Professor Dr. Felix Rauner (Professor und ehemaliger Leiter des Instituts für Technik und Bildung, Bremen)

Professor Dr. Felix Rauner (Bremen) erforscht und begleitet seit Jahrzehnten die duale Berufsausbildung und die Berufsausbildungssysteme in Deutschland, der Schweiz und Österreich und anderen Ländern. Rauner fordert seit langem zusätzlich zum allgemeinbildenden Schulsystem ein eigenständiges duales Ausbildungssystem.

Gerhard Endres stellte Professor Dr. Felix Rauner einige grundsätzliche Fragen.

Herr Professor Rauner, Wie ist die aktuelle knappe Lage der dualen Berufsausbildung in Deutschland?

Die duale Berufsausbildung ist in Deutschland geregelt im Berufsbildungsgesetz (BBiG). Dieses Gesetz ist kein Bildungsgesetz, sondern ein Wirtschaftsgesetz, da in Deutschland die Bundesländer über die Kulturhoheit – und damit auch für die Steuerung und Gestaltung der beruflichen Bildung am Lernort Berufsschule – zuständig sind. Nach dem BBiG ist der Bund zuständig für die Entwicklung der Ausbildungsberufe, die Ausbildungsordnungen und vor allem für das Prüfungswesen der dualen Berufsausbildung. Der Lernort Berufsschule gerät damit in die Abhängigkeit des BBiG: Er ist der „Juniorpartner“ des dualen Systems.

Trotz so mancher Schwachpunkte: Wie beschreiben Sie die Stärke der dualen Berufsausbildung in Deutschland?

Trotz dieser Schwäche der deutschen Variante des dualen Systems verfügt die Berufsschule mit ihren hochschulisch ausgebildeten Lehrkräften über die Fähigkeit, das höchste der drei Niveaus des beruflichen Handlungswissens zu vermitteln, das handlungsreflektierende Wissen:

  • Niveau 1: handlungsleitende Wissen (Know-that)
  • Niveau 2: handlungserklärendes Wissen (Know-how)
  • Niveau 3: handlungsreflektierendes Wissen: (Know-why).

Der Lernort Betrieb beschränkt sich i. d. R. auf die Vermittlung des handlungsleitenden Wissens: Know-that. Dieses Wissen eignen sich die Auszubildenden beim Erlernen des beruflichen Könnens im Arbeitsprozess an.

Sie fordern wirkliche Reformen der dualen Berufsausbildung in Deutschland. Was sind ihre wichtigsten Forderungen?

Die Etablierung einer dualen Berufsausbildung mit zwei gleichwertigen Lernorten (Schule und Betrieb) erfordert ein ‚echtes‘ Berufsbildungsgesetz. Dies setzt in Deutschland eine entsprechende Regelung im Grundgesetz voraus, mit der dem Bund die entsprechenden Kompetenzen für die Steuerung und Gestaltung der beruflichen Bildung übertragen werden. Deutschland könnte sich dabei an der dualen Berufsbildung der Schweiz orientieren.

Sie fordern ein modernes Berufsbildungssystem: Wie formulieren Sie ihr Leitbild der dualen Berufsausbildung der Zukunft?

Das Leitbild der modernen Berufsbildung wurde bereits 1991 von der Kultusministerkonferenz vereinbart: „die Befähigung zur (Mit)Gestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökologischer und ökonomischer Verantwortung“. Die Implementation dieser Leitidee kann nur gelingen, wenn das Wirtschaftsgesetz (BBiG) durch ein echtes Berufsbildungsgesetz ersetzt wird. Eingang hat diese Leitidee bereits in das internationale Netzwerk COMET (COMpetnce diagnostics in vocational Education and Training) gefunden. Begründet wurde diese Leitidee von RAUNER 1988: Die Befähigung zur (Mit)Gestaltung von Arbeit und Technik als Leitidee beruflicher Bildung. In: Heidegger, G.; Gerds, P.; Weisenbach, K. (Hg.): Gestalten von Arbeit und Technik – Ein Ziel beruflicher Bildung. FfM: Campus. 32-50 Die Überlagerung der Unternehmensfunktionen durch eine geschäftsprozessorientierte Arbeitsorganisation und die Realisierung einer flachen Unternehmensstruktur erlaubte eine Ablösung der top-down-Managementstruktur durch eine partizipative Unternehmensleitung. Dieser Wandel in der Organisation betrieblicher Prozesse trug ganz entscheidend zur Erhöhung der betrieblichen Flexibilität sowie der flexiblen Spezialisierung im Produktionsprozess – und damit zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität – bei. Die von der Massenproduktion geprägte Ökonomie wurde von einer auf dem internationalen Qualitätswettbewerb basierenden Ökonomie verdrängt. Dieser Strukturwandel forderte die Berufsbildungsplanung zur Rücknahme der horizontalen und vertikalen Arbeitsteilung bei der auf die Mitgestaltung der Arbeitswelt zielenden schlanken Produktion heraus.

Autor

  • Der gelernte Elektrotechniker hat nach einem Studium an der Pädagogischen Hochschule Berlin zwei Jahre als Berufsschullehrer und danach als Abteilungsleiter am heutigen Bundesinstitut für Berufsbildung gearbeitet. 1978 trat er die Professur für die berufliche Fachrichtung Elektrotechnik-Informatik und Berufspädagogik an der Universität Bremen an. Dort war er 1986 einer der vier Gründer des Institut Technik und Bildung (ITB), das heute zu den größten und wichtigsten Berufsbildungsforschungseinrichtungen weltweit gehört. Felix Rauner war es immer ein Anliegen, seine Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft für Themen der Berufsbildung zu sensibilisieren und so Verbesserungen der Berufsausbildung in Schule und Betrieb herbeizuführen. Bis zu seiner Pensionierung 2006 hat er die Arbeit unseres Institutes maßgeblich geprägt und vorangetrieben, seine Überlegungen und Ideen wirken aber weit über das ITB hinaus. Auch nach seinem Ausscheiden ist Felix Rauner ein unermüdlicher Streiter für die duale Berufsausbildung und für die Berufsbildungsforschung geblieben, der sich immer wieder auch in politische und gesellschaftliche Diskussionen einmischt.

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