Mitwirkung von Betriebsräten bei KI

Ein Gespräch mit Roland Konopac

Roland Konopac (Betriebsrat und Sprecher des Ausschusses für Datenverarbeitung (DVA) im Gesamtbetriebsrat der Siemens AG)

Das Gespräch führte Gerhard Endres aus der Redaktionsgruppe von DENK-doch-MAL.

ddm: Künstliche Intelligenz wird bei Siemens schon angewendet. Wie wird es bereits eingesetzt?

Roland Konopac:  Man muss schauen, welche Infos über KI-Verfahren den Weg zum Betriebsrat finden. Lokal mag es sein, dass der Betriebsrat etwas über inoffizielle Wege erfährt. Grundsätzlich wird der Betriebsrat offiziell nur informiert, wenn es eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers hierzu gibt. Der Gesamtbetriebsrat, speziell der Ausschuss für Datenverarbeitung, wird beispielsweise immer angesprochen, wenn es um personenbezogene Daten und die Möglichkeit der Leistungs- oder Verhaltenskontrolle geht. Als Betriebsrat wollen wir ausschließen, dass personenbezogene Daten unkontrolliert verwendet werden. In meiner Rolle als Sprecher des DVA bekomme ich also nur einen Ausschnitt mit und habe nicht das umfassende Bild.

Ich stelle nun fest, es werden die ersten KI-Applikationen eingeführt. Ich muss auch als Betriebsrat glauben, wenn der Hersteller erklärt, seine Verfahren sei KI, dass es dann auch KI beinhaltet und meine Fragen entsprechend stellen. Dabei ist umstritten, wie sich KI definiert.

Ein KI-Kriterium könnte sein, dass der Algorithmus sich selbst verändert, sich selbständig optimiert im Sinne der Vorgaben und Funktionen. KI könnte aber auch ein überwiegend datengetriebenes Thema sein, bei dem durch das Verfahren bewertete Ergebnisse erzeugt und menschliche Entscheidungsfindungen nachgeahmt werden. Nehmen wir das Beispiel „People Analytics“, d.h. die Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen. Verfahren, in die wir nicht einfach reinschauen können, die aber beispielsweise passende Bewerber auf offene Stellen vorschlagen sollen. Wie sich hierbei KI definiert, ist nicht entscheidend. Als Betriebsrat sagen wir da aber klar: da schauen wir genau hin.

ddm: Welche Gremien gibt es beim Siemens-Gesamtbetriebsrat?

Roland Konopac: Insgesamt hat der GBR 10 spezialisierte Ausschüsse und viele Projektgruppen, die eng zusammenarbeiten. Das gilt auch für KI.

ddm: Wie geht der Betriebsrat jetzt vor?

Roland Konopac: KI und datengetriebene Algorithmen wollen optimieren. Dazu erkennen diese Verfahren Schwerpunkte und Datenmuster, die der Mensch nicht sofort sehen könnte. Das ist jetzt erstmal die Lage. Als Betriebsrat stellen wir Fragen, um zu klären, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt, welche Auswirkungen diese haben, ob diese sinnvoll und fair sind.

ddm: Ist die KI so selbständig, dass der Mensch keinen Einfluss mehr hat?

Roland Konopac: Die Frage ist, wenn sich die KI verändert, in welche Richtung verändert sie sich und bewegt sie sich noch in dem Rahmen der Aufgabe mit den Ergebnissen, die man erwartet.

ddm: Verliert der Mensch die Kontrolle?

Roland Konopac: Man sollte genau hinsehen, welche Ergebnisse die Algorithmen liefern. Stichwort beispielsweise: Chancengleichheit. Scheinbare Einfachheit eines Algorithmus bedeutet nicht automatisch, dass der Algorithmus wirklich fair und vorurteilsfrei ist. Siemens beauftragt begleitende Studien, wenn z.B. ein „People Analytics“ – Verfahren eingeführt wird. Wir müssen diese Vergleichsstudie veranlassen, um zu schauen, ob sich der Algorithmus in dem Rahmen bewegt, wo er sich aus unserer Sicht bewegen darf, also ob das Verfahren wirklich Chancengleichheit garantiert.

ddm: Soll ein Betriebsrat bei Erstellung oder Anwendung eines Algorithmus Vorgaben machen?

Roland Konopac: Wir kontrollieren im Rahmen unserer Aufgaben, ob das KI-Verfahren seine Aufgaben erfüllt, d.h. heißt, wir fragen nach.

ddm: KI erscheint ja manchmal wie eine Wundertüte, als wenn KI die Lösung für alle Probleme sei?

Roland Konopac: Ein Algorithmus findet sicher Lösungen zur Optimierung bestimmter Aufgabenstellungen. „People Analytics“ – Verfahren, die z.B. in Amerika funktionieren, können bei uns andere Ergebnisse liefern. Im Betriebsrat fehlen in der Regel die Spezialisten. Der Betriebsrat kann nach Betriebsverfassungsgesetz §80 Absatz 3 Sachverständige hinzuziehen. Es ist erforderlich, den Algorithmus in seiner Funktion zu erkennen und sich mit dem Thema Diskriminierung auseinanderzusetzen. Entsprechende Fragen sind nicht leicht beantwortet.

ddm: KI wird die Arbeitswelt verändern. Muss der Arbeitgeber noch mehr informieren? Was braucht der Betriebsrat an Handwerkszeug?

Roland Konopac: Der Arbeitgeber, der das Verfahren einführt, muss sich Gedanken machen. Es gibt von der EU einen Vorschlag zu sogenannter „vertrauenswürdiger KI“. Dieser Vorschlag enthält sieben Punkte: 1. Vorrang menschlichen Handelns und menschlicher Aufsicht, 2. technische Robustheit und Sicherheit, 3. Schutz der Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement, 4. Transparenz, 5. Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness, 6. Gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen und 7. Rechenschaftspflicht. Daran kann man sich auch als Betriebsrat orientieren. Nicht jede KI ist ein Aufreger. KI ist ein weites Feld. Wir nutzen eine AI Card, um KI-Verfahren zu beschreiben und zu strukturieren.

ddm: Kannst du unseren Leserinnen und Lesern bitte erläutern, was AI Card bedeutet?

„AI Application Cards“ sind ein Ansatz, welcher ermöglichen soll, die wesentlichen Fakten, den Nutzen und mögliche Risiken von Anwendungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz und des Machine Learning in strukturierter Weise zu dokumentieren und für den gemeinsamen Diskurs zu operationalisieren.

 ddm: Was machen die Arbeitgeber?  Gibt es bei Siemens eine Diskussion über Ethik? Hat der Betriebsrat Einfluss auf diese Diskussion?

Roland Konopac: Dreißig große Elektronik Unternehmen in Europa arbeiten mit der EU-Kommission bei diesem Thema unter dem Begriff „Digital Europe“ zusammen. Bei Siemens gibt es eine Abteilung, die bringt sich zum Thema Ethik ein. Als IG Metall bringen auch wir unsere Meinung ein. Der Vorschlag zu vertrauenswürdiger KI ist ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Wir müssen als Betriebsrat vor allem die richtigen Fragen stellen.

ddm: Siemens hat ja viele Ressourcen. Wie könnte eine unabhängige Instanz zur Überprüfung von KI-Verfahren arbeiten?

Roland Konopac: KI findet die Funktion, die aus Daten ein erwünschtes Ergebnis liefert. Als Betriebsrat müssen wie diese Ergebnisse hinterfragen. Für uns sind die Grundsätze der vertrauenswürdigen KI hierzu die Grundlage. Als Betriebsrat dürfen wir nicht aufgeben oder kapitulieren, wenn uns gesagt wird, KI kann uns nicht erklärt werden. Gibt das Unternehmen keine zufriedenstellenden Antworten, braucht es als Betriebsrat ein gewisses Rückgrat, ggfls. müssen wir Spezialisten beauftragen. Wir binden deshalb als Betriebsrat entweder unabhängige Spezialisten ein oder bauen intern entsprechende Kompetenzen auf.

ddm: Es gibt ja das Betriebsrätestärkungsgesetz. Reicht es aus?

Roland Konopac: Das Betriebsrätestärkungsgesetz ist wichtig. Aber das reicht nicht. Ich glaube, wir haben alle die Aufgabe, uns in die Diskussion über KI einzubringen. Als Betriebsrat haben wir die Möglichkeit zu gestalten. Alle Betriebsräte sind auch Ethikräte, können Fragen stellen und sich Gehör verschaffen. Mitbestimmung ist wichtig und zu erweitern.

ddm: Vielen Dank für das Gespräch!

Erklärung:

People Analytics bezeichnet die Analyse von Daten aus dem Personalwesen in Verbindung mit anderen Unternehmensdaten. Grundlage für People Analytics sind Forschungsrichtungen wie Sozialpsychologie, Motivationspsychologie und Verhaltenswissenschaften. In Verbindung mit KI wächst die Bedeutung von People Analytics, aber auch die Gefahr des Missbrauchs.

Autor

  • Seit 2000 beschäftigt in der Siemens AG; seit 2002 Mitglied des Betriebsrats. Inzwischen auch Mitglied des Gesamtbetriebsrats der Siemens AG und Sprecher des Ausschusses für Datenverarbeitung.

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