Qualifizierung von Praxisanleiter*innen in den Gesundheitsfachberufen
Ein digital gestützter Ansatz am Beispiel der generalistischen Pflegeausbildung
Prof. Ulrike Weyland (Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität) und Wilhelm Koschel (Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Berufspädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster)
1. Aktuelle Situation und Problemstellung
Vor ca. 15 Jahren erfolgte u.a. im Rahmen der Projektinitiative „Ausbildungsqualität in den Gesundheitsberufen“ (AQiG) und in dem sich anschließenden Folgeprojekt (AQiG Reloaded; Bals, Grunau & Unger 2011) die „Erarbeitung umfassender, berufsübergreifender Qualitätskriterien für die Schulen des Gesundheitswesens unter Bezugnahme auf das Modell Q2E“ (ebd., S. 6). Auf der Basis eines zugrunde liegenden Qualitätsrahmens wurde eine Verständigung über Ausbildungsqualität unter Beteiligung von Akteuren aus einschlägigen Berufsverbänden oder Berufsvereinigungen und weiterer relevanter Institutionen systematisch initiiert bzw. angegangen. Für die Gesundheitsfachberufe, die nicht durch das Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt sind, zeigte sich zugleich ein Nachholbedarf hinsichtlich einzelner Regelungen und zu setzender Qualitätsstandards (siehe hierzu auch Weyland & Klemme, 2013). Gleichwohl in den letzten Jahren durch unterschiedliche Entwicklungen eine qualitätsbezogene Weiterentwicklung sowie eine sichtbare Aufwertung der Gesundheitsfachberufe deutlich wird, so zeigt sich nach wie vor die Notwendigkeit zu weiteren Regelungsbedarfen und Anstrengungen für einzelne Handlungs- und Aufgabenfelder. Deutlich wird dies u.a. an dem in diesem Beitrag fokussierten Thema der Praxisanleitung, welcher für die praktische Ausbildung als Teil der Gesamtausbildung eine bedeutsame Rolle zugeschrieben wird (siehe auch Zöller 2015, 2018).
Insbesondere mit Blick auf die praktische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen mangelt es stellenweise immer noch an einheitlichen Standards und Strukturen, in denen sich die praktische Ausbildung gewinnbringend für die Auszubildenden vollzieht. Denn im Gegensatz zum theoretischen bzw. schulischen Teil der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen entzieht sich die praktische Ausbildung i.d.R. einer Standard bezogenen gesetzlichen Regelung im Sinne einer Ausbildungsordnung und eines Ausbildungsrahmenplans, wie man es aus den dualen Berufen auf Basis des Berufsbildungsgesetzes kennt. Dieser Umstand ist insofern problematisch, als Auszubildende während ihrer praktischen Ausbildung auch als Mitarbeitende und nicht primär als Lernende betrachtet werden können, die jedoch eine zielgerichtete und systematische Anleitung für ihre ersten Schritte im neuen Beruf benötigen.
Innerhalb der Gesundheitsfachberufe nimmt der Pflegeberuf eine Vorreiterrolle bei der Aufwertung und bundesweiten Regelung der Praxisanleitung und praktischen Ausbildung ein. Dies zeigt sich nicht nur an der konstant hohen Anzahl von Publikationen zu diesem Thema in den letzten Jahren, sondern auch an der kürzlich eingetretenen gesetzlichen Neuerung. Denn im neuen Pflegeberufegesetz (PflBG), das seit dem 01.01.2020 gilt, wird die praktische Ausbildung explizit in Form bundeseinheitlicher Rahmenausbildungpläne adressiert und geregelt. Dieser dient den Trägern der praktischen Ausbildung in den jeweiligen Ländern als Orientierungsrahmen für die Gestaltung der Ausbildungspläne.
In diesem Zusammenhang wurde auch die pädagogische Rolle der Praxisanleiter*innen und somit auch die Praxisanleitung als damit zu verstehender weiterer Impulsgeber für Ausbildungsqualität aufgewertet. Es ist zu vermuten, dass diese gesetzliche Neuregelung mit einer gewissen Latenzzeit die Qualität der praktischen Ausbildung in der Pflege erhöhen wird.
Die Praxisanleiter*innen sollten vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Neuerung, gesellschaftlicher Entwicklungen und beruflicher Anforderungen auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden. Hierzu werden spezifische Qualifizierungsangebote benötigt, die passgenau auf das neue Anforderungsprofil und die berufspädagogischen Aufgaben abgestimmt sind.
In diesem Beitrag wird beispielhaft ein Schulungsansatz vorgestellt, in dem es um die Qualifizierung von Praxisanleiter*innen im Zuge der generalistischen Ausbildung geht. Hierfür werden zunächst das Anforderungsprofil an Praxisanleiter*innen geschärft und daraus didaktische Implikationen abgeleitet. Der Beitrag beinhaltet zudem ein Beispiel, wie die jährliche berufspädagogische Pflichtfortbildung für Praxisanleiter*innen ausgerichtet sein könnte. Aufgrund der Neuausrichtung des Pflegeberufs und den aktuellen Entwicklungen in diesem beruflichen Feld richtet sich der Fokus in diesem Beitrag exemplarisch auf die Praxisanleiter*innen in der Pflege. In Teilen können die hier dargestellten Aspekte aber auch auf bzw. in andere Gesundheitsfachberufe übertragen werden.
2. Praxisanleiter*innen als betriebliches Bildungspersonal
Praxisanleiter*innen im Kontext des Pflegeberufs können im weitesten Sinne als betriebliches Bildungspersonal bezeichnet werden (Weyland & Kaufhold, 2017, S. 30). Die Merkmale betrieblichen Bildungspersonals werden nachfolgend kurz skizziert und anschließend für den Pflegeberuf spezifiziert.
Das betriebliche Bildungspersonal zeigt sich branchenübergreifend als ein äußerst heterogener Personenkreis (Grollmann & Ulmer, 2020, S. 535; Pätzold, 2013, S. 46). Was die vielfältigen betrieblichen Bildungsakteure jedoch verbindet, ist ihre Bedeutung für die Aus-, Fort- und Weiterbildung in Unternehmen bzw. betrieblichen Einrichtungen (Kaufhold & Weyland, 2015, S. 1). Obwohl dieser Akteursgruppe eine hohe Bedeutung für die praktische Ausbildung zukommt, kann sich in vielen Unternehmen das betriebliche Bildungspersonal nicht ausschließlich auf die Gestaltung betrieblicher Lernarrangements konzentrieren. „Über 90 % des ausbildenden Personals nimmt sowohl Ausbildungsaufgaben als auch Aufgaben als Fachkraft wahr“ (Grollmann & Ulmer, 2020, S. 536). Das betriebliche Bildungspersonal bewegt sich somit in „einem Spannungsfeld von produktivitätsorientierten und pädagogischen Leistungsanforderungen“ (Rausch, Seifried & Harteis, 2014, S. 130).
Die Befundlage der vergangenen Jahre verdeutlicht dabei ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Qualifikationen als Fachkraft und der pädagogischen Qualifikation, was sich vor dem Hintergrund der zahlreichen zu bewältigenden pädagogischen Aufgaben in den Unternehmen als problematisch erweist (Diettrich & Harm, 2018, S. 17). Als Bezugspunkte sind die zunehmend heterogene Zielgruppe der Auszubildenden, veränderte Zielstellungen, Einflüsse der Digitalisierung (Berufliche Bildung 4.0) und neue Lernkulturen sowie die Organisation des lebensbegleitenden Lernens anzuführen.
Auf diese Entwicklungen sollte das betriebliche Bildungspersonal mit angemessenen berufspädagogischen Konzepten reagieren. So wird beispielsweise heute davon ausgegangen, dass es für die betriebliche Bildung, zu der die praktische Ausbildung gehört, in Zukunft neue Formate und tendenziell „agile Lernbegleiter“ (Sammet & Wolf, 2019) sowie eine Kultur des „agilen Mindsets“ (Hofert, 2018) braucht, um den wachsenden Herausforderungen in betrieblichen Einrichtungen pädagogisch und unternehmerisch zu begegnen.
Die erforderliche Agilität gilt auch in besonderer Weise für das pflegeberufliche Feld (Koschel, Weyland & Kaufhold, 2021), da dieser Beruf aktuell einer hohen Dynamik unterliegt. Umso mehr braucht es Praxisanleiter*innen, die in der Lage sind, agile Lernszenarien für die praktische Ausbildung der Auszubildenden zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen ergibt sich ein spezifischer Qualifizierungsbedarf.
3. Qualifizierungsbedarf der Praxisanleiter*innen im Kontext des Pflegeberufs
Praxisanleiter*innen in der Pflege nehmen in weiten Teilen ebenfalls eine Doppelrolle, bestehend aus Pflegefachkraft und pädagogischer Fachkraft, ein. Hier zeigt sich die Anschlussfähigkeit zu den Studien, in denen die Doppelrolle von betrieblichem Bildungspersonal identifiziert wurden. Überschneidungen gibt es auch mit Blick auf ihre Qualifikation. Auch bei Praxisanleiter*innen liegt häufig ein Ungleichgewicht zwischen ihrer Qualifikation als Fachkraft und ihrer berufspädagogischen Qualifikation vor. Zwar gehen seit einiger Zeit Pflegeeinrichtungen dazu über, Stellen für hauptamtliche Praxisanleiter*innen einzurichten, jedoch werden die allermeisten pädagogischen Anleitungssituationen durch Pflegefachkräfte während ihres Berufsalltags initiiert.
Vor diesem Hintergrund legitimiert sich ein spezifischer berufspädagogischer Qualifizierungsbedarf, der sich aufgrund aktueller Entwicklungen noch verschärft. Dabei handelt es sich um politische bzw. gesetzliche sowie um berufs- und aufgabenbezogene Entwicklungen. Diese Facetten werden nachfolgend kurz beleuchtet.
Durch das Pflegeberufegesetz (PflBG) wurde erstmalig ein bundeseinheitlicher Rahmen für eine generalistische Ausbildung geschaffen (Ertl, 2020, S. 3). Mit diesem Gesetz geht auch eine neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe (PflAPrV) einher, in der die Qualifizierung der Praxisanleiter*innen neu geregelt wird. Waren bisher 200 Std. im Rahmen der Praxisanleiter*innenqualifizierung notwendig, so sind es nun 300 Std. (Weyland, 2020, S. 348). Die zweite wesentliche Neuerung betrifft die kontinuierliche berufspädagogische Fortbildung der Praxisanleiter*innen. Mit der neuen PflAPrV gilt die Forderung nach einer jährlichen Pflichtfortbildung von 24 Stunden (§ 4, PflAPrV). Diese gilt es der zuständigen Behörde gegenüber nachzuweisen.
Da diese Fortbildungsverpflichtung von 24 Std. die gesamte Pflegebranche trifft, entsteht aktuell ein sehr hoher Bedarf an flexiblen berufspädagogischen Fortbildungsmaßnahmen für Praxisanleiter*innen. Ohne eine Flexibilität in den Fortbildungsmaßnahmen ist die jährliche Qualifikation kaum zu leisten. Aufgrund des ohnehin bestehenden Fachkräftemangels (Seeber et al., 2019, S. 47 /Ländermonitor berufliche Bildung) würden reine Präsenzschulungen die Ausfallzeiten auf den Pflegestationen noch verschärfen und so unter Umständen die Versorgung pflegebedürftiger Menschen gefährden. Flexible Angebote ermöglichen hingegen eine höhere Passgenauigkeit zwischen den Anforderungen auf den Pflegestationen, dem Qualifizierungsangebot und den Lebens- und Berufswirklichkeiten der Praxisanleiter*innen.
Die gesetzliche Initiative kann als wichtiger Beitrag zur Professionalisierung des betrieblichen Bildungspersonals in den Pflegeberufen aufgefasst werden und ist insofern sehr zu begrüßen. Gleichzeitig eröffnet sich hierdurch aber auch ein sehr hoher Qualifizierungsbedarf für Praxisanleiter*innen, dem möglichst flexibel begegnet werden sollte. Neben den neuen gesetzlichen Anforderungen ergibt sich der Qualifizierungsbedarf aber auch aus einer weiteren Perspektive, nämlich aus berufs- und aufgabenbezogener Sicht.
Die Praxisanleiter*innen nehmen neben der praktischen Ausbildung der Auszubildenden in Zukunft eine zunehmend bedeutsame Rolle in der Berufseinstiegsphase von Pflegekräften ein. Denn im Zuge der generalistischen Ausbildung durchlaufen die Auszubildenden mehr Fachabteilungen bei gleichbleibender Gesamtausbildungszeit. Dies führt dazu, dass die Auszubildenden unter Umständen über weniger Erfahrung und Praxiswissen im Kontext der einzelnen Fachdisziplinen (z.B. Chirurgie, Pädiatrie, Gerontologie, Innere Medizin, etc.) verfügen. Zwar entscheiden diese nicht ausschließlich über den Pflegebedarf, dennoch häufen sich in den jeweiligen Fachabteilungen unterschiedliche Pflegephänomene. Es ist zu erwarten, dass der Berufseinstieg dadurch stellenweise hürdenreicher wird, sodass den Praxisanleiter*innen auch in dieser Phase eine besondere (neue) Rolle zukommt. Darüber hinaus sollte die Einsatzzeit während der praktischen Ausbildung auf den einzelnen Pflegestationen effizienter für die Praxisanleitung genutzt werden. Hierzu benötigen die Praxisanleiter*innen ebenfalls pädagogische und agile Ansätze, um die Lernbedarfe der Auszubildenden mit den Lernmöglichkeiten auf den jeweiligen Pflegestationen in einem engen Zeitfenster zusammenzubringen.
Zudem ist zu erwarten, dass die Schüler*innen aufgrund des Fachkräftemangels und der vielfältigen Zugangswege in die Ausbildung (siehe hierzu § 11 des PflBG) immer heterogener werden (Weyland & Kaufhold, 2017, S. 31). Die Gründe hierfür scheinen primär im demografischen Wandel zu liegen und dem damit verbundenen Strategien zur Fachkräftegewinnung (beispielsweise zur Gewinnung ausländischer Pflegekräfte siehe BA & GIZ, 2019).
Ein weiterer aufgabenbezogener Fortbildungsbedarf der Praxisanleiter*innen ergibt sich auch durch die Einführung sogenannter bundeseinheitlicher Rahmenpläne für die Pflegeausbildung. Erstmalig wurden darin, wie schon angedeutet, „Rahmenausbildungspläne für die praktische Ausbildung“ (Abschnitt III im Rahmenlehrplan) entwickelt. Die Fachkommission nach § 53 PflBG (2020, S. 27) verweist darauf, dass „die besonderen Lernpotenziale der jeweiligen Einsatzorte zugeschnitten und dann letztlich im Rahmen der Planung eines konkreten Einsatzes durch die verantwortliche Praxisanleitung auf Basis der aktuellen Gegebenheiten im Einsatzbereich und in Abstimmung mit den individuell eingebrachten Lernerfahrungen und -bedarfen der Auszubildenden angepasst und ausdifferenziert werden“ müssen. Wurden bisher häufig durch die Schule Lernaufgaben für die Praxis entwickelt, so sind nun die Praxisanleiter*innen selbst herausgefordert, ein didaktisch sinnvolles Matching zwischen dem Lernbedarf der einzelnen Schüler*innen, den Anforderungen der Rahmenausbildungspläne und den situativen Gegebenheiten der pflegeberuflichen Situation vor Ort zu generieren und dies unter Umständen bei niedrigerer Einsatzzeit in den einzelnen Fachabteilungen. Dieses Konglomerat stellt die Praxisanleiter*innen vor neue didaktische Herausforderungen und erfordert ein spezifisches Qualifizierungsangebot.
4. Fortbildung von Praxisanleiter*innen – Ein digital gestützter Schulungsansatz
Wie oben bereits dargestellt, müssen Praxisanleiter*innen nun jährliche berufspädagogische Pflichtfortbildungen in einem Gesamtumfang von 24 Stunden belegen. Diese Neuerung wird aktuell an der WWU Münster in der Arbeitsgruppe Berufspädagogik mit einem Praxispartner aus dem pflegeberuflichen Kontext in besonderer Weise adressiert. Es wird dort an einem Qualifizierungsansatz gearbeitet, der zukünftig die folgenden drei Anforderungen erfüllen soll.
Anforderungen an den digital gestützten Schulungsansatz
1) Das Fortbildungsangebot sollte flexibel nutzbar sein, um die Ausfallzeiten auf den Pflegestationen möglichst gering zu halten. Zudem lassen sich flexible Angebote besser in die Lebenswelt der Praxisanleiter*innen im Sinne einer Work-Life-Balance integrieren. Zwar fallen entsprechende Fortbildungsangebote in die Arbeitszeit der Praxisanleiter*innen, jedoch können die so anfallenden Arbeitsstunden über das Arbeitszeitkonto aufgefangen werden. Diese Anforderung scheint von besonderer Tragweite zu sein, wie sich am Beispiel des Praxispartners, der in das Vorhaben involviert ist, anschaulich darstellen lässt. Es handelt sich um einen Träger, in dem einrichtungsübergreifend ca. 600 Praxisanleiter*innen tätig sind. Würde die 24 Std. Pflichtfortbildung ausschließlich in starren Präsenzschulungen erfolgen, so würden ca. 14.400 Pflegestunden/Jahr den pflegebedürftigen Menschen entzogen. Die Flexibilisierung des Lernangebots (lediglich 50 % finden in Präsenzseminaren statt) sichert hingegen die Versorgung der Patient*innen/Klient*innen und die Einhaltung der Pflichtfortbildung. Die Fortbildungsstunden können durch den flexiblen Ansatz als Freizeitausgleich an geeigneter Stelle im Dienstplan ausgeglichen werden.
2) Das Fortbildungsangebot sollte möglichst als Blended-Learning Ansatz mit digital gestützten Elementen gestaltet sein, da dadurch zwei Bedarfen Rechnung getragen werden kann. Die Digitalisierung wird so einerseits gegenstandsbezogen betrachtet (siehe hierzu beispielsweise Weyland, Kaufhold & Koschel, 2020; Wittmann & Weyland, 2020, S. 282), andererseits wird dabei auf das methodische Potenzial rekurriert (siehe hierzu beispielsweise Koschel & Weyland, 2019). Zudem können digitale Angebote eine höhere zeitliche und örtliche Flexibilität zur Bearbeitung der Schulungsinhalte sicherstellen. Da der Digitalisierungsgrad in pflegebezogenen Lernsituationen derzeitig noch relativ gering ist (Trübswetter & Figueiredo, 2019, S. 347), kann durch ein digitales Angebot im Sinne eines Blended-Learning Ansatzes eine Anschlussfähigkeit an aktuelle Digitalisierungsbestrebungen geschaffen werden.
3) Das Fortbildungsangebot sollte den Praxisanleiter*innen eine didaktisch intendierte Matching-Leistung dreier Komponenten abverlangen. Dies lässt sich folgendermaßen erklären: Die Anleitungssituationen im Pflegealltag werden primär durch den Lernbedarf der Auszubildenden, die Lernmöglichkeiten in der jeweiligen Abteilung und den ausbildungsspezifischen Lernanforderungen bestimmt. Alle drei Komponenten werden durch die derzeitigen Entwicklungen in unterschiedlichem Maße beeinflusst. Der Lernbedarf verändert sich aufgrund der zunehmenden Heterogenität der Lernenden, die u.a. auch durch die Generalistik noch gefördert wird. Die Lernmöglichkeiten auf den einzelnen Pflegestationen werden, insbesondere in Kliniken, in Teilen durch die jeweilige medizinische Fachabteilung beeinflusst. Der Lernbedarf kann somit nicht in jeder beliebigen Einrichtung oder Abteilung gedeckt werden, sondern wird durch den Einsatzplan und die jeweiligen Pflegesituationen bestimmt. Im Zuge der generalistischen Ausbildung ergeben sich zwar einerseits einrichtungsübergreifend neue Lernmöglichkeiten, andererseits reduziert sich in Teilen die Lernzeit, diese auch zu nutzen. Die Lernanforderungen werden zugleich aufgrund der gesetzlichen Neuordnung und den damit einhergehenden neuen Anforderungen bestimmt. So sind die Rahmenausbildungspläne für die praktische Ausbildung u.a. kompetenzorientiert in Hinblick auf die ausgewiesenen Kompetenzbereiche und -schwerpunkte der PflAPrV ausgerichtet.
Wie bereits erwähnt, werden Praxisanleiter*innen nun erstmalig in die Pflicht genommen, die Lernpotenziale der jeweiligen Einsatzorte vor dem Hintergrund der formulierten Kompetenzen zu identifizieren und auf Basis der jeweiligen Lernbedarfe der Auszubildenden eigenständig konkrete Anleitungssituationen zu planen. Diese Matching-Leistung liegt als didaktisches Ziel dem Schulungsangebot zu Grunde. Die Praxisanleiter*innen werden dadurch angehalten, agile Lehr-Lernszenarien für die praktische Ausbildung zu entwickeln.
Didaktischer Ansatz und lerntheoretische Verortung
Das Ziel des digital gestützten Ansatzes besteht darin, fiktive Anleitungssituationen unter Berücksichtigung des Lernbedarfs, der Lernmöglichkeiten und der Lernanforderungen zu planen. Hierzu werden prototypische Auszubildende-Charaktere mit unterschiedlichen Lernbedarfen entwickelt, für die die Praxisanleiter*innen eine Anleitungssituation planen. Die Lernmöglichkeiten müssen dabei in videobasierten Fallvignetten aus pflegeberuflichem Kontext erkannt werden. Zudem werden die Praxisanleiter*innen angehalten, geeignete Ziele für die jeweilige Situation in Korrespondenz zum Rahmenausbildungsplan abzuleiten, sodass diese sowohl vor dem Hintergrund der beruflichen Situation in der videobasierten Fallvignette als auch mit Blick auf den Lernbedarf des/der (fiktiven) Auszubildenden theoretisch erreichbar sind.
Dieses didaktische Vorgehen gründet sich im situationsorientierten Ansatz von Hundenborn & Knigge-Demal (1999). Auch wenn dieser Ansatz bereits vor zwei Dekaden entwickelt wurde, so hat er im pflegeberuflichen Bildungskontext nicht an Aktualität verloren. Dies zeigt sich beispielsweise an der Berücksichtigung des Ansatzes in den neuen Rahmenplänen für die berufliche Pflegeausbildung. Die videobasierten Fallvignetten orientieren sich an den dort formulierten fünf situativen Merkmalen, die eine Pflegesituation konstituieren. In Anlehnung an Kauffeld (2016, S. 140) ermöglichen situationsorientierte Ansätze eine nachhaltige Fortbildung und den Transfer von der virtuellen Lernumgebung in die reale berufliche Anleitungspraxis.
5. Ausblick
In dem hier beschriebenen Schulungsansatz werden aktuelle pflegeberufliche Entwicklungen aufgegriffen. Die didaktisch intendierte Situationsorientierung greift die berufliche Wirklichkeit der Praxisanleiter*innen auf, die im Sinne betrieblichen Bildungspersonals maßgeblich für die Qualität der praktischen Ausbildung verantwortlich sind. Je passgenauer Lernsituationen für Auszubildende in der Ausbildungspraxis durch die Praxisanleiter*innen angelegt sind, desto gewinnbringender sind die Praxiseinsätze. Das digital gestützte Schulungsangebot kann zu einer höheren Flexibilisierung der Lernzeit und des Lernorts beitragen, wobei der Mehrwert des sozialen Austauschs untereinander erkannt wird und durch den Blended-Learning Ansatz gewahrt bleibt. Durch den dargelegten Ansatz eröffnen sich auch für die Lernortkooperation weitere Chancen. Denn digitale Lernumgebungen bieten ob ihres Potenzials zur Asynchronität und Flexibilisierung gute didaktische Anknüpfungspunkte.
Die gesetzliche Initiative zur Ausweitung der Praxisanleiter*innenqualifizierung ist sehr zu begrüßen, da dadurch die Wichtigkeit der damit korrespondierenden berufspädagogischen Aufgaben unterstrichen wird. Jedoch sollten in diesem Zusammenhang zwei Dinge nicht unerwähnt bleiben: Die Ausgestaltung des Qualifizierungsangebots wird maßgeblich darüber entscheiden, ob Praxisanleiter*innen agile Lernsituationen für die Auszubildenden entwickeln können. Wenn Ausbildungsträger hingegen die berufspädagogische Intention der jährlichen Pflichtfortbildung umgehen, indem sie beispielsweise die Pflichtfortbildung mit Themen wie Hygiene, Reanimation oder Brandschutz füllen[1], dann ist selbstverständlich nicht damit zu rechnen, dass die praktische Ausbildungsqualität gefördert wird. Verantwortliche Personen in den jeweiligen Einrichtungen sollten Sorge dafür tragen, dass tatsächlich berufspädagogische Themen angeboten werden. Des Weiteren soll an dieser Stelle kritisch hervorgehoben werden, dass es sich bei der Arbeit von Praxisanleiter*innen in vielen Fällen um eine zusätzliche Aufgabe während des Arbeitsalltags handelt. Mit Ausnahme der freigestellten oder hauptamtlichen Praxisanleiter*innen müssen die Pflegekräfte mit berufspädagogischer Zusatzqualifikation diese Aufgabe in ihren Arbeitsalltag integrieren. Nur in den seltensten Fällen dürfte damit ein monetärer oder zeitlicher Ausgleich einhergehen. Auch aus dieser Perspektive muss an die verantwortlichen Personen in den Pflegeeinrichtungen appelliert werden, den Wert der berufspädagogischen Arbeit über geeignete Mittel zu honorieren.
Festzuhalten bleibt: Die Praxisanleitung stellt ein wichtiges Qualitätsmerkmal für die praktische Ausbildung dar und bedarf aufgrund der beschriebenen Herausforderungen einer Unterstützung durch entsprechende qualifikationsbezogene, arbeitsorganisatorische und finanzielle Maßnahmen. Darüber hinaus sind Bestandsaufnahmen und Analysen im Sinne eines Monitorings für die weitere Diskussion um den tatsächlichen Stellenwert von Praxisanleitung und die Identifizierung von sogenannten Stellschrauben für eine kohärente Ausgestaltung praktischer Ausbildung wesentlich. Angesichts der nach wie vor defizitären Befundlage zu den berufsbedingten Einflussfaktoren zur betrieblichen Ausbildungsqualität in dieser Domäne wird es für die weitere Diskussion und Entwicklung erforderlich sein (siehe Wittmann et al., 2018), den Blick auf eine stärker längsschnittlich gesetzte evaluative und empirische Perspektive zu richten. In Hinblick auf weitere Gesundheitsfachberufe, wie z.B. den therapeutischen Berufen, sind aufgrund veralteter Berufszulassungsgesetze besondere Anstrengungen vonnöten (siehe für die Physiotherapie u.a. Klemme, Weyland & Harms 2019).
[1] Wie das Fachportal Bibliomed Pflege am 30.04.2020 berichtete, gibt es wohl vereinzelnd Ausbildungsträger, die die Intention der jährlichen Pflichtfortbildung in dieser Form umgehen (https://www.bibliomed-pflege.de/sp/artikel/40567-praxisanleitung-in-den-2020er-jahren-brechen-goldene-zeiten-an; abgerufen am 23.03.2021 )
Literatur:
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