Julian Uehlecke (Politischer Referent der DGB-Jugend)

„Ohne Ausbildung keine Zukunft“ – unter diesem Motto startete die IG BCE Jugend in den vergangenen Jahren eine Kampagne, um auf den Fachkräftemangel als eine der größten Herausforderungen für die hiesige Wirtschaft aufmerksam zu machen.[1] Denn noch immer konnte die Corona-Delle auf dem Ausbildungsmarkt nicht ausgeglichen werden: Im Jahr 2020 wurden erstmals weniger als 500.000 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Seitdem gab es zwar eine leichte Erholung auf dem Ausbildungsmarkt. Doch fehlten im Jahr 2023 noch immer fast 36.000 Ausbildungsverträge, um den Stand vor der Pandemie zu erreichen.[2] Dabei sind wir auf ausgebildete Fachkräfte angewiesen, die in den Betrieben und der Gesellschaft die Transformation schon heute gestalten und auch künftig gestalten werden – das zeigt uns nicht nur der Fachkräftemangel beim Einbau der vieldiskutierten Wärmepumpen.

Die Gründe für die Delle am Ausbildungsmarkt sind vielfältig und bereits ausgiebig diskutiert: Regionales Missmatch, „Bestenauslese“ der Betriebe, zu viele junge Menschen in den Warteschleifen des Übergangsbereichs. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Im Folgenden soll jedoch ein Aspekt beleuchtet werden, der in den hitzigen Debatten um Passungsprobleme oft zu kurz kommt: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende, der mittelbar Auswirkungen auch auf die Jahrhundertaufgabe der sozial-ökologischen Transformation hat. Denn ohne eine grundlegende soziale Absicherung, zu der zweifelsohne neben guten Ausbildungsvergütungen auch bezahlbarer Wohnraum zählt, ist die Fachkräfteausbildung als Basis künftiger Anstrengungen für eine ökologisch-tragfähige Wirtschaft und Gesellschaft gefährdet. Dieser Beitrag plädiert daher dafür, einen massiven Ausbau von attraktiven Azubi-Wohnheimen als eine Gelingensbedingung der sozial-ökologischen Transformation zu betrachten und dabei sowohl den Staat als auch die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen.

Steigende Miet- und Lebenshaltungskosten als ein Treiber der Passungsprobleme

479 Euro – so viel kostete ein WG-Zimmer in einer Stadt mit Hochschulstandort dem Moses-Mendelssohn-Institut zufolge zuletzt durchschnittlich. In vielen Städten waren die Mieten sogar noch deutlich teurer: In München wurden 760 Euro fällig, in Frankfurt am Main 670 Euro und in Berlin 650 Euro. Im Vergleich zum Vorjahr lag der durchschnittliche Preisanstieg bei 4,7 Prozent.[3]

Demgegenüber steht eine Mindestausbildungsvergütung (MiAV) von 649 Euro im ersten Ausbildungsjahr für Auszubildende, die im Jahr 2024 ihre Ausbildung begonnen haben. Schon diese Gegenüberstellung zeigt, dass es in vielen Städten hierzulande für Auszubildende, vor allem diejenigen am unteren Ende der Vergütungsskala, eng wird. Doch auch für die jungen Menschen, die in tarifgebundenen Unternehmen ihre Ausbildung absolvieren, wird es knapp: So lag die durchschnittliche tarifliche Ausbildungsvergütung im Jahr 2023 laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) bei 968 Euro brutto im ersten Ausbildungsjahr.[4] Nach Abzug der Sozialabgaben reicht auch diese durchschnittliche Vergütung kaum aus, um als junger Mensch ohne zusätzliche Unterstützungsleistungen in einer der großen Städte Deutschlands eine Ausbildung aufzunehmen. Hinzu kamen erhebliche Preissteigerungen, die vor allem einkommensschwache Haushalte in den Jahren 2022 und 2023 besonders stark getroffen haben.[5]

Die skizzierten Zahlen zeigen leider: Mancherorts muss man sich eine Ausbildung mittlerweile leisten können. Ohne zusätzliche Unterstützung durch die Familie oder staatliche Unterstützungsleistungen wie die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) wird es schwer. Das zeigte bereits der DGB-Ausbildungsreport 2020: Zwei Drittel der befragten Auszubildenden mit eigener Wohnung gaben in diesem an, neben ihrer Vergütung noch zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten zu haben.[6] Dieser Wert droht sich aufgrund gestiegener Mietpreise und Lebenshaltungskosten noch weiter verschärft zu haben. Auch deshalb, weil die Steigerungen bei den tariflichen Ausbildungsvergütungen die Inflation vielfach nicht ausgleichen konnten und Auszubildende somit einen Reallohnverlust hinnehmen mussten.[7] Besonders in diesen krisenhaften Zeiten hätten die Arbeitgeber hier ein deutlich anderes Zeichen setzen müssen.

Passungsprobleme, Ausbildungslosigkeit und Fachkräftemangel

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt zunehmen. Im Jahr 2023 blieben laut BIBB-Datenreport zum Stichtag 30. September insgesamt 73.400 Berufsausbildungsstellen unbesetzt – ein Anstieg um 6,6 Prozent.[8] Gleichzeitig waren noch immer 63.700 Bewerber*innen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Von ihnen waren 26.400 sogar gänzlich unversorgt.[9]

Außerdem steigt seit Jahren der Anteil junger Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss – mittlerweile ist es fast jede*r Fünfte. Insgesamt fehlt damit hochgerechnet 2,86 Millionen jungen Menschen eine grundlegende Qualifikation für den Einstieg in den Arbeitsmarkt.[10] Auch bei diesem Wert spielen Inflation und Mietpreisexplosionen – neben anderen Faktoren wie Migrationsbewegungen – eine nicht unerhebliche Rolle. Manche jungen Menschen ziehen es vor, nach ihrem Schulabschluss erstmal zu jobben, da ihnen das eher einen Einstieg in ein selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht als die Aufnahme einer Berufsausbildung.

Diese Autonomie vom eigenen Elternhaus ist jedoch teuer erkauft: Bleiben junge Menschen ohne Berufsabschluss, droht ihnen deutlich häufiger ein Leben in prekärer Beschäftigung.[11] Und für Betriebe und Gesellschaft verschärft sich der Fachkräftemangel: Bereits 2021/22 gaben in einer Befragung des WSI der Hans-Böckler-Stiftung insgesamt 56 Prozent der Betriebsräte an, dass ihr Betrieb Schwierigkeiten habe, offene Stellen zu besetzen.[12]

Ausbildungsmobilität konsequent ermöglichen

Anstatt noch mehr junge Menschen in die Ausbildungslosigkeit zu verlieren, muss Ausbildungsmobilität konsequent ermöglicht werden. Hierzu müssen aus Sicht der DGB-Jugend drei Angebote gestärkt und ausgebaut werden: Vergünstigte bundesweite Azubi-Tickets für den ÖPNV; breit genutzte Mobilitätszuschüsse der Agenturen für Auszubildende, die für ihre Ausbildung ihren Wohnort wechseln müssen; sowie bezahlbare und gut angebundene Azubi-Wohnheime.

Vergünstigte Azubi-Tickets sind nicht nur angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten und gegebenenfalls dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der näheren Umgebung des Ausbildungsbetriebs von Bedeutung. Auch die zunehmende Zentralisierung der Berufsschulen erfordert, dass Auszubildenden bezahlbare Mobilität über den ÖPNV ermöglicht wird. Seit dem Schuljahr 2018/2019 ist die Zahl der beruflichen Schulen um 354 auf zuletzt 8.268 Schulen gesunken. Die Anzahl der Berufsschulklassen ist seit dem Jahr 2010 um fast 15.000 auf heute nur noch 112.028 Klassen gesunken.[13] Vor allem Berufsschüler*innen aus Flächenländern sind in der Folge zunehmend mit langen Fahrtwegen zur Berufsschule konfrontiert, wie die GEW im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau kritisiert.[14] Neben dem hohen Zeitaufwand für das Pendeln zur Berufsschule handelt es sich hierbei auch um einen Kostenfaktor. Zwar hat die Einführung des 49 Euro-Tickets Teile der Auszubildende finanziell entlasten können, doch trifft sie die angekündigte Erhöhung auf 58 Euro aufgrund der ohnehin niedrigeren Vergütungen besonders stark. Umso wichtiger ist es deshalb, dass alle – und nicht nur einzelne – Bundesländer vergünstigte Angebote für Auszubildende schaffen und preislich stabil halten, um die Ausbildungsmobilität zu sichern und bestenfalls noch auszubauen.

Ein weiteres Instrument zur Steigerung der Ausbildungsmobilität junger Menschen wurde im Rahmen des Einstiegs in eine gesetzliche Ausbildungsgarantie mit dem Mobilitätszuschuss geschaffen. Hierbei handelt es sich um ein Instrument der Agentur für Arbeit, dass die Kostenübernahme für Familienheimfahrten von Auszubildenden vorsieht. Geregelt ist dieses Instrument im neuen § 73a SGB III. Demnach können junge Menschen, die ihre Ausbildungsstätte nicht in angemessener Zeit erreichen können (was i.d.R. der Fall ist, wenn der Pendelaufwand für Hin- und Rückweg mehr als 2 Stunden übersteigt) und deshalb ihren Wohnort wechseln müssen, über das erste Ausbildungsjahr pauschal mit der Übernahme der erforderlichen Kosten für zwei Familienheimfahrten pro Monat von den Agenturen für Arbeit unterstützt werden. Ein Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme ist nicht notwendig. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Ermessensleistung, die jungen Menschen nach Vorab-Prüfung ihres Anliegens gewährt werden kann, aber nicht gewährt werden muss. Grundsätzlich kann dieses Instrument insbesondere Azubis mit niedrigen Ausbildungsvergütungen unterstützen, den so wichtigen Kontakt zu Familie und Freund*innen vor Ort zu halten und so Hürden in der Ausbildungsmobilität senken. Es kommt jetzt jedoch darauf an, diese rechtlichen Möglichkeiten in den Agenturen auch tatsächlich breit zu nutzen. Für eine Bewertung der Wirksamkeit ist es jedoch noch zu früh, da das Instrument erst dieses Jahr eingeführt wurde. Nachbesserungsbedarf sieht die Gewerkschaftsjugend jedoch jetzt schon in der Beschränkung der Förderung auf das erste Ausbildungsjahr: Die positiven Effekte auf die Ausbildungsmobilität könnten durch den Wegfall der Förderung ab dem zweiten Ausbildungsjahr verpuffen, ggf. droht eine weitere Steigerung der ohnehin viel zu hohen Vertragslösungsquote von mittlerweile fast 30 Prozent.[15]

Darüber hinaus müssen angesichts steigender Mietpreise die Strukturen für bezahlbare Azubi-Wohnheime massiv auf- und ausgebaut werden. Denn günstige Azubi-Tickets reichen nicht aus, um die Ausbildungsmobilität so zu steigern, dass die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt wirksam angegangen werden. Werden Auszubildende aufgrund der hohen Mietpreise in Ballungsgebieten dazu gezwungen in das weitere Umland zu ziehen, geht dies häufig mit längeren Pendelstrecken einher. Die Ergebnisse des DGB-Ausbildungsreports 2020 zeigten jedoch, dass lange Fahrtzeiten zu der Ausbildungsstätte einen erheblichen Stressfaktor darstellen können. Mit zunehmender Fahrtdauer zum Betrieb wächst auch der Anteil der Auszubildenden, die angeben Probleme zu haben sich in ihrer Freizeit zu erholen. Während von den Auszubildenden mit einer Fahrtzeit von maximal einer halben Stunde etwa ein Viertel (22,8 Prozent) davon berichtet, »immer« oder »häufig« unter entsprechenden Problemen zu leiden, steigt dieser Anteil auf 40 Prozent unter denjenigen Auszubildenden, die mehr als eine Stunde unterwegs sind.[16] Diese Probleme können zu Unzufriedenheit und im schlimmsten Fall zum Abbruch einer Ausbildung führen. Oder aber ein abgeschlossener Ausbildungsvertrag wird gar nicht erst angetreten, weil ein Umzug erforderlich ist, jedoch keine bezahlbare Wohnung vor Ort gefunden wird. Mit dem Förderprogramm Junges Wohnen wollen Bund und Länder dem entgegenwirken.

Programm Junges Wohnen – Bezahlbarer Wohnraum für Auszubildende und Studierende

500 Millionen Euro jährlich – diese Summe stellt der Bund den Ländern seit 2023 für das gemeinsame Förderprogramm „Junges Wohnen“ zur Verfügung. Die Mittel sollen exklusiv für den Neu-, Aus- und Umbau sowie die Sanierung von Auszubildenden- und Studierenden-Wohnheimen genutzt werden. Die Bundesländer schießen jeweils mindestens 30 Prozent zusätzlich dazu, sodass insgesamt mindestens 650 Millionen Euro jährlich für den genannten Verwendungszweck zur Verfügung stehen sollen. Geplant ist aktuell eine Förderlaufzeit bis mindestens 2025. Die Förderkriterien, anhand derer entschieden werden soll, welche Projekte gefördert werden, legen jeweils die einzelnen Länder fest.

Zurzeit liegen zum Förderprogramm bundesweit noch keine Abrufzahlen vor, aus denen sich erschließen lässt wie viele Projekte in welcher Höhe gefördert wurden. Doch schon jetzt scheint klar, dass Studierende stärker von der Förderung profitieren werden als Auszubildende. Denn während die Studierenden mit den Studierendenwerken an vielen Orten bereits über Trägerstrukturen verfügen, die Wohnheime planen, bauen und betreiben, fehlt eine vergleichbare Struktur bei den Auszubildenden.[17] Die Folge: Auszubildende drohen bei der Förderung leer auszugehen, die gewünschten Anreize zur Steigerung der Ausbildungsmobilität drohen zu verpuffen.

Hinzu kommt, dass aktuell keine Studien vorliegen, wie hoch der tatsächliche Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende ist. Der Schwerpunkt des DGB-Ausbildungsreports 2020 lässt aber auf einen hohen Bedarf schließen. Von den befragten Auszubildenden gaben drei Viertel an, aktuell noch bei Eltern oder Verwandten zu leben. Nach ihrer gewünschten Wohnsituation gefragt gaben jedoch 65,4 Prozent der Befragten an, dass sie gerne in einer eigenen Wohnung leben wollen würden.[18] Außerdem stieg der Wunsch in einer eigenen Wohnung zu leben an, je älter die Befragten waren: Während von den minderjährigen Auszubildenden weniger als die Hälfte in einer eigenen Wohnung leben wollte (47,6 Prozent), stiegen die Werte bei den 22 bis 25-jährigen auf 78,4 Prozent, bei den mindestens 26-jährigen sogar auf 89,1 Prozent.[19] Im BIBB-Datenreport zeigt sich jährlich außerdem, dass das Durchschnittsalter der Auszubildenden beim Abschluss ihres Ausbildungsvertrags steigt (2022: 20 Jahre). Auffällig ist dabei, dass in den letzten 15 Jahren insbesondere der Anteil derjenigen deutlich gestiegen ist, die bei Abschluss ihres Ausbildungsvertrages bereits 24 Jahre oder älter waren – von 6 Prozent in 2007 auf 13,1 Prozent in 2022. Das lässt mit Blick auf die oben genannten Ergebnisse des DGB-Ausbildungsreports auf einen insgesamt gestiegenen Bedarf hindeuten.

Azubi-Wohnheime – Bezahlbar, mitbestimmt und demokratisch

Azubi-Wohnheime können dabei nicht nur einen zweifellos bestehenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende decken. Sie können – zumindest, wenn sie gut ausgestaltet sind – auch ein Ort sein, der für die persönliche wie politische Sozialisation von jungen Menschen von hoher Bedeutung sein kann. Ein Ort, an dem vielfältige Menschen und Berufsfelder zusammenkommen, an dem der Start ins Berufsleben gelingen und an dem bestenfalls Demokratie im Kleinen erlebt und erlernt werden kann. Als ein Leuchtturmbeispiel kann hier das AzubiWerk München e.V. betrachtet werden, dass unter Beteiligung der DGB-Jugend München entstanden ist.[20] Doch was macht dieses Projekt so besonders?

Das AzubiWerk München bietet mit etwa 300 Euro für ein modernes Ein-Zimmer-Apartment mit eigener kleiner Küche, eigenem Bad und ausreichend Gemeinschaftsflächen für alle Bewohner*innen unschlagbare Mietpreise für Auszubildende. Diese niedrige Miete wird u.a. über den Kauf von Belegrechten durch Arbeitgeber ermöglicht, die ihren Auszubildenden so eine Wohnperspektive bieten können – mittlerweile zentral in einer Stadt, in der WG-Zimmer durchschnittlich mehr als das Doppelte dieses Betrags kosten. Begleitet werden die Bewohner*innen in Ausbildungs- und Alltagsfragen durch Sozialpädagog*innen, die ggf. an bestehende Beratungsangebote weitervermitteln. Doch nicht nur das: Das AzubiWerk München zeichnet sich dadurch aus, dass es eine demokratische Teilhabe der Bewohner*innen durch Mitbestimmungsstrukturen, wie z.B. Wohnheimräte, sichert. Dieser verfügen über ein eigenes Budget, mit dem sie ihr unmittelbares Lebensumfeld gemeinsam gestalten oder gemeinsame Aktivitäten organisieren können. Azubi-Wohnheime wie das AzubiWerk München können damit einen wichtigen Beitrag zur Demokratiebildung junger Menschen leisten.

Azubi-Wohnheime als Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation

Welchen Beitrag können Azubi-Wohnheime aber unter welchen Bedingungen zur sozial-ökologischen Transformation leisten? Zunächst ermöglichen sie, dass junge Menschen auch dort zu Fachkräften ausgebildet werden können, wo sie auf dem freien Markt keinen bezahlbaren Wohnraum (mehr) finden. Und diese Fachkräfte werden für die sozialökologische Transformation dringend gebraucht, wie die Zielformulierung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Fachkräftestrategie zeigt: „Wir wollen unsere Wirtschaft transformieren, das Klima schützen und weiterhin innovativ und wettbewerbsfähig bleiben. Dafür brauchen wir Fachkräfte. Sie sind die wichtigste Ressource unserer Zeit“.[21]

Dabei werden nicht ausschließlich die sogenannten „Klima-Berufe“ hervorgehoben, sondern beispielhaft die für die Transformation notwendige breite Arbeitsteilung aufgezeigt: „Wir brauchen die Solarteurin, die auf dem Firmendach die Solarpaneele einsetzt, um die Wirtschaft klimaneutral zu machen. Wir brauchen den IT-Spezialisten, der das Netzwerk betreut, damit die Software unseres Arbeitsplatzes zuverlässig läuft. Und wir brauchen die Bäckerin, die morgens die Brote backt, damit wir Energie für den Arbeitstag haben.“[22] Um in diesem Beispiel zu bleiben: Die Auszubildende zur Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (Durchschnittliche tarifliche Ausbildungsvergütung 2023 in Westdeutschland: 820 Euro brutto im 1. Ausbildungsjahr), der Auszubildende zum Fachinformatiker (Durchschnittliche tarifliche Ausbildungsvergütung 2023 in Westdeutschland: 1.044 Euro brutto im 1. Ausbildungsjahr) sowie die Auszubildende zur Bäckerin (Durchschnittliche tarifliche Ausbildungsvergütung 2023 in Westdeutschland: 862 Euro brutto im 1. Ausbildungsjahr) hätten alle Probleme, von ihrer Ausbildungsvergütung eine kleine Wohnung/ein WG-Zimmer in beispielsweise München oder Frankfurt a.M. zu finanzieren.[23] Sie wären gezwungen ins erweiterte und oft günstigere Umland der Städte zu ziehen, um ihre Ausbildung aufnehmen zu können. Die Folge wären mit hoher Wahrscheinlichkeit lange Pendelwege, die – wie oben bereits geschildert – mit negativen Folgen für die Work-Life-Balance einhergehen können.

Hier zeigt sich eine weitere Grundbedingung, der bei der Schaffung von Azubi-Wohnheimen unbedingt beachtet werden muss und die auch aus Perspektive der sozial-ökologischen Transformation von hoher Bedeutung ist: Die Lage von Azubi-Wohnheimen sowie deren Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Denn der Verkehrsbereich hatte im Jahr 2023 einen Anteil von 22 Prozent an den Treibhausgasemissionen Deutschland, wie die neusten Statistiken der Umweltbundesamts zeigen.[24] Europaweit hat dabei insbesondere der Individualverkehr einen hohen Anteil an diesen Emissionen: 2022 wurden laut Statistischem Bundesamt 60% aller Kohlendioxidemissionen im Straßenverkehr durch Personenkraftwagen und Motorräder verursacht.[25] Auch Auszubildende sehen sich aufgrund schlechter Erreichbarkeit ihrer Ausbildungsbetriebe oder Berufsschulen teilweise zum Individualverkehr gezwungen, auch wenn dieser klimaschädlicher und durch gestiegene Energiepreise schwerer zu finanzieren ist. Im DGB-Ausbildungsreport 2020 gab über ein Drittel der Auszubildenden (34,6 Prozent) an, ihren Ausbildungsbetrieb „weniger gut“ oder „gar nicht“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen zu können.[26] Auch bei den Berufsschulen gab immerhin fast ein Fünftel der Auszubildenden (18,8 Prozent) an, sie „weniger gut“ oder „gar nicht“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen zu können.[27] Zentral gelegene Azubi-Wohnheime mit einer guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr könnten Auszubildende somit auch in ihrer Mobilität finanziell entlasten, ihre Work-Life-Balance stärken und die Emission klimaschädlicher Treibhausgase durch Individualverkehr reduzieren.

Wohnen muss für Alle sein – Wohnheime bauen, Azubis rein!

Zusammengefasst: In vielen Städten hierzulande sind die Mieten für Auszubildende kaum noch oder bereits gar nicht mehr bezahlbar. Diese Entwicklung droht die bereits bestehenden Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt zusätzlich zu verschärfen. Die Gewerkschaftsjugend plädiert angesichts dessen für vergünstigte, bundesweite Azubi-Tickets für den ÖPNV; eine breite Nutzung des gesetzlichen Mobilitätszuschusses für Auszubildende im SGB III sowie für einen massiven Ausbau von Azubi-Wohnheimen. Im Bereich des Azubi-Wohnens hat die Bundesregierung ein Förderprogramm aufgelegt, bei dem die Auszubildenden jedoch leider drohen weitgehend leer auszugehen. Dabei gibt es mit dem AzubiWerk München e.V. bereits ein mögliches Leuchtturmprojekt, dass günstiges und mitbestimmtes Wohnen für Auszubildende in einer teuren Stadt wie München sichert. Azubi-Wohnheime können dabei immer auch als ein Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation verstanden werden: Sozial, indem sie bezahlbares Wohnen während der Ausbildung zur – für die Transformation dringend benötigten – Fachkraft sichert. Ökologisch, indem Azubi-Wohnheime, sofern sie gut gelegen und angebunden sind, einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Individualverkehrs leisten können.

Klar ist: Wir brauchen bundesweit ausreichend gut-ausgebildete Fachkräfte, um die Jahrhundertaufgabe des sozial-ökologischen Wandels als Gesellschaft meistern zu können. Wo Wohnraum jedoch zum Luxusgut wird, droht dies zu scheitern. Daher – und auch im berechtigten Interesse der jungen Menschen nach einem selbstständigen und unabhängigen Leben – fordert die DGB-Jugend den flächendeckenden Auf- und Ausbau von bezahlbaren sowie mitbestimmten Azubi-Wohnheimen.

[1] siehe IGBCE Jugend, unter: https://ohne-ausbildung-keine-zukunft.de/ [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[2] Bundesministerium für Bildung und Forschung (2024): Berufsbildungsbericht 2024, S. 42.

[3] Moses-Mendelssohn-Institut (2024): Pressemitteilung vom 19.03.2024. Unter: https://cms.moses-mendelssohn-institut.de/uploads/24_03_19_PM_Wohnkosten_Studierende_05e99eb04c.pdf [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[4] Schönfeld, Gudrun; Wenzelmann, Felix (2024): Tarifliche Ausbildungsvergütungen 2023: Anstieg erneut unterhalb der Inflationsrate. Bonn 2024. Unter: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/19383 [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[5] siehe Hans Böckler Stiftung (2024): IMK Inflationsmonitor: Teuerungsraten für alle Haushaltstypen unter zwei Prozent – EZB sollte mutiger bei Zinssenkungen sein. 18.09.2024. Unter: https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-ezb-sollte-mutiger-bei-zinssenkungen-sein-63488.htm [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:48 Uhr].

[6] DGB-Jugend (2020): DGB-Ausbildungsreport 2020, S. 29.

[7] Schönfeld, Gudrun; Wenzelmann, Felix (2024): Tarifliche Ausbildungsvergütungen 2023: Anstieg erneut unterhalb der Inflationsrate. Bonn 2024. Unter: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/19383 [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[8] Bundesinstitut für Berufsbildung (2024): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2024, S. 20.

[9] ebd., S. 20-21.

[10] Bundesinstitut für Berufsbildung (2024): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2024, S. 275.

[11] Stuth, Stefan; Schels, Brigitte; Promberger, Markus; Jahn, Kerstin; Allmendinger, Jutta (2018): Prekarität in Deutschland?!. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Discussion Paper, P 2018-004. Unter: https://wzb.eu/de/news/prekaer-beschaeftigt-trotz-guter-ausbildung#:~:text=Menschen%20ohne%20Berufsausbildung%20sind%20in,in%20ihrem%20erlernten%20Beruf%20arbeiten [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:48 Uhr].

[12] Ahlers, Elke; Villalobos, Valeria Quispe (2022): Fachkräftemangel in Deutschland? Befunde der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2021/22. Report Nr. 76, Juli 2022. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut. Unter: https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008345 [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:49 Uhr].

[13] Statistisches Bundesamt (2023): Berufliche Schulen und Schulen des Gesundheitswesens – Grunddaten, Schuljahr 2022/2023. Unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Schulen/Publikationen/Downloads-Schulen/statistischer-bericht-berufliche-schulen-2110200237005.html [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:49 Uhr].

[14] Frankfurter Rundschau (2024): Berufsschulen „oft vernachlässigt“: Azubis und Gewerkschaften beklagen weite Wege und alte Technik. 28.01.2024. Unter: https://www.fr.de/wirtschaft/frax/berufsschulen-oft-vernachlaessigt-azubis-und-gewerkschaften-beklagen-weite-wege-und-alte-technik-92800421.html [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[15] Bundesministerium für Bildung und Forschung (2024): Berufsbildungsbericht 2024, S. 90-91.

[16] DGB-Jugend (2020): DGB-Ausbildungsreport 2020, S. 23.

[17] Je nach Bundesland sind bisher unterschiedliche kleinere und mittlere Träger im Azubi-Wohnen aktiv, z.B. kirchliche Träger wie Kolping, einzelne Kammern/Innungen, gemeinnützige Stiftungen oder Kommunen.

[18] DGB-Jugend (2020): DGB-Ausbildungsreport 2020, S. 26.

[19] ebd., S. 28.

[20] siehe AzubiWerk München e.V., unter: https://www.azubiwerk-muenchen.de/ [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[21] siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Unter: https://www.bmwk.de/Navigation/DE/Fachkraefteland/home.html#strategie [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:50 Uhr].

[22] ebd.

[23] Alle Angaben zu durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen siehe Bundesinstitut für Berufsbildung (2024): Gesamtübersicht tarifliche Ausbildungsvergütungen 2023, unter: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/2023_Dav_Gesamt%c3%bcbersicht_Ausbildungsverg%c3%bctungen_Ost_West.pdf [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[24] Umweltbundesamt (2024): Klimaschutz im Verkehr, 15.07.2024. Unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr/klimaschutz-im-verkehr#undefined [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[25] Statistisches Bundesamt (2024): Straßenverkehr: EU-weite CO2-Emissionen seit 1990 um 24% gestiegen. Pkw verursachen den größten Anteil. Unter: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Umwelt-Energie/CO2_Strassenverkehr.html [Letzter Abruf: 07.10.24, 16:47 Uhr].

[26] DGB-Jugend (2020): DGB-Ausbildungsreport 2020, S. 21.

[27] ebd., S. 23.

Autor

  • Julian Uehlecke ist seit 2022 Politischer Referent bei der DGB-Jugend im DGB-Bundesvorstand. Seine Aufgabenbereiche sind Fragen der dualen Berufsausbildung sowie der jährlich erscheinende DGB-Ausbildungsreport.

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