Katharina Grabietz (Gewerkschaftssekretärin im Ressort Allgemeine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik / AGA beim IG Metall Vorstand) und Dr. Stefanie Janczyk (Leiterin des Bereichs Sozialpolitik beim IG Metall Vorstand)
Mehr Geld für Weiterbildung, Erleichterung der Förderbedingungen und ein neues Instrument, das den Einbezug der Betriebsparteien voraussetzt – das klingt erstmal gut. In der Tat hat die Politik mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung große Schritte für die Qualifizierung Beschäftigter getan. Große Schritte, bei denen sich nach ersten Praxiserfahrungen an einigen Stellen noch Feinjustierungsbedarf offenlegt.
Seit April letzten Jahres wurden die Möglichkeiten für Betriebe, Förderung für die Qualifizierung ihrer Beschäftigten zu erhalten enorm ausgeweitet.[1] Zum einen wurden Erleichterungen für die Fördervoraussetzungen der „klassischen“ Weiterbildungsförderung nach § 82 SGB III beschlossen. Mit ihr können nun mehr Beschäftigte unabhängig von Alter, Qualifikation bis hin zu Umschulungen gefördert werden. Die Förderhöhe ist dabei abhängig von der Unternehmensgröße.
Strukturwandel und Qualifizierung
Mit dem Qualifizierungsgeld nach § 82a SGB III wurde zudem auch ein neues Instrument geschaffen, das vor dem politischen Hintergrund des Strukturwandels unserer Industriegesellschaft, speziell der Transformation der Automobil- aber auch anderer Industrien hin zu einer klimaneutralen Produktionsweise besonders interessant ist.[2] Es dient speziell dazu, größere Gruppen von Beschäftigten in strukturwandelbetroffenen Betrieben zu qualifizieren. Es hat die Form einer Lohnersatzleistung und entspricht in der Höhe in etwa dem Kurzarbeitergeld. Mit diesem neugeschaffenen Instrument hat die Politik die Herausforderungen der Industrie direkt adressiert und ihnen ein wichtiges Handwerkszeug an die Hand gegeben, denn die Betroffenheit vom Strukturwandel ist Fördervoraussetzung. Strukturwandel ist hierbei weit gefasst – so wie auch die tiefgreifenden Veränderungsprozesse ausgelöst durch Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie und Globalisierung umfassend aufgefangen und flankiert werden müssen. Die Dringlichkeit ist klar: es kommt es in den nächsten Jahren entscheidend darauf an, die sozial-ökologische Transformation in Richtung einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft und Industrie auszurichten. Dazu müssen in einem teils anspruchsvollen globalen Wettbewerbsumfeld Standorte, Produkte, Produktionsprozesse oder auch Lieferketten aufwendig umgestaltet werden.[3] Damit aus dem notwendigen technischen und (infra-)strukturellen Wandel aber auch ein sozialer wird, bedarf es zudem Anstrengungen zur Bewältigung der beschäftigungspolitischen Dimension der Transformation. Ohne eine flankierende und präventiv ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik wird diese betrieblich schwerlich zu realisieren sein.
Ohne den Betriebsrat geht es nicht
Hier setzt das Qualifizierungsgeld an. Das Besondere: es kann für große Gruppen von Beschäftigten genutzt werden. So können theoretisch ganze Abteilungen „in einem Rutsch“ qualifiziert werden, um z.B. für die Montage von E-Motoren oder die Bedienung vernetzter Produktionsanlagen qualifiziert zu werden. Hierfür wichtig: ohne eine Vereinbarung der Betriebsparteien zur Nutzung des Qualifizierungsgeldes kann es nicht bewilligt werden. Eine Betriebsvereinbarung oder ein betriebsbezogener Tarifvertrag, in dem der strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarf, die nachhaltige Perspektive für die Beschäftigten im Betrieb durch die angestrebte Qualifizierung sowie die Inanspruchnahme des Qualifizierungsgeldes im Betrieb geregelt und plausibel dargelegt sind, ist eine harte Fördervoraussetzung. Die Stärkung der Rolle von Betriebsräten im Planungsprozess ist hier ein wichtiger Hebel und greift damit einen zentralen Baustein des von der IG Metall vor einigen Jahren in die Diskussion gebrachte Idee eines „Transformationskurzarbeitergeldes“ auf, auf dem die Konzeption des Qualifizierungsgeldes basiert.[4]
Ein wichtiger Hebel, denn zur Bewältigung der Transformation gibt es in weniger als der Hälfte der Betriebe eine Strategie, wie regelmäßige Befragungen der IG Metall zeigen.[5] Zweifelsohne kommt den Arbeitgebern hier weiterhin eine zentrale Verantwortung zu. Doch häufig sind es betriebliche Funktionäre und Beschäftigte, die näher dran an den Erfordernissen für Zukunftsaussichten im Betrieb sind. Auch spielen sie eine wichtige Rolle, um Beschäftigte im Prozess auch mitzunehmen, ihnen Ängste zu nehmen und proaktives Handeln zu koordinieren, um von der Theorie in die Praxis zu kommen.
Zwischenbilanz: Mehr Praktikabilität tut Not
Trotz großer Bemühungen seitens der Bundesagentur für Arbeit und anderer Akteure, Gewerkschaften eingeschlossen, die neuen Fördermöglichkeiten bekannter zu machen, bleibt die Inanspruchnahme der neuen Fördermöglichkeiten insgesamt und auch des Qualifizierungsgeldes deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zweifelsohne braucht es auch einfach Zeit, um neue Angebote bekannter zu machen. Interesse seitens der Betriebe ist da. Doch auch wo Interesse und Wille vorhanden ist, mangelt es noch an geförderten Qualifizierungen, die ins Laufen gekommen sind. Dies hat nach den bisherigen Erfahrungen verschiedene Ursachen:
- Es bestätigt sich, dass Weiterbildung ein komplexes Feld ist, in dem es diverse Interessen zu berücksichtigen und Knoten zu lösen gilt. Die Angebote der Arbeitsagentur sind hier kein Zauberwerkzeug. Sie bieten zwar Beratung und die Aussicht auf Finanzierung, nicht aber die Lösung aller Fragen. Hierfür sind erhebliche gemeinsame Anstrengungen aller relevanten Akteure von Nöten. Dies gilt einmal mehr, wenn es um die Qualifizierung größerer Gruppen gilt. Netzwerkarbeit vor Ort, gemeinsame Austauschformate und viel Kommunikation sind hier das A und O.
- In der jetzigen Form bringt das mittlerweile recht breite Förderspektrum der BA eine erhebliche Komplexität mit sich, die für Laien kaum zu durchdringen ist. Das gilt in höherem Maße für kleinere Betriebe, aber auch für größere, die mehr Ressourcen für dieses Thema zur Verfügung haben. Hier reicht es nicht, wenn die Arbeitsagentur im Erstgespräch das Förderportfolio samt Voraussetzungen darstellt. Die Arbeitsagentur muss viel stärker die Rolle eines Lotsen übernehmen, der die Betriebe an die Hand nimmt, welche Schritte wann, wie, in welcher Reihenfolge erfolgen sollten, verbunden mit Verabredungen für einen gemeinsamen weiteren Arbeitsprozess. Erfolgt dies nicht, droht der Prozess schnell im Sand zu verlaufen.
- Das Qualifizierungsgeld ist keine Pflichtleistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern als »Ermessensleistung« konzipiert, was eher kritisch zu bewerten ist. Zum einen ist es aus Sicht der Akteure problematisch, weil die Umsetzbarkeit etwaig getroffener betrieblicher oder tariflicher Vereinbarungen zur Qualifizierung gerade in Zeiten allgemeiner bundeshaushalterischer Sparkurse und Zurückhaltungen mit Unsicherheit verknüpft ist. Im schlimmsten Fall hält es sie davon ab, den Weg überhaupt zu beschreiten, aus Sorge die in eine Vereinbarung investierte Zeit könnte umsonst gewesen sein. Zum anderen führt die Konzeption zu erheblichem Arbeits- und Zeitaufwand bei den Arbeitsagenturen und Betrieben, die diverse Informationen und Unterlagen beibringen müssen. Beide Probleme verstärken sich wechselseitig, ziehen den Prozess erheblich in die Länge und sind letztlich auch eine Achillesferse. Das bereits erwähnte von der IG Metall in die Diskussion gebrachte Transformationskurzarbeitergeld wurde als Pflichtleistung konzipierte. Das Qualifizierungsgeld basiert zwar auf diesem Vorschlag, unterscheidet sich aber eben just in diesem Punkt. Dies sollte überdacht werden.
- Nicht zuletzt erweisen sich der Prozess der Zertifizierung und das System der Kostenerstattung als Stolpersteine. Beides ist ursprünglich für Qualifizierungen für Arbeitslose entwickelt worden und wird seit längerem kritisch diskutiert: unzeitgemäß, aufwendig, langwierig, hoher Kostendruck, – lautet die Diagnose. Die Herausforderungen der Transformation und die Qualifizierung von Beschäftigten verschärfen diese. Viele Betriebe finden im ersten Zugriff keine passgenaue Qualifizierung für ihre Erfordernisse oder haben kein Wissen darüber, ob und wie sie eine finden können. Das sollte zum Anlass genommen werden das Zertifizierungssystem grundlegend auf den Prüfstand zu stellen.
Mit der Ausweitung der Weiterbildungsförderung für Beschäftigte ist die Politik wichtige Schritte in die richtige Richtung gegangen. Doch die Förderung darf nicht nur am „Reißbrett“ funktionieren, sondern muss in den Betrieben umsetzbar sein. Aktuell bestehen hier noch zu viele Hürden und Hemmnisse, die häufig im Detail stecken. Die oben genannten Punkte sollten bei der Weiterentwicklung der Instrumente berücksichtigt werden, um die arbeitsmarktpolitischen Werkzeugkoffer zur Bewältigung der Transformation mit wirklich wirkungsvollen Instrumenten zu bestücken.
[1] https://www.arbeitsagentur.de/k/weiterbildung-qualifizierungsoffensive
[2] Für eine ausführliche Darstellung und Einordnung des Qualifizierungsgeldes siehe auch: Grabietz, Katharina / Janczyk, Stefanie (2005): „Qualifizierungsgeld: Hebel zur Beschäftigungs- und Fachkräftesicherung“, in Gute Arbeit 1/2005.
[3] Die IG Metall hat Vorschläge zur Zukunft der Industrie in einem Papier unterbreitet: »11 Punkte für ein modernes, innovatives und gerechtes Industrieland«, https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/wirtschaftspolitik/fuer-modernes-innovatives-und-gerechtes-industrieland
[4] https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/wirtschaftspolitik/arbeitsmarkt/darum-brauchen-wir-das-transformations-kurzarbeitergeld
[5] https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/ig-metall-umfrage-betriebe-verschleppen-zukunftsfragen-