Gerhard Endres (Freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, München)

„Die zunehmende Bedeutung des Umweltschutzes im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich erfordert die besondere Aufmerksamkeit gerade der Gewerkschaften“ (DGB; Protokoll, 1972, Antrag 33)

Beim DGB-Bundeskongress 1969 war das Thema Umweltpolitik nicht existent, 1972 gab es 12 Anträge zu dem Thema, die allerdings ohne Aussprache behandelt wurden. 1971 wurden die Gewerkschaften bei der Erstellung des Umweltprogramms der Bundesregierung vollständig ignoriert. 1972 wurden „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome veröffentlicht, im April 1972 organisierte die IG Metall den Kongress „Aufgabe Zukunft -Die Qualität des Lebens“, auf dem Erhard Eppler seinen wegweisenden Vortrag hielt.

Erhard Eppler schrieb rückblickend im Juni 2011 ein Vorwort zu seinem Vortrag „Die Qualität des Lebens“ (Die Rechtsschreibung wurde im Vorwort und im Text der Rede beibehalten):

„Im Jahr 1972 stritt man sich in der Bundesrepublik um die Ostverträge der Regierung Brandt. Die Konjunktur war gut, das Wachstum auch. Da organisierte ausgerechnet eine Gewerkschaft, die IG Metall, eine internationale Tagung in Oberhausen zum Thema „Lebensqualität“. Angestoßen hatte dies Otto Brenner, der schwerkranke Vorsitzende der IG Metall.

Schon das Thema warf eine Frage auf, die für die meisten ganz neu war: Was bewirkt eigentlich das Wirtschaftswachstum? Macht es uns zufriedener, unser Leben wirklich angenehmer, erfüllter, sinnvoller, schöner? Oder kann es auch zerstören?

An Weihnachten 1971 hatte mich Brenner angerufen. Als Bundesminister hatte ich genug zu tun und so entstand mein Vortrag in den Ostertagen 1972. Man merkt ihm an, daß ich keine fertigen Ergebnisse zu präsentieren hatte, sondern eine Diskussion anstoßen wollte. Das gelang auch, aber sie wurde in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre durch die Ölpreiskrisen gebremst und später von der marktliberalen Welle weggespült. Nachdem diese Welle sich durch die Krisen 2008 bis 2011 überschlagen hat, kommen die Themen von damals wieder hervor:“ Erhard Eppler, im Juni 2011

https://library.fes.de/pdf-files/akademie/online/09120.pdf

1972 veröffentlichte der DGB „die Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Umweltschutz“ in denen der DGB den Anspruch formulierte, dass Gewerkschaften „eine politische Gestaltungsaufgabe (..) auch im Rahmen des Umweltschutzes ausüben werden“ (DGB Leitsätze, 1972, 3) 1974 wurde das „Umweltprogramm des DGB“ veröffentlicht, u.a. Darin fand sich folgende Formulierung: „Die Arbeitnehmer sind von den Umweltschädigungen in besonderem Maße betroffen, sie haben nicht nur ein vitales, sondern überdies ein wirtschaftliches Interesse an nachhaltigem und tiefgreifenden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt.“ (DGB; Umweltprogramm, 1974, 10)

Die Gewerkschaften waren bei manchen Umweltthemen allerdings durchaus unter Druck: Betriebsräte aus den Betrieben der Kernenergie forderten die friedliche Nutzung der Kernenergie. 1978 wurde auf dem Bundeskongress des DGB die Kernenergie akzeptiert: „Ein auch nur teilweiser Verzicht auf wirtschaftliches Wachstum ist nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptabel. Es muss vielmehr befürchtet werden, dass auch das gesellschaftliche System der Bundesrepublik den zu erwartenden Belastungen aus einer erhöhten Dauerarbeitslosigkeit kaum gewachsen wäre.“ (DGB, Protokoll, 1978, Antrag 105)

Nach und nach veränderte sich die Programmatik des DGB, 1981 wurde der Zusammenhang von „Umwelt“ und „Beschäftigung“ im Grundsatzprogramm festgeschrieben: „Der zunehmenden Umweltgefährdung muss Einhalt geboten werden. Deshalb kämpfen die Gewerkschaften für die Gestaltung eines gesunden Arbeits- und Wohnumfeldes sowie für den Schutz der natürlichen Umwelt, Dabei sind beschäftigungspolitische Aspekte angemessen zu berücksichtigen.“ (DGB; Grundsatzprogramm, 1981, 21) Nach und nach wurde Umweltschutz als wichtiger Bestandteil von Beschäftigungspolitik wahrgenommen und auch eingefordert: „Die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums ist ein wichtiger Weg, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Notwendig ist aber ein gezieltes qualitatives Wachstum, das Arbeitsplätze erhält und dort schafft, wo sie zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen gebraucht werden“ (DGB, Arbeit für Alle., 1986, 5)

1991 führte die IG Metall zusammen mit dem Deutschen Naturschutzring die Tagung “ Auto, Umwelt, Verkehr: Umsteuern, bevor es zu spät ist“ durch und formulierte ein 10 Punkte-Programm. Politisch war gerade die deutsche Einheit vollzogen worden, die Kahlschlagpolitik mit der Treuhand zog durch die Neuen Bundesländer, die Arbeitslosigkeit nahm zu und die Angst um die Arbeitsplätze stieg. Die Bundesregierung Kohl/Genscher hatte kein großes Interesse, die Verknüpfung von Arbeitsplätzen und Umweltpolitik auf die Tagesordnung zu setzen. „Wieder einmal war der Einfluss von Betriebsräten wichtiger Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie für manche Entwicklungen hemmend. Der programmatische Prozess kam jedoch zum Abbruch.“ So Hugo Woltering in seinem Blogbeitrag.

Vom 11.8.2023 „Vom Umweltschutz zur sozial-ökologischen Modernisierung. Gewerkschaftliche Umweltpolitik im 20.Jahrhundert“. 1996 beschloss der DGB in seinem Grundsatzprogramm  im Abschnitt „ökologisch wachsen und umsteuern“: „Wer das Leben der Menschen für die Zukunft sichern will, muss ökologisch umsteuern. (..) Ökologisch umsteuern erfordert zugleich eine nachhaltige Veränderung unserer Konsum- und Lebensgewohnheiten. Wir wollen erreichen, dass der Wohlstand der Bevölkerung steigt, indem sich die Lebensqualität der Menschen verbessert. Langlebige Produkte, eine verbesserte Infrastruktur, ökologischer Städtebau, stärker regionalisierte Märkte und eine gesunde Umwelt erlauben ein gutes Leben.“ DGB, Grundsatzprogramm, 1996, 16)

1999 forderten die Gewerkschaften im „Bündnis für Arbeit“ eine „sozial-ökologische Reformstrategie“, in der der Sozialstaat dem „Bereich und Beschäftigung“ Vorrang einräumen muss:

„Eine zukunftsfähige Entwicklung verlangt gezieltes Wachsen und Schrumpfen, die Verlagerung auf ökologische und sozialverträgliche Produktion, Produkte und Dienstleistungen neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens, ein neues Verständnis von Wohlstand und Fortschritt. Die sozial-ökologische Modernisierung ist eine große Gemeinschaftsanstrengung, Sie bedarf aber auch der Solidarität und der gerechten Verteilung von Chancen und Lasten.“ (DGB; Positionspapier, 1999, 4)

Hubert Woltering, FES-Archiv

„Ich habe vor einem Jahr einen Blog-Beitrag verfasst, der sich mit der gewerkschaftlichen Umweltpolitik im 20. Jahrhundert befasst. Sie finden ihn unter dem folgenden Link“

https://www.fes.de/feshistory/blog/vom-umweltschutz-zur-sozial-oekologischen-modernisierunggewerkschaftliche-umweltpolitik-im-20-jahrhundert

Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland

-Vorstand-,

Redaktion: Horst Neumann:

Auto, Umwelt und Verkehr

Umsteuern, bevor es zu spät ist!

Vorwort: Franz Steinkühler

Frankfurt am Main, 1991

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  • Gerhard Endres ist freier Journalist, Berufsschullehrer und Theologe, er lebt in München. Er ist erster Vorsitzender des Netzwerks für Gesellschaftsethik.

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