Peter Schäfer (Geschäftsführer des Bundesverbandes betriebliche Weiterbildung – Wuppertaler Kreis e.V. )
Qualifizierte Mitarbeiter sichern die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das deutsche Bildungssystem mit seinen drei Säulen der schulischen und der beruflichen Ausbildung sowie der Hochschulbildung sicherte in der Vergangenheit den Bedarf der Unternehmen an qualifizierten Fachkräften. Nach der Aufnahme der Beschäftigung in einem Unternehmen war es dann die Aufgabe der betrieblichen Weiterbildung, aufbauend auf den formalen Qualifikationen der Fachkräfte durch betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen ergänzende unternehmensspezifische berufliche Handlungskompetenzen zu vermitteln. Die von den Unternehmen initiierten betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen erweiterten und aktualisierten somit die bereits bestehenden fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Belegschaft. Ein Großteil der im Rahmen der Erstausbildung vermittelten Qualifikationen konnte mit diesen Updates versehen ein ganzes Erwerbsleben lang angewendet werden. Die betriebliche Weiterbildung war sozusagen das unternehmensspezifische i-Tüpfelchen.
In den letzten Jahren hat in der beruflichen Weiterbildung ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die vier D‘s – Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografischer Wandel und Deglobalisierung stellen die Unternehmen heute vor völlig neue Herausforderungen. Mit hoher Dynamik ändern sich die Umfeldbedingungen von Unternehmen, die lange stabil und verlässlich waren. Im Rahmen der Globalisierung über Jahrzehnte aufgebaute Wertschöpfungsketten werden durch die geopolitische Blockbildung hinterfragt und müssen zwecks Derisking oft vollständig umgestaltet werden. Der Ersatz des Global Sourcings durch Friendshoring, der Auslagerung von Unternehmensprozessen ausschließlich auf Länder, mit denen man gemeinsame Werte teilt, muss dabei unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden. In den ingenieurgetriebenen deutschen Unternehmen, die auf präzise Planung, Sorgfältigkeit und Gründlichkeit ausgelegt sind, werden neue Soft Skills der Mitarbeiter plötzlich erfolgsentscheidend.
Ein klarer Fokus der betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen liegt mittlerweile auf der Vermittlung solcher Soft Skills: Persönlichkeitsentwicklung ist mit 45 % aller Weiterbildungsmaßnahmen erstmals das wichtigste Themenfeld. Resilienz, Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit sind in Unternehmen, die rasantem Veränderungsdruck unterliegen, stark gefragt. Dagegen rücken klassische Qualifikationen in den Bereichen Technik und Produktion mit rund einem Drittel der Bildungsmaßnahmen in den Hintergrund. Der Future Skills Report 2.0 in der Chemieindustrie weist aus, dass IT- und EDV-Anwendungen bereits wieder weniger gefragt sind. Viele Unternehmen haben hier schon ein hohes Digitalisierungsniveau erreicht und konzentrieren sich nun verstärkt auf zwischenmenschliche Kompetenzen und nachhaltige Themen auf dem Weg zur Green Economy. Im Bereich der Green Skills sind deutsche Chemieunternehmen sogar weltweit führend.
Betriebliche Weiterbildung als Königsdisziplin des deutschen Bildungssystems
In den vergangenen Jahren haben mehrere Faktoren dazu beigetragen, dass die betriebliche Weiterbildung sich immer mehr zur Königsdisziplin des deutschen Bildungssystems entwickelt hat. Die Dynamik der Veränderungsprozesse in der Wirtschaft hat dazu geführt, dass die Halbwertszeit beruflicher Qualifikationen immer schneller geworden ist und ganze Berufsbilder wegfallen sind oder grundlegendem Neuordnungsdruck unterliegen. Berufsbilder wie der Kfz-Mechatroniker werden überflüssig, wenn mit der Umstellung auf Elektromobilität in PKW weder Verbrennungsmotoren noch Getriebe weiter Verwendung finden. Für das Smartphone auf Rädern sind vielmehr Batterietechnologie, Bordnetz, Konnektivität bis zum autonomen Fahren und Edutainmentsystem ausschlaggebend und entsprechende IT-Skills der Mitarbeitenden sind gefragt. Auch wo auf dem Weg zur Produktion von Green Steel Hochöfen Direktreduktionsanlagen weichen und Wasserstoffnetzwerke aufgebaut werden müssen, werden alte Berufsbilder redundant und neue berufliche Qualifikationen müssen der Belegschaft vermittelt werden.
Ein weiterer Faktor ist die abnehmende Qualität der beiden Säulen Schule und berufliche Ausbildung im deutschen Bildungssystem. Rund 52.000 Schulabgängerin oder Schulabgänger verlassen die Schulen in Deutschland pro Jahr ohne Hauptschulabschluss. Das entspricht rund 7 Prozent aller Schulabgänger. Eine steigende Anzahl von Schülern hat bei den Grundkompetenzen Schreiben, Lesen, Rechnen Defizite, so dass eine Ausbildungsreife nicht immer gegeben ist. Die Anzahl der Personen zwischen 20 und 34 Jahren ohne einen qualifizierten Berufsabschluss steigt kontinuierlich und liegt mittlerweile bei 2,9 Millionen Menschen. Gleichzeitig sinkt auf Grund des demografischen Wandels die Anzahl der Bewerber auf einen Ausbildungsplatz insgesamt. Während immer mehr Menschen Jahr für Jahr aus dem Berufsleben ausscheiden, sinkt die Zahl der Berufseinsteiger. Deutlich mehr Menschen verlassen also den Arbeitsmarkt als neue Arbeitskräfte nachrücken können.
Fluchtmigration und Erwerbsmigration können neben der Aktivierung der Erwerbspersonenpotenziale im Inland dazu beitragen, die Fachkräftelücke zu schließen. In beiden Fällen kommt der betrieblichen Weiterbildung eine große Rolle zu, denn nur ein geringer Anteil ausländischer Fachkräfte hat gemessen an den deutschen Referenzberufen die volle Gleichwertigkeit. In der Regel müssen sowohl Anpassungsqualifizierungen als auch Fach- und Berufssprachkurse erfolgreich durchlaufen werden bis die Arbeitsaufnahme in dem erlernten Beruf in Deutschland möglich ist. Auch bei Erwerbspersonen, die dem Arbeitsmarkt über längere Zeit nicht zur Verfügung standen, ist im Regelfall eine Qualifizierungsmaßnahme vor einer erfolgreichen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich.
Die Aufgaben, die die berufliche Weiterbildung im Rahmen der Fachkräftesicherung übernimmt, werden immer umfangreicher und vielseitiger. Berufliche Qualifizierung im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung ist sowohl ein Schlüsselfaktor für die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen als auch für die Umsetzung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben. Um in der dynamischen Transformation ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten investieren Unternehmen seit Jahren – mit Ausnahme der Corona-Delle – kontinuierlich mehr in die betriebliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Im Jahr 2022 investierte die deutsche Wirtschaft die Rekordsumme von 46,4 Milliarden Euro in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und damit real 2,3 Prozent mehr als vor der Pandemie (2019). Die Investitionen in Weiterbildung betrugen im Durchschnitt 1.347 Euro pro Mitarbeiter. Die Quote der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Weiterbildungen anbieten, liegt nach dem IW Weiterbildungsmonitor bei 93 Prozent. Die betriebliche Weiterbildung ist essenziell für die Sicherung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Sie liegt damit in der Verantwortung der Arbeitgeber und der Betriebe.
Die Rolle der geförderten Weiterbildung der Bundesagentur für Arbeit
Bei der Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben kommt der Bundesagentur für Arbeit eine zentrale Rolle zu. Während in der Vergangenheit die Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit in der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik lag und sich auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohte Arbeitnehmende richtete, fand beginnend mit der Umsetzung des Qualifizierungschancengesetzes eine Ausweitung der Tätigkeit auf die Beschäftigtenförderung statt. Mit dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel (Arbeit-von-morgen-Gesetz) und dem Weiterbildungsgesetz wurde diese Beschäftigtenförderung schrittweise auf eine breitere Basis gestellt und Weiterbildung und Qualifizierung gegenüber der unmittelbaren Arbeitsvermittlung gestärkt. Mit dem Bürgergeldgesetz wurde der beruflichen Qualifizierung sogar der Vorrang vor der Arbeitsvermittlung eingeräumt.
Durch die Erweiterung der Beschäftigtenförderung auch auf mittelbare Arbeitslosigkeitsrisiken umfasst das Portfolio der potenziell förderfähigen Weiterbildungsmaßnahmen heute Beschäftigte ohne oder mit nicht mehr verwertbarem Berufsabschluss, Berufseinsteiger und Arbeitnehmer die aufgrund des Strukturwandels, der digitalen oder der ökologischen Transformation von einem überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeitsrisiko betroffen sind. Trotz der Ausweitung auf immer neue Felder der Beschäftigtenförderung nimmt sich die geförderte Weiterbildung der Bundesagentur für Arbeit im Vergleich zur privatfinanzierten betrieblichen Weiterbildung der Unternehmen vergleichsweise gering aus. Im Jahr 2023 lagen die gesamten öffentlich geförderten Weiterbildungsmaßnahmen bei rund 1,9 Mrd. Euro.
Fokus der geförderten Weiterbildung ist nicht, die Kenntnisse der Arbeitssuchenden oder der Beschäftigten auf den neuesten Stand zu bringen, sondern die Beschäftigungsfähigkeit wieder herzustellen oder das Minimalziel zu verfolgen, diese bei Beschäftigten zu sichern. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Transformation sichert dies nicht. Daher ist das Interesse der Unternehmen an geförderten Arbeitsmarktdienstleistungen oft gering, während Angebote wirtschaftsnaher privater Weiterbildung in vielen Unternehmen heute zum Standard gehören, indem sie den digitalen und ökologischen Strukturwandel durch praxisgerechte Fachkräftequalifizierung vorantreiben.
Die rasante Transformation stellt auch das klassische Förderinstrumentarium der Bundesagentur für Arbeit unter Transformationsdruck. Fällt die Diskrepanz zwischen dem Angebot an Förderinstrumenten der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik und dem Bedarf der Unternehmen zu groß aus, sinkt die Akzeptanz und der Veränderungsdruck steigt. In der Vergangenheit ist der Gesetzgeber sinkender Nachfrage nach Förderinstrumenten stets mit einer Ausweitung von Förderprogrammzahl und -umfang begegnet. Eine immer ausdifferenziertere Förderkulisse führt jedoch zu Intransparenz, Komplexität und höherem administrativen Aufwand pro Teilnehmenden. Als Resultat der Angebotsausweitung sank die Akzeptanz weiter und es wurde für die Bildungsträger immer schwieriger die geförderte Mindestteilnehmerzahl von 12 Personen für eine Weiterbildungsmaßnahme zu erreichen.
Die kontinuierliche Ausweitung auf neue Beschäftigtengruppen führt ferner zu Mitnahmeeffekten durch die Unternehmen, denn die Frage, welche Arbeitnehmenden von technologischen Veränderungen mittelbar betroffen sein könnten, lässt sich wissenschaftlich kaum trennscharf beantworten. Dies wird am Beispiel des aktuellen KI-Hypes deutlich. Je nach Studie liegt das potenzielle Verdrängungspotenzial von Large Language Models wie ChatGPT oder Copilot für einigen Berufsbilder bei 100 Prozent. Insbesondere in der Beschäftigtenförderung besteht damit das Risiko von Fehlsteuerungen und unbeabsichtigten Nebenwirkungen, denn die Ausweitung der geförderten Weiterbildung verdrängt durch Mitnahmeeffekte die Angebote von privaten Bildungsträgern und greift damit in funktionierende private Bildungsmärkte ein. Die Überschneidungen zwischen geförderten Weiterbildungen mit Bezug zu Künstlicher Intelligenz und den Angeboten der privaten Bildungsanbieter verdeutlichen dies.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Weiterbildung als Gamechanger
Der Einsatz von KI und Digitalisierung in der betrieblichen Weiterbildung lässt die Schere zwischen geförderter Weiterbildung und privater betrieblicher Weiterbildung zukünftig auseinander gehen. Betriebliche Weiterbildungen dienen dazu, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer dynamischen Wirtschaftslandschaft zu erhalten. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern und die Mitarbeitenden auf dem neuesten Stand der Technologien und Arbeitsabläufe zu halten. Eine betriebliche Weiterbildung kann in verschiedenen Lernformaten umgesetzt werden und innerhalb oder außerhalb eines Unternehmens stattfinden.
Der rasante Wandel der Arbeitswelt führt dabei auch zu neuen Priorisierungen in der betrieblichen Weiterbildung. Während in der Vergangenheit Präsenzschulungen die bevorzugten Lernformate waren, sind mit Homeoffice und gesteigerter Bedeutung der Work-Life-Balance der Beschäftigten rein digitale und hybride Formate auf dem Vormarsch. Präzenzschulungen befriedigen zwar das Bedürfnis nach persönlichem Austausch, führen aber zu längeren Abwesenheiten vom Arbeitsplatz oder dem Betrieb und verursachen hohe Kosten durch Reisen und Übernachtungen. In der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt ist die Akzeptanz von digitalen Lernangeboten in der Wirtschaft daher stark gestiegen.
Der Zugang zu Weiterbildungen, die von Arbeitsagenturen, Jobcentern oder zugelassenen kommunalen Trägern gefördert werden, unterliegt in Deutschland einer Zugangsbeschränkung. Geregelt wird dieser Zugang durch die Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung – AZAV). Grundlage der AZAV ist das Dritte Sozialgesetzbuch. Dem AZAV-Beirat, einem gesetzlich in § 182 SGB III verankerten Gremium, das aus Vertreterinnen und Vertretern aller am Zulassungsverfahren Beteiligten besteht, kommt dabei die Rolle zu, Empfehlungen zur Umsetzung und Auslegung der AZAV auszusprechen, die bindenden Charakter für die Marktakteure in der geförderten Weiterbildung haben. Nach den Empfehlungen des Beirates sind derzeit nur synchrone Bildungsmaßnahmen, also solche, bei denen ein Dozent entweder in Präsenz den Teilnehmenden gegenübersteht oder im Rahmen eines digitalen Klassenzimmers zumindest in virtueller Form, förderfähig. Asynchrone Formate sind von der Förderung aus Qualitätssicherungsgründen ausgeschlossen. Die Diskussion, die förderfähigen Lernformate an die Entwicklung der technologischen Möglichkeiten und den Bildungsmarkt anzupassen, hat im Beirat gerade erst begonnen. Anpassungen der Empfehlungen geht in der Regel ein jahrelanger Meinungsbildungsprozess im AZAV-Beirat voraus. Damit droht die Digitalisierung im Bildungsmarkt der geförderten Weiterbildung – vor allem in der Beschäftigtenqualifizierung – zu enteilen.
Run harder, run faster – Die Zukunft der betrieblichen Weiterbildung ist digitaler und individueller
Die Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) werden die betriebliche Weiterbildung revolutionieren. Wer als Unternehmen wettbewerbs- und zukunftsfähig bleiben will, muss seine Mitarbeitenden in digitalen Technologien und KI qualifizieren. Bereits heute nutzt ein signifikanter Teil der Berufstätigen regelmäßig Weiterbildungen zu digitalen Technologien. KI-gestützte Lernformate ermöglichen individualisierte Lernpfade und erhöhen die Effizienz des Lernens. Inhaltlich sind neben die Vermittlung der technischen Fähigkeiten längst auch die Schulung von Soft Skills und zwischenmenschlichen Kompetenzen getreten. Integriertes Lernen und Arbeiten werden in der Beschäftigtenförderung weiter zunehmen. Im Sinne des lebenslangen Lernens wird Weiterbildung ein fester Bestandteil des Arbeitsalltags werden. Der Fachkräftemangel auch beim Weiterbildungspersonal wird die Verbreitung des Einsatzes von KI als Werkzeug zur Effizienzsteigerung im Corporate Learning begünstigen. Eine Reihe von Unternehmen und Bildungsträgern setzt bereits KI-Tools wie ChatGPT oder Copilot ein. Die niedrigen Einstiegshürden und die praktischen Einsatzmöglichkeiten machen KI für viele Berufstätige attraktiv. In dieser Zielgruppe besteht der Wunsch, KI nicht nur zu verstehen, sondern aktiv im beruflichen Kontext zu nutzen. Die Anzahl gebuchter Schulungen zu effektivem Prompting ist ein Beleg für diese Entwicklung.
Sowohl bei Beschäftigten als auch bei Unternehmen steigt der Wunsch nach individualisierten Lernformaten mit Leistungsnachweisen. Berufstätige wünschen sich dabei modulare Lernangebote, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind und deren Lerninhalte flexibel im eigenen Tempo und zeitlich unabhängig abgearbeitet werden können. Mit KI-basierten Lernlösungen können individualisierte Lernpfade gestaltet werden. Durch den modularen Aufbau lassen sich diese gut in den Arbeitsalltag integrieren. Bereits heute hat KI Aufnahme in den beruflichen Alltag und in die betriebliche Weiterbildung gefunden. Die Qualifizierung von Ärzteteams oder die Montage von Off-Shore-Windparks in Virtual Reality vor dem Einsatz in der Praxis ist längst keine Zukunftsvision mehr. Neue KI-gestützte Angebote verändern die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden weiterqualifizieren.
Die formale betriebliche Weiterbildung ist bisher geprägt von Lernangeboten, die auf wissens- und qualifikationsbezogenen Lehrplänen basieren. Moderne KI-gestützte Lernplattformen ermöglichen dagegen eine selbstorganisierte Lernplanung. Auf der Basis der Kompetenzmessung der Beschäftigten kann die KI Vorschläge für die Auswahl von Mitarbeitenden für bestimmte Weiterbildungsmaßnahmen als auch individuelle Lernpfade, Lernziele und Lernmaßnahmen für diese Beschäftigten entwickeln, die die Mitarbeitenden eigenverantwortlich anpassen und selbstorganisiert umsetzen können.
Learning Experience Platforms (LXP) sind KI-gesteuerte Lern- und Arbeitsumgebungen, die dieses selbstorganisierte Lernen ermöglichen. Auf die Bedarfe der Lernenden zentrierte Plattformen sind dabei so gestaltet, dass sie der Individualität und Eigenverantwortung der Beschäftigten Rechnung tragen. Die Lernenden werden durch die KI dabei unterstützt, arbeitsplatzbezogene Erfahrungen aus der Praxis aufzubereiten und gemeinsam mit Lernpartnern weiterzuentwickeln. Die menschliche Lernbegleitung wird durch KI-basierte virtuelle Assistenten ergänzt, wobei das pädagogische Weiterbildungspersonal entlastet wird. Durch Training-on-the-job wird bei den Lernenden eine hohe und nachhaltige Lernmotivation erreicht. Damit verschmelzen Herausforderungen im Arbeitsprozess mit Lösungen, die im Rahmen der individuellen Weiterbildung entwickelt werden. Weiterbildung erfolgt, wenn die Arbeitssituation es erfordert und nicht, wenn der Bildungsanbieter einen Seminarblock schaltet.
Nach der jüngsten Skillsoft-Studie wünschen sich Beschäftigte Blended-Learning-Lernangebote, die den Aufbau von beruflicher Handlungskompetenz ermöglichen und die sich als Kombination aus interaktiven und erfahrungsorientierten Angeboten sowie Live-Schulungen mit Dozierenden zusammensetzen. Auch Gruppentraining, Mentoring und Coaching gehören zu den Schlüsselkomponenten eines integrativen Lernprogramms.
Veränderungsbedarf in der geförderten Weitebildung
Während das Corporate Learning sich– in zunehmendem Maße auch dank künstlicher Intelligenz – zu dynamischen mitarbeiterzentrierten plattformgestützten Lernwelten entwickelt, hält die geförderte Beschäftigtenqualifizierung an über viele Jahre entwickelten Qualitätsstandards fest, die der Transformation der Wirtschaft und dem Wandel in der Beschäftigtenqualifizierung hin zu individualisierten bedarfsorientierten Lernwelten nicht Rechnung tragen. So wird die Divergenz zwischen Arbeitsmarktdienstleistungen und unternehmensbezogenen Bildungsdienstleistungen, die Digitalisierung, KI-Einsatz und Data Mining in der Personalentwicklung aktiv umsetzen, im Zeitablauf immer größer.
Das Risko, dass Bildungsangebote der AMDL, die sich im engen Korsett der AZAV und der Bundes-Durchschnittskostensätze (B-DKS) bewegen müssen, am Bedarf von Beschäftigten und der Unternehmen vorbeilaufen, wird damit steigen. Die Sicherung nachhaltiger Beschäftigungsfähigkeit erfordert in der dynamischen Wirtschaftswelt und sich ständig verändernder Umfeldbedingungen Agilität von den Unternehmen und lebenslanges Lernen von Führungskräften und Belegschaft. Die Betriebliche Weiterbildung wird die wettbewerbsentscheidende Königsdisziplin des Bildungssystems – auch weil vorgelagerte Stufen des Bildungssystems den ihnen zugedachten Bildungsauftrag nicht mehr vollständig erfüllen.
Für die geförderte Weiterbildung der Bundesagentur für Arbeit besteht damit zunehmender Reformbedarf.
- Priorisierung der Finanzierung: Vor dem Hintergrund der zunehmenden Aufgabenvielfalt im Bundeshaushalt durch Energiewende, Verteidigung, Digitalisierung und Infrastrukturerneuerung ist eine Erhöhung der Haushaltsmittel für die BA mit dem Ziel neue zusätzliche Förderinstrumente zu entwickeln, um mehr Menschen die Möglichkeit zur Weiterbildung zu bieten, nicht realistisch. Vielmehr muss die Förderkulisse vereinfacht werden, um sich auf weniger – aber finanziell besser ausgestattete Förderinstrumente – zu konzentrieren. Es gibt aktuell zu viele ausdifferenzierte Förderinstrumente, zu viele zuständige Stellen und damit zu viele Personalkapazitäten, die in den Verwaltungen zur Administration der kleinteiligen Instrumente gebunden werden.
- Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten: Förderinstrumente wie das zum 1. April 2024 neu eingeführte Qualifizierungsgeld sind zu bürokratisch, für Verwaltung und Unternehmen zu schwer zu administrieren und schließen durch das Erfordernis der Tarifbindung KMU systematisch aus. Entsprechend gering ist die bisherige Resonanz aus der Wirtschaft. Der Zugang zu den Förderprogrammen muss vereinfacht werden, Förderbedingungen und Förderumfang müssen bei Antragstellung bereits transparent ersichtlich sein und der Dokumentationsaufwand möglichst gering sein. Die Förderbedingungen sollten flexibler gestaltet werden, um unterschiedliche Bildungsbedürfnisse besser abbilden zu können. Derzeit führen geringfügige Änderungen im Rahmen der Beteiligung an Vergabeverfahren bereits zum Ausschluss. Für KMU ist die Mindeststundenzahl von 120 Stunden immer noch eines der Hauptzugangshemmnisse. Gerade KMU können längere Abwesenheitszeiten vom Betrieb für Weiterbildungsmaßnahmen mit ihrer dünnen Personaldecke nicht abbilden.
- Stärkung der Beratungsangebote: Um die Effektivität und Reichweite der geförderten Weiterbildung zu verbessern, ist eine bessere Beratung und Unterstützung für KMU erforderlich, um den Bekanntheitsgrad der Förderinstrumente zu steigern. Hierzu gehört auch die Beratung von KMU bezüglich lern- und kompetenzfördernder Arbeitsbedingungen im digitalen Zeitalter sowie der Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Lernformen und der didaktisch sinnvollen Einbettung in eine Qualifizierungsstrategie der KMU.
- Mehr Mut zu innovativen, praxisgerechten Förderinstrumenten und Lernformaten: Weiterbildung wird digitaler und mittels KI auch intelligenter, flexibler und individueller skalierbar. Diesen Weg muss auch die geförderte Weiterbildung beschreiten, um zukunftsfähige Weitebildungen zu entwickeln. Auch das Berufsvalidierungsgesetz schafft neue Wege für die Visualisierung non-formal erworbener fachlicher Handlungskompetenz. Gerade da, wo das Validierungsverfahren seine größte Praxisrelevanz entwickeln kann – in der Fachkräfteeinwanderung – ist der Einsatz nicht vorgesehen. Dabei sind gerade dort non-formalen Kompetenzen besonders häufig anzutreffen und das Validierungsverfahren könnte den Weg in die Arbeitsmarktintegration verkürzen.
- Intensivierung und Flexibilisierung der Zusammenarbeit mit Unternehmen: Kooperationen zwischen Bildungsträgern und Unternehmen im Rahmen der geförderten Weiterbildung sollten vertieft werden. Durch eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen wird sichergestellt, dass die Weiterbildungsangebote sich auch an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert und die Bildungsangebote auf den Bedarf von Unternehmen ausgerichtet sind.
Fazit
Steigender Transformationsdruck bedingt steigenden betrieblichen Weiterbildungsbedarf. Die betriebliche Weiterbildung wandelt sich ebenso wie die Unternehmen. Neue Organisationsmodelle wie die Dynamic Shared Ownership (DSO) zielen auf flachere Hierarchien, beschleunigte Entscheidungsprozesse, weniger Bürokratie und höhere Agilität ab, damit die Unternehmen im dynamischen Wettbewerb Bestand haben. Das stellt höhere Anforderungen an die Mitarbeitenden, schafft aber auch größere Freiheitsgrade, die von den Mitarbeitenden genutzt werden können und sollen.
Um den notwendigen Veränderungsprozess zu gestalten genügt es nicht, Learning-Experience- Plattformen und Tools für die Mitarbeitenden zu entwickeln, sondern die Unternehmen müssen die notwendigen Soft Skills, die eine grundlegend veränderte Lernkultur der Selbstorganisation ermöglichen, aktiv an ihre Belegschaft vermitteln. Neue Lernformate, Technologien wir KI und Virtual Reality werden dabei in der betrieblichen Weiterbildung mehr und mehr Verbreitung finden. Die Sozialpartner können den Weg in die betriebliche Weiterbildung 2.0 durch tarifvertragliche und betriebliche Vereinbarungen sinnvoll gestalten.
Zu beachten ist dabei, dass der Markt für betriebliche Bildungsdienstleistungen überwiegend von kleinen und mittelgroßen Unternehmen geprägt ist, die ihre Dienstleistungen unmittelbar für die Personalentwicklungsbedarfe der Unternehmen anbieten. Staatliche Eingriffe in die betriebliche Weiterbildung, indem z.B. Weiterbildungsinhalte und Umfang nicht am betrieblichen Bedarf festgelegt werden, sondern primär arbeitsmarktpolitische Ziele verfolgen, führen zu Fehlanreizen und belasten die Innovationsfähigkeit der Unternehmen.
Staatlich geförderte Weiterbildung ist immer dann sinnvoll, wenn der Markt keine Lösungen schafft, also Marktversagen vorliegt oder das Gemeinwohl im Vordergrund steht. Eine solche Aufgabe ist liegt beispielsweise in der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und der aktiven Arbeitsmarktintegration von Benachteiligten. Die Beschäftigtenqualifizierung der BA greift hingegen in betriebliche Verantwortungsbereiche ein. Es gehört zur ureigensten Verantwortung der Unternehmen, dass diese die Finanzierung für ihre personalwirtschaftlichen Maßnahmen selbst übernehmen. Nur durch Investition in Weiterbildung und Personalentwicklung können Unternehmen ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern.
Über Fördermöglichkeiten für betriebliche Weiterbildung, wie sie z.B. mit dem Qualifizierungsgeld umgesetzt worden oder mit der Bildungsteilzeit immer wieder diskutiert werden, wird der unmittelbare Zusammenhang der betrieblichen Weiterbildung für betriebliche Aufgaben mit arbeitsmarktpolitischen Motiven vermischt.
Bei einer stärkeren finanziellen Förderung wird betriebliche Weiterbildung damit nicht mehr als originäres Aufgabenfeld der unternehmerischen Personalentwicklung verstanden, sondern es besteht die Gefahr, dass der Anreiz der finanziellen Förderung der Weiterbildung die unternehmerische Entscheidung überlagert. Solche Fehlanreize sollten vermieden werden.
Die betriebliche Weiterbildung in Deutschland wird zunehmend eine zentrale Rolle für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen spielen. Die neuen Lerndesigns des Corporate Learnings sind auch für die geförderte Weiterbildung maßgeblich.
Die Bundesagentur für Arbeit wird ihre Arbeitslosen- und Beschäftigtenqualifizierung an die Bedarfe der Kunden anpassen müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Ebenso wie Unternehmen durch einen gezielten Veränderungsprozess in der Lernkultur und der Beschäftigtenqualifizierung ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und ihre Mitarbeitenden auf die Herausforderungen der digitalen Transformation vorbereiten, ist dies auch für die Weiterentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumentariums der BA erforderlich. Eine Konzentration auf die Kernkompetenz der Arbeitsvermittlung und auf weniger – aber effektivere Förderinstrumente wäre dabei sinnvoll.