Dr. Barbara Burger (Dipl. Wirtschaftspädagogin, Forscherin, Beraterin und Weiterbildnerin bei der GAB München)

Bereits seit 2012 geht man bei der Bundesagentur für Arbeit den Weg, Lernen für die aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Arbeitstätigkeit vermehrt dort stattfinden zu lassen, wo die Anforderungen entstehen: direkt am Arbeitsplatz in Gestalt der individuellen Lernbegleitung. Bezeichnenderweise kam der Anstoß dafür aus der Erkenntnis, dass Lernangebote fernab des eigentlichen Geschehens leider auch fernab der erhofften Wirkungen bleiben. Das vielzitierte Problem, Wissen und Können aus Schulungen nur sehr unzureichend in der Arbeitswelt anwenden zu können, setzte die Suche nach einer Lernunterstützung on the job in Gang. Das Konzept der individuellen Lernbegleitung – mittlerweile etabliert unter der Abkürzung iLB – stellte sich bald als ein viel universelleres Hilfsmittel heraus als ein bloßer Transferlückenfüller. Und so bereichert die iLB das bundesweite Bildungsangebot der Bundesagentur nun schon seit mehr als zehn Jahren in Form eines konsequent bedarfsbezogenen, arbeitsintegrierten Lernangebots zur individuellen Kompetenzentwicklung.

Was genau ist die iLB?

Die individuelle Lernbegleitung ist eine eins-zu-eins Lernunterstützung für Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit, die von qualifizierten Kolleginnen und Kollegen angeboten und durchgeführt wird. Sie wird empfohlen zur Förderung des Transfers von Schulungsinhalten an den Arbeitsplatz, bei Job- und Aufgabenwechseln, für alle Neu- oder Wiedereinsteiger:innen sowie bei individuellen Lern- und Entwicklungsanliegen von Mitarbeitenden oder Führungskräften. Die iLB hat sich auch als fester Bestandteil von umfassenden formellen Personalentwicklungs- und Qualifizierungsangeboten etabliert. So flankiert sie z.B. das bundesweit einheitliche Führungskräftequalifizierungsprogramm und die Qualifizierung der Berufsberater:innen an der Hochschule der Bundesagentur.

Der Lernbegleit-Prozess umfasst Gespräche unter vier Augen, in denen zunächst das Lernanliegen und der Lernbedarf herausgearbeitet werden. Oft ist der Auslöser für einen iLB-Prozess die mehr oder weniger lästige Erfahrung, dass im Arbeitsalltag Dinge nicht so rund laufen, wie man es gerne hätte. So können es bestimmte Kund:innen oder bestimmte Vorgänge sein, mit denen man sich immer wieder schwer tut. Neue oder ungeliebte Aufgaben aber auch die persönliche, als verbesserungsbedürftig empfundene Arbeitsorganisation werden von den Beschäftigten zum Anlass genommen, sich an den oder die Lernbegleiter:in in der Dienststelle zu wenden. Ausgehend vom wahrgenommenen Problem, arbeiten Lernende:r und Lernbegleiter:in gemeinsam die Ursachen heraus und identifizieren, welche Kompetenzen es braucht, um anders und besser mit der Situation umzugehen. Gemäß dem Motto „Man lernt zu tun, indem man tut“ vereinbaren sie dann, in welchen konkreten Situationen – die herausfordernd, aber nicht überfordernd sein dürfen – man etwas Neues erproben will. Was genau dieses Neue sein kann, entwickelt sich teilweise im Gespräch, in der Regel kommen jedoch Erkundungsaufgaben zum Einsatz, die die Lernenden im Arbeitsalltag aufmerksam werden lassen, was sie anders machen könnten oder sollten. Erkundungsaufgaben können z.B. dazu auffordern, sich im Alltag selbst zu beobachten, das Handeln von Kolleginnen oder Führungskräften genauer unter die Lupe zu nehmen, oder sich mit einem internen Experten über die eigene Frage auszutauschen.

Mit den Erkenntnissen aus den Erkundungsaufgaben und den Erfahrungen beim Erproben von neuen Verhaltensweisen kommen die Lernenden – gerne mehrfach – zu einem Auswertungsgespräch mit dem oder der Lernbegleiter:in zusammen. Hier geht es darum, auf die Lern- und Erprobungsaktivitäten zurückzublicken und die Erfahrungen und Lernerträge bewusst zu machen. Oft ist mit einer ersten Auswertung das Lernen nicht zu Ende. Vielmehr rücken neue Aspekte in den Fokus und die Gesprächspartner:innen vereinbaren neue Erkundungsaufgaben und nächste Schritte.

In dieser Darstellung wird deutlich, dass das eigentliche Lernen nicht in den iLB-Gesprächen, sondern beim Ausprobieren und Tun im Arbeitsprozess stattfindet. Erkennbar wird auch, dass sich eine individuelle Lernbegleitung vor allem bei Lernanliegen anbietet, in denen es um Kompetenzentwicklung, nicht um Wissensaneignung geht. Die iLB nimmt das Handeln von Menschen ganzheitlich in den Blick und sucht nach individuellen, vielleicht auch unkonventionellen Wegen, um komplexe Handlungssituationen kompetent zu meistern.

Das Potenzial der iLB in einer modernen beruflichen Bildung

Mit der flächendeckenden Einführung der iLB – jede Dienststelle verfügt über eine bestimmte Zahl von Lernbegleiter:innen – ist der Anspruch verbunden, berufliches Lernen moderner, bedarfsorientierter und flexibler zu gestalten. Die Bildungsangebote der Bundesagentur sollen Eigenverantwortung und Selbstorganisation beim Lernen und Arbeiten fördern gemäß dem Leistungsversprechen des Bildungsbereichs: arbeitsplatznäher – persönlicher – digitaler – vernetzter.

Die iLB bringt Lernen dorthin, wo es gebraucht wird: direkt an den Arbeitsplatz.

Nicht nur die Bundesagentur, auch viele andere Unternehmen und Organisationen setzen vermehrt auf arbeitsplatznahes Lernen. Damit soll der Dynamik an Veränderungen und veränderten Anforderungen an Individuen und Organisationen Rechnung getragen werden. Die iLB zeichnet sich jedoch nicht nur durch eine besondere Arbeitsplatznähe aus. Sie geht darüber hinaus und macht die realen Arbeitssituationen zum Dreh- und Angelpunkt des eigentlichen Lerngeschehens. Sie verwebt Lernen und Arbeiten indem sie Arbeitsaufgaben gezielt als Lernaufgaben nutzt. Die Vorteile dieses arbeitsintegrierten Lernens liegen auf der Hand: Arbeitstätigkeiten wandeln sich schnell und stetig aufgrund zunehmender Digitalisierung von Arbeitsprozessen und Kommunikationsformen. Eine wachsende Heterogenität von Mitarbeitenden und Kund:innen macht Interaktionen unvorhersehbarer und erfordert situatives, rollen- und kultursensibles Handeln. In vielen Tätigkeiten nehmen Entscheidungs- und Handlungsfreiräume zu, die verantwortungsvoll gefüllt werden müssen, auch wenn klare Entscheidungskriterien fehlen oder Konsequenzen nicht ganz absehbar sind. Was Beschäftigte angesichts solcher Entwicklungen können müssen bzw. lernen müssen, lässt sich oft nur schwer greifen. Nochmals schwieriger ist es, diese diffusen Anforderungen in institutionalisierte Bildungsangebote zu verpacken – ganz abgesehen von der Verzögerung, mit der diese Angebote entstehen. Die schlüssigste wie wirkungsvollste Lösung liegt darin, die realen komplexen Anforderungssituationen unmittelbar zum Lernen zu nutzen und den Kompetenzerwerb dort stattfinden zu lassen, wo die Kompetenzen gefordert werden: in der Arbeitspraxis selbst. Denn alles, was eine Handlungssituation an Kompetenzen fordert, kann man genau in dieser Handlungssituation auch lernen. Im Umkehrschluss gilt: Zum Erwerb von Handlungskompetenzen werden genau die Aufgaben oder Handlungssituationen benötigt, deren Bewältigung man lernen möchte. Auf den Punkt gebracht: Schwimmen lernt man nur im Wasser.

Die iLB fordert und fördert Eigenverantwortung und Selbstorganisation.

Die individuelle Lernbegleitung hat keinen vorgegebenen Lehrplan. Sie entwickelt die Lernziele aus dem Anliegen des Individuums heraus und richtet das gesamte Lern-Arrangement daran aus. Es liegt in der Verantwortung der Lernenden, eine iLB in Anspruch zu nehmen. Sie selbst werden aktiv und entscheiden, welches Anliegen sie bearbeiten wollen und sie bestimmen mit, welche Erkundungsaufgaben oder andere Aktivitäten ihnen dabei hilfreich erscheinen. Die iLB bietet ihnen eine Hilfe zur Selbsthilfe in Form eines systematischen Vorgehens zur Bearbeitung ihres Lernanliegens, aber keine Rezepte, Vorgaben oder inhaltlichen Lösungen. Kurzum: in der individuellen Lernbegleitung sind die Lernenden die Initiator:innen und Gestalter:innen des Lernen – mit mehr oder weniger intensiver Begleitung durch die Lernbegleiter:innen. Gemeinsam werden Erkundungsaufgaben entwickelt, Lern- und Übungssituationen gesammelt und weitere Vereinbarungen getroffen, die den Lernweg für die Lernenden strukturieren. Durch ihre Fragen oder als kurze Erläuterungen geben die Lernbegleiter:innen Einblick, was fürs Lernen hilfreich ist und worauf es beim selbstorganisierten Lernen ankommt: „Was würde dir helfen, um besser mit der Situation zurecht zu kommen?“ oder „Wie kannst du dir diese Hilfe im Arbeitsalltag organisieren?“ sind Beispiele für solche Fragen. Im Auswertungsgespräch kommt es zu einer Reflexion über die individuellen Lernerfahrungen. Fragen wie „Was hat dir tatsächlich geholfen?“, „Was würdest du in Zukunft genauso, was würdest du anders machen?“ oder ganz direkt: „Was hast du über dein Lernen gelernt?“ machen die Selbstlernkompetenz der Lernenden bewusst und eine Weiterentwicklung möglich. Da Lernen und Problemlösen beim arbeitsintegrieren Lernen sehr nahe beieinander liegen, kann man auch von einer Stärkung der selbständigen Problemlösekompetenz sprechen. Die bewusste Reflexion dieser „Metakompetenzen“, d.h. der Kompetenzen zum selbständigen Lernen und zum selbständigen Problemlösen ist ein integraler Bestandteil der Lernbegleitung. Somit zielt die iLB – wie jede Hilfe zur Selbsthilfe – darauf ab, sich im Verlauf der Zeit für die Lernenden überflüssig zu machen, weil sie zunehmend in der Lage sind, ihr Lernen und Problemlösen selbst in die Hand zu nehmen.

Die iLB hat ein besonderes Potenzial, „Zukunftskompetenzen“ und reflexives Handeln zu fördern.

Angesichts der hohen technologischen und sozialen Dynamik und wachsender Uneindeutigkeit, ja Widersprüchlichkeit in vielen Arbeitskontexten brauchen Individuen „Zukunftskompetenzen“ und eine „neue“ Orientierung, um handlungsfähig zu bleiben bzw. zu werden. Die Autoren einer OECD-Studie (OECD, 2016) sowie eines Diskussionspapiers des Stifterverbands in Kooperation mit McKinsey (Stifterverband, 2021) arbeiten jeweils mehrere Cluster von sog. Schlüssel- oder Zukunftskompetenzen heraus. Diese Cluster bezeichnen sie als (1) Kompetenzen zur interaktiven Anwendung von Medien und Technologien, (2) zur Interaktion in heterogenen Gruppen sowie (3) zum eigenständigen Handeln. Als kennzeichnend für diese Schlüsselkompetenzen betonen die Autoren der OECD, dass sie über rein kognitive Fähigkeiten hinausgehen. „Schlüsselkompetenzen bedingen die Mobilisierung von kognitiven, praktischen und kreativen Fähigkeiten sowie anderer psychosozialer Ressourcen wie Einstellungen, Motivationen und Wertvorstellungen.“ (OECD, 2016, S. 10) Weiterhin heben sie die Reflexivität als Kern von Schlüsselkompetenzen hervor. Diese zeigt sich darin, dass sich Menschen kritisch mit ihrem eigenen Denken und Handeln auseinandersetzen, was es ihnen ermöglicht, „sich von sozialem Druck zu distanzieren, verschiedene Sichtweisen einzunehmen, eigenständig Urteile zu fällen und die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen“ (OECD, 2016, S. 11).

Die iLB kann als eins-zu-eins-Begleitung den individuellen Menschen und sein Handeln sehr genau und differenziert betrachten. Das als Zukunftskompetenz titulierte eigenständige Handeln ist kein Verhalten nach Schema F, sondern ein zur eigenen Person und zur jeweiligen Situation passendes zielgerichtetes, bewusstes und reflektiertes Handeln. Wie das im konkreten Einzelfall aussieht, ist von Person zu Person durchaus unterschiedlich. Das eigene Herangehen, den eigenen Lösungsweg für komplexe Situationen zu finden, diese zu reflektieren sowie sprach- und dialogfähig über das eigene Handeln und Entscheiden zu werden, ist zentrales Anliegen der iLB. Sie gibt keine Lösung vor, sondern bietet eine Anleitung für eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Lösungsversuchen. Die iLB-Gespräche sind Räume für intensive – für einige Lernende ungewohnt intensive – Reflexion. Diese Erfahrung des Reflektierens wirkt zugleich als Anregung zur Selbstreflexion in vielen anderen Situationen.

Die iLB hat ein besonderes Potenzial, Werte und Einstellungen und damit die individuelle Persönlichkeit zu fördern.

In der Auseinandersetzung mit Zukunftskompetenzen nimmt die Argumentation immer wieder Bezug zu Einstellungen und Werthaltungen. Sie werden als Kerne von Kompetenzen (Sauter/Erpenbeck, 2021, S. 23) oder als deren Anker beschrieben, die in einer Wertegesellschaft (vgl. Sauter/Erpenbeck, 2021, S. 14) zunehmend an Bedeutung gewinnen. Für Entscheidungen unter Unsicherheit und in komplexen, uneindeutigen Zusammenhängen braucht es eine Orientierung, die über die begrenzten Möglichkeiten des kognitiven Abwägens hinausreicht. Diese orientierungsgebende Funktion entfalten gemeinsame Werte, die von allen Teammitgliedern, Mitarbeitenden einer Organisation oder allgemein formuliert: Beteiligten an einer gemeinsamen Sache geteilt werden. Werte und Einstellungen sind sehr grundlegende und stabile menschliche Dispositionen. Aber auch sie sind veränderbar. Sie können sich weiterentwickeln, wenn Menschen in realen Situationen Erfahrungen machen und diese Erfahrungen im Hinblick auf ihre persönlichen Wertvorstellungen reflektieren. Dazu gehören Überlegungen wie: Empfinde ich das erlebte Handeln richtig oder falsch? Was genau finde ich daran richtig oder falsch? Was hat das mit mir und meinen Werten zu tun? Könnte man es auch anders sehen?

Auch in der iLB werden solche oder vergleichbare Fragen reflektiert. Da die iLB den Anspruch hat, Kompetenzen zu entwickeln, blendet sie Werte und persönliche Einstellungen als zentrale Aspekte kompetenten Handelns nicht aus. Im Gegenteil, wenn Lernende sich im Gespräch dafür öffnen und ihre Wertvorstellungen thematisieren – egal ob als Hürde oder Stütze für angemessenes Handeln – werden auch sie aufgegriffen und im Lernprozess berücksichtigt. In den Lerngesprächen wird die Interpretation von Erlebnissen erfragt und dem tatsächlich Wahrnehmbaren gegenübergestellt. Alternative Interpretationen und Sichtweisen werden angeboten und mögliche daraus resultierende Schlüsse durchdacht. Lernbegleiter:innen fordern zu einer kritischen und differenzierten Sicht auf und dazu, spontane, unüberlegte Bewertungen zu hinterfragen. Das heißt, dass in der iLB sehr persönliche Antreiber und „Kerne“ des eigenen Handelns in den Blick genommen werden (können) und so einer Veränderung zugänglich werden. So kann die iLB im vertraulichen und ehrlichen Dialog zu einer Vergewisserung, zu einer Festigung oder zu einer Weiterentwicklung handlungsleitender Werte beitragen.

Eindrücke aus der iLB-Praxis

Die individuelle Lernbegleitung steht seit 2016 flächendeckend sowohl den Beschäftigten in den Agenturen für Arbeit als auch in den Jobcentern zur Verfügung. Die Lernbegleiter:innen – Kolleg:innen aus der jeweiligen Dienststelle, die diese Aufgabe neben ihrer eigentlichen Arbeitsaufgabe übernehmen – werden in einem umfangreichen Qualifizierungsprogramm auf ihre pädagogische Tätigkeit vorbereitet. Sie nutzen im Verlauf ihres Lernprozesses selbst eine individuelle Lernbegleitung und erarbeiten sich die erforderlichen Kompetenzen in einem erfahrungsorientierten, stark selbstgesteuerten Lernprozess, der in großen Teilen arbeitsintegriert stattfindet. Die Prinzipien der iLB – Praxis vor Theorie, Lernen am eigenen Bedarf, Lernen aus Erfahrung, intensive Auswertung dieser Erfahrung – kommen sehr bewusst zum Tragen.

Um die iLB als neues, arbeitsintegriertes Lernangebot erfolgreich zu etablieren, braucht es mehr als die Qualifizierung von Lernbegleiter:innen. Seit vielen Jahren werden sog. Umsetzungs- bzw. Verstetigungsworkshops in den Dienststellen durchgeführt, in denen die Führungskräfte sowie Gremienvertreter:innen, Gleichstellungsbeauftragte und Verantwortliche für Qualifizierung mit den Lernbegleiter:innen vereinbaren, wie das Lernangebot in ihrer Dienststelle bekannt gemacht, organisiert und etabliert werden soll. Eine Führungskraft aus dem Haus übernimmt die Rolle als iLB-Verantwortliche:r und kümmert sich u.a. um die Nachhaltung dieser Vereinbarungen sowie um ggf. notwendige Ressourcen.

Doch auch mit diesen flankierenden Maßnahmen und Verantwortlichkeiten zeigen sich in der Praxis deutliche Unterschiede in der Inanspruchnahme der iLB zwischen den Häusern oder auch zwischen einzelnen Bereichen eines Hauses. Zu den Gründen hierfür gibt es keine systematischen Auswertungen. Erfahrungsberichte der Lernbegleiter:innen verweisen auf den wissenschaftlich bestätigten starken Zusammenhang von (Unternehmens)Kultur und Lernen. Wenn für das Lernen keine Freiräume zur Verfügung stehen, wenn Lernen mit persönlichen Defiziten gleichgesetzt wird, outet sich niemand mit einem Lernanliegen. Wenn Lernen mit Wissenserwerb in Form institutionalisierter Seminare gleichgesetzt wird, wird der Wert einer individuellen Lernbegleitung nicht erkannt.

Einen detaillierteren Blick auf die Wirkungen der iLB nimmt eine Studie von Prof. Freiling und Prof. Conrads der Hochschule der Bundesagentur (Freiling/Conrads/Opitz, 2022). Eine Befragung von Neueingestellten im Zeitraum 2020 bis 2022 zeigt eine hohe Zufriedenheit mit der iLB und die Absicht, die iLB auch in Zukunft zur Lernunterstützung nutzen zu wollen. Als Lernziele, für die die iLB besonders hilfreich war, werden die selbständige Bewältigung neuer Aufgaben, ein verbessertes Selbst- und Zeitmanagement, die Verbesserung der Arbeitsqualität sowie die Erhöhung von Leistungsfähigkeit und Engagement genannt. Auch die Verbesserung des eigenen Lernens wird hier erwähnt.

Insgesamt lässt sich aus der Studie eine Wirksamkeit der iLB ablesen. Die Teilnehmenden wurden zu zwei Zeitpunkten um eine Selbsteinschätzung ihrer Kompetenzen gebeten. Die Angaben zeigen insbesondere eine positive Entwicklung bei Methodenkompetenzen (Analysefähigkeit) und personalen Kompetenzen (Selbständigkeit und Belastbarkeit). Diese Ergebnisse stützen die These, dass die iLB Menschen und ihr Handeln ganzheitlich in den Blick nimmt und sehr bewusst die überfachlichen Kompetenzen adressieren kann, die in institutionalisierten Bildungsveranstaltungen nicht (immer) explizit angesprochen werden.

Interessant ist im Hinblick auf die Entwicklung dieser überfachlichen Kompetenzen, dass die Unterstützung durch die Führungskraft eine feststellbare Rolle spielt: Bei einer wahrgenommenen hohen Unterstützung durch die Führungskraft (z.B. in Form von zeitlichen Freiräumen fürs Lernen) gaben die Befragten eine größere Kompetenzentwicklung bei Methoden- und personalen Kompetenzen an. Eine nicht als positiv wahrgenommene Unterstützung durch Führungskräfte spiegelten sich sogar in einer negativen Einschätzung der Kompetenzentwicklung. (Freiling/Conrads/Opitz, 2022)

Der Blick auf die Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Altersgruppen lässt die Interpretation zu, dass die iLB die heterogenen Bedarfe und Interessen (weiterbildungs)erfahrener Lernender gut berücksichtigen kann. Im Hinblick auf die Vorqualifikation der Lernenden zeigt sich, dass die iLB für alle Zielgruppen anschlussfähig ist. Damit liegt in der individuellen Lernbegleitung auch die Chance, dem berüchtigten Matthäus-Effekt in der Weiterbildung ein Stück weit entgegenzuwirken.

Die Erkenntnisse der Studie ebenso wie die entsprechenden Praxisberichte von Lernbegleiter:innen und Lernenden können als bestätigende und ermutigende Hinweise gelesen werden, dass das individuelle Unterstützungsangebot der iLB die in diesem Beitrag herausgearbeiteten Potenziale zur ganzheitlichen Weiterentwicklung und zur Persönlichkeitsbildung von Menschen realisieren kann.

Freiling, Thomas / Conrads, Ralph / Opitz, Nathanael (2022). Wirkung arbeitsplatznaher Lernformen am Beispiel der individuellen Lernbegleitung (iLB). Beitrag zum AGBFN-Forum, November 2022, Rostock. URL: AGBFN_Strukturen_Präs_4.3_Freiling_Opitz_.pdf (abgerufen am 23.05.2023)

OECD (2016). Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung. OCED, 2016.

Sauter, Werner / Erpenbeck, John (2021). Future Learning and New Work. Freiburg, 2021

Stifterverband (2021). Future Skills 2021 – 21 Kompetenzen für eine Welt im Wandel. Stifterverband in Kooperation mit McKinsey, Diskussionspapier Nr. 3.

Autor

  • Barbara Burger ist Dipl. Wirtschaftspädagogin, sie ist als Forscherin, Beraterin und Weiterbildnerin bei der GAB München - Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung aktiv. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Gestaltung von Lernen in der Arbeit und individuelle Lernbegleitung, die Ermöglichung und Begleitung von selbstorganisiertem Lernen, Kompetenzfeststellung sowie Organisationsentwicklung im betrieblichen Bildungsbereich.

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