Dr. Jens Stuhldreier (Leiter des Referates II A 2 „Berufliche Orientierung, Übergang Schule-Beruf“ im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen) und Martina Lüking (Referentin im Referat II A 2 „Berufliche Orientierung, Über-gang Schule-Beruf“ im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen)

Übergangssystem Schule-Beruf in Nordrhein-Westfalen – KAoA

Mit „Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule-Beruf in NRW“ (KAoA) hat Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland für alle Schulformen ab der Jahrgangsstufe 8 ein landesweit einheitliches und aufeinander aufbauendes und inklusives Gesamtsystem etabliert, um Jugendliche in ihrem Prozess der Beruflichen Orientierung und der Übergangsgestaltung  systematisch zu unterstützen, ihr Berufswahlspektrum zu erweitern und junge Menschen durch die Entwicklung von Berufswahlkompetenz entscheidungsfähiger zu machen.

Zielgruppenspezifische Angebote für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (KAoA-STAR) sowie Kompaktumsetzungsformate für neu Zugewanderte oder Jugendliche ohne Erstberufsorientierung komplettieren die Landesinitiative.

Die Schülerinnen und Schüler sollen in die Lage versetzt werden, sich reflektiert, eigenverantwortlich, frei von Klischees und aktiv für ihren weiteren Bildungs- und Berufsweg zu entscheiden. Dabei verstehen Sie das Entwerfen sowie die Planung und Gestaltung Ihrer persönlichen Berufsbiografien als lebensbegleitenden Prozess und nicht als einmalige Entscheidung.

Dieser systematische Prozess der Beruflichen Orientierung und der Übergangsgestaltung wird dabei durch sog. Standardelemente (SBO) definiert. Dabei handelt es sich u. a. um verbindliche Angebote wie bspw. Potenzialanalysen, Berufsfelderkundungen, Praxisphasen in Betrieben, Hochschulen oder Institutionen, Reflexions- und Entscheidungsfindungsworkshops sowie Studienorientierungsmaßnahmen, die – aufeinander abgestimmt– durchlaufen werden. Nachdem die Initiative im Jahre 2011 zunächst in sieben Referenzkommunen eingeführt und dann wellenförmig in NRW ausgerollt wurde, nehmen nun seit dem Schuljahr 2016/17 alle weiterführenden Schulen an KAoA teil. Inzwischen wurde auch für die Sekundarstufe II an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ein profunder Mindeststandard für die Ausgestaltung des Prozesses der Beruflichen Orientierung implementiert – das System reicht somit nun von der Sekundarstufe I über die Sekundarstufe II bis in die Einmündung in eine Ausbildung und/oder ein Studium.

Gelebte Subsidiarität als strukturbildendes Element

Den Kommunen wird im Rahmen der konzeptionellen Ausrichtung der Landesinitiative eine zentrale Rolle zugewiesen. Nur vor Ort kann die Umsetzung einer nachhaltigen Beruflichen Orientierung und eine bedarfsgerechte Systematisierung des Übergangsgeschehens erfolgen. Hierbei bildet die Kommunale Koordinierung das strukturbildende Element:

In jeder Gebietskörperschaft wurden dazu KAoA-Steuerungsgremien eingerichtet, in denen sich die Akteure als Verantwortungsgemeinschaft verständigen und gemeinsame Entscheidungen treffen. In allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten wurden Kommunale Koordinierungsstellen zur Unterstützung der Akteure eingerichtet. Sie bilden die Schaltstelle für die mit der Umsetzung von KAoA verbundenen Prozesse: Sie organisieren ein gemeinsames Handeln und Vorgehen der relevanten Akteure zur Realisierung von KAoA und übernehmen in diesem Kontext selbst Verantwortung.

Sie sorgen dafür, dass mit den Akteuren ein gemeinsames Verständnis im Hinblick auf das gesamtzielsetzungskonforme Zusammenwirken der jeweiligen Verantwortlichkeitsbereiche erreicht wird, Rollen geklärt, verbindliche Absprachen und Vereinbarungen getroffen werden sowie deren Einhaltung nachgehalten wird. Hierbei bleiben die definierten Zuständigkeiten der Institutionen bestehen. Die Akteure auf Landesebene wirken innerhalb ihrer Stränge kaskadenförmig in diesem Sinne auf die regionalen und kommunalen Akteure ein. Dieser Prozess ist eine große Herausforderung für alle Akteure und erfordert eine Verantwortungsgemeinschaft, die die Funktionen und Rollen der einzelnen Mitglieder akzeptiert und optimiert sowie Verabredungen verbindlich gestaltet.

Jugendberufsagenturen: Das Zusammenspiel der Rechtskreise untereinander und in der Verantwortungsgemeinschaft

Das Ziel der intensivierten rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit: nicht nur, aber vor allem junge Menschen mit Startschwierigkeiten und ohne Anschlussperspektive frühzeitiger zu erreichen und ihnen durch exakt auf ihre Bedarfe zugeschnittene und aufeinander abgestimmte Angebote die soziale und berufliche Integration zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Verzahnt werden mit der Einrichtung von Jugendberufsagenturen die Förderangebote und Unterstützungsmaßnahmen der drei Kooperationspartner mit ihren jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Damit aufgrund der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Träger einer Jugendberufsagentur keine isolierten Einzelmaßnahmen geplant werden, ist eine enge Abstimmung über jeweils einzubringende Mittel für Maßnahmen und Aktivitäten bis hin zu gemeinsamen Angeboten erforderlich. Die verschiedenen Rechtskreise arbeiten also nicht mehr, wie in der Vergangenheit nicht selten der Fall, neben-, sondern verstärkt miteinander und in Kooperation mit den Kommunalen Koordinierungsstellen.

Mit der Einrichtung einer Jugendberufsagentur ist jedoch weder die gesetzlich vorgegebene Trennung der Rechtskreise aufgehoben noch entsteht eine rechtlich selbstständige Institution, sie verfügt auch nicht über einen eigenen Haushalt oder eigenes Personal.

Längst gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Kooperationsvereinbarung zum Thema „Verknüpfung von Kein Abschluss ohne Anschluss mit den Jugendberufsagenturen“ zwischen der Landesregierung und der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit.

Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt den Aufbau von Jugendberufsagenturen auch deshalb, weil sie eine sinnvolle Ergänzung zur Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ mit ihrem Ziel einer Systematisierung des Übergangs von der Schule in den Beruf sind.

Eine Verzahnung der Angebote ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Neben den Partnern der Rechtskreise SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), III (Arbeitsförderung), VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) sind die Kommunalen Koordinierungsstellen, die Schulen und alle weiteren Akteure wichtige Partner. Sie agieren gemeinsam in einer Verantwortungsgemeinschaft mit dem Ziel die Angebote so miteinander abzustimmen und zu verzahnen, um die individuellen Unterstützungsangebote für junge Menschen bedarfsorientiert und sinnvoll einzusetzen, damit ihnen ein bestmöglicher Einstieg in den Weg zu einer beruflichen Qualifikation gelingt.

Das Handeln in Verantwortungsgemeinschaft bedeutet, eine systematische und verbindliche Kooperation aller Partner und die gemeinsame Verantwortung für das Anliegen, die jungen Menschen beim Übergang in den Beruf zu unterstützen, zu übernehmen.

Jugendberufsagenturen arbeiten in dezentraler Verantwortung, setzen ihre Handlungsschwerpunkte entlang regionaler und lokaler Handlungsbedarfe sowie passend zu den Rahmenbedingungen vor Ort. Nordrhein-Westfalen weist im Vergleich der regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmärkte sehr große Unterschiede auf und so bedarf es der Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten. Die lokalen Akteure sind die Profis; sie kennen den Handlungsbedarf und die Angebotsstrukturen vor Ort. Sie sind sich ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst und entwickeln – schrittweise – tragfähige lokalspezifische Lösungen. Tatsächlich sind die teilweise langjährig bestehenden Kooperationsansätze in den aktuell in Nordrhein-Westfalen an mindestens 69 Standorten umgesetzten Jugendberufsagenturen regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. So unterliegt beispielsweise die Organisation einer Jugendberufsagentur in einem Flächenkreis mit unterschiedlich angesiedelten dezentralen Strukturen der Arbeitsförderung und der Jugendhilfe anderen Herausforderungen als in einer Großstadt.

Die Integration von Jugendlichen in den Ausbildungsmarkt liegt der Landesregierung am Herzen. Die Folgen einer fehlenden Berufsausbildung sind oft fatal: kein guter Job, eine unstete Berufsbiografie und nicht selten Arbeitslosigkeit. Hier gilt es, in der gemeinsamen Verantwortung aller Partner wie z.B. Schule, Jugendhilfe, Ausbildungs- bezie­hungsweise Arbeitsförderung jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen. Das Denken in Zuständigkeiten und Abgrenzungen ist zu überwinden und in gemeinsamer Verantwortung zu entscheiden. Insbe­sondere Doppelbetreuungen und Betreuungslücken sind zu vermeiden.

Widerge­spiegelt wird diese gemeinsam getragene Verantwortung auf Landesebene im Ausbildungskonsens NRW.

Autoren

  • Dr. Jens Stuhldreier

    Leiter des Referates II A 2 „Berufliche Orientierung, Übergang Schule-Beruf“ im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. 1988 – 1991 Ausbildung zum Bank¬kaufmann; 1991 – 1996 Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Speziellen Wirtschaftslehre an der FernUniversität Hagen und der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg; 1996 – 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter/Prozessbegleiter in der Werkstatt Unna gGmbH; ab 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, Institut für Erziehungswissenschaft, Fachgebiet Wirtschaftspädagogik/Betriebliche Aus- und Weiterbildung; ab 01.02. 2005 Leiter der Regionalagentur NiederRhein (Regionalmanagement); seit 01.08.2018 Referatsleiter im MAGS NRW. Gutachterfunktion für das Bundesinstitut für Berufsbildung; Lehrbeauftragter der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM).

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  • Martina Lüking

    Martina Lüking, Referentin im Referat II A 2 „Berufliche Orientierung, Übergang Schule-Beruf“ im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen; 1994 - 2000 Studium Erziehungswissenschaften, 2000 - 2001 Mitarbeiterin beim Esta Bildungswerk und Netzwerk Lippe, ab Mai 2001 Mitarbeiterin der REGE mbH Bielefeld, seit 2005 in leitender Funktion Jugend, Kommunale Jugendberufshilfe – Übergang Schule Beruf, seit September 2013 Referentin im MAGS NRW

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