Berufliche Hochschule Hamburg – Förderung der Durchlässigkeit oder Sonderweg?

Ansgar Klinger (Mitglied im GEW Hauptvorstand)

Die Berufliche Hochschule Hamburg (BHH) wurde zum 01.01.2020 nach dem vorausgegangenen Parlamentsbeschluss der Hamburger Bürgerschaft mit dem Gesetz über die Errichtung und den Betrieb der BHH gegründet; sie soll ihren Betrieb zum Sommersemester 2021 aufnehmen. Der Hamburger Senat beschreibt die Errichtung der BHH im Kontext von Durchlässigkeit, Anerkennung und Anrechnung beruflicher Qualifikationen sowie einer Gleichrangigkeit akademischer und beruflicher Bildung (FHH2019, S. 1). Während bislang in Hamburg mehr als 40 % der Auszubildenden über eine Hochschulreife verfügen und viele Absolventen des Dualen Systems mit Abitur nach der Ausbildung ihre Unternehmen wegen der Aufnahme eines Studiums verlassen, fehlt es bislang an kombinierten Bildungsangeboten einer Berufsausbildung und eines Bachelorstudiums, die nicht mit stark verdichteten Lern- und Arbeitsaufkommen sowie mit Studiengebühren verbunden sind. Der Hamburger Senat will dieser Entwicklung mit einer studienintegrierten Ausbildung begegnen, die innerhalb von vier Jahren sowohl eine duale Ausbildung als auch ein Bachelorstudium und damit zwei berufsqualifizierende Abschlüsse ermöglicht. Dabei werden die Leistungen an den drei Lernorten Betrieb, Berufsschule sowie Hochschule gegenseitig anerkannt und somit inhaltliche Doppelungen reduziert (FHH 2019, S.2). Für Unternehmen erweist sich die Attraktivität in der Möglichkeit, leistungsstarke Auszubildende bzw. Studierende nicht nur zu gewinnen, sondern auch als dauerhaft qualifizierte Fachkräfte bzw. Spezialisten zu binden. Die Abbildungen eins und zwei veranschaulichen die Aufteilung der Lernorte und die Verteilung der Leistungspunkte während der vierjährigen Dauer der doppeltqualifizierenden Ausbildung.

Abbildung 1: Modell der studienintegrierenden Ausbildung

Quelle: FHH 2019, S. 6.

Abbildung 2: Verteilung der Leistungspunkte und Zeiten bzw. Präsenzzeiten je Lernort

Quelle: FHH 2019, S. 11.

Als neuer Hochschultypus soll die BHH ein eigenständiges Forschungsprofil erhalten, das die zugrundeliegende Verzahnung von Hochschule und Praxis nutzt (FHH 2019, S. 13).

Im Januar 2020 wurde der Gründungsrat, dem der Verfasser dieses Beitrags als vom DGB vorgeschlagener Vertreter angehört, konstituiert. Zwischenzeitlich wurde das Gründungspräsidium berufen und eine Berufungsordnung beschlossen. In Arbeit sind u.a. die Entwicklung von Curricula, einer Studien-Prüfungs- sowie einer Immatrikulationsordnung und die Gestaltung der Ausschreibungen von Professuren für die Startphase des Studienbetriebs.

Derzeit ist noch nicht klar erkennbar, wie sich die Corona-Pandemie auf die mögliche Entwicklung der BHH hinsichtlich des Angebots und der Nachfrage von Ausbildungs- bzw. Studienplätzen auswirkt.

Aus gewerkschaftlicher Sicht sind duale Studiengänge u.a. vor dem Hintergrund des Zugangs, der Studierbarkeit und der möglichen Konkurrenz gegenüber dem Ausbildungssystem problembehaftet. Im Falle der BHH konnten bislang vielfältige Grundannahmen und Entscheidungen getroffen werden, die den Qualitäts- und Durchlässigkeitskriterien entsprechen, wie sie der Gewerkschaftstag 2017 der GEW mit dem Beschluss „Duales Studium“ als Anforderungen getroffen hat. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Weg der Erfüllung von Qualitätsanforderungen weiterhin beschritten wird und die BHH nicht ein Sonderfall bleibt. In einer mittleren Frist sollte die BHH sich auch der Verbindung von Ausbildung und Studium in den zukunftsträchtigen vollzeitschulischen Berufen des Gesundheits-, Sozial- und Erziehungswesens widmen.

FHH 2019: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg: Errichtung der Beruflichen Hochschule Hamburg und Haushaltsplan 2019/2020. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Drucksache 21/17964 vom 06.08.2019

GEW 2017: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Beschlüsse des 28. Gewerkschaftstages der GEW vom 6. bis 10. Mai 2017. 3.40 Duales Studium. Freiburg/Brsg. 2017

Autor

  • Ansgar Klinger (Jahrgang 1964) ist studierter Volkswirt. Nach dem Referendariat an beruflichen Schulen 1993 unterrichtete er zunächst drei Jahre an einer Berliner Schule. 1998 zog es ihn dann ans Willy-Brandt-Berufskolleg nach Duisburg. Bis zu seiner Wahl in den GEW-Vorstand gehörte Klinger seit 2004 der NRW-Landesfachgruppe Berufskolleg und seit 2006 der AG Bildungsfinanzierung beim GEW-Hauptvorstand an. Von 2009 bis 2013 war er Leiter des Referat C (Schulrecht, Bildungsfinanzierung und -statistik) der GEW Nordrhein-Westfalen. Klinger:“Worin liegt für mich der Reiz langer Läufe und Bahnfahrten? – Ich bewege mich Schritt für Schritt auf ein Ziel hin und mir kommen dort die besten Gedanken für ein gutes Leben in einer zukunftsfähigen Gesellschaft; gute Bildung ist hierfür die Voraussetzung.“

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