Dr. Jana Trumann (Professorin für Erziehungswissenschaft / Erwachsenenbildung an der PH Ludwigsburg)

Demokratiegefährdende Einstellungen

Demokratiegefährdende Einstellungen sind ein gesamtgesellschaftliches Problem und in vielen Lebensbereichen aufzufinden, so auch in der Arbeitswelt. ‚Rechte‘ Akteur*innen versuchen, Einfluss zu gewinnen und sind in verschiedenen Betrieben und Branchen aktiv. Um dem entgegenzuwirken und eine demokratische Grundhaltung zu stützen, kommt politischer Bildung eine wichtige Rolle zu. Ihre Orte und Institutionen erreichen mit ihren bisherigen Formaten die Menschen jedoch noch nicht ausreichend. Hier gewinnen Konzepte ‚aufsuchender Bildungsarbeit‘ zunehmend an Gewicht, die ihre Bildungsaktivitäten aus den Bildungshäusern hinausverlagern und ihre Aktivitäten an den lebensweltlichen Problemstellungen und den Interessen der Menschen orientiert vor Ort, in den Stadtteilen, den Arbeitsstätten usw.  initiieren. Sie sind ein sinnvolles Mittel, um mehr Menschen als die bereits der politischen Bildung zugewandten Personengruppen zu erreichen.

Das Projekt

Das Projekt „Demokratisch ist man nicht allein – Trägernetzwerk politische Bildung in der Arbeitswelt“ – ein von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördertes Kooperationsprojekt des DGB, des DGB Bildungswerks Bund und der Universität Duisburg-Essen mit einer Laufzeit vom 1. Februar 2021 bis zum 31. Dezember 2023 — hat diese Perspektive aufgenommen und den Blick auf Arbeitsumgebungen (Betriebe, Dienststellen etc.) als bedeutsame Lernorte Erwachsener und mögliche Orte der Ansprache von Arbeitnehmenden für politische Bildungsaktivitäten gerichtet. Das Projekt umfasst zwei Bausteine: Zum einen eine kritische Analyse vorhandener aufsuchender Bildungsaktivitäten der DGB-Mitgliedsgewerkschaften, von Arbeit und Leben und der DGB-Bildungswerke durch die Universität Duisburg-Essen in der ersten Projektphase. Hierfür wurde ein explorativ-qualitatives Forschungsdesign mit einer Kombination aus Programmanalyse, Expert*innengesprächen, vertiefenden Interviews und teilnehmenden Beobachtungen gewählt. Zum anderen wurde ein Trägernetzwerks aufgebaut, welches den fachlichen Austausch, sowie die (Weiter-)Entwicklung und Erprobung von Bildungskonzeptionen und -materialien aufsuchender Aktivitäten in der Arbeitswelt fördert.

Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie zeigen, dass aufsuchende politische Bildungsarbeit in der Arbeitswelt neben den herkömmlichen Formaten gesellschaftspolitischer Bildung einen wichtigen Beitrag zur Demokratiestärkung, gesellschaftlicher Teilhabe und zu gesellschaftlichem Zusammenhalt leisten. Aufsuchende politische Bildungsaktivitäten können die Distanz gegenüber politischer Bildung verringern und so einen breiten Personenkreis für eine gemeinsame, solidarische Gestaltung der (Arbeits-)Welt zu gewinnen. Erste Hinweise auf die Nachhaltigkeit der aufsuchenden Bildungsaktivitäten konnten herausgestellt werden.

Gelingende aufsuchende politische Bildungsaktivitäten

Gelingende aufsuchende politische Bildungsaktivitäten setzten bei den Interessen, Problemen und individuellen Hintergründen der Arbeitnehmenden in Anknüpfung an die jeweilige Arbeitswelt an. Wo aufsuchende politische Bildungsarbeit jeweils anfängt – der Workshop während der Arbeitszeit, der Stammtisch am Feierabend oder die Diskussion im Pausenraum etc. – kann sehr unterschiedlich sein und ergibt sich situativ. Benötigt werden dafür flexible Ansätze und Formate. Digitale Formate stellen dabei eine Ergänzung zu aufsuchenden Aktivitäten in Präsenz dar. Deutlich wurde, dass die einzelnen heterogenen Momente politischen Lernens in der Arbeitswelt bedeutsam sind und als Stationen eines längerfristigen umfassenden politischen Bildungsprozesses betrachtet werden können. Dieser wird durch die politischen Bildungsaktivitäten der Gewerkschaften und gewerkschaftsnahen Organisationen gefestigt. Eine umfassende Begleitung der Lernenden etwa durch nachträgliche Reflexionsräume, die Möglichkeiten zur individuellen wie gemeinsamen Weiterarbeit bieten, unterstützen einen solchen umfassenden Bildungsprozess. Hier wird das Thema Freistellung wichtig, um verlässliche Lernräume und -zeiten etablieren zu können.

Für den Zugang in Betriebe und Dienststellen ist nach Ansicht der Gesprächspartner*innen  insbesondere der Kontakt zu Brückenmenschen (Betriebsrät*innen, Ausbildungsleitungen, interessierte Arbeitnehmende etc.) und ein kontinuierlicher Dialog hilfreich. Dieser trägt zum gegenseitigen Verständnis von Interessen, Problematiken usw. und zur Vertrauensbildung bei. Die konkreten Bildungsaktivitäten werden dann in einem partizipativen und transparenten Prozess mit möglichst vielen der beteiligten Akteur*innen entwickelt, deren Ziel die Unterstützung der Reflexions- und Handlungsfähigkeit ist. Konkret geht es darum, eine eigene Haltung zu Themen wie etwa Rassismus, Populismus, Diskriminierung entwickeln und sich in Diskussionen einbringen und positionieren zu können.

Gestaltung aufsuchender politischer Bildung

Die Gestaltung aufsuchender politischer Bildung wird insbesondere durch strukturelle Hürden wie starre Strukturen, mangelnde personelle Ressourcen und häufige kurzfristige Förderungen erschwert. Ein bisweilen nicht ausreichendes Bewusstsein über die Bedeutsamkeit von politischer Bildung führt zu regional ungleich verteilten politischen Bildungsaktivitäten und zur Überlastung einzelner engagierter Bildungsarbeiter*innen. Mehr Gestaltungsspielraum hinsichtlich Themen und Formaten („Offenheit für Neues“), ein breites Unterstützungssystem sowie eine langfristige Förderung kann aufsuchende politische Bildungsaktivitäten hingegen gut unterstützen.

Weitere Entwicklung

Für die weitere Entwicklung aufsuchender politischer Bildungsaktivitäten ist es im Kern wichtig, eine Kommunikationsstrategie zu bereits vorhandenen aufsuchenden Aktivitäten zu entwickeln, eine breite Unterstützung auf allen Organisationsebenen und durch politische Entscheidungsträger*innen zu etablieren, eine langfristige Förderung für aufsuchende Bildungsarbeit in der Breite zu initiieren sowie Weiterbildungen für die pädagogisch Tätigen etwa zu aufsuchender Arbeit, Subjektorientierung, Milieusensibilität zu konzipieren. Sinnvoll sind ebenso Einzelstudien zu den aufsuchenden Aktivitäten der Einzelgewerkschaften, der DGB-Bildungswerke und von Arbeit und Leben, welche sich an den individuellen Rahmenbedingungen der Organisationen orientieren.

Die detaillierten Ergebnisse sind hier zu finden.

Autor

  • Professorin für Erziehungswissenschaft/Erwachsenenbildung in der Abteilung Erwachsenenbildung und Berufliche Bildung an der PH Ludwigsburg. Zuvor war sie wissenschaftiche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen am Fachgebiet Erwachsenenbildung/Politische Bildung. Promoviert hat sie an der Universität Hamburg zur Politischen Partizipation und Bildung in Bürgerinitiativen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Lernen und Lernorte Erwachsener, politische Partizipation und Bildung Erwachsener, aufsuchende Bildungsaktivitäten, qualitative Sozialforschung.

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