleiben, während in anderen Regionen viele junge Menschen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgehen. Im Jahr 2023 standen laut Berufsbildungsbericht bundesweit insgesamt 73.400 unbesetzte Ausbildungsstellen rund 63.700 Bewerber*innen gegenüber, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz entweder komplett leer ausgingen oder aber notgedrungen eine Alternative (z.B. berufsvorbereitende Maßnahme, weiterer Schulbesuch, etc.) aufnehmen mussten, jedoch weiterhin aktiv nach einem Ausbildungsplatz suchen. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich höher, da nicht alle Ausbildungsinteressierten auch institutionell als Bewerber*innen erfasst werden, da ihnen z.B. die sogenannte „Ausbildungsreife“ abgesprochen wird. Dennoch sind auch die offiziellen Zahlen erschreckend: Insbesondere der Anteil gänzlich unversorgter Bewerber*innen stieg 2023 gegenüber dem Vorjahr um 16,3 Prozent.[2]

Vor diesem Hintergrund sieht die gesetzliche Ausbildungsgarantie mit dem Mobilitätszuschuss ein Instrument vor, dass die Ausbildungsmobilität junger Menschen steigern und so Passungsprobleme reduzieren soll. Vorgesehen ist die Kostenübernahme für Familienheimfahrten, damit junge Menschen trotz Umzugs für ihre Ausbildung Kontakt zu Familie und Freund*innen halten können. Geregelt ist dieses Instrument im neuen § 73a SGB III. Dieser sieht vor, dass junge Menschen bei der Aufnahme einer Ausbildung unterstützt werden können, wenn die Ausbildungsstätte nicht in angemessener Zeit erreicht werden kann. Dies ist i.d.R. dann der Fall, wenn der Pendelaufwand für Hin- und Rückweg mehr als 2 Stunden übersteigt. Weitere Fördervoraussetzung ist ein erforderlicher Wechsel des Wohnorts für die Ausbildung. Außerdem sind schulische Ausbildungen von dieser Förderung ausgenommen, da sie sich nur auf Berufsausbildungen nach § 57 Abs. 1 SGB III bezieht.

Die Förderhöhe des Mobilitätszuschuss richtet sich nach der Höhe der erforderlichen Fahrtkosten für zwei monatliche Familienheimfahrten beschränkt auf das erste Ausbildungsjahr. Die Zahlung der Förderung erfolgt pauschal – ein Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme ist nicht notwendig. Auch beim Mobilitätszuschuss handelt es sich um eine Ermessensleistung, die jungen Menschen nach Prüfung ihres Anliegens durch die Arbeitsagentur vor Ort gewährt werden kann, aber nicht gewährt werden muss.

Grundsätzlich begrüßt die Gewerkschaftsjugend, wenn junge Menschen bei der Aufnahme einer Ausbildung fernab des eigenen Wohnorts finanziell unterstützt werden. Der Mobilitätszuschuss kann dazu beitragen, dass Auszubildende sich eher Heimfahrten trotz niedriger Ausbildungsvergütung leisten können, um so den wichtigen sozialen Kontakt mit Familie und Freund*innen halten zu können. Dennoch greift die Förderung an verschiedenen Punkten zu kurz: Einerseits ist die Begrenzung auf das erste Ausbildungsjahr zu kurz. Familie und Freund*innen wollen auch in den höheren Ausbildungsjahren besucht werden, gleichzeitig steigen die Ausbildungsvergütungen mit den Jahren nicht derart an, dass sich junge Menschen steigende Kosten im Fernverkehr ohne weiteres leisten können. Die Folge kann sein, dass Auszubildende im zweiten Jahr weniger netto im Geldbeutel haben als im ersten Ausbildungsjahr. Andererseits ist der Ausschluss schulischer Ausbildungen grundsätzlich falsch, denn auch hier – insbesondere in den Berufen des Sozial- und Gesundheitswesens – braucht es dringend Fachkräftenachwuchs. Abschließend bleibt das größte Haupthemmnis, die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende, mit diesen Regelungen gänzlich unangetastet. Leider scheinen Auszubildende auch beim Förderprogramm Junges Wohnen von Bund und Ländern aktuell viel zu häufig leer auszugehen, weshalb dieses zentrale Problem ungelöst bleibt und sich angesichts steigender Mietpreise sogar noch verschlimmert.

Dennoch ist es auch bei diesem Instrument noch zu früh, um über Erfolg oder Misserfolg dieser Maßnahme zu entscheiden. Denn auch hier liegen – aufgrund des Beginns der Maßnahme erst in diesem Jahr – noch keine belastbaren Zahlen über den Zugang zur Förderung sowie zum Ausmaß des Fördervolumens vor.

1.1.3 Flexibilisierung von Übergangsmaßnahmen: Verkürzung der Einstiegsqualifizierung

Im Rahmen der gesetzlichen Ausbildungsgarantie soll auch die Nutzung des bestehenden Instruments der Einstiegsqualifizierung (EQ) ausgeweitet werden. Hierfür wurde die Teilnahme an einer EQ in Teilzeit erleichtert sowie die Mindestdauer von sechs auf vier Monate reduziert. Außerdem sollen junge Menschen auch dann über eine EQ gefördert werden können, wenn sie vorher ihr Ausbildungsverhältnis beim selben Arbeitgeber vorzeitig gelöst haben. Weiterhin soll die Maßnahme auch für junge Menschen mit Behinderung geöffnet werden, um ihre Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz im Anschluss an eine EQ zu erhöhen.

Die Gewerkschaftsjugend sieht das Instrument der Einstiegsqualifizierung grundsätzlich sehr kritisch: Die Maßnahme bietet keine Garantie auf eine anschließende Übernahme in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis. Anstatt die EQ verstärkt zu nutzen, sollten junge Menschen lieber unmittelbar in eine Ausbildung einmünden und bei Nachholbedarfen mit ausbildungsbegleitenden Unterstützungsmaßnahmen wie der Assistierten Ausbildung (AsA flex) unterstützt werden. Denn die im Rahmen einer EQ erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten werden schon heute nur in wenigen Fällen auf die Ausbildung angerechnet. Anstelle der verstärkten Nutzung sollte aus Sicht von DGB und DGB-Jugend eher eine umfassende Evaluation der Maßnahme stattfinden.

Über diese grundsätzliche Kritik am Instrument hinaus ist auch die konkrete Flexibilisierung kritisch: Es bleibt unklar, wie die gesetzlich vorgesehenen Ziele einer EQ ohne weitere Qualitätsverluste in nur noch vier statt sechs Monaten vermittelt werden sollen. Die EQ droht aus unserer Perspektive deshalb weniger ein Instrument zur Unterstützung junger Menschen im Übergang in Ausbildung zu sein, als viel mehr zu einer Art verlängerten Probezeit vor der Ausbildungsaufnahme zu verkommen. Auch die weiteren Bestandteile der gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Ausbildungsgarantie erachten wir nicht als zielführend, da sie Sackgassen für junge Menschen mit Behinderung weiter fördern und die Gefahr missbräuchlicher Anwendung durch die Betriebe, z.B. Kündigung in der Probezeit zur Weiterbeschäftigung über eine EQ, besteht.

1.1.4 Das letzte Auffangnetz: Die außerbetriebliche Ausbildung

Zentraler Bestandteileiner jeden Ausbildungsgarantie muss ein Auffangnetz für diejenigen sein, die bei der Suche um einen betrieblichen Ausbildungsplatz leer ausgegangen sind. Eine Garantie, nicht durch die Raster des Ausbildungsmarktes zu fallen. Eine Garantie, damit der Weg in eine qualifizierte Erwerbsarbeit allen offen steht – unabhängig von den vielfältigen Faktoren, die jungen Menschen den Übergang in eine Berufsausbildung nachweislich erschweren: Migrationsgeschichte, Schulabschluss und Geschlecht, um nur drei von ihnen zu nennen. Das war und das ist der Maßstab, den wir als Gewerkschaftsjugend an die Ausbildungsgarantie legen.

Auch die Bundesregierung einigte sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einführung einer Ausbildungsgarantie. In seiner Rede zur ersten Lesung des Gesetzes beschrieb Arbeitsminister Hubertus Heil die Zielsetzung der Ausbildungsgarantie wie folgt: „Unser Ziel ist es, mit der Ausbildungsgarantie dafür zu sorgen, dass wir jedem jungen Menschen hierzulande ein Angebot machen für den Einstieg in ein selbstbestimmtes Erwerbsleben durch Ausbildung“.[3] Dieses Angebot soll aber nicht für die mittlerweile mehr als 2,8 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss und auch nicht für die knapp 64.000 Bewerber*innen gelten, die weiterhin – auch trotz Alternative – nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz suchten. Stattdessen führt Heil in seiner Rede im Bundestag über den Geltungsraum fort: „Das heißt, in den Regionen, die strukturschwach sind, in denen es nach wie vor eine Unterversorgung gibt, werden wir auch einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer außerbetrieblichen Ausbildung verankern. Vorrang hat die betriebliche Ausbildung. Aber wo gar nichts geht, werden wir diesen Rechtsanspruch umsetzen.“[4]

Konkret sieht das beschlossene Gesetz vor, dass sich die Zielgruppe der Förderberechtigten für eine außerbetriebliche Ausbildung nach § 76 SGB III auch auf junge Menschen erweitert, die trotz Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und in einer sogenannten unterversorgten Region leben. Eine solche erhebliche Unterversorgung an Ausbildung läge ausweislich der Gesetzesbegründung dort vor, wo die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellenbewerber*innen die Zahl der gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen (Bewerber*innen-Stellen-Relation) um mehr als 10 Prozent übersteigt. In mindestens diesen Regionen können die jeweiligen Agenturen für Arbeit unter Einbindung der Sozialpartner eine erhebliche Unterversorgung feststellen und zusätzliche Kapazitäten für die außerbetriebliche Ausbildung (BaE) im darauffolgenden Jahr einkaufen.

Für junge Menschen bedeuten diese Regelungen, dass sie durch die Aufnahme einer außerbetrieblichen Ausbildung (BaE) gefördert werden können, die ihnen die Möglichkeit zu einem vollqualifizierenden Berufsabschluss ermöglicht. Die Maßnahme endet erst mit Abschluss der Berufsausbildung, wobei ein Wechsel in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis – z.B. nach guten Erfahrungen aus einem Betriebspraktikum – jederzeit möglich und wird seitens der Agenturen für Arbeit auch finanziell angereizt. Bevor jedoch eine außerbetriebliche Ausbildung vermittelt wird, müssen die jungen Menschen folgende Fördervoraussetzungen erfüllen: Sie müssen erstens erfolglose Bewerbungsbemühungen nachweisen, wobei der erforderliche Umfang der Bemühungen im Gesetz nicht quantifiziert wird. Sie müssen zweitens die Berufsberatung der Agentur für Arbeit in Anspruch genommen haben. Drittens müssen die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit erfolglos verlaufen sein. Außerdem müssen sie viertens in einer Region leben, in der eine Unterversorgung an Ausbildungsplätzen durch die lokale Agentur für Arbeit festgestellt wurde (s.o.).

Dem Gesetzentwurf zufolge wurde mit insgesamt 7.000 zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen für dieses letzte Auffangnetz der Ausbildungsgarantie kalkuliert. Diese Zielmarke war angesichts von mehr als 2,8 Millionen jungen Menschen ohne Berufsabschluss bereits deutlich zu unterambitioniert. Und sie wurde sogar noch erschreckend stark unterboten: Nur 18 von 150 Agenturbezirken identifizierten sich wegen ihrer Bewerber*innen-Stellen-Relation (BSR) als erheblich unterversorgt. Vier weitere begründeten ihre erhebliche Unterversorgung mit lokalen und regionalen Gegebenheiten und nutzten dabei ihren Spielraum über den Indikator hinaus. Von diesen insgesamt 22 als unterversorgt identifizierten Agenturbezirken planen nur 8 Agenturen für Arbeit zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze anzukaufen. Das traurige Ergebnis: Im ersten Jahr der Ausbildungsgarantie liegt die Zahl zusätzlicher BaE-Plätze – also des Herzstücks der Ausbildungsgarantie – wahrscheinlich in einem sehr niedrigen dreistelligen Bereich. Ein wirksames Angehen der strukturellen Probleme im Zugang zu einer Ausbildung sieht anders aus. Die Ausbildungsgarantie der Bundesregierung bleibt deutlich hinter den Zielsetzungen aus dem Koalitionsvertrag zurück.

Auch wenn die Maßnahmen für außerbetriebliche Ausbildungsplätze über die Ausbildungsgarantie erst zum 01.08.2024 beginnen sollen, zeichnen sich schon jetzt verschiedene Problemlagen ab. Sie führen dazu, dass die Ausbildungsgarantie deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Vor allem ist hier der gewählte Indikator der Bewerber*innen-Stellen-Relation (BSR) zu nennen, da dieser das Geschehen auf dem Ausbildungsmarkt nicht realistisch abbildet: Nicht nur junge Menschen, die bei ihren Bewerbungsbemühungen keinen Kontakt mit den Agenturen für Arbeit hatten, werden nicht erfasst. Auch Bewerber*innen, die zwar Kontakt zur Agentur hatten, aber als „nicht ausbildungsreif“ eingestuft werden, fließen in diesen Indikator nicht ein. Einzelne digitale Tools der Berufsberatung würden Beratene nicht als Bewerber*innen erfassen, weshalb bspw. im Agenturbezirk Rostock eine viel zu niedrige BSR ausgewiesen werde. Zu guter Letzt fallen auch beim Stellenangebot die von den Unternehmen bei der Agentur gemeldeten Ausbildungsstellen und das tatsächliche Angebot auseinander. DGB und DGB-Jugend hatten diesen Missstand bereits im Gesetzgebungsverfahren angemeldet und stattdessen für den realistischeren Indikator der e-ANR mit einem Grenzwert von 112,5 plädiert.[5] Dadurch wäre auch das Auffangnetz für die jungen Menschen deutlich engmaschiger und tragfähiger geworden.

Aber anhand einzelner Rückmeldungen zeichnen sich auch andere Probleme bereits ab: So erfolge die Bedarfsplanung im Rahmen der Ausbildungsgarantie teilweise nach der lokalen Finanzplanung und es herrsche ein hoher Rechtfertigungsdruck für zusätzliche BaE-Plätze, da die Maßnahmen nicht unerhebliche finanzielle Mittel binden würden. Außerdem würden Statistiken mit Verweis auf alternative Angebote, den Pendler*innen-Saldo oder fehlende Sprachkenntnisse der Bewerber*innen relativiert. Hinzu kommt, dass branchenspezifische Ungleichheiten in der Verteilung vorhandener Ausbildungsstellen (z.B. in touristischen Gegenden fast ausschließlich HoGa-Berufe) anhand der zur Verfügung gestellten Statistiken nicht ausreichend abgebildet werden würden. Alles in allem beklagen Arbeitnehmer*innen-Vertreter in den Verwaltungsausschüssen der Agenturen für Arbeit eine uneinheitliche Entscheidungspraxis und Nutzung der Datengrundlage vor Ort, die mit hohem Zeitaufwand für sie verbunden sei. In den geschilderten Problemlagen scheinen Anpassungen für das kommende Ausbildungsjahr 2025/26 dringend geboten, um den nicht nachvollziehbaren Flickenteppich, wie er aktuell vorherrscht, zu einem engmaschigen und tragfähigen Auffangnetz zu verbessern.

1.2 Unser Ziel: Eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie

Mit dem Beschluss zur Einführung einer Ausbildungsgarantie ist unser Kampf für eine Ausbildung für Alle zwar in eine neue Phase eingetreten. Die Zielsetzung bleibt jedoch weiterhin klar: Keine echte Ausbildungsgarantie ohne eine Ausbildungsumlage! Zu diesem Zweck hat der DGB bereits 2022 ein entsprechendes Konzept für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie erarbeitet.[6] Zentraler Bestandteil dieses Konzepts ist ein Zukunftsfonds, in den alle Betriebe einzahlen. Aus diesem sollen Kosten der ausbildenden Betriebe ausgeglichen, außerbetriebliche Ausbildungsplätze finanziert und überbetriebliche Bildungszentren für die Verbundausbildung sowie die Qualifizierung des Ausbildungspersonals finanziert werden. So würde einerseits die Ausbildungsqualität gesteigert werden. Andererseits würden wirksame Anreize gesetzt, damit nicht (mehr) ausbildende Betriebe Ausbildungsstellen schaffen und ausbildende Betriebe ihre Ausbildungsangebot weiter ausbauen. Denn mittlerweile bildet nicht einmal mehr jeder Fünfte Betrieb überhaupt noch aus. Die Ausbildungsbetriebsquote lag 2022 bei gerade einmal 18,9 Prozent.[7]

Leider schaffte es eine bundesweite Ausbildungsumlage nicht in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Doch einzelne Bundesländer, zu nennen ist vor allem Bremen, gehen mit gutem Beispiel voran. So hat Bremen die Einführung eines Ausbildungsunterstützungsfonds beschlossen, der noch dieses Jahr wirksam wird. Unternehmen sollen hier jährlich max. 0,3 Prozent, aktuell 0,27 Prozent ihrer Arbeitnehmerbruttolohnsumme in den Fonds einzahlen. Ausbildende Betriebe erhalten pro Ausbildungsvertrag eine jährliche Erstattung der Ausbildungskosten in Höhe von 2.250 Euro. Unternehmen unterhalb der Bagatellgrenze von 135.000 Euro Bruttolohnsumme können sich auf Antrag von der Umlage befreien lassen. Zusätzlich sollen weitere Angebote im Rahmen der Ausbildungsförderung finanziert werden können. Der Fonds wird unter Einbezug der Sozialpartner verwaltet.

An diesem Beispiel sollten sich auch andere Bundesländer ein Vorbild nehmen, solange der Bund nicht gewillt ist, diesen aus unserer Sicht notwendigen Schritt zu gehen.

1.3 Ein Einstieg – Unser Fazit zur gesetzlichen Ausbildungsgarantie

Das mit der gesetzlichen Ausbildungsgarantie ein Einstieg in eine echte Ausbildungsgarantie geschaffen wurde, ist ein Erfolg der Gewerkschaftsjugend. Wir hatten das Thema für die Bundestagswahl 2021 zentral gesetzt. Im Gesetzgebungsprozess konnten wir erkämpfen, dass der Mobilitätszuschuss auf zwei monatliche Familienheimfahrten verdoppelt wurde. Außerdem konnten wir erreichen, dass junge Menschen einen festen gesetzlichen Anspruch auf einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz erhalten – wenn auch leider nur in den unterversorgten Regionen. Das zeigt, wie wirksam wir als Gewerkschaftsjugend seien können, wenn wir alle an einem Strang ziehen.

Bei aller Freude über diese Erfolge: Der Kampf für eine Ausbildung für Alle, für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie geht in Bund und Ländern weiter. Die beschlossene Ausbildungsgarantie kann eben nur ein Einstieg in weitere Verbesserungen beim Zugang in Ausbildung sein. Die jetzigen Maßnahmen sind nicht ausreichend und bleiben bereits zum Teil deutlich hinter ihren Zielsetzungen zurück. Das Herzstück einer jeden Ausbildungsgarantie, mehr betrieblichen Ausbildungsplätze zu schaffen, blieb unadressiert. Hier besteht Handlungsbedarf und wir werden nicht müde, die Verantwortlichen in Politik und Bundesagentur für Arbeit daran zu erinnern. Wie es geht, zeigt Bremen, das mit der Landesumlage zum Vorbild für die anderen Bundesländer geworden ist.

[1] siehe Ausbildungsreport 2022, S. 18.

[2] siehe Berufsbildungsbericht 2024, noch unveröffentlicht.

[3] Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung vor dem Deutschen Bundestag am 28. April 2023 in Berlin. Unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin/rede-des-bundesministers-fuer-arbeit-und-soziales-hubertus-heil–2187300.

[4] ebd.

[5] Hintergrund: Ein rein rechnerisch ausgewogenes Verhältnis von Bewerber*innen und gemeldeten Ausbildungsstellen ist nicht ausreichend, denn dabei bleibt die Notwendigkeit eines auswahlfähigen Ausbildungsplatzangebots ausgeblendet, wie im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1980 deutlich gemacht.

Zur Realisierung der grundgesetzlich verankerten Berufswahlfreiheit müsste demnach ein Angebotsüberhang an Ausbildungsstellen im Umfang von mindestens 12,5 % bestehen und daher die Angebots-Nachfrage-Relation bei einem Wert von mindestens 112,5 liegen. Ein Wert von unter 112,5 würde vor diesem Hintergrund bereits eine erhebliche Unterversorgung anzeigen.

[6] siehe DGB-Positionspapier „Schluss mit Warteschleife. DGB-Vorschläge für eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie“, September 2022. Unter: https://www.dgb.de/themen/++co++3adf552c-2e88-11ed-91cb-001a4a160123.

[7] siehe Berufsbildungsbericht 2024, noch unveröffentlicht.

Autoren

  • Kristof Becker ist seit 2021 Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen für ver.di und den DGB tätig, u.a. als ver.di-Landesjugendsekretär in Berlin-Brandenburg sowie als Tarifsekretär im ver.di-Landesfachbereich für Gesundheit und soziale Dienste.

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  • Julian Uehlecke ist seit 2022 Politischer Referent bei der DGB-Jugend im DGB-Bundesvorstand. Seine Aufgabenbereiche sind Fragen der dualen Berufsausbildung sowie der jährlich erscheinende DGB-Ausbildungsreport.

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