Das Fundament einer gelingenden Ausbildungspraxis in der Pflegeausbildung

Jutta Mohr (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZAFH care4care), Gabriele Schwarzer (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZAFH care4care), Nicola Hofmann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZAFH care4care) und Prof. Dr. Karin Reiber (Professorin für Erziehungswissenschaft / Didaktik)

1. Einleitung

Auszubildende in den Pflegeberufen stehen in ihren Praxiseinsätzen immer wieder vor neuen Herausforderungen. Von ihnen wird erwartet, sich schnell und reibungslos in unterschiedlichste Fachbereiche einzuarbeiten und die Fachpersonen bei ihren Aufgaben zu unterstützen. Lernen soll am besten nebenher ohne großes Aufsehen stattfinden. Fragen dürfen zwar gestellt, das praktische Handeln der Fachpersonen aber nicht hinterfragt, das Gelernte und neue Erkenntnisse aus der Schule nicht in den eingespielten Arbeitsalltag eingebracht werden. Gleichzeitig wird von den Auszubildenden erwartet, dass sie am Tag nach ihrem Examen als examinierte Pflegefachpersonen überall einsetzbar sind. Diese Darstellung ist zwar überspitzt, dennoch erleben Auszubildende ihren Arbeitsalltag in der Praxis oft geprägt von der Notwendigkeit, helfend anpacken zu müssen und ohne den notwendigen Raum und die nötige Begleitung Lernen zu können (vgl. Mohr, Riedlinger & Reiber i. R.). Oft können aus Gründen unzureichender Unterstützung und Begleitung die Lernanlässe, die in ihrer Komplexität nur die Praxis bieten kann (vgl. Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz 2020), nicht ausreichend genutzt werden (vgl. ver.di 2015).

In der Ausbildung wird der Grundstein beruflicher Handlungskompetenz gelegt. Dabei werden Auszubildende nicht nur in der Entwicklung ihrer beruflichen Fachlichkeit unterstützt. Ausbildung geht darüber hinaus: Bereits hier werden berufliches Selbstverständnis und berufliche Identität angebahnt (vgl. Bohrer & Walter 2015). Eine entscheidende Rolle spielen hierbei die Praxiseinsätze. Positive Erfahrungen in der Praxis haben einen Einfluss auf den Umgang mit Belastungen und Anforderungen; Weichen für einen nachhaltigen Berufsverbleib werden gestellt (vgl. Buchegger-Traxler 2014).

Aktuell ist die Pflegeausbildung gleichzeitig mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Der Start der neuen generalistischen Ausbildung[1] im Jahr 2020 fiel fast zeitgleich mit steigenden und veränderten Arbeitsanforderungen durch die COVID-19-Pandemie zusammen. Für die auszubildenden Betriebe ist die generalistische Ausbildung mit einer Neuausrichtung der praktischen Ausbildung verbunden. Enge Kooperationen im Ausbildungsverbund sind erforderlich, um die Pflicht- und Vertiefungseinsätze für alle Auszubildenden im akutstationären (Klinik), langzeitstationären (Pflegeheim) und ambulanten Setting zu gewährleisten. Als Ausbildungsträger haben sie die Verantwortung für die Koordination der gesamten Ausbildung mit den unterschiedlichen Praxiseinsätzen inne. In jedem Praxiseinsatz ist Praxisanleitung im Umfang von zehn Prozent durch pädagogisch qualifiziertes Personal verbindlich. Gleichzeitig treffen die Auszubildenden jedoch auf eine Personalsituation, die bereits vor Ausbruch der Pandemie angespannt war. Der „Pflegenotstand“ (Deutscher Pflegerat 2013) ist fast überall spürbar. Dabei besteht ein Fachkräfteengpass sowohl im klinischen Setting als auch in der stationären Langzeit- und ambulanten Pflege (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2020).

Im Rahmen des ZAFH care4care wurde die Nachwuchsgewinnung über Ausbildung als eines der zentralen Themen identifiziert, dem Mangel an Fachpersonen zu begegnen. Dabei zeigte sich in den Erhebungen auf Leitungsebene in den Einrichtungen ein starkes Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Auszubildenden gemäß einem Praxiskonzept zu begleiten und anzuleiten. Gleichzeitig wird andererseits von Fachpersonen genau jene Problematik berichtet, dass im Arbeitsalltag Anleitung bei Personalmangel häufig gestrichen und Auszubildenden die Rolle als Hilfspersonal zugesprochen wird (vgl. Reiber, Küpper & Mohr i. E.). Ein Szenario während der Schichtübergabe soll die Problematik verdeutlichen: Während über die von ihnen betreuten Patient*innen-/Bewohner*innen berichtet wird, werden Auszubildende gleichzeitig „auf die Klingel geschickt“[2].

Dieses Vorgehen schließt Auszubildende von essenziellen Informationen aus, zudem wird ihnen eine wichtige Lern- und Übungsmöglichkeit verwehrt, nämlich die Kommunikation über pflegerelevante Informationen (im Sinne einer vollständigen Pflegehandlung). Daneben wird ihnen verdeutlicht, dass sie eine Position innehaben, die es rechtfertigt, sie von dem Übergabeprozess im Teamverbund herauszunehmen.

Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten Ausgangssituation hat der Beitrag zum Ziel, zu verdeutlichen, welche Unterstützung Auszubildende in der praktischen Pflegeausbildung benötigen, damit sie als Lernende Wertschätzung, Begleitung und Anleitung erfahren. Hierfür werden nachfolgend drei Bausteine vorgestellt und exemplarisch erläutert, die zu einer gelingenden Ausbildungspraxis beitragen.

2. Ein stabiles Fundament für die praktische Pflegeausbildung

Im Rahmen des Forschungsprojekts ZAFH care4care wurden drei Bausteine identifiziert, die gemeinsam das Fundament einer gelingenden Ausbildung darstellen:

  1. Die strategische Verankerung von Ausbildung auf allen Ebenen
  2. Das lernförderliche Klima in der Einrichtung
  3. Die Rolle der Anleitung im Arbeitsalltag

Diese drei Bausteine sind nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden, bilden jedoch gemeinsam ein Fundament, das dazu beiträgt, Auszubildende als Lernende anzuerkennen und in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen. Ausbildung ist nicht allein Aufgabe der Praxisanleiter*innen, vielmehr sind alle Akteure in „das Projekt Ausbildung“ einzubinden. Im Zentrum aller Ausbildungsbemühungen stehen die Auszubildenden selbst. Beteiligte Akteure sind Leitungspersonen bis hin zu Pflegefachpersonen oder anderen Berufsgruppen der Gesundheitsversorgung (Abbildung 1).

Abbildung 1: Akteure der praktischen Ausbildung

Als verantwortliche Ebenen sind die Gesamtleitung und die pflegefachliche Ebene zu nennen. Sie tragen dazu bei, Ausbildung als Strategie ins Unternehmen einzubinden und können über Strukturen und Prozesse den Stellenwert von Ausbildung in der Einrichtung verankern. Darüber hinaus trägt jedoch jede Ebene die Verantwortung, zu einem lernförderlichen Klima beizutragen und Auszubildende in ihrem Arbeitsalltag zu begleiten. Formal betrachtet obliegt zwar die Verantwortung für die Anleitung den Ausbildungsverantwortlichen und Praxisanleiter*innen; sie sind jedoch auf die Akzeptanz und Unterstützung aller Beteiligten angewiesen. Wie sich das in den einzelnen Bausteinen darstellt, wird im Folgenden beispielhaft aufgezeigt.

2.1 Strategische Verankerung von Ausbildung auf allen Ebenen

Strategien auf dem Papier sind unzureichend, wenn sie nicht für alle Ebenen operationalisiert und ausbuchstabiert werden. In der Realität scheitert die Umsetzung einer Strategie für die Ausbildung oft daran, dass der Stellenwert der Ausbildung („Kolleg*innen von morgen“) den Beteiligten nicht bewusst ist. Für den Erfolg der Ausbildung ist eine Verankerung der Strategie auf allen Ebenen essenziell. Wie das geschehen kann, wird an dieser Stelle nur anhand einzelner Beispiele beleuchtet. Besonders wichtig erscheint es, bei allen Entscheidungen mit zu bedenken, welche Konsequenzen für die Auszubildenden damit verbunden sind. Eine strategische Verankerung des Themas Ausbildung bedeutet in dieser Hinsicht zweierlei: Ausbildung ist als eigenständiges Thema Unternehmensstrategie in der Pflegeeinrichtung einzuführen und gleichzeitig bei allen anderen strategischen Entscheidungen,  inclusive der Auswirkungen strategischer Entscheidungen auf Ausbildung, im Fokus zu behalten. Ausbildung kann als Jahresthema gesetzt werden, um Prozesse und Aktivitäten zu initiieren, die dazu beitragen, den Stellenwert von Ausbildung in der Einrichtung für alle sichtbar zu machen. Zudem haben viele Strategien direkt oder indirekt Einfluss auf die Ausbildung. Von Anfang an mitgedacht, kann Ausbildung davon profitieren. Beispielsweise können im Rahmen der Digitalisierung Auszubildende in die Auswahl und Einführung von eLearning-Möglichkeiten einbezogen werden oder eine Ausbildungs-App für eine erleichterte Kommunikation zwischen Praxisanleiter*innen und Auszubildenden eingeführt werden.

Das Thema Ausbildungsqualität ist Aufgabe der Gesamtleitung einer Einrichtung. Ausbildungskennzahlen, eingebunden in das Qualitätsmanagement und/oder Controlling, können das Monitoring der Ausbildungsqualität erleichtern. Die Überwachung beispielsweise der Erreichung der geforderten zehn Prozent an Anleitung pro Praxiseinsatz, die Ausbildungsdauererfolgreiche Bildungsabschlüsse, oder erfolgreiche Übernahmen in ein Beschäftigungsverhältnis liefern Indikatoren für die Ausbildungsqualität. Die Anzahl der vorhandenen weitergebildeten Praxisanleiter*innen in Relation zu den Auszubildenden eines Betriebs sowie den Auszubildenden, die im Rahmen einer Kooperation in dem eigenen Unternehmen eingesetzt werden sollen, geben Auskunft über notwendige Personalentwicklungsbedarfe. Die Dokumentation von geplanten, durchgeführten und nicht realisierten Praxisanleitungen gibt einen ersten Eindruck von der Einhaltung der Zehn-Prozent-Quote.

Für die pflegefachliche Leitung sind diese Kennzahlen eine Orientierungsgröße: Wieviel der geforderten Praxisanleitung hat tatsächlich stattgefunden? Wie viele der Auszubildenden in unserer Einrichtung schlossen ihre Ausbildung erfolgreich ab? Konnten die Auszubildenden für ein Beschäftigungsverhältnis gewonnen werden? Ein regelmäßiges Monitoring erlaubt im Zeitverlauf Rückschlüsse auf gelungene Aspekte und Verbesserungsbedarfe in der Ausbildungspraxis. Auch für die Teams sind diese Rückmeldungen wichtig. Alle Pflegefachpersonen und Praxisanleiter*innen sind an der praktischen Ausbildung beteiligt. Die betriebsinterne Kommunikation über erfolgreich beendete Ausbildungsverhältnisse, die in Beschäftigungsverhältnisse übergegangen sind, schafft Transparenz für alle an der Ausbildung Beteiligten.

In den Aufgabenbereich der pflegefachlichen Leitung fällt es, die geforderten Anteile an Praxisanleitung über eine entsprechende Anzahl an Praxisanleiter*innen sicherzustellen. Eine langfristige Personalplanung ist erforderlich. An Praxisanleitung interessierte Pflegefachpersonen im Rahmen von Mitarbeiter*innengesprächen zu identifizieren und ihnen den Zugang zu einer Weiterbildung zu ermöglichen, liegt in der Verantwortung der Leitungspersonen. Eine mögliche Ressource stellt die kooperierende Bildungseinrichtung dar, indem deren Angebote für eine Weiterbildung zur Praxisanleitung genutzt werden. So gelingt es, bereits frühzeitig Weiterbildungsplätze für die angehenden Praxisanleiter*innen zu sichern.

2.2 Das lernförderliche Klima in der Einrichtung

Wie die Ausbildung gestaltet wird und ob die Auszubildenden ihre Ausbildung erfolgreich absolvieren, hängt stark mit der gelebten Betriebskultur zusammen. Werden die Werte und Normen des Unternehmens in der täglichen Arbeit umgesetzt, kann daraus ein lernförderliches Klima erwachsen. Empirische Studien bestätigen, dass ein gutes Klima das kognitive und soziale Lernen befördert (vgl. Helmke & Schrader 2008). Zwar bezieht sich diese Qualitätsdimension auf Unterricht; im Kontext der lernenden Organisation lässt sich dies auch auf den Klinikalltag übertragen. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie eine konkrete Umsetzung gestaltet sein kann:

Einen Ansatzpunkt bietet die Gesprächskultur in der Einrichtung. Dies beginnt bereits damit, die Auszubildenden aktiv in die Regelkommunikation einzubeziehen. Über diese Gespräche kann der direkte Kontakt zu den Auszubildenden gewährleistet werden. Auszubildende selbst sind Expert*innen ihrer Ausbildung. Die Rückmeldungen der Auszubildenden geben wertvolle Hinweise hinsichtlich Gestaltungserfordernissen und -möglichkeiten bei den Praxiseinsätzen. Sie sind auf dem aktuellen Stand des Wissens und kennen viele unterschiedliche Abläufe und Bereiche. Von ihren Ideen können sowohl die verschiedenen Bereiche – und somit die gesamte Einrichtung – profitieren. Für die pflegefachliche Leitung kann die Einbindung in die Regelkommunikation bedeuten, sich einmal im Quartal mit den Auszubildenden oder Auszubildendenvertreter*innen zu folgenden Themen auszutauschen: Wie erleben die Auszubildenden ihre Einsätze in der Einrichtung/den unterschiedlichen Abteilungen? An welchen Stellen erhalten sie die Möglichkeit, Lernanlässe als solche zu nutzen? Was erleben sie als lernförderlich? Bei welchen Anlässen begegnen sie Schwierigkeiten? Auf der Ebene der Bereichsleitung könnte wiederum als Regelkommunikation ein monatlicher Jour fixe mit den Auszubildenden etabliert werden. Hierbei geht es um das Erleben der Ausbildung im eigenen Bereich. Wie geht es den Auszubildenden auf der Station oder in der Wohneinheit? An welchen Stellen haben die Auszubildenden Ideen für Verbesserungen? Auszubildende sind aufgefordert, ihre Ideen und Anliegen in diese Besprechungen und gegenüber den verantwortlichen Personen einzubringen. Bereichsleitungen sollen in regelmäßigem Kontakt bleiben und die Rückmeldungen der Auszubildenden ernst nehmen. Dies fördert neben der Partizipation von Auszubildenden das Gefühl der Wertschätzung und des „Ernstgenommen-Werdens“ und kann hierüber dazu beitragen, ein lernförderliches Klima entstehen zu lassen.

Umgang und Grundstimmung sind ebenfalls Bestandteile eines lernförderlichen Klimas. Pflegefachpersonen, die eng mit den Auszubildenden zusammenarbeiten, nehmen hierbei eine relevante Vorbildfunktion ein. So können Pflegefachpersonen Auszubildende in ihrer fachlichen Entwicklung und sozialen Entfaltung unterstützen, indem sie ihnen auf Augenhöhe und mit Rücksicht auf ihre Bedürfnisse begegnen. Dies gelingt, wenn Auszubildende als temporäre, aber vollwertige Teammitglieder angesehen und so in die Arbeitsroutinen und -aktivitäten involviert werden – bis hin zur Gestaltung der Arbeitspausen. Liegt der Fokus auf der gemeinsamen Bewältigung anstehender Aufgaben in der Versorgung von Patient*innen und Bewohner*innen, so stärkt dies den kollegialen Zusammenhalt.

Erleben Auszubildende die Praxiseinsätze positiv, steigen die Chancen, dass die Auszubildenden nach erfolgreichem Abschluss weiterhin im Unternehmen tätig sind, was einen positiven Beitrag zur Fachkräftesicherung in der eigenen Einrichtung leistet. Genauso wichtig wie die Umsetzung positiver Werte in der Unternehmenskultur ist auch das aktive Thematisieren und Sanktionieren negativer Erscheinungen wie z. B. Ausgrenzung. Deshalb ist es wichtig, die körperliche und psychische Gesundheit der Auszubildenden im Blick zu behalten und Auszubildende regelmäßig in Methoden des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu schulen, sodass sie schon in der Ausbildung den Umgang mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance erlernen.

2.3 Die Rolle der Anleitung im Arbeitsalltag

Praxisanleitung hat mit dem Pflegeberufegesetz (PflBG § 6 Abs. 3) einen größeren Stellenwert in der Ausbildung von Pflegepersonen erhalten. Mindestens zehn Prozent der praktischen Ausbildungszeit pro praktischem Einsatz muss als geplante und systematische Anleitung auf der Grundlage eines praktischen Ausbildungsplans für jede*n einzelne*n Auszubildende*n nachgewiesen werden. Eine umfangreiche berufspädagogische Ausbildung der Pflegepersonen ist dafür die Voraussetzung. Dies ist durch die Träger der praktischen Ausbildung sicherzustellen (PflAPrV § 4 Abs. 3). Die berufspädagogische Qualifikation von Praxisanleiter*innen umfasst 300 Stunden und eine berufspädagogische Fortbildung von mindestens 24 Stunden pro Jahr (vgl. ebd.). Der Gesetzgeber hat mit diesen Vorgaben eine Mindestqualifikation für Praxisanleiter*innen wie auch eine Anforderung an berufspädagogischer Anleitung während der praktischen Einsätze der Auszubildenden durch die Praxisanleiter*innen gleichermaßen festgelegt. Obwohl diese Entwicklung die Praxisanleiter*innen in ihrer Rolle stärkt, befinden sich diese häufig im Spannungsfeld der Anforderungen: Sie müssen einerseits in der Rolle als Praxisanleiter*in eine qualitätsvolle Ausbildung gewährleisten und andererseits als Pflegefachpersonen den Anforderungen der täglichen pflegerischen Arbeit gerecht werden (vgl. Mamerow 2018). Auch die Rolle der Auszubildenden wird mit dem Pflegeberufegesetz gestärkt. Eine Reduktion der Funktionsfähigkeit Auszubildender soll durch ein umfassendes Bildungsverständnis vermieden werden. Dazu gilt es, die Kompetenzen, die zur Bewältigung einer Pflegesituation nötig sind, einzuschätzen und mit dem Ausbildungsstand des jeweiligen Auszubildenden abzugleichen. Eine Reduktion auf Handlungskompetenz und damit Verzwecken der Auszubildenden wird mit diesem Vorgehen entgegengewirkt (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz 2020). Auszubildende sind vornehmlich Lernende; dies wird im § 27 PflBG durch die Nichtanrechnung auf den Personalschlüssel im ersten Ausbildungsdrittel deutlich.

Verschiedene Akteure auf unterschiedlichen Ebenen tragen zu einer gelingenden Umsetzung der umfassenden Neuerungen bei. Nachfolgend soll – wiederum anhand von Beispielen – aufgezeigt werden, wie sowohl Praxiskoordinator*innen als auch Praxisanleiter*innen zu einer qualitätsvollen praktischen Ausbildung beitragen. Praxiskoordinator*innen stellen das Bindeglied zwischen den Praxisanleiter*innen, den Leitungspersonen und der Bildungseinrichtung dar. Sie fungieren als Multiplikator*innen in mehrerlei Hinsicht: Sie vermitteln den aktuellen Kenntnisstand der Bildungseinrichtung und den Ausbildungsstand der Auszubildenden in den Betrieb. Umgekehrt fühlen sie sich für die Anliegen des Betriebs am Lernort Schule zuständig. Im Rahmen dieser engen Kooperation gelingt es, Inhalte des schulinternen Curriculums mit den Lernmöglichkeiten des Betriebs abzugleichen und attraktive Lernangebote zu entwickeln.

Ausbildungsqualität wird durch strukturiertes Vorgehen anhand des Anleitungsprozesses abgesichert. Praxisanleiter*innen sind Expert*innen für ihr jeweiliges Tätigkeitsfeld und die Lernmöglichkeiten und -herausforderungen, die sich damit verbinden. Die Anforderungen des pflegerischen Alltags mit denen der Praxisanleiter*innen zu vereinbaren ist ein alltägliches Ausbalancieren, und nicht immer ist dieses systematische Vorgehen realisierbar. Damit es dennoch gelingen kann, die geforderten zehn Prozent Praxisanleitung zu gewährleisten, kann einerseits Praxisanleitung im Dienstplan jenseits des aktuellen Tagegeschäfts verankert werden. Andererseits ergänzen Regelungen bei Krankheit die Planung der Praxisanleitung. Daneben besteht die Möglichkeit, mehrere Auszubildende mit gleichem Lernstand für eine Gruppenanleitung einzuplanen. Ist das Thema praktische Ausbildung in einem Unternehmen strategisch verankert, so gibt das ein umfassendes Verständnis dieser verantwortungsvollen Aufgabe im Sinne der „Gewinnung unserer Kolleg*innen von morgen“ und schafft die notwendigen Ressourcen für Praxisanleitung.

Auszubildenden kommt im Rahmen der Praxisanleitung eine wichtige Rolle zu. Neugierde und die Offenheit, in alltäglichen Situationen Lern- und Entwicklungspotenzial zu erkennen, sind die Voraussetzung dafür, Neues zu lernen. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass Auszubildende für ihre Praxisanleitung proaktiv einstehen und diese auch einfordern. Erlebte Widersprüche zwischen theoretisch Gelerntem und beobachteter Praxis bieten interessanten Gesprächsstoff für das Team, aber auch Lernpotenzial – nicht nur für die Auszubildenden.

3. Fazit & Ausblick

Die hier vorgestellten Maßnahmen zur strategischen Verankerung (2.1), dem lernförderlichen Klima (2.2) und der Rolle der Anleitung im Arbeitsalltag (2.3) sind beispielhaft für viele weitere Maßnahmen, die das Fundament einer gelingenden Ausbildung bilden. Die strategische Verankerung der Ausbildung und ihre systematische Integration in den Betrieb bedeutet, dass diese Aufgabe zu einem Kernprozess wird. Alle an der Ausbildung beteiligten Akteure können innerhalb ihres jeweiligen Handlungsrahmens aktiv am Gelingen von Ausbildung mitwirken, so dass es gelingt, über hierarchische Ebenen hinweg Strukturen innerbetrieblicher Ausbildung zu implementieren. Das lernförderliche Klima ist durch ein wertschätzendes Miteinander gekennzeichnet und Grundlage für eine gelingende Ausbildung. Die Integration der Auszubildenden in das Team und die betrieblichen Abläufe ist auf die Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung auszudehnen. Praxisanleitende sind durch die Pflegeberufereform in ihrer Rolle gestärkt und aufgefordert, durch ihre fachliche Expertise und ihr berufspädagogisches Know-How Ausbildungsqualität sicherzustellen.

Über die einzelnen Betriebe hinaus ist die generalistische Ausbildung im Ausbildungsverbund zu betrachten (Abbildung 2). Im Zuge der Ausbildung durchlaufen die Auszubildenden verpflichtende Einsatzbereiche im akut-, langzeitstationären und ambulanten Setting. Unterschiedliche Einsatzbereiche bringen eine Bandbreite an Lernmöglichkeiten mit sich. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, sind enge Absprachen der Ausbildungsbetriebe erforderlich, damit diese Lernangebote aufeinander abgestimmt werden können. So besteht die Chance, dass Auszubildende die pflegerische Arbeit in all ihren Facetten im Sinne der Generalistik erleben können. Ergänzend zu dieser einrichtungsübergreifenden Kooperation können die Einsätze gezielt dafür genutzt werden, die Besonderheiten eines Fachbereichs zu verdeutlichen und dessen spezifische Pflegetätigkeiten im Rahmen der Einsätze lernend zu erschließen. Darüber hinaus ermöglicht es den Betrieben, die angehenden Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner für sich und den jeweiligen Fachbereich zu begeistern. Absprachen im Verbund bzgl. der praktischen Ausbildungspläne fördern einen reibungslosen Ablauf der Ausbildung und unterstützen die überbetriebliche Zusammenarbeit.

Abbildung 2: Ausrichtung einer gelingenden berufspraktischen Ausbildung

[1] Die generalistische Pflegeausbildung integriert seit 2020 die drei Ausbildungsberufe Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege in den Ausbildungsberuf Pflegefachfrau/-mann. Weitere Informationen bspw. unter www.pflegeausbildung.net

[2] Die Klingel ist ein Notrufsystem, das in Reichweite der zu pflegenden Person angebracht ist und mithilfe der sie jederzeit eine Person des Pflegedienstes alarmieren und zu sich beordern kann.

Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung PflAPrV). Vom 02. Oktober 2018. In: Bundesgesetzblatt Teil I (34), S. 1572-1621.

Bohrer, Annerose & Walter, Anja (2015): Entwicklung beruflicher Identität – empirische Erkenntnisse zum Lernen in der Berufspraxis. In: Pädagogik der Gesundheitsberufe 2 (3), S. 23-31.

Buchegger-Traxler, Anita (2014): Der Einfluss der Ausbildung auf Zufriedenheit und Berufsverbleib in der Altenarbeit in Oberösterreich. In: Offenes Heft [Schwerpunkt: Entwicklungen in der Arbeitswelt], S. 331-343.

Bundesagentur für Arbeit, S./A. (2020): Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Stand Mai 2020. https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (25.02.2021).

Deutscher Pflegerat E. V. (2013): Deutscher Pflegerat e. V. mobilisiert gegen den Pflegenotstand. https://deutscher-pflegerat.de/wp-content/uploads/2020/03/DPR_PM-Kampagnenauftakt-lang.pdf (25.02.2021).

Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz (2020): Rahmenlehrpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG: Rahmenlehrpläne für den theoretischen und praktischen Unterricht. Rahmenausbildungspläne für die praktische Ausbildung, https://www.bibb.de/dokumente/pdf/Rahmenplaene_BARRIEREFREI_FINAL.pdf (18.02.2021).

Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz PflBG). In: Bundesgesetzblatt Teil I (49), S. 2581-2614.

Helmke, Andreas & Schrader, Josef (2008): Merkmale der Unterrichtsqualität. Potenzial, Reichweite und Grenzen. In: SEMINAR – Lehrerbildung und Schule. 3 (14), S. 17-47.

Mamerow, Ruth (2018): Praxisanleitung in der Pflege. 6. Aktualisierte Auflage, Berlin, Heidelberg: Springer Verlag.

Mohr, Jutta & Reiber, Karin (i. R.): Die berufspraktische Pflegeausbildung unter dem Blickwinkel beruflicher Identitätsbildung. Eingereicht in: Zeitschrift für Berufs‐ und Wirtschaftspädagogik, Beiheft Gesundheitsberufe.

Reiber Karin, Küpper Andreas, Mohr Jutta (i. E.): Wunsch und Wirklichkeit der Pflegeausbildung. Eine laufbahnbezogene Perspektive auf Berufsorientierung im Kontext von Fachkräftebedarf. In Weyland U., Ziegler B. (Hrsg.): Entwicklungen und Perspektiven in der Berufsorientierung – Stand und Herausforderungen. Bielefeld: Bertelsmann.

ver.di (2015): Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015. https://gesundheit-soziales.verdi.de/++file++586e63e0f1b4cd1221c4bdd0/download/Ausbildungsreport_2015.pdf (25.02.2021).

ver.di (2018): Ende vor dem Abschluss. Drei.65. https://gesundheit-soziales.verdi.de/service/drei/drei-65/++co++65eb87be-3c06-11e8-8eca-525400f67940

Autoren

  • Jutta Mohr

    Jutta Mohr arbeitet an der Hochschule Esslingen im Forschungsverbund ZAFH care4care zu dem Themenschwerpunkt Berufliche Bildung. Sie ist gelernte Krankenschwester mit langjähriger Berufserfahrung im akutstationären Setting. Sie hat Pflege in St. Gallen und Pflegewissenschaft in Esslingen studiert.

  • Gabriele Schwarzer

    Gabriele Schwarzer arbeitet an der Hochschule Esslingen im Forschungsverbund ZAFH care4care zu dem Themenschwerpunkt Berufliche Bildung. Sie ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin mit mehrjähriger Berufserfahrung im akutstationären Setting. Sie hat Pflegepädagogik an der Hochschule Esslingen studiert und befindet sich aktuell in dem Masterstudium Schulmanagement der TU Kaiserslautern. Seit 2018 ist sie als Pflegepädagogin an einer Berufsfachschule für Pflegeberufe beschäftigt.

  • Nicola Hofmann

    Nicola Hofmann arbeitet an der Hochschule Esslingen im Forschungsverbund ZAFH care4care zu dem Themenschwerpunkt Berufliche Bildung. Sie ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin mit mehrjähriger Berufserfahrung im akutstationären Setting. Ergänzend dazu hat sie Nonprofit-, Sozial- & Gesundheitsmanagement am MCI in Innsbruck studiert und befindet sich aktuell in einem Masterstudium zur Pflegepädagogin an der PH Schwäbisch Gmünd.

  • Prof. Dr. Karin Reiber

    Prof. Dr. Karin Reiber ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Berufspädagogik und Didaktik der beruflichen Bildung für Pflegeberufe an der Hochschule Esslingen. Sie ist Sprecherin des Forschungsverbunds ZAFH care4care und Projektleitung am Standort Esslingen. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Beruflichen Bildung, umfassen Fragen der Professionalisierung und Fachkräftesicherung und reichen bis hin zur Qualifikation des Berufsbildungspersonals. Sie ist Mitglied des Forschungskonsortiums, das im Auftrag des BIBB die Begleitforschung zur Umsetzung des Pflegeberufegesetzes durchführt.