Dr. Günter Hefler (Senior Researcher bei 3s research & consulting in Wien)
Einleitung
Seit den1990er Jahren zeigen von Statistischen Ämtern durchgeführte Erhebungen, dass Klein- und Mittelbetriebe im Durchschnitt weniger betriebliche Weiterbildung anbieten als Großbetriebe. Die „Lücke“ – MSME Training Gap (wobei MSME für Micro, Small and Medium-Sized Enterprises steht) – zieht seit ihrer quasi amtlichen Bestätigung kontinuierlich die Aufmerksamkeit der Politik auf sich: auf globaler Ebene, auf europäischer Ebene und in den EU-Mitgliedstaaten.
Weiterbildungsbenchmarks – wie etwa bis 2030 EU-weit eine Weiterbildungsquote von 60 % – scheinen nur erreichbar, wenn Klein- und Mittelbetriebe aktiver würden. Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben drohen in ihren Weiterbildungschancen benachteiligt zu bleiben. Folgerichtig wurden in den letzten Jahrzehnten in vielen Mitgliedsländern unterschiedliche Förderungsinstrumente etabliert, die darauf abzielen, die Weiterbildungsaktivität unter Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU) zu erhöhen.
Ein durchschlagender Erfolg blieb allerdings aus. „Policies and programmes targeted at SMEs have been in existence for decades, but the gap between large and small firms still exists“, heißt es 2013 in einem OECD-Bericht (OECD, 2013). Ähnliche Statements lassen sich auch in regelmäßig beauftragten Studien zum Thema lesen (European Commission et al., 2020; OECD, 2021a, 2021b).
Dem Call for Action stehen Stimmen gegenüber, die hinterfragen, ob die Statistiken nicht ein falsches Bild erzeugen (Ashton et al., 2008), Klein- und Mittelbetriebe gute Gründe haben, weniger Training anzubieten (Brunello; Garibaldi and Wasmer, 2007) und öffentliche Förderungen damit immer Gefahr laufen, wirkungslos zu bleiben.
Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse eines von Cedefop – dem Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung – beauftragten und 2022 abgeschlossenen Forschungsprojekts vor, das sich zum Ziel gesetzt hat, einen systematischen Überblick der betrieblichen Weiterbildungsförderung in der EU zu erstellen. Das Projekt[1] wurde auf Seite von Cedefop von Patrycja Lipinska geleitet und zur Publikation vorbereitet, Günter Hefler leitete das Team des durchführenden Projektkonsortiums. Die Studie zu den Instrumenten für KKMU ergänzte die Datensammlung für die Aktualisierung der CEDEFOP-Datenbank Financing Adult Learning[2], in der eine Übersicht über Instrumente geboten wird, die Individuen oder Unternehmen eine finanzielle Förderung für berufliche Weiterbildung anbieten. Das Hauptinteresse lag deshalb auf Förderungsstrategien, die über die Refundierung von Weiterbildungskosten hinausgehen. Die Studie wurde 2024 unter dem Titel Beyond subsidising training costs. Policies to increase training provision in micro, small and medium-sized enterprises veröffentlicht (Cedefop 2024). Ebenso verfügbar sind die rund 180 Instrumentenbeschreibungen und die 15 Fallstudien des Projekts[3]. Je EU-Mitgliedsland wurden zwischen sechs und 15 Instrumente erfasst. Im folgenden Beitrag werden die konzeptionellen Vorüberlegungen zum Projekt und der erarbeitete Werkzeugkasten präsentiert und letzterer mit ausgewählten Beispielen illustriert.
Wie groß ist der „SME Training Gap“?
Der „Gap“ an sich ist lange bekannt (Cardon and Valentin, 2017) und auch in Deutschland vielfach diskutiert (Dobischat and Düsseldorff, 2013). Wie groß die „Lücke“ in EU-Mitgliedsländern tatsächlich ist und wie sie sich entwickelt, ist jedoch keine einfach beantwortbare Frage. Entscheidend ist es, eine Vielzahl von Indikatoren heranzuziehen (Behringer et al., 2008). Der Indikator, ob Unternehmen überhaupt Weiterbildung anbieten (Training Incidence – (Cedefop, 2019)) ist für sich wenig aussagekräftig, weil Großbetriebe kaum anders können als zumindest irgendeine Aktivität zu setzen. Erhebungen unterscheiden sich weiters in ihrer Methodik, sodass für ein Land sehr unterschiedliche Ergebnisse vorliegen können (zu Quellen für Deutschland siehe (Käpplinger, 2016)). Unternehmensbefragungen mit kleineren Stichproben/geringerem Rücklauf laufen Gefahr, die betriebliche Weiterbildungsaktivität zu überschätzen (siehe u.a. Seyda and Köhne-Finster, 2024), weil sie Unternehmen ohne/mit geringer Aktivität untererfassen.
In vielen EU-Mitgliedstaaten stellt die seit 1999 verpflichtende Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS – Continuing Vocational Training Survey) die einzig valide Erhebung zur betrieblichen Weiterbildung auf Unternehmensebene dar. Erhoben werden Daten in Unternehmen mit zehn und mehr Mitarbeiter*innen in Wirtschaftssektoren ohne Landwirtschaft und dem öffentlichen Dienstleistungsbereich. Bei der CVTS werden nur Weiterbildungskurse quantitativ erfasst (andere Formen der Weiterbildung werden gesondert erhoben). Über die Erhebungswellen hinweg haben sich die Unterschiede zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen in einem Teil der Länder reduziert – neben einer Erhöhung der Weiterbildungsaktivität in kleinen Unternehmen ist dies jedoch auch auf eine Reduktion der durchschnittlichen Weiterbildungsaktivität in großen Unternehmen zurückzuführen.
Ein besonders aussagekräftiger Einzelindikator ist die Anzahl der Weiterbildungsstunden je Erwerbstätigem in allen Unternehmen. Er repräsentiert, wie viele Unternehmen Weiterbildung anbieten, wie viele Mitarbeiter*innen einbezogen sind und wie groß das Weiterbildungsvolumen ist. Die untenstehende Abbildung vergleicht die Ergebnisse für 2005 und 2015. (Daten zu 2020 sind stark von den Lockdowns während Covid-19 beeinflusst, und werden deshalb hier nicht verwendet.)
Stunden in Weiterbildungskursen je Beschäftigtem (alle Unternehmen) – 2005 versus 2015 (Länder sortiert nach Stunden in Unternehmen mit 10-49 Beschäftigten in 2015)
Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen erhebliche Unterschiede in der Größe des Gaps und ob dieser wächst oder kleiner wird. Ebenso wichtig ist der Umfang der betrieblichen Weiterbildung in einem Land insgesamt und dessen Entwicklung über den Zeitverlauf. In Deutschland ist der „Gap“ verhältnismäßig klein, aber auch die betriebliche Weiterbildungsaktivität insgesamt verhältnismäßig niedrig. Allerdings sind die Ergebnisse der Erhebung für sich schwierig zu interpretieren und hängen von vielen weitergehenden Faktoren ab (Markowitsch; Käpplinger and Hefler, 2013).Wie abhängig Ergebnisse zum „Gap“ von den Survey-Methoden sind, kann für Deutschland auf Basis des IAB-Betriebspanels gezeigt werden. Das Panel erfasst auch Kleinstbetriebe bis neun Mitarbeiter*innen und es werden alle Sektoren abgedeckt. Gezählt werden nur die Teilnehmer*innen im ersten Halbjahr. Die Grundbotschaft bleibt bestehen – insbesondere Kleinstbetriebe bilden geringere Anteile ihrer Mitarbeiter*innen weiter. Das Bild ändert sich, wenn die Weiterbildungsbeteiligung für Erwerbstätige mit und ohne (beruflicher) Qualifikation verglichen wird. KKMU bilden höhere Anteile ihrer qualifizierten Mitarbeiter*innen weiter als Großbetriebe. Bei Personen in Hilfstätigkeiten ist es umgekehrt. Die Beteiligungsunterschiede zwischen qualifiziert/nicht qualifiziert sind das eigentliche Thema.
Weiterbildungsquote in der betrieblichen Weiterbildung in Deutschland 2001 – 2022 nach Unternehmensgröße (Basis: Beschäftigte aller Betriebe)
Weiterbildungsquote in der betrieblichen Weiterbildung in Deutschland 2001 – 2022 nach Unternehmensgröße UND Beschäftigtenkategorie (Basis: Beschäftigte aller Betriebe)
Die Ambiguität betrieblicher Weiterbildung
Es gibt gute und schlechte Gründe, betriebliche Weiterbildung anzubieten – ein mehr oder weniger an betrieblicher Weiterbildung ist nicht einfach als „gut“ oder „schlecht“ interpretierbar, sondern es gilt jeweils nachzuvollziehen, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen Organisationen auf Weiterbildung setzen. Dieser Sachverhalt ist aus organisationssoziologischer Perspektive seit langem beschrieben (Dobbin et al., 1994; Monahan; Meyer and Scott, 1994; Scott and Meyer, 1994).
Für die öffentliche Förderung der betrieblichen Weiterbildung stellt sich deshalb die Frage: Welche betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten – mit welchen Zielen und für welche Beschäftigtengruppen – sollen gefördert werden?
Betriebliche Weiterbildung ist statistisch nur mit groben Vereinfachungen fassbar. Erhebungskonzepte unterscheiden sich bereits darin, ob sie nur „kursförmige“ Aktivitäten zählen (wie CVTS) oder auch die „anderen“ Formen des organisierten Lernens (Workshops und Seminare, Unterweisungen am Arbeitsplatz, Einzelunterricht).
Das Spannungsverhältnis wird besonders klar, wenn zuerst berufliche Weiterbildung (von Individuen) diskutiert wird. Im deutschsprachigen Raum wird unter „beruflicher Weiterbildung“ eine weitere Bildungsphase verstanden, in der die beruflichen Kompetenzen wesentlich weiterentwickelt werden. Davon wird die bloße Fortbildung unterschieden, in der über Neuerungen informiert wird oder in der einzelne Routinen einstudiert werden. Förderungswürdig erscheint die berufliche Weiterbildung, nicht kurze Trainingsaktivitäten, selbst wenn letztere eine wichtige Funktion erfüllen. Ähnliche Festlegungen sind in der Förderung der betrieblichen Weiterbildung notwendig, aber schwieriger zu treffen.
Für die statistische Definition betrieblicher Weiterbildung ist nur ausschlaggebend, dass eine Lernaktivität (schwerpunktmäßig) in bezahlter Arbeitszeit stattfindet oder/und ihre Kosten (schwerpunktmäßig) vom Arbeitgeber übernommen werden.
Konzeptionell wird traditionell – im Anschluss an die Human Capital Theorie (Acemoglu and Pischke, 1999; Becker, 1993) – zwischen Weiterbildungen unterschieden, die „nur“ betriebsspezifisch verwertbare Fähigkeiten hervorbringen, und solchen, die Fähigkeiten vermitteln, die unabhängig von einem Arbeitgeber von Wert sind. Innerhalb der weiterentwickelten Human Capital Theorie wird angenommen, dass Arbeitgeber nur unter bestimmten, häufig auf Großbetriebe zutreffenden Bedingungen für allgemein nützliche Weiterbildungen die Kosten tragen (Acemoglu and Pischke, 1999) – fehlen diese Bedingungen, müssen in der Regel Individuen die Kosten der beruflichen Weiterbildung tragen.
Unter den unternehmensspezifischen Aktivitäten finden sich viele, die auf organisatorische Prozesse abzielen, aber etwa auch Schulungen aus dem Health and Safety-Bereich. Dieses notwendige Wissen in Form von Schulungen anzubieten kann günstiger sein, als andere Lernformen zu nutzen. Insgesamt erscheinen diese Aktivitäten als Kostenfaktor, die nach Möglichkeit gering zu halten sind.
Im Gegensatz dazu stehen betriebliche Weiterbildungen, die darauf abzielen, Mitarbeiter*innen zu unterstützen, ihre Tätigkeiten zu erweitern (job enrichement), neue Aufgaben zu übernehmen (job enlargement) oder neue betriebliche Positionen zu erlangen. Weiterbildungen stellen in diesem Sinn betriebliche Investitionsentscheidungen dar. Statistiken zur betrieblichen Weiterbildung unterscheiden nicht zwischen diesen Bereichen – was für die Steuerung von Förderungsinstrumenten zu Informationslücken führt.
Viele Autor*innen – wie etwa David Ashton (Ashton et al., 2008) – weisen darauf hin, dass zumindest ein Teil der „Lücke“ auf Erfassungsunterschieden beruht: vieles passiert überall, wird aber nur in Großbetrieben aufgezeichnet und gezählt.
Viele Arbeitssoziolog*innen haben immer darauf verwiesen, dass die Betriebsgröße – liabilities of smallness hin oder her – nicht entscheidend für die betriebliche Weiterbildungsaktivität ist. Das wird sofort nachvollziehbar, wenn die Unterschiede in der Weiterbildungsaktivität innerhalb von ähnlichen Unternehmen untersucht werden. Statistiken präsentieren immer nur den Durchschnitt aller Unternehmen einer Größenklasse: die großen Unterschiede, die zwischen Unternehmen ähnlicher Größe und ähnlicher Tätigkeit bestehen, werden unsichtbar. Alle Durchschnittswerte werden stark durch die Anzahl der Unternehmen mit geringer Weiterbildungsaktivität bestimmt (Hefler and Markowitsch, 2008) – die Aktivität der Unternehmen mit hoher Weiterbildungsaktivität bleibt unterschätzt. Was sind nun die Gründe für Unternehmen, mehr oder weniger Weiterbildung anzubieten?
Historisches Zwischenspiel – The Labour Process Debate
Für das Lernen in der Arbeitswelt war und ist die Weiterbildung ein Nebenschauplatz, der erst mit der Renaissance des Lebenslangen Lernens seit Mitte der 1990er Jahre so sehr ins Zentrum gerückt ist, dass die Gefahr besteht, Lernen mit Weiterbildungsbeteiligung zu verwechseln (Billett, 2010). Der Arbeitsplatz selbst – im tagtäglichen Arbeitsprozess – ist ein zentraler Lernort. Die Organisation von Arbeit bestimmt, was an einem Arbeitsplatz gekonnt und gewusst werden muss, um die gestellten Aufgaben zu erledigen; zugleich bestimmt die Gestaltung des Arbeitsplatzes wesentlich mit, wie viel an einem Arbeitsplatz gelernt werden kann – die Nutzung und das Erzeugen von Kompetenzen fallen zusammen (Green, 2013).
Das lässt die Machtverhältnisse zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmer*innen nicht unberührt. Ermöglichen Arbeitsplätze Arbeitsplatzlernen und setzen sie umfassende Fähigkeiten voraus, dann verleiht das den Beschäftigten – über die Möglichkeiten kollektiver Organisation hinaus – individuelle Macht, denn sie sind nur schwer ersetzbar, ihre Drohung, das Unternehmen zu verlassen, wirkungsmächtig. Sie können damit – individuell und kollektiv – ihre Interessen leichter durchsetzen. Seit den 1970er Jahren setzen hier Autor*innen an, deren Beiträge unter dem Titel Labour Process Debate bekannt geworden sind (Littler, 1990) – unter ihnen etwa Paul Thompson (Thompson, 1989) und Samuel Bowles oder Herbert Gintis (Bowles and Gintis, 1976). Sie versuchen nachzuzeichnen, wie Unternehmen ihren Arbeitsprozess so gestalten, dass möglichst viele Mitarbeiter*innen nur geringe spezifische Anforderungen erfüllen müssen (über ein hohes Maß an Disziplin und Belastbarkeit hinaus). Verwandte Ansätze – wie die Societal Effects School (Maurice; Sellier and Silvestre, 1986; Maurice and Sorge, 2000) heben die Trennung zwischen einfachen und komplexen bzw. außergewöhnlichen Aufgaben hervor, letztere werden – in einem Teil der Länder – von klar umschriebenen Mitarbeiter*innengruppen – Manager*innen und Techniker*innen – erfüllt, während in anderen eine Kombination der gewöhnlichen und ungewöhnlichen Aufgaben die Regel ist (Deutschland, Japan). Das Bildungssystem stellt die Skills der Manger*innen und Techniker*innen den Unternehmen bereit, die diese kontinuierlich weiterbilden und mit höheren Entgelten binden. An den „Einfacharbeitsplätzen“ kommt man mit Einschulungen aus, bzw. werden Kompetenzen in „job ladders“ erworben (Baron and Bielby, 1980; Baron, 1984). Der Kampf um die Kontrolle der Arbeit trägt damit zu einer Segmentierung der betrieblichen Arbeitsorganisation bei, mit der ein selektives und hierarchisiertes Bildungssystem korrespondiert.
Vor diesem Hintergrund erschienen vielen Autor*innen, was die Lernmöglichkeiten am Arbeitsplatz betrifft, Großbetriebe mit ihren gespaltenen, internen Arbeitsmärkten als das eigentliche Problem, weil sie zu viele dequalifizierte Arbeitsplätze geschaffen haben und Weiterbildung das Mittel war, die Organisationsform des (Neo-)Taylorismus zu stützen. Seit den 1970er Jahren ist viel geschehen. Die Umorganisation der Wirtschaft – Rationalisierung, Downsizing, Auslagerung, Offshoring, Automatisierung (Osterman and Burton, 2006) – hat den Anteil der Großbetriebe insgesamt reduziert, in Großbetrieben lernförderlichere Arbeitsorganisationsformen begünstigt und zugleich Unternehmen – klein und groß –entstehen lassen, in denen „Einfacharbeit“ konzentriert ist. Der Zusammenhang zwischen dem Anforderungsprofil von Arbeitsplätzen, den Notwendigkeiten und Möglichkeiten, im Arbeitsprozess zu lernen, und die Folgen, die das für die Weiterbildung hat, haben sich zugleich nicht geändert.
Job Design und …
Für die Konzeption der Cedefop-Studie wurde folgender Argumentationskette gefolgt: Wie Arbeitsplätze gestaltet sind, bestimmt, wie viele Kompetenzen gebraucht UND erworben werden können (Attewell, 1990)D die Komplexität der Arbeit bestimmt die Möglichkeit und die Bereitschaft zu lernen (und zwar weit über die Arbeitswelt hinaus (Kohn and Schooler, 1983)). Das Arbeitsplatzlernen – buchstäblich das Lernen aus Erfahrung – ist ein sozialer Prozess, der sich am besten als Teilhabe beschreiben lässt (Wenger, 1999). Das Arbeitsplatzlernen lässt sich nun durch betriebliche Weiterbildung ergänzen (Fournier; Lambert and Marion-Vernoux, 2016; Holm et al., 2010). Ob betriebliche Weiterbildung Sinn macht – für das Unternehmen wie für die Arbeitnehmer*innen – folgt damit aus der Komplexität der Arbeit, die durch die Organisation wesentlich mitbestimmt wird (work/job design (Parker; Broeck and Holman, 2017).
Um ein und dasselbe Ergebnis – ein Produkt, eine Dienstleistung – zu erzielen, lässt sich der Arbeitsprozess in unterschiedlicher Weise in Arbeitsplätze zerlegen. Zu den wichtigsten Leitdifferenzen zählt, ob dieselben Arbeitnehmer*innen für die „Routine“ und die „Ausnahme“ zuständig sind, oder ob für alles, das die Routine übersteigt, eigene Mitarbeiter*innenkategorien vorgesehen werden (Techniker*innen, Manager*innen).
Organisationen haben auf die Arbeitsorganisation einen entscheidenden Einfluss. Die untenstehende Abbildung, die im Rahmen des Horizon2020-Projekts ENLIVEN entwickelt wurde (Holford et al., 2023), fasst die Eckpunkte zusammen. Organisationen entscheiden über die Arbeitsorganisation und die sich daraus ergebenden Hierarchieebenen und Laufbahnstrukturen. Die Strategie des Personalmanagements und der Personalentwicklung folgt grosso modo diesen Grundsatzentscheidungen. Das Ergebnis dieser Entscheidungen spiegelt sich in der Verteilung von Arbeitsplätzen mit komplexen und einfachen Anforderungen wider – und damit in der Verteilung der Lernmöglichkeiten im Arbeitsprozess. Die betriebliche Weiterbildung – als Teil der Personalentwicklung – reagiert auf die durch die Arbeitsorganisation bedingten Notwendigkeiten und Möglichkeiten.
Bei aller Macht, die Unternehmen beim Work Design zukommt: die Mitarbeiter*innen – ihre individuelle Agency – bestimmen wesentlich mit, ob und wie die Möglichkeiten zu lernen realisiert werden. Die Motivation, an betrieblicher Weiterbildung teilzunehmen, erscheint dabei als der Spezialfall für die Frage, ob und wie Mitarbeiter*innen ihre Möglichkeit, am Arbeitsplatz zu lernen – und im Gegenzug dafür wichtige Ressourcen wie Zugehörigkeit und angemessene Bezahlung zu erhalten – einsetzen: keine Motivation zur betrieblichen Weiterbildung zu haben, kann auf der realistischen Einschätzung basieren, dass sie unter den gegebenen Bedingungen keinen Sinn macht.
Organisational und Individual Agency (Hefler and Studená, 2023) werden jeweils selbst durch die relevanten sozialen Umwelten bestimmt: Für letztere bestehen unterschiedliche Analyseansätze. Bestimmten Aspekten kommt dabei immer eine zentrale Rolle zu, den Industriellen Beziehungen oder der Organisation des (Erstaus-)Bildungssystems.
Übersicht zur Bedeutung des Job Designs für die Frage der Weiterbildung
… was aus diesem für die Lösung des „MSME Training Gaps“ folgt
Für die Frage, was getan werden kann (und soll), um die Weiterbildungsaktivitäten in Klein- und Mittelbetrieben zu erhöhen, wurden für die Cedefop-Studie 2024 drei Schlussfolgerungen gezogen.
Erstens: Organisationen können – bei gegebener Form der Arbeitsorganisation – einen Bedarf an betrieblicher Weiterbildung haben, den sie nicht erfüllen können. Die Gründe dafür lassen sich als Barrieren ausdrücken. In der Regel ist mehr als eine Barriere verantwortlich, warum Weiterbildungen unterbleiben. Instrumente der öffentlichen Weiterbildungsförderung können unterschiedliche Initiativen setzen, um diese Barrieren zu überwinden. Diese Instrumente wurden im Projekt als „direkte (targeted) Ansätze“ bezeichnet.
Zweitens: Organisationen können das Design ihrer Arbeitsplätze verändern, wodurch an diesen komplexere Aufgaben gelöst und mehr Kompetenzen erforderlich werden, aber auch erworben werden können. Mit den Änderungen entstehen neue Möglichkeiten – und Bedarfslagen – betriebliche Weiterbildung zu nutzen. Instrumente der Weiterbildungsförderung können daran ansetzen, Organisationen zu unterstützen, mehr Arbeitsplätze mit höheren Kompetenzanforderung zu schaffen – diese wurden als mittelbare (mediated) Ansätze klassifiziert.
Drittens: Was Organisationen tun oder nicht tun, hängt wesentlich von ihrer Umwelt ab: Förderungsinstrumente sind damit vor allem auch als Form zu verstehen, eine Intervention in diesen Umwelten zu setzen und sie (in Teilen) zu verändern. Aus diesem Grund wurde versucht, das Zusammenspiel von Instrumenten zu erfassen (Support Arrangements) und nachzuvollziehen, wie diese die Umwelt der Unternehmen eingepasst sind (als Teil eines Skill Ecosystems).
Übersicht über die Typologie von Instrumenten
Direkte Ansätze
Unternehmen sehen sich bei der Erfüllung ihres betrieblichen Weiterbildungsbedarfs immer Schwierigkeiten gegenüber. Stark vereinfachend lässt sich sagen, dass Klein- und Mittelbetriebe in größerem Ausmaß von Barrieren betroffen sind, die es erschweren, einen gegebenen Weiterbildungsbedarf zu decken. Zu den wichtigsten Barrieren zählen:
- Finanzielle Barrieren (höhere Kosten aufgrund fehlender Skaleneffekte, größere Schwierigkeiten, Weiterbildungen zu finanzieren usw.)
- Mangel an Know-How/Kapazität in der Organisation von Weiterbildungen (keine spezialisierten Abteilungen)
- Mangel an einem auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnittenen Weiterbildungsangebot
- Mangel an geeigneten Modellen, wie durch Weiterbildung organisationale Ziele erreicht werden können
- Zu schwaches Bewusstsein für die Möglichkeiten/die Bedeutung von betrieblicher Weiterbildung
- Mangel an Koordination zwischen Unternehmen, um gemeinsame Weiterbildungsstrategien zu entwickeln/gemeinsam einen Bedarf zu decken
In nahezu allen EU-Mitgliedsländern bestehen unterschiedliche Instrumente, die Beiträge zu den Trainingskosten von Unternehmen leisten und damit versuchen, die finanziellen Barrieren zu reduzieren. Im genannten Cedefop-Projekt wurde unter dem Begriff „Strukturelle Instrumente“ ein Schwerpunkt auf Ansätze gesetzt, die die anderen Barrieren adressieren. Erfasst wurden Instrumente, die beabsichtigen
- über Beratung und Service-Leistungen die KnowHow- und Kapazitätsbarriere zu überbrücken
- Auf KKMU zugeschnittene Weiterbildungsangebote zu fördern
- Zusätzliche Einsatzmöglichkeiten von Weiterbildungen aufzuzeigen
- Verantwortungsträger*innen im Management (aber auch Arbeitnehmer*innen) für mehr Engagement in der betrieblichen Weiterbildung zu gewinnen
- Die Kooperation zwischen KKMU zu verbessen und dazu beizutragen, dass mehr Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu Aufgabenstellungen, die für die betriebliche Weiterbildung relevant sind, zustande kommen.
„Strukturelle Instrumente“ setzen teils erhebliche öffentliche Investitionen voraus. Sie sind eigenständige Formen öffentlichen Handelns, nicht – im Vergleich zu Kostenzuschüssen – ergänzendes Beiwerk. Häufig weisen strukturelle Instrumente einen wesentlichen Finanzierungsaspekt auf, d.h. in ihrem Rahmen erhalten Unternehmen Kostenzuschüsse zu betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten bzw. einen privilegierten Zugang zu bestehenden Finanzierungsangeboten.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Schaffung neuer, auf die Bedürfnisse von Klein- und Mittelbetrieben zugeschnittenen Weiterbildungsangeboten stellt der in Frankreich entwickelte Ansatz der arbeitsplatzbasierten betrieblichen Weiterbildung (Action de formation en situation de travail (AFEST)) dar, der seit 2018 als gesetzlich verankerte Möglichkeit besteht. Im Rahmen des Projekts erhalten Schulungsträger die Mittel, in den Betrieben und unmittelbar am Arbeitsplatz der Teilnehmenden Schulungsprojekte umzusetzen, die sowohl auf die jeweiligen Bedürfnisse an diesen Arbeitsplätzen zugeschnitten sind als auch beanspruchen, das allgemein relevante, theoretische Wissen zu vermitteln, das bei der Lösung der je spezifischen Aufgaben zum Einsatz kommt. Die Projektdurchführung umfasst zwei Phasen. In einer ersten Phase wird – gemeinsam mit Management und Arbeitnehmer*innen – die Problemstellung erhoben, für deren Lösung neue Kompetenzen im Team aufgebaut werden sollen. Für die jeweilige Situation wird eine Lösungsstrategie erarbeitet. Für die Umsetzung dieser Strategie erarbeiten die Trainer*innen dann ein maßgeschneidertes pädagogisches Konzept, das die Vermittlung allgemeiner Grundlagen am Beispiel der lokalen Anwendung vorsieht und das in der Folge gemeinsam mit den Arbeitnehmer*innen arbeitsplatznah im Betrieb umgesetzt wird. AFEST erweitert die Möglichkeiten, die den sektoralen Trainingsorganisationen (Opérateurs de compétences – OPCO) zur Verfügung stehen, um betriebliche Weiterbildung zu fördern. Dies ist einerseits für kleine Unternehmen entscheidend, die ihre Mitarbeiter*innen selten in klassische Weiterbildungskurse schicken. Andererseits sind die arbeitsplatznahen Angebote gerade auch für Mitarbeiter*innengruppen eine Option, die fürchten, von standardisierten Kursen wenig zu profitieren (Cedefop, 2024).
Mittelbare Ansätze
Auf Arbeitsplätzen mit höheren Kompetenzanforderungen findet mehr Arbeitsplatzlernen statt und es erweitern sich die Möglichkeiten der betrieblichen Weiterbildung. Deshalb versuchen Instrumente mit einem mittelbaren Ansatz, Betriebe dazu zu bringen, die Kompetenzanforderungen zu erhöhen. Wenn Organisationen neue Technologien nutzen, in neue Tätigkeitsbereiche vorstoßen, neue Märkte erschließen oder Arbeitsprozesse neu gestalten, dann erhöhen sie potenziell den Kompetenzeinsatz in zumindest einem Teil der Arbeitsplätze.
Die Förderung der betrieblichen Weiterbildung überschneidet sich beim mittelbaren Ansatz mit der Förderung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen: Mittel für entsprechende Instrumente kommen auch häufig aus den Feldern der Innovations-, Regional- und Wettbewerbsförderung. Die Aufmerksamkeit von Verantwortungsträger*innen in Unternehmen wird beim mittelbaren Ansatz über „Aufhänger“ gewonnen (z.B. neue Märkte, neue Techniken usw.). Unterstützungen von Weiterbildungsaktivitäten sind meistens ein Teil der Instrumente. Diese unmittelbar angestoßenen Weiterbildungsaktivitäten stehen aber nicht im Vordergrund: entscheidend ist, ob die angestrebten Veränderungen langfristig zu einer Erhöhung der Kompetenzanforderungen führen.
Im Rahmen der Cedefop-Studie wurden die Barrieren für KKMU, die den Formen organisationalen Lernens – also den Innovationen – entgegenstehen, mit ähnlichen Kategorien erfasst, wie jene, die der betrieblichen Weiterbildung entgegenstehen. Insgesamt wurden mehr als 80 Instrumente erfasst, die dazu beitragen wollen, eine oder mehrere dieser Barrieren zu überwinden.
Ein Beispiel sind die Technologie-Workshops (Barnetegi Teknologiko), die die Baskische Wirtschaftsförderungsagentur (SPRI) seit 2007 anbietet und die aus dem Budget der autonomen Provinz finanziert werden. Sie versuchen, das Bewusstsein für neue technologische Trends zu schärfen und diese unter baskischen KMU zu verbreiten. Die Inhalte der Technologie-Workshops werden kontinuierlich aktualisiert, um den neuesten Innovationen Rechnung zu tragen. Die Initiative richtet sich an Führungskräfte innerhalb der Unternehmen. Die ein bis zweitägigen Workshops finden in abgeschiedenen Seminarhotels statt und fördern eine ausschließliche Konzentration der Teilnehmenden auf die Themenstellung und deren Relevanz für die eigenen Organisationen. Die Teilnehmenden werden durch praktische Anwendungen in das jeweilige Thema eingeführt. Für die Teilnahme wird nur ein Schutzbeitrag (50 bis 100 Euro pro Workshop) eingehoben (Cedefop, 2024).
Die über den mittelbaren Ansatz geförderten Aktivitäten können, müssen aber nicht zur Erhöhung des Kompetenzeinsatzes an einer größeren Zahl an Arbeitsplätzen beitragen. Im schlimmsten Fall resultiert ein gefördertes Projekt in der Reduktion des Kompetenzeinsatzes. Dies weist darauf hin, dass es gilt, in der Umsetzung der Förderungsprogrammatik jeweils explizit zu machen, welche Zielsetzungen verfolgt werden sollen und welche Nutzungsformen der Intention der Instrumente offen widersprechen.
Überraschend war, dass keine Instrumente gefunden wurden, die lernförderliche Arbeitsorganisation an sich zum Thema genommen hätten – selbst in skandinavischen Ländern nicht, in denen das Arbeitsplatzlernen besondere Aufmerksamkeit genießt. Hier bleibt also viel zu tun.
Support Arrangements in Skill Ecosystems
Es ist eine Art Binsenweisheit: Instrumente der Förderung der betrieblichen Weiterbildung wirken nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit den Gegebenheiten vor Ort und mit anderen Instrumenten. So unabweisbar diese Aussage ist, so schwierig ist sie in eine zielführende empirische Forschungsstrategie zu übersetzen. Zu Instrumenten der betrieblichen Weiterbildungsförderung liegen wenige aussagekräftige empirische Befunde vor, auch weil sich die für die Evaluierung der Förderung von Personen etablierten Strategien kaum auf Unternehmen übertragen lassen.
Dass Instrumente nur als Teil von Maßnahmenpaketen und über längere Zeiträume hinweg Wirkungen entfalten, ist seit langem bekannt (OECD, 2007). Für die betriebliche Weiterbildungsförderung gilt, was für vergleichbare Bereiche, einschließlich der Innovationsförderung festgehalten wurde: “When one acknowledges that the success of policy intervention does not solely depend on individual funding schemes, it becomes clear that future work should focus more on the evaluation of programme portfolios and their interactions.” (Falk, 2007). Trotz allem fehlen bislang pragmatische Herangehensweisen, das Zusammenspiel von Instrumenten auch nur sichtbar zu machen.
Im Rahmen der Cedefop-Studie wurden zwei Wege eingeschlagen, über die isolierte Betrachtung von Instrumenten hinaus zu kommen.
Zum einen wurden unterschiedliche Instrumente, auf die Unternehmen – bzw. ihre Mitarbeiter*innen – für die Förderung beruflicher Weiterbildung zurückgreifen können und die auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen gesteuert werden, unter dem Titel Support Arrangements (siehe Beispiel unten) zusammengefasst und dafür eine graphische Repräsentation geschaffen. Bei allen empirischen Unwägbarkeiten macht die Rekonstruktion der Support Arrangements in 15 Fallstudien sichtbar, dass in manchen Ländern, Regionen und Branchen sehr dichte, vielfältige und auf Sektor und Region zugeschnittene Arrangements bestehen. Anderswo bestehen nur einzelne Instrumente, die zudem wie „in der Luft hängend“ erscheinen.
Zum anderen wurde in einzelnen Fallstudien das Konzept der Skill Ecosystems verwendet, das zuletzt verstärkt Einzug in den EU-Policy-Diskurs gefunden hat. Skill Ecosystems erfassen lokale Ordnungen – innerhalb eines Sektors und/oder einer Region –, die sich fundamental von jenen für eine Gesellschaften insgesamt typische unterscheiden können. Entwickelt wurde der Skill Ecosystem-Ansatz am Beispiel des Silicon Valleys sowie anderer Industrieregionen (Buchanan; Anderson and Power, 2017; Cooney et al., 2010; Finegold, 1999). Skill Ecosystems lassen sich dabei als organisationale Felder (Wooten and Hoffman, 2008) in ihrer spezifischen lokalen Verankerung begreifen, samt der besonderen Rolle, die Instrumente der Weiterbildungsförderung und die Organisationen, die diese vergeben, in diesen jeweils spielen.
Unter den 15 Fallstudien zeigt insbesondere jene zum Werkzeugmaschinenbau in der autonomen baskischen Region in Spanien, wie Support Arrangements mit lokalen Skill Ecosystems verwachsen sind. Neben den Instrumenten selbst sind es insbesondere sektorale Organisationen, die zur im globalen Maßstab herausragenden Wettbewerbsposition der Klein- und Mittelbetriebe der Branche beitragen (Isusi, 2024). Jedes zusätzliche Instrument agiert dann im Orchester mit anderen Instrumenten; Förderungen, die auf nationaler Ebene etabliert sind, werden durch die lokalen und sektorspezifischen Arrangements für die Klein- und Mittelbetriebe buchstäblich „aufgeschlossen“.
Abbildung: Zusammenspiel von finanziellen und strukturellen Förderungsinstrumenten im Baskischen Werkzeugmaschinensektor (Support Arrangement auf Skill Ecosystem-Ebene)
Schlussfolgerungen: Wie betriebliche Weiterbildung für KKMU fördern?
Statistiken zur geringeren Weiterbildungsbeteiligung in KMU lenken die politische Aufmerksamkeit regelmäßig auf die Rolle, die Unternehmen dabei spielen, für alle und in jeder Lebensphase Zugang zu beruflicher Weiterbildung zu bieten. Bei aller Mobilisierungskraft besteht dabei die Gefahr, den Blick zu rasch engzuführen. Die für das Lernen im Erwachsenenalter zentrale Frage des Lernens am Arbeitsplatz droht übersehen zu werden: dabei ist sie der Schlüssel zum Verständnis sowohl des Verhaltens von Organisationen als auch der beruflichen Weiterbildungsaktivität von Individuen.
Ob Arbeitsplätze im tagtäglichen Arbeitsprozess Lernmöglichkeiten bieten, zählt zu den wichtigen Dimensionen von Arbeitsplatzqualität. Neben der Entlohnung stellt die Gestaltung von Arbeit das zentrale Konfliktfeld zwischen „Kapital“ und „Arbeit“ dar. Die Förderung der betrieblichen Weiterbildung steht damit immer im Spannungsfeld von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer*inneninteressen – für ihr Funktionieren bedarf sie der Kompromissbildung der Sozialpartner. In der Konzeption, der Umsetzung und der Bewertung von Förderungsmaßnahmen muss die Komplexität der Aufgabenstellung ausreichend Berücksichtigung finden.
Kein Förderungsinstrument für sich allein genommen, verfügt über einen „Hebel“, der groß genug wäre, das Weiterbildungsverhalten von Organisationen fundamental zu verändern. Selbst „mit viel Geld auf Unternehmen zu werfen“ reicht nicht aus, um fundamentale Veränderungen zu erreichen. Organisationalen Wandel zu initiieren, erfordert eine Vielzahl von Instrumenten und die Beteiligung aller relevanten Akteure.
Das teils beobachtbare Auf und Ab in der Finanzierung von Instrumenten, die betriebliche Weiterbildung fördern, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es leicht ist, Geld auszugeben – es gibt da durchaus einfache Konzepte! – aber schwer, Mittel gezielt so einzusetzen, dass strukturell nachhaltige Veränderungen erzeugt werden, die dauerhaft zu einer Verbesserung von Weiterbildungsangebot und -nachfrage führen. Eine in Vorbereitung befindliche Cedefop-Studie zu Training Funds[4] in acht Ländern vermittelt einen guten Eindruck darüber, welche Steuerungsmodelle entwickelt wurden, um finanzielle Mittel für Aktivitäten einzusetzen, die tatsächlich zu einer Erhöhung der Kompetenzen von Arbeitnehmer*innen führen und nicht zu einer „Abwälzung“ von unvermeidbaren betrieblichen Kosten auf eine kollektiv gespeiste Finanzierungsquelle.
Arbeitsplätze, die wenig Raum zum Arbeitsplatzlernen ermöglichen, sind nicht auf KKMU beschränkt – im Gegenteil: Formen des Neo-Taylorismus, bei denen der Entscheidungsspielraum von Mitarbeiter*innen extrem eingeschränkt wird, wodurch sich die Komplexität der Tätigkeit reduziert, nehmen in Großbetrieben in den unterschiedlichsten Dienstleistungsbranchen zu. Wo Großunternehmen mit viel dequalifizierter Arbeit und niedrigem Weiterbildungsbedarf den „Klassendurchschnitt“ bestimmen, verschwindet der MSME Training Gap, aber nicht das Problem.
Mit der Cedefop-Studie Beyond subsiding training costs konnte ein erster Überblick zur Bandbreite an Ansätzen zur Förderung betrieblicher Weiterbildung bereitgestellt werden. Besonders auffällig war, dass gerade Instrumente mit einer mittelbaren Strategie aus den Politikfeldern Innovationsförderung, Wirtschaftsförderung und Regionalförderung kommen. Darstellungen der Weiterbildungsförderung beschränken sich häufig auf Instrumente aus der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik – dadurch einsteht ein unvollständiges Bild. Die öffentlichen Mittel, die für Instrumente jenseits der Kofinanzierung von Weiterbildung eingesetzt werden, sind teils beträchtlich. Die Budgets für strukturelle Instrumente können jene der finanziellen Förderung deutlich übertreffen. Zusammengenommen zeigt dies auf, dass in der Planung und Umsetzung von Förderungsaktivitäten zur betrieblichen Förderung eine systematische, politikfeldübergreifende Perspektive unverzichtbar ist – so mühsam es auch sein mag, die dafür nötige Informationsbasis aufzubereiten.
Die Effektivität von Instrumenten hängt von ihrem Zusammenspiel mit anderen Instrumenten und der gegebenen Institutionenlandschaft ab – letztlich davon, welche Lösungen für die Interessenskonflikte rund um die Organisation von Arbeit gefunden werden: Die Formen der Kooperation, die einem zielführenden Mitteleinsatz zugrundliegen, sind weniger leicht zu erfassen als die Formalia zu Designs, welche Unternehmen wofür wie viel erhalten können. Für die Wirksamkeit der Instrumente sind sie aber entscheidend.
[1] Service contract 2019-0162/AO/DLE/PMDFON-PLI/Support&Incentives/002/10-Lot 2
[2] https://www.cedefop.europa.eu/en/projects/financing-vet/database
[3] Instrumentenbeschreibungen: 5606_en_case_vignettes.pdf; Case Studies: 5606_en_case_studies.pdf
[4] https://www.cedefop.europa.eu/en/about-cedefop/public-procurement/training-funds-eu; vgl. auch 2022 Cedefop powerpoint template 16-9.pptx
Literatur:
Acemoglu, D. and Pischke, J.-S. (1999). Beyond Becker: Training in Imperfect Labour Markets. The Economic Journal, Vol. 109, No. 453 (February), pp. F112-142.
Ashton, D. et al. (2008). Challenging the myths about learning and training in small and mediumsized enterprises: Implications for public policy. Geneve: ILO – Skills and Employability Department, Job Creation and Enterprise Development Department. Employment Working Paper.
Attewell, P. (1990). What is Skill? Work and Occupations, Vol. 17, pp. 422-448.
Baron, J. M. and Bielby, W. T. (1980). Bringing the Firms Back in: Stratification, Segmentation and the Organization of Work. American Sociological Review, Vol. 45, pp. 737-765.
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