KI in der Arbeitswelt – Thesen zur aktuellen Diskussion

Prof. Dr. Fritz Böhle (Professor an der Universität Augsburg / ISF München)

Bei der Tagung „Denken am See“ über Künstliche Intelligenz[1] beteiligte sich Professor Dr. Fritz Böhle (Universität Augsburg) an der Diskussion sehr rege. Gerhard Endres von der ddm-Redaktion bat ihn, einige Thesen zu KI in der Arbeitswelt und ihren Auswirkungen auf die Arbeit zu formulieren.

Schwerpunkt der Künstliche Intelligenz und Arbeitswelt

Roboter in der Pflege und das autonome Fahren lenken von der KI in der Arbeitswelt ab

In der öffentlichen Diskussion stehen Entwicklungen der KI im Vordergrund, an denen sich mehr Schwächen als Stärken zeigen. Ein Beispiel hierfür ist das technisch autonom fahrende Auto im Straßenverkehr oder der vielzitierte Roboter in der Pflege. Solche Beispiele finden offenbar besondere Aufmerksamkeit, da es sich um menschliche Tätigkeiten handelt, die bisher kaum technisierbar schienen. Doch die Auswirkungen der KI in der Arbeitswelt werden hieran kaum sichtbar, sondern solche Beispiele lenken hiervon eher ab.

Die Stärken der KI liegen vor allem bei gut strukturierten Daten

Stärken der KI liegen vor allem dort, wo die Sachverhalte, um die es geht, durch gut strukturierte Daten beschrieben und erfasst werden können.  In der Arbeitswelt ist dies vor allem in der Verwaltung und dem Rechnungswesen sowie im Versicherungs- und Finanzsektor der Fall. In den Vorträgen wird dementsprechend von ‚datenbasierten Tätigkeiten‘ gesprochen, die in besonderer Weise vom Einsatz der KI betroffen sind. So werden bereits jetzt schon Schadensfälle bei Versicherungen – von der Schadensmeldung bis zur Auszahlung der Versicherungsleistung – durch KI-Systeme abgewickelt.

Der Schwerpunkt der Automatisierung liegt mit der KI nicht mehr auf der ‚körperlichen Arbeit‘ in der Produktion, sondern auf der ‚geistigen Arbeit‘ in den Büros. Sicher wurde da auch schon in der Vergangenheit rationalisiert und technisiert, – durch Standardisierung und Arbeitszerlegung nach dem Modell des Taylorismus und in der neueren Entwicklung durch den Computer. Aber die Automatisierung   stieß immer wieder auf Grenzen, so dass qualifizierte Tätigkeiten erhalten blieben und auch neu entstanden sind. Mit der KI unterliegt nun aber gerade die ‚Büroarbeit‘ einer neuen Technisierungs- und Rationalisierung-Offensive.

Die neuen Schwerpunkte der Technisierung von Arbeit werden nicht wahrgenommen

Ich habe den Eindruck, dass in der gesellschaftspolitischen Diskussion die Verlagerung der Technisierung von Arbeit von der Produktion auf die ‚Büroarbeit‘ noch immer nicht realisiert wird. In den Szenarien zukünftiger Arbeit tauchen nach wie vor die ‚automatisierte‘   Fabrik auf oder als das ‚völlig Neuartige‘ der Roboter in der Pflege. Das ‚automatisierte Büro‘ erscheint demgegenüber weit weniger präsent. Doch wer über die Auswirkungen der KI etwas erfahren möchte, sollte weniger darüber spekulieren, ob man zukünftig noch Ärzte braucht, um Diagnosen zu erstellen, oder qualifizierte Pflegekräfte, um Patienten zu versorgen. Sehr viel naheliegender und dringlicher wäre dem gegenüber der Blick auf das Abrechnungswesen und das Controlling in der Krankenhausverwaltung. Auch die Abwicklung von Schadensfällen bei der Autoversicherung oder die Entscheidung über Bußgeldbescheide in Polizeibehörden ist aus der Sicht der Beschäftigten viel brisanter als das autonom fahrende Auto.

Auswirkungen der KI

KI verändert nicht nur standardisierte Routinetätigkeit

Bei den Prognosen zu den Auswirkungen von KI wird überwiegend davon ausgegangen, dass standardisierte Routinetätigkeiten ersetzt werden. Vielfältige und variierende Tätigkeiten sowie Arbeitsaufgaben erscheinen demnach von der KI kaum betroffen. Doch diese Sicht trügt.

Die Unterscheidung „Routine versus Anspruchsvoll“ ist nicht mehr zeitgemäß

Die Unterscheidung zwischen einfacher, standardisierter Routinetätigkeit und vielfältiger, anspruchsvoller qualifizierter Arbeit stammt aus den Zeiten des Taylorismus. Für die Veränderung von Arbeit durch Digitalisierung und KI sind sie nicht (mehr) passend und brauchbar. Gerade auch nicht-standardisierte, anspruchsvolle Tätigkeiten können nun technisiert werden. Paradigmatisch ist hierfür das Schachspiel. Kaum jemand wird ernsthaft behaupten, dass es sich hierbei um eine einfache Routinetätigkeit handelt. Dies besagt nicht, dass nun alles technisiert werden kann.

Gut strukturierte vs. unstrukturierte Daten

An die Stelle von „standardisiert und nicht-standardisiert“ tritt nun die Unterscheidung zwischen formalisierbaren und nicht-formalisierbaren bzw. gut-strukturierten und unstrukturierten, diffusen Daten und Informationen. Digitalisierung und KI sind überall dort sehr leistungsfähig, wo gut-strukturierte Daten und Informationen verfügbar sind. Umgekehrt zeigt sich, dass bei sogenannten einfachen Tätigkeiten häufig nur unstrukturierte und diffuse Informationen vorliegen, vor allem dann, wenn ein unmittelbarer Kontakt zur physischen und soziale Umwelt besteht. So können komplizierte mit Zahlen operierende Abrechnungsverfahren leichter automatisiert werden als etwa das Einsammeln und Zurückstellen von Behältern bei der städtischen Müllabfuhr.

Neuer Blick auf menschliche Fähigkeiten

Bemerkenswert ist, dass bei der Frage, welche menschlichen Fähigkeiten zukünftig wichtig sind, neben abstraktem und logischem Denken, Fähigkeiten wie intuitive Urteilskraft, soziale Intelligenz, Umgang mit Unsicherheit, kreative Intelligenz oder auch Empathie genannt werden. Doch solche Fähigkeiten werden bisher in der Arbeitswelt wenig beachtet und wertgeschätzt.

Systematisches Wissen und Erfahrungswissen

In der industriellen Produktion hat sich gezeigt, dass bei hoch-automatisierten technischen Anlagen qualifizierte Fachkräfte für die Überwachung und Regulierung notwendig sind und bleiben.  Qualifikation ist dabei nicht gleichbedeutend mit einem ‘mehr‘ an systematischen, schulischen und akademischen Wissen. Theoretische Kenntnisse sind zwar wichtig, aber nicht hinreichend. Ein besonderes Erfahrungswissen über die jeweiligen Gegenstandsbereiche und Prozesse ist ebenso unerlässlich.  Allerdings brauchen wir noch mehr Kenntnisse darüber, was das Erfahrungswissen bei ’Büroarbeit mit KI‘ ausmacht Es ist noch relativ unklar, wie Fähigkeiten wie z.B. die Urteilskraft damit verknüpft sind. Wir brauchen also einen neuen Blick auf menschliche Arbeit und menschliches Arbeitsvermögen.

Arbeit mit Künstliche Intelligenz braucht duale Berufsausbildung

Die duale berufliche Bildung ist durch die Verbindung von ‚Theorie und Praxis‘ eine wichtige Voraussetzung bei der Arbeit mit KI. Qualifizierte Arbeit kann also durchaus von der KI profitieren – aber nur dann, wenn der Blick auf das, was qualifizierte menschliche Arbeit in der Praxis heißt, geschärft wird.  Und zugleich erweist sich vieles, was als einfach gilt, als keineswegs so einfach, wie es erscheint und gesellschaftlich bewertet wird.

[1] Vom 14. Bis 16. Juli fand an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing in Kooperation mit der IG Metall und dem KAB Bildungswerk die Tagung: „‘Künstliche Intelligenz‘“ verändert unser Leben. Arbeit. Bildung. Demokratie statt. Einige der Referenten sind mit Beiträgen in dieser Ausgabe von DENK-doch-MAL vertreten.

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Autor

  • Seit 1. Juni 1999 ist Prof. Dr. Fritz Böhle Leiter Leiter der Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt an der Universität Augsburg.Prof. Böhle wurde 1945 in Oberstdorf geboren. Er studierte Soziologie in Verbindung mit Volkswirtschaft und Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach dem Diplom 1972 promovierte er 1975 an der Universität Bremen (Dr. rer. pol.), an der er u.a. auch als Gastforscher tätig war, und habilitierte 1990 an der Universität Bielefeld. Bereits während des Studiums begann er mit Forschungsarbeiten am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. München (ISF). Von 1982 bis 1997 war er stellvertretender Vorsitzender und von Juni 1997 bis 2019 war er Vorsitzender des Vorstands des ISF e.V. München. 1978 unterbrach er seine Arbeit am ISF durch einen Forschungsaufenthalt in Großbritannien mit Unterstützung der Deutsch-Britischen Stiftung für das Studium der Industriegesellschaft. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Forschungsarbeiten von Prof. Böhle, die in zahlreichen Buchveröffentlichungen und Artikeln in Fachzeitschriften und praxisnahen Publikationen ihren Niederschlag gefunden haben, liegen auf Entwicklungen von Arbeit im Bereich industrieller Produktion und Dienstleistungen (Arbeitsorganisation und Technisierung), der Veränderung von Qualifikationsanforderungen, Belastungen und sozialen Risiken im Arbeitsbereich, den Auswirkungen der Informatisierung sowie Zusammenhängen zwischen Entwicklungen im Arbeits- und Beschäftigungssystem einerseits und neuen Anforderungen an die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik andererseits.Seit Mitte der 80er Jahre liegt ein Schwerpunkt der Arbeiten auf Untersuchungen zur Rolle sinnlicher Erfahrung und des Erfahrungswissens angesichts fortschreitender Technisierung und Informatisierung von Arbeit. Damit verbindet sich eine kritische Auseinandersetzung mit der fortschreitenden „Verwissenschaftlichung von Arbeit“ sowie dem Verständnis von Arbeit in modernen Gesellschaften. Hieraus ergaben sich u.a. auch neue Anstöße für interdisziplinäre, praxis- und umsetzungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich der Technikentwicklung, der beruflichen Bildung, der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie betrieblicher Organisationsentwicklung.

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