Dr. Indira Dupuis (Bereichsleiterin Transformation der Arbeit und Digitalisierung bei der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE)
In der Chemiebranche arbeiten die Beschäftigten in der Produktion sowie im Labor, in Forschung- und Entwicklung, im Vertrieb und in kaufmännischen Berufen. Vor allem die Produktion aber auch der Vertrieb oder die Dienstleistungen, wie die Entsorgung, sind geprägt durch eine notwendige strenge Kontrolle von teilweise gefährlichen oder hochsensiblen Prozessen, die in Deutschland hohen Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltstandards unterworfen sind. Sehr regelmäßige (Pflicht-)Schulungen sind in vielen Bereichen daher eine gelebte Selbstverständlichkeit.
Darüber hinaus muss jedoch heute in Zeiten wachsender Anforderung auch in der Chemiebranche darauf geachtet werden, dass die Fachkräfte im Innovationsgeschehen beruflich Schritt halten können (vgl. BAVC 2023). Seit 2019 wurde im Zuge der Nationalen Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung und darüber hinaus, die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit im Handlungsfeld Weiterbildung intensiviert (vgl. hierzu auch den Beitrag von Jörg Kunkel in dieser Ausgabe).
Für eine individuelle Karriere steht Chemikant*innen nach ihrer Ausbildung ein solides Angebot der beruflichen Höherqualifizierung zu Industriemeister*innen offen.[1] Es besteht kein gesetzlicher Freistellungsanspruch und für die Fachkräfte existiert damit ein Risiko, ihre Karriereziele nicht erreichen zu können, wenn ihr Arbeitgeber sie nicht unterstützt. Solche Perspektiven der beruflichen Entwicklung scheinen für die Beschäftigen in den Branchen im Organisationsbereich der IGBCE, d.h. auch der Chemiebranche, jedoch bedeutend zu sein: Nach einer für diese Branchen repräsentativen Umfrage unter den Mitgliedern der IGBCE vom Juni 2023 zum Thema Ausbildung wurde auf die Frage, was Arbeitgeber tun können, um die Auszubildendenplätze besetzen zu können, unter anderem geantwortet, dass diese einen „Karriere und Zukunftsplan vorlegen.“ 60 Prozent der Befragten meinen, die Arbeitgeber müssten mehr an ihrer Attraktivität arbeiten, um Auszubildende zu gewinnen und 45 Prozent gaben gleichzeitig an, die Arbeitgeber sollten mehr in Weiterbildung investieren.
Nach dem deutschen Berufsbildungsgesetzes (BBiG) wird die höherqualifizierende Berufsbildung in Bezug auf die Ausbildung ausgebaut. In der Chemiebranche besteht im Handlungsfeld Qualifizierung ein grundsätzliches Interesse aller Parteien an bundesweit gültigen Fortbildungsabschlüssen (nach § 53 BBiG). Die regionalen Kammern können in ihren Bezirken nach § 54 aber auch eigene Fortbildungsprüfungsregelungen erlassen, wenn kein bundesweiter Abschluss nach §53 BBiG existiert. Beispielsweise wurde in Sachsen von der Industrie und Handelskammer (IHK) ein Berufsspezialist für industrielle Teilereinigung eingeführt. Grundsätzlich wird jedoch vor allem von gewerkschaftlicher Seite in der Chemiebranche darauf geachtet, an einem fachlich breiten Berufsbild festzuhalten, das spezialisierte aber gleichzeitig vielfältige persönliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Mit der Gesetzesnovelle im Jahr 2020 wurden nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) einheitliche Abschlussbezeichnungen für die Fortbildungsstufen eingeführt. Damit soll die Gleichwertigkeit von beruflicher Fortbildung und Studium besser sichtbar gemacht werden – ein Ziel, das angesichts der fehlenden Auszubildenden notwendig erscheint, um die Attraktivität der beruflichen Laufbahn zu erhöhen. Die neuen Abschlüsse heißen:
- Geprüfte*r Berufsspezialist*in (DQR 5 mit mindestens 400 Stunden Lernzeit),
- Bachelor Professional (DQR 6 entsprechend des Hochschulabschlusses Bachelor, Mindestlernumfang 1200 Stunden) und
- Master Professional (DQR 7, entsprechend dem Hochschulabschluss Master mit 1600 Lernstunden).
Der Bachelor Professional wird dabei als erste Fortbildungsstufe bezeichnet, im Fall der beruflichen Laufbahn der Chemikant*innen wäre das der Industriemeister Chemie – wenn er denn 1200 Unterrichtsstunden in Präsenz umfassen würde. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung[2] beträgt der durchschnittliche Lernumfang jedoch 600 Präsenzseminare und 600 Stunden im Selbststudium (Wobei die dreijährige/dreieinhalbjährige Berufsausbildung mit 5000 Stunden/5800 Stunden und oft eine mindestens einjährige einschlägige Berufserfahrung Voraussetzung sind). Im Hauptausschuss des BIBB haben die Sozialpartner eine Empfehlung abgegeben, dass die Selbstlernzeiten angerechnet werden. Ansonsten würde mit dem Bachelor professional ein übergeordneter Abschluss entstehen, der den Industriemeister Chemie nicht gleichstellt, sondern entwertet.
[1] Es gibt auch weitere Industriemeister*innen und Fortbildungsberufe im indirekten Bereich, die hier zu finden sind: BIBB: Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2023
[2] Siehe Qualifikationssuche: Qualifikation: Industriemeister (Geprüfter) Fachrichtung Chemie/Industriemeisterin (Geprüfte) Fachrichtung Chemie
Literatur:
BAVC (2023): BAVC-Transformationsstudie: „Chemie-Arbeitswelten 2030“. Wiesbaden. https://www.bavc.de/top-themen/2111-chemie-im-umbruch [zuletzt abgerufen 4.9.2023]
Betriebliche Weiterbildungsmentoren, https://qfc.de/qh2/
Future Skills Report. https://future-skills-chemie.de/
IGBCE Tarifinformation zur Tarifrunde 2019, https://igbce.de/igbce/tarife/aktuelle-tarifverhandlungen/chemie-tarifrunde-2019/umfangreiches-tarifpaket-geschnuert-31130
KOFA-Studie 5/2021: Fachkräftecheck Chemie, Institut der dt. Wirtschaft, Köln.
Pythia Chemie. https://personal-pythia.de/pythia-chemie/
Seyda, S.; Placke, B.; Hickmann, H. (2020): Weiterbildung in der Chemie-Branche. Sonderauswertung der IW-Weiterbildungserhebung 2020. Köln.