Anna Heusler (IAB), Dr. Julia Lang (IAB), Christian Sprenger (Zentrale der Bundesagentur für Arbeit) und Prof. Dr. Gesine Stephan (IAB und FAU)
[i] Seit dem Jahr 2020 bietet die Bundesagentur für Arbeit (BA) bundesweit die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) an. Die zentrale Zielgruppe sind Erwerbstätige vor einer beruflichen Neu- bzw. Umorientierung, die dementsprechend auch die Mehrheit der Beratenen ausmachen. Dieser Beitrag erläutert zunächst die Ziele und Umsetzung der BBiE. Weiterhin beschreibt er, welche Beschäftigten aus welchen Betrieben im Jahr 2021 die Beratung genutzt haben. Hierzu werden die Beratenen mit einer repräsentativen Referenzgruppe von Beschäftigten verglichen, die die BBiE nicht in Anspruch genommen haben. Jüngere Menschen sowie Frauen haben überproportional häufig an einer Beratung teilgenommen. Beratene Beschäftigte verdienten im aktuellen Job weniger als die Referenzgruppe, und sie arbeiteten häufiger in Jobs mit einem geringeren Anforderungsniveau sowie in Teilzeit. Zudem hatten sie seltener einen Hochschulabschluss, aber häufiger eine abgeschlossene Ausbildung.
Das Unterstützungsangebot der BA zur beruflichen Orientierung
Mit der Digitalisierung und dem strukturellen Wandel verändern sich Arbeitsprozesse und Berufsbilder sowie die benötigten Qualifikationen und Kompetenzen. Manche Berufe verlieren an Bedeutung, während gleichzeitig neue Berufe entstehen. Dadurch verändern sich die Tätigkeiten und somit Anforderungen an Beschäftigte. In vielen Bereichen der Wirtschaft besteht bereits ein Arbeits- und Fachkräftemangel, der sich durch den demografischen Wandel noch verstärken wird. Viele Erwerbstätige stehen in dieser Situation vor der Herausforderung, sich beruflich (neu) zu orientieren, um sich an die neuen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt anzupassen.
Mit der Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) unterstützt die BA seit dem Jahr 2020 Erwerbspersonen in Phasen der beruflichen (Neu-)Orientierung. Ein zentrales Ziel ist es, dass Menschen die eigene berufliche Perspektive besser einschätzen und eigenständig Entscheidungen zur Berufswegplanung treffen können. Die Nutzung der BBiE steht allen offen und basiert auf Freiwilligkeit. Das Angebot beinhaltet Beratungsgespräche und berufsorientierende Veranstaltungen sowie Sprechzeiten und steht im gesamten Bundesgebiet in Präsenz vor Ort und online per Videokommunikation zur Verfügung. Die Größenordnungen bewegen sich bei durchschnittlich 15 bis 16 Tsd. durchgeführten Beratungen pro Monat. Darüber hinaus haben im Jahr 2024 über 4.100 berufsorientierende Veranstaltungen stattgefunden. Die Rückmeldungen der Beratenen sind in den letzten Jahren konstant positiv (Schulnote „gut“ bis „sehr gut“, Weiterempfehlungsrate von über 80 Prozent).
Als eigenständiges Angebot für Beschäftigte und Wiedereinsteigende grenzt sich die BBiE vom Angebot der Berufsberatung vor dem Erwerbsleben (BBvE) ab, welches sich an Berufseinsteigende richtet. Mit beiden Angeboten verfügt die BA über ein umfassendes Angebot einer (erwerbs)lebensbegleitenden Berufsberatung mit dem je nach Lebenslage unterschiedliche Anliegen (Berufswahl, Berufswechsel, berufliche Weiterbildung, usw.) aufgegriffen werden können.
Zielgruppen der BBiE sind vorrangig Erwerbstätige, insbesondere mit niedriger Qualifikation, und Personen vor einem beruflichen Wiedereinstieg. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Analysen richtete sich das Angebot auch an Absolvent*innen aus Ausbildung und Studium am Übergang ins Erwerbsleben. Diese Personengruppe wird inzwischen nicht mehr aktiv angesprochen. Hintergrund ist eine Fokussierung auf Beschäftigte und Wiedereinsteigende. Bei Arbeitsuchenden und Arbeitslosen mit Bedarf nach beruflicher Orientierung und Beratung kann die jeweils zuständige Vermittlungsfachkraft die BBiE einschalten, wenn Fragen zur beruflichen Neuorientierung außerhalb des bisherigen beruflichen Tätigkeitsfeldes bzw. der bisherigen Branche auftreten.
Da das Aufsuchen einer Beratungsstelle bereits ein größerer Schritt ist, hat die BA als einen niedrigschwelligen Zugang zur beruflichen (Neu-)Orientierung und Weiterbildung begleitend das Online-Selbsterkundungstool New Plan entwickelt (s. hierzu auch Dohmen et al. 2023, 2024). Dieses ist im Jahr 2024 Teil des Nationalen Onlineportals für berufliche Weiterbildung („mein NOW“) geworden. „mein NOW“ stellt Information zu beruflichen Perspektiven bereit, bietet Online-Tests zum Ermitteln individueller Stärken und geeigneter Weiterbildungsangebote, hilft dabei, entsprechende Weiterbildungsangebote zu finden und informiert online über Förder- und Beratungsmöglichkeiten – also auch über die Möglichkeit, die BBiE zu nutzen.
Studie des IAB zur Nutzung im Jahr 2021
Eine tiefergehende Analyse dazu, wer das Beratungsangebot in Anspruch nahm, hat das IAB für das Jahr 2021 durchgeführt. Heusler et al. (2023) differenzieren bei einer Auswertung aller beratenen Personen zwischen solchen, die zum Zeitpunkt der Erstberatung a) sozialversicherungspflichtig beschäftigt, b) arbeitslos im Rechtskreis der Arbeitslosenversicherung (SGB III) oder c) in einem sonstigen Status waren. Datengrundlage waren u.a. neu erschlossene Forschungsdaten zur Berufsberatung für Zugänge des Jahres 2021. Die Untersuchung basiert auf Daten von 45.000 Beschäftigten, knapp 9.000 Arbeitslosen sowie rund 17.500 sonstigen Personen, die im Jahr 2021 mindestens einen ersten Beratungstermin wahrgenommen haben.
Die zentrale Zielgruppe der BBiE sind Beschäftigte, die im Jahr 2021 fast zwei Drittel der beratenen Personen ausmachten. Diese sind daher im Folgenden genauer beschrieben (s. auch Heusler et al. 2023, 2024). Hierfür erfolgt ein Vergleich der beratenen Beschäftigten mit einer repräsentativen Referenzgruppe von Personen, die am 1. Juli 2021 sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und sich nicht im Rahmen der BBiE haben beraten lassen.
Frauen und Teilzeitbeschäftigte nutzen die Beratung überproportional

Abbildung 1: Ausgewählte Merkmale der Beschäftigten in der BBiE sowie einer repräsentativen Referenzgruppe nicht-beratener Beschäftigter, Quelle: Heusler et al. (2023)
In Abbildung 1 wird ersichtlich, dass sich Beschäftigte, die die BBiE nutzten, und Beschäftigte aus der Referenzgruppe in Bezug auf ihre soziodemografischen Merkmale und ihre Erwerbshistorie deutlich unterscheiden. Mit 61 Prozent ist der Frauenanteil der beratenen Beschäftigten deutlich höher als der Frauenanteil in der Referenzgruppe, der bei 46 Prozent liegt. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass Teilzeitbeschäftigte mit 40 Prozent bei den beratenen Beschäftigten überrepräsentiert sind. Auch der Median des Bruttotagesentgelts bei den Beratenen (die eine Hälfte der Personen verdient mehr, die andere Hälfte weniger als der Median) war entsprechend deutlich niedriger als in der Referenzgruppe. Zudem fiel der Anteil an westdeutschen Beschäftigten und Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit in der Gruppe der Beratenen etwas höher aus als in der Referenzgruppe.
Auffällig ist zudem, dass die Beratenen deutlich jünger sind als die Beschäftigten in der Referenzgruppe. So waren 55 Prozent der Beratenen jünger als 36 Jahre, während dieser Anteil in der Referenzgruppe nur 29 Prozent beträgt. Lediglich 4 Prozent der Beratenen waren 56 Jahre und älter, wohingegen in der Referenzgruppe jede fünfte Person in dieser Altersgruppe angehört.
Der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Ausbildung unterscheidet sich nicht zwischen den beiden Gruppen und liegt bei 6 Prozent. Der Anteil der Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung liegt in der 74 Prozent in der Gruppe der Beratenen leicht über dem in der Referenzgruppe, bei der der Anteil 71 Prozent beträgt. Entsprechend haben Personen in der Referenzgruppe etwas häufiger einen Hochschulabschluss als Beschäftigte, die die Beratung in Anspruch nahmen. Zudem waren Beratene etwas häufiger in Jobs mit niedrigerem Anforderungsniveau tätig. Betrachtet man die letzten fünf Jahre vor dem Erstkontakt, wird deutlich, dass Beratene durchschnittlich seltener in Beschäftigung waren, länger arbeitslos und auf Arbeitslosengeld angewiesen waren und niedrigere kumulierte Einkünfte erzielten.
Überproportional lassen sich auch Beschäftigte aus kleineren Betrieben und aus dem Gesundheits- und Sozialwesen beraten

Abbildung 2: Ausgewählte Merkmale des Betriebs von Beschäftigten in der BBiE sowie einer repräsentativen Referenzgruppe nicht beratener Beschäftigter, Quelle: Heusler et al. (2023)
Abbildung 2 zeigt, wie sich Beratene bezüglich ausgewählter betrieblicher Merkmale von der Referenzgruppe unterscheiden. Beratene waren tendenziell eher in kleineren Betrieben beschäftigt: Nur jede*r vierte Beratene war in einem Betrieb mit 250 und mehr Beschäftigten tätig, wohingegen das für jede*n dritte*n Beratene*n in der Referenzgruppe gilt.
Außerdem werden Branchenunterschiede deutlich: Beratene Beschäftigte arbeiten überproportional in Betrieben im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Handel und dem Gastgewerbe. Da hier nur das Jahr 2021 betrachtet wird und Beschäftigte in diesen beiden Branchen besonders stark von der Covid19-Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen betroffen waren, könnte dies eine Erklärung für die höhere Nachfrage nach Beratung sein. Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe machen hingegen bei den Beratenen einen geringeren Anteil aus als in der Referenzgruppe.
Fazit und Ausblick
Die bisherigen Befunde weisen darauf hin, dass die BBiE die Zielgruppe der Beschäftigten erreicht: Zwei Drittel der Beratenen im Jahr 2021 waren zum Zeitpunkt der Beratung sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Insgesamt haben bei den Beschäftigten eher Personen mit niedrigerer Entlohnung, in Jobs mit einem niedrigeren Anforderungsniveau sowie in Teilzeit das Berufsberatungsangebot in Anspruch genommen. Zudem kommen die Beratenen eher aus kleineren Betrieben und aus bestimmten Branchen.
Das Interesse an einer Berufsberatung im Rahmen der BBiE scheint insbesondere bei Personen mit größerem beruflichen Verbesserungspotenzial sowie in kleineren Betrieben hoch zu sein. Die genauen Mechanismen hinter den beobachteten Selektionsprozessen lassen sich auf Basis der hier präsentierten Auswertungen allerdings nicht beantworten. Zudem ist zu bedenken, dass sich die Analyse auf das zweite Jahr der Einführungsphase der BBiE bezieht. Dieses Jahr war – wie bereits das Vorjahr – durch die Auswirkungen der Covid19-Pandemie geprägt, unter anderem durch Kontaktverbote und Agenturschließungen. Dies kann sowohl die Nachfrage nach dem Angebot generell als auch die Zusammensetzung der Gruppe der Beratenen beeinflusst haben.
Die skizzierten Befunde sind aber nur ein erster Teil in einem größeren Forschungsprogramm. Aktuell führt das IAB eine qualitative Studie durch, die der Frage nachgeht, wie die BBiE in die Weiterbildungs- und Berufsberatungslandschaft in Deutschland eingebettet ist. Zweitens untersucht das IAB, wie sich die Arbeitsmarktergebnisse – also zum Beispiel die Art der Erwerbstätigkeit und die Entlohnung – der im Jahr 2021 beratenen Personen bis Ende des Jahres 2022 entwickelt haben.
Die aktuell vorliegenden Befunde zur Inanspruchnahme der BBiE von Interessierten mit beruflichem Verbesserungspotenzial, bestätigen die Intention, die Dienstleistung an diese Personengruppe zu adressieren. Zugleich muss die Dienstleistung mit den aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt und orientiert an den individuellen Anliegen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Für anstehende Justierungen bei den beiden alleinigen Zielgruppen der BBiE bedeutet dies: Verstärkt werden Beschäftigte beraten, deren Arbeitsplätze unmittelbar von Transformation betroffen bzw. durch Strukturwandel gefährdet sind. Bei Wiedereinsteigenden werden Maßnahmen intensiviert, die Dienstleistung bekannter zu machen, um dadurch mehr Interessierte aus dieser Zielgruppe zu erreichen.
[i] Dieser Beitrag orientiert sich in Teilen an den Darstellungen in Heusler et al. (2024).
Literatur:
Dohmen, Thomas, Eva Kleifgen, Steffen Künn & Gesine Stephan (2024): Informationsschreiben erhöhen den Bekanntheits- und Nutzungsgrad des Berufsberatungs-Tools „New Plan“ merklich. IAB-Forum 28.02.2024
Dohmen, Thomas, Eva Kleifgen, Steffen Künn & Gesine Stephan (2024): „New Plan“, berufliche Weiterentwicklung und die Rolle von Informationen. IAB-Forschungsbericht 01/2024
Heusler, Anna, Julia Lang & Gesine Stephan (2023): Wer nimmt die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) in Anspruch? Eine Prozessdatenanalyse. IAB-Forschungsbericht 21/2023
Heusler, Anna, Julia Lang & Gesine Stephan (2024): Wer nutzt die „Berufsberatung im Erwerbsleben“ der Bundesagentur für Arbeit? IAB-Forum 24.1.2024